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Dirk von Lowtzow

Die Schwarze Leinwand Ein Besuch bei Jonathan Meese in Berlin

Tinto Brass, "Caligula", 1979 Tinto Brass, "Caligula", 1979

Wer die Arbeiten des Installations- und Performancekünstlers – und seit einiger Zeit auch Malers – Jonathan Meese kennt, wird das Bild einer suggerierten Ästhetik des Selbstgemachten sogleich aufrufen können. Seine scheinbar uferlosen Materi- alschlachten stehen auch für den aneignenden Zugriff auf eigenwillig interpretierte Vorbilder, von der Welt der Sagen über Wagner und Balthus zu Kubrick und zurück. Nur das Existenziellste ist gut genug, um in Meeses Sprache anverwandelt zu werden. Wie sieht es jedoch bei ihm zuhause aus? Für Dirk von Lowtzow war der Besuch in Meeses Atelierwohnung willkommener Anlass, um seiner eigenen Affinität zu dessen Bild- und Textwelten nachzugehen.

Zu Beginn sehen wir nur eine schwarze Leinwand. Langsam, wie aus dem Nichts kommend, erscheinen die Worte, die sowohl Ort und Zeit der Handlung als auch die Thematik des Films bestimmen werden: „Pagan Rome“, heidnisches Rom. Die Rede ist vom Anfangsbild des Films „Caligula“ (Tinto Brass, 1979), der einen wesentlichen Bezugspunkt für Jonathan Meeses Arbeit darstellt.

Den Namen seiner beiden Hauptfiguren, dem römischen Kaiser Caligula, gespielt von Malcolm McDowell, der seine Karriere mit „A Clockwork Orange“ begründete (und wahrscheinlich mit „Caligula“ beendete), und der von ihm geliebten Schwester Drusilla, begegnen wir in Jonathan Meeses Bildern mit schöner Regelmäßigkeit. Im Verlauf der Filmhandlung werden wir mit einer Reihe imperialer Orgien, die sich in immer üppigeren Arrangements und Inszenierungen ergehen, konfrontiert, so dass man am Ende versucht ist zu glauben, das berühmte Georges-Bataille-Zitat: „Erotik ist das Jasagen zum Leben bis in den Tod“, habe hier seine ultimative Verfilmung erfahren. Auch hier eine schwarze Leinwand. Zu den Klängen der pseudowagne-rianischen Musik von Basil Poledouris können wir, weiß auf schwarz, in keltoider Schrift die oft zitierten Worte Friedrich Nietzsches lesen: „Was den Menschen nicht umbringt, macht ihn stärker.“ Der Film, der seinen philosophischen Leitspruch direkt an den Anfang stellt, ist John Milius’ „Conan the Barbarian“ (1981). Dessen Protagonist, der jungverwaiste Conan (gespielt vom damaligen Hollywood-Debütanten Arnold Schwarzenegger), durchstreift eine prähistorische Steppenlandschaft, immer getrieben vom Rachedurst an demjenigen, der einst seine Eltern erschlug. In den jüngsten Arbeiten Jonathan Meeses kommt dieser als „Conan, der Meese“ oder in der Aufforderung „Auch Conan darf nur mit Krawatte beichten“ vor.

Ich habe mir die beiden Filme wieder und wieder angesehen, auch weil sie Teil einer Erinnerung an meine vernunftgeprägte Kindheit waren, in der sie als Inbegriff des unerreichbar Bösen als Plakate hinter den Schaukästen des örtlichen Kinos hingen, als unendliche Verdichtung dessen, was man vage als „bizarr“ bezeichnen könnte. Malcolm McDowell als Caligula, geprägt auf einer römischen Münze, aus dessen Augen Blut rinnt, hat mich immer begleitet. Sooft ich mir die Filme auf Video angesehen habe, so beharrlich habe ich immer wieder an den jeweiligen Anfang gespult, an das jeweils erste Bild, die schwarze Leinwand, in der all das vorweggenommen, verdichtet ist, was den Film für mich ausmacht, bei deren Anblick ich fast frösteln muss vor Begeisterung, in der das ganze Pathos der Narration schon vorher zum Ausdruck kommt. Wie Marmelade ohne Brot, nur das Beste. Ein Sud, um eines von Jonathan Meeses Lieblingswörtern zu gebrauchen, ein Sud, der mit Liebe eingekocht wurde, stundenlang, tagelang, vielleicht jahrelang. Alles konzentriert sich in der schwarzen Leinwand, dem Bild, das erscheint, bevor der Film beginnt.

Als ich 1998 bei der damaligen Berlin Biennale das erste Mal mit einer Arbeit Jonathan Meeses konfrontiert wurde, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Inmitten seiner Installation „Ahoi De Angst – Be Dorian Gray“ lief auf einem Fernseher „Caligula“, der Film meiner Kindheitfantasien und Träume. Seither habe ich als Ausstellungsbesucher fast alle Teile von Jonathan Meeses lärmendem Epos gesehen und darin immer wieder Abwandlungen seines Porträts entdeckt, eines zumeist flammenden, wetterleuchtenden Kopfes auf einer breiten Brust, ich habe den Phallus-Menschen gesehen und bin mit ihm in eine Art Kloake der Schönheit hinabgestiegen, habe meine Ohren verschließen müssen vor dem Scheppern der Bajonette der Fremdenlegionäre, habe gesehen, wie sich aus dem Schatten die Gespenster der Unaussprechlichen lösen: Marquis de Sade, Balthus und Stanley Kubrick, eine ganze Epoche. Ich bin immer näher getreten. Und am Anfang, das war mir immer klar, stand, als Ausgangspunkt eines jeden neuen Bildes, eine schwarze Leinwand.

Nun sitze ich Jonathan Meese gegenüber, in seiner Atelierwohnung in Berlin-Mitte, umringt von Bücher-, Video- und dvd-Stapeln. Wir trinken heiße Schokolade und hören immer wieder die gleiche Beatles-cd, der Player ist offensichtlich auf Repeat gestellt: „Magical Mystery Tour“. Mir gegenüber an der Wand hängt ein etwa zwei mal drei Meter großes, triptychonartiges Gemälde, dessen linke Bildhälfte von einer grob gemalten Gestalt dominiert wird, aus deren Phallus eine milchige Flüssigkeit spritzt. Es ist ein „Dachswesen“, wie Jonathan Meese mir erläutert, und gleichzeitig ein Bild aus einem neuen Zyklus, der, so Meese, „ohne Schrift auszukommen versucht“. In dieser, seiner nunmehr dritten künstlerischen Wiedergeburt (nach den „Jugendzimmern“ und den schriftdominierten Installationen) sieht sich Meese ganz als Maler. Von frühester Jugend an habe er Picasso bewundert. Selbst Marcel Duchamp, dessen malerisches Werk das Begrenzteste ist, sei für ihn „hauptsächlich als Maler interessant“. So wird auch die rechte untere Bildhälfte des oben beschriebenen, in Arbeit befindlichen Bildes von einer Anordnung bestimmt, die durch die vereinfacht-schematische Darstellung eines mecha-nischen Vorgangs (inklusive Bewegungspfeil) stark an Duchamps „Kaffeemühle“ (1911) erinnert. Deren in vier Bewegungsphasen gezeigte Kurbel wirkt ohnehin fast wie ein von Meese oft verwendetes mystisches Symbol, eben- so wie man die von Schwarz, Weiß und Ockertönen dominierte Farbpalette Duchamps in Meeses Malerei wiederfinden kann. So sehr sich Jonathan Meese als Maler im „klassischen“ Sinn fühlt, viel mehr noch, als der Maler, fast könnte man im Meese’schen Sinne vom „Erzmaler“ sprechen, so sehr verneint er insistent die Bedeutung so genannter „malerischer Probleme“ für seine Kunst. Fragen des Formats, des Materials, der Ausführung und des Raumes haben, so Meese, „keine Bedeutung für mich“. Bei meinem Atelierbesuch bekomme ich also keinen Künstler zu sehen, für den die Malerei ein fast physischer Kampf ist, der, immer in Bewegung zwischen Palette und Staffelei, darum bemüht ist, seine Leinwand ins letzte Stadium der Vollendung zu überführen. So kann ich mir auch schwerlich vorstellen, dass dieses Atelier für Jonathan Meese ein Ort ist, den er erst aufsuchen muss, weil nur an diesem speziellen Ort die räumlichen Gegebenheiten herrschen, die seine künstlerische Arbeit ermöglichen. Nicht das Atelier funktioniert in seiner Anordnung als Emblem der „Kreativität“ (ein Wort, das Jonathan Meese zutiefst verabscheut) und des künstlerischen Ausdrucks, das die Einzigartigkeit und Originalität eines Künstlers erst ermöglicht, sondern Jonathan Meese funktioniert als Künstler einen beliebigen Ort, ein Jugendzimmer, einen Akademieraum oder eine Wohnung in Berlin-Mitte zu einem Kunstraum, zu einem „Saal“ um.

Jonathan Meese geht es allein um die Kunst, und um diese herzustellen, um zu gewährleisten, dass etwas entsteht, das den eigenen strengen Kriterien des „Suds“ entspricht, stellt Jonathan Meese sich selbst als Medium zu Verfügung. Er ist, weniger okkultistisch ausgedrückt, als Künstler eine Art Filter, ein Sieb. Er könne, so Meese, „auch nichts dafür, dass dort unten dann immer dasselbe rauskommt, Adolf Hitler, Richard Wagner, Stanley Kubrick, Conan der Barbar oder eben Malcolm McDowell in seinen verschiedenen Rollen, als Alex de Large oder Caligula.“ Man könne ihn dafür nicht verantwortlich machen.

„Solang es geht, schöpf’ den Rahm ab …“ [1] Mit diesem Satz aus einem frühen selbst verfassten Gedicht, hat Meese seine eigene künstlerische Methode selbst am treffendsten beschrieben: Es ist alles schon da, um ihn herum, alle möglichen Welten, die miteinander existieren, aber die meisten Menschen können nicht einmal eine unter diesen sehen. Das ohnehin schlecht gemalte Bild des gequälten, nach Ideen brütenden Künstlers ist ihm fremd: Er muss nichts anderes tun, als „den Rahm abzuschöpfen“. Jonathan Meese erkennt die Dinge, wie sie sich ihm präsentieren, und er ist fähig, sie als Geschenke an- und in sein Universum aufzunehmen.

Entgegen anderslautenden Meinungen ist dieses ein heiteres Universum, ein Universum, das aus Zuneigung aufgebaut ist. Auch hat es viel weniger mit der Schwere des tief in der germanischen Mythologie verwurzelten Werks Anselm Kiefers zu tun, als man auf den ersten Blick glauben könnte. Ähnlich suggestiv und bestimmt nie plump ironisch, gleitet es jedoch nicht, und wenn dann nur ganz gezielt, ins Völkisch-Stumpfe ab. Im Gegenteil dazu erzeugen Meeses archaische Runen, Kreuze und Symbole keine Betroffenheit, sie verweisen vielmehr immer auf das Wesentliche: Die Erschaffung einer von tiefer Liebe zur Albernheit erfüllten Kosmologie. Meese ist darin H. P. Lovecraft, dem Großmeister beknackt-konsonantischer Schöpfungen wie dem „Cthulhu-Mythos“ nicht unähnlich, und unähnlich ist er auch nicht dessen Rezipienten, den Heerscharen nerdiger Horrorkultur-Exegeten, jedenfalls den „dvd-Special-Editions“ nach zu urteilen, die sich in seinem Atelier stapeln. Alles um mich herum, die Bilder an der Wand, die zahllosen Skizzen, die Video- und Zeitschriftenstapel, selbst die seltsam deplatziert wirkende Faxmaschine neben mir, wirken auf mich wie das Bühnenbild zu einer Komödie, die Alfred Jarry (dem Jonathan Meese offensichtlich viel verdankt) hätte schreiben können. Jonathan Meese scheint es genau zu wissen: Aus einer Komödie kann bei genügender Systematik Wirklichkeit werden. Es ist ein so kindisches wie kalkuliertes Spiel, das er spielt: ein Spiel, das alles herbeizwingen kann. Das Geheimste an diesem Spiel ist die intensive Freude, die in ihm liegt.

Anmerkung

[1]Unveröffentlichtes Gedicht, 1996: „Piratus-Man-Macbeth-Seahorse. Male is searching gold anyway“, zitiert nach: Jan-Hendrik Wentrup, „Ein-Mann-Partei des getriebenen Ichs. Das literarische Wahlprogramm des Jonathan Meese“, in: Jonathan Meese, Revolution, Hannover 2002.