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Thomas Khurana

Immer nur das Eine; immer nur das Andere Elena Espositos Buch über die Paradoxien der Mode

Abbildung aus dem Buch: Ingrid Loschek, "Mode im 20. Jahrhundert", München 1978 Abbildung aus dem Buch: Ingrid Loschek, "Mode im 20. Jahrhundert", München 1978

Mode folgt einer ganz eigenen, scheinbar widersprüchlichen Logik: Wer sich modisch kleidet, strebt Originalität an, verhält sich gleichzeitig jedoch konform; zudem verändert sich die Mode beständig, gilt aber für einen gewissen Zeitraum als absolut verbindlich. Die italienische Soziologin Elena Esposito geht in ihrem neuen Buch mit systemtheoretischem Werkzeug diesen offensichtlichen Paradoxien nach.

"In ihrer Banalität ist die Mode ein geheimnisvolles Phänomen" - mit diesem Satz beginnt Elena Esposito ihre Studie über die Paradoxien der Mode [1] und beschreibt so zugleich die Spannung, in der sich ihr eigener Text hält: Er führt eine Vielzahl von bekannten, für sich genommen fast banal wirkenden Qualifizierungen der Mode vor, bettet sie aber zugleich in eine historisch komplexe und sachlich paradoxe Konstellation ein, die ihnen, wenn nicht etwas Geheimnisvolles, so zumindest doch etwas sehr Eigenes gibt. Diese komplexe Konstellation erreicht die Studie nicht dadurch, dass sie die Mode - wie man es von der Systemtheorie Luhmanns vielleicht erwarten würde, die Elena Esposito hier fortschreibt - als System analysiert - etwa als autonomes Funktionssystem, das strukturell analog zu Kunst, Wissenschaft oder Recht funktioniert. Die Charakteristik der "Mode" wird vielmehr in einer Untersuchung der historischen Semantik der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung (insbesondere des 17. Jahrhunderts) gewonnen und als ein bestimmter allgemeiner Modus der Kommunikation in der Moderne verstanden. Mode ist mithin nicht System, sondern eine für die Moderne bedeutsame Semantik und ein Formprinzip moderner Kommunikation, eine bestimmte Kommunikationsweise, die alle möglichen Funktionsbereiche der modernen Gesellschaft prägt. Keiner dieser Bereiche kommt ohne gewisse Moden aus, die temporär jeweils den Rahmen für die funktional spezifischen Züge abstecken und so, wenn auch nicht eine hart normierende, eine "paranormative Kraft" (168) entfalten. Um es mit den Worten La Bruyères zu sagen, der einer der Hauptzeugen von Esposito ist: "Alles wird von der Mode geregelt" (159). Der Charakter des Modischen, der in allen Funktionsbereichen mit am Werk ist, zeigt sich für Esposito daran, dass die moderne Kommunikation allgemein dem Prinzip einer vorübergehenden und verändernden Nachahmung folgt. Diese bestimmte Form der Nachahmung kann man, wie Kant in seiner Anthropologie, "modisch" nennen und vom "Gebrauch" unterscheiden, der entsteht, "wenn das Spiel der Nachahmung fixiert wird" [2]. In Abgrenzung von dieser Ordnung des Brauchs versucht Esposito dann den modischen Modus der Kommunikation zu konturieren. Es geht dabei erstaunlich wenig um Kleidung, um tragbare oder aufstellbare Objekte, sondern immer wieder um eine allgemeine Weise des Handelns, Beobachtens und Kommunizierens. Wenn Kleidungsmode an einigen Stellen eine Rolle spielt, dann vor allem deshalb, weil diese ein leitendes Paradigma für das moderne Formprinzip ist und weil in den Redeweisen der Gegenwart von der reichen Semantik der "Mode", wie sie im 17. Jahrhundert aufkam, tatsächlich vor allem die Rede über Kleidung übrig geblieben ist. Den Ausgangspunkt ihrer Analyse der Mode als Formprinzip findet Esposito in einer Serie von Paradoxien der Mode, die man in wesentlichen Zügen bereits Simmels "Philosophie der Mode" entnehmen kann: 1. Mode erscheint als die verallgemeinerte Suche nach Individuation: "Das Individuum macht [...], was die anderen machen, um anders zu sein" (13). 2. Die Beständigkeit der Mode liegt in ihrer dauernden Veränderung. 3. Mode erfordert eine sorgfältig gepflegte Lässigkeit und erreicht ihre Vollkommenheit nur, sofern sie unvollkommen bleibt. Und schließlich: 4. Die Mode tendiert bei all dem dazu, auch ihr Gegenteil noch als einen Fall ihrer selbst zu behandeln. Diese paradoxe Disposition wird nun Esposito zufolge dadurch operativ und funktional, dass die soziale Paradoxie (Individualität durch Nachahmung) und die Ordnungsparadoxie (Stabilität durch Veränderung) sich verschränken und - so Espositos Ausdruck - sich "neutralisieren": "Konkreter heißt dies, dass derjenige, der sich an die Mode hält, der Paradoxie einer kopierten Originalität und eines Strebens nach Distinktion, das von allen geteilt wird, entgehen kann, weil die Mode sich ändert und erzwingt, dass man ihren unaufhörlichen Transformationen folgt" (27). Weil sich die Mode ständig verschiebt, kann das Kopieren also paradoxerweise Originalität generieren; und weil die Originalitätssuche über eine bestimmte Form der Nachahmung läuft, wird trotz all der Veränderung weiter Ordnung aufgebaut. Esposito interessiert sich in diesem Sinne nicht für die Paradoxien der Mode an sich, sondern dafür, wie sie funktionieren, wie sie Probleme entfalten oder gar lösen. Das Formprinzip "Mode" antwortet dementsprechend auf drei Strukturprobleme der Moderne: (i) auf das Darstellungsproblem einer Gesellschaft ohne Spitze, (ii) auf das Problem, gemeinsame Bezugspunkte und Verbindlichkeit möglich zu machen in einem Feld, in dem jeder Zug im radikalen Sinne als kontingent und mithin als auch anders möglich erscheint. Und schließlich (iii) auf eine kommunikative Situation erhöhter Reflexivität, in der sich die Beobachtung von Beobachtern - statt der Beobachtung von Dingen - als dominante Form gesellschaftlicher Kognition durchsetzt. Das Buch von Esposito konzentriert sich dabei besonders auf die Art, wie die Mode durch eine "Allianz von sozialer und zeitlicher Kontingenz" das zweite Problem, das der radikalisierten Kontingenz, entfaltet und durch "kontingente Kontrolle von Kontingenz" (55) löst. Was das zweite und dritte Problem, das der Repräsentation und der Reflexivität, angeht, bleibt es eher bei Andeutungen, die, wenn man sie weiterverfolgen würde, zu einem anders akzentuierten, möglicherweise auch plastischeren Modebegriff führen könnten als die von Esposito bevorzugte Figur der Kontingenz. Worin bestehen also das Repräsentations- und das Reflexionsproblem genauer betrachtet? Das "Repräsentationsproblem" der modernen Gesellschaft erwächst Luhmanns Gesellschaftstheorie zufolge daraus, dass die moderne Gesellschaft nicht mehr primär hierarchisch in Schichten gegliedert ist, deren oberste als Pars pro Toto die ganze Gesellschaft repräsentieren und sichtbar werden lassen kann. Die moderne Gesellschaft ist vielmehr primär in Funktionen differenziert, die alle auf einer Ebene liegen und jeweils eigene Reformulierungen von Gesellschaftlichkeit in der Gesellschaft darstellen. Gesellschaft als Ganze kann also von keiner privilegierten Instanz mehr sichtbar gemacht werden, wird unerreichbar oder imaginär. Mode stellt vor diesem Hintergrund eine denkbare Form dar, wie Gesellschaftlichkeit perspektivisch sichtbar und repräsentierbar werden kann, unter der Voraussetzung des temporären und dezidiert inszenierten Charakters der Repräsentation. Die Mode erschiene so als eine ganz bestimmte Form einer je partikulären und wechselnden Selbstrepräsentation der Gesellschaft in der Gesellschaft. Sie besäße somit soziale Funktionen, die Roland Barthes in Analogie zur Literatur beschrieben hat: die Mode als eine Form der "Erzählung" [3]. In der Mode führt sich die Gesellschaft Möglichkeiten vor, ihrer selbst ansichtig zu werden, wenn es keine dauerhafte, vermeintlich perspektivenübergreifende Repräsentation ihrer Ganzheit mehr geben kann Das "Reflexivitätsproblem" der modernen Gesellschaft hängt mit den Funktionssystemen zusammen, die sich alle nicht mehr auf der Ebene von Beobachtungen erster Ordnung formieren, sondern die wesentlich von der Beobachtung von Beobachtern abhängen. Moderne Wirtschaft braucht Märkte, um beobachten zu können, wie andere Beobachter beobachten. Wissenschaft geschieht nicht im direkten Bezug auf Dinge und Sachverhalte, sondern auf die Art und Weise, wie diese von anderen beobachtet werden. Mode stellt nun eine besonders extreme Exposition der Beobachtung von Beobachtern dar, da ihr "Inhalt" - wenn von Inhalt überhaupt noch zu reden ist - nicht mehr Preise oder Sachverhalte sind, sondern nichts anderes als wiederum Selbstbeobachtungen bzw. Selbstinszenierungen, deren Beobachtung durch andere man beobachtet. Mode ist - mit einer Formulierung von Barbara Vinken gesagt, die Esposito zitiert - nicht einfach Kleidung, sondern "vielmehr ein Kommentar in Kleidern über Kleider" (30). In modischem Verhalten werden dieser reflexiven Struktur gemäß dann auch nicht einfach objektive Muster, sondern Weisen des Nachahmens nachgeahmt (157). Durch diese Reflexivität exponiert die Mode die Logik des Nachahmens und macht sie selbst zum Gegenstand: Die Differenz von Original und Kopie steht mit zur Disposition, das Mimen wird gemimt, und statt der einfachen Nachahmung eines Vorbildes geht es um ein Spiel von Bezugnahmen, Abwandlungen und Wendungen - in einem Wort: um "Anspielung" [4]. Wenn man in dieser Weise die Entfaltung der Repräsentations- und der Reflexionsprobleme durch die Mode verfolgt und weiter expliziert, drängen sich zwei Akzentverschiebungen auf: Erstens scheint Mode in ihrem Funktionieren Paradoxien und Probleme eher auszustellen, als dass sie diese einfach "neutralisiert", wie Esposito mit Blick auf Kontingenz schreibt. Zweitens tritt angesichts von Reflexivität und Repräsentation deutlicher hervor, dass die vorrangige Beschreibung von Mode als Suche nach Individuation eine gewisse Verengung implizieren könnte. Wenn es in Praktiken der Mode um Individuation geht, so ist nie schiere Individualität angezielt, sondern immer "beobachtete" Individualität, eine Individualität also, die einen sozialen Anerkennungsrahmen erfordert. Überdies ist auf eine in vieler Hinsicht "repräsentative" Individualität gezielt, eine Selbstrepräsentation, die auch Gesellschaftlichkeit vorscheinen lässt, die fast immer verbunden ist mit der Artikulation von sozialen Zugehörigkeiten und die nicht einfach der schlichten Besonderheit der Einzelperson gilt. Dass die Akzentverteilung Espositos nicht in diese Richtung weist, hängt gewiss damit zusammen, dass "Mode" in ihrer Studie nicht ausgehend von heutigen Modepraktiken erörtert wird, in denen die besondere Rolle von Reflexivitäts-, Repräsentations- und Zugehörigkeitsproblemen recht deutlich scheint. Stattdessen geht die Untersuchung von einer historischen Semantik aus, die das Problem der Individualität und der Distinktion tatsächlich in besonderem Maße hervorgehoben hat. Die Analyse dieser Semantik von den prämodernen Formen des Brauchs über epidemische Kontingenz im Barock und Figuren der Etikette bis hin zur modernen Mode erweist sich dabei als durchaus aufschlussreich und detailliert; dennoch drängt sich die methodische Frage auf: Welche Rechtfertigung lässt sich dafür angeben, dass Esposito die "Mode" ausgehend von dieser Semantik und nicht direkt von gegenwärtigen modischen Praktiken her analysiert? Vielleicht ließe sich eine Rechtfertigung in Anlehnung an das formulieren, was Roland Barthes am Anfang seiner Studie zur Mode festgehalten hatte, um zu begründen, warum er nicht die weibliche Kleidung selbst, sondern die weibliche Kleidung, "wie sie heute von den Modezeitschriften beschrieben wird", analysierte: Das Sprechen ist, so Barthes, "das unumgängliche Relais jeder signifikanten Ordnung", und mithin kann die "Kleidung - will sie bedeuten - nicht auf ein Sprechen verzichten" [5]. Die Mode, so scheint Esposito nahe zu legen, was immer wir heute mit diesem Begriff bezeichnen, kann - will sie bedeuten - nicht auf die historische Semantik verzichten, die sie (mehr oder weniger latent) informiert. In der heutigen Semantik erscheint die Mode nur noch als "nichtiger und umgrenzter Gegenstand [...], der auf die Kleidung beschränkt" ist (160), obwohl sie doch Espositos These zufolge die Form moderner Kommunikation als Ganze prägt. Die implizite methodische Annahme Espositos scheint folglich zu sein, dass man die wahre Macht der "Mode" nur von der weit gefassten Semantik des 17. Jahrhunderts aus erörtern kann, nicht von der aktuellen Semantik aus - und eben auch nicht ausgehend von heutigen Praktiken, die wir mit den Mitteln dieser aktuellen Semantik als modische beschreiben würden. In dem Maße aber, wie es heute und hier Sinn haben soll, von der Macht der Mode zu reden, müsste deutlich werden, wie die im 17. Jahrhundert wurzelnde Semantik der Mode und die heute noch modisch genannten Praktiken im Detail zusammenhängen. Daher verbleibt trotz allem am Ende der Studie ein Desiderat - das Desiderat einer Beschreibung heutiger modischer Praktiken, die es an Detailliertheit und Genauigkeit mit den Beschreibungen der historischen Semantik aufnehmen könnte, die in Espositos Studie zu finden sind.

  • Elena Esposito, Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2004.

Anmerkungen

[1]Elena Esposito, Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode, Frankfurt/M. 2004. Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Buch.
[2]Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Werkausgabe Bd. xii, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M. 1997, BA 194.
[3]Roland Barthes, Die Sprache der Mode, Frankfurt/M. 1985, S. 283.
[4]Im Sinne von Derridas Mallarmé-Lektüre in: "Die zweifache Séance", in: ders., Dissemination, Wien 1995, S. 230 u. 245.
[5]Barthes, a.a.O., S. 7 u. 9.