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Alice Creischer, Andreas Siekmann, Hans Haacke, Max Hetzler and Michael Krome

In der Bannmeile angekommen Stimmen zur Eröffnung der "Friedrich Christian Flick Collection" im Hamburger Bahnhof, Berlin

Gerhard Schröder bei der Eröffnung der Flick-Collection, Berlin, 2004 Gerhard Schröder bei der Eröffnung der Flick-Collection, Berlin, 2004

Im September diesen Jahres wurde die umstrittene Kunstsammlung des Millionenerben Friedrich Christian Flick von Bundeskanzler Schröder eröffnet. Das war keineswegs eine leicht zu nehmende politische Entscheidung - kam sie doch vielen wie eine staatsoffizielle Bewillkommnung der wegen der Herkunft ihrer Finanzierung umstrittenen Sammlung inmitten der Bannmeile der Bundesregierung vor. Auf dem Spiel steht also nicht nur die Person Flicks, die zum Gegenstand verschiedenster Erforschungen und Vermutungen wurde. Vorausgegangen war eine monatelange Debatte um Flicks Familiengeschichte, deren "dunkler Seite" mit der Ausstellung eine "hellere" hinzugefügt werden sollte (Zitat Friedrich Christian Flick). Zugleich geht es auch um eine kulturpolitische Positionierung der Bundesregierung, die im Begriff scheint, normalisierenden Tendenzen im Umgang mit der Geschichte und einer leichtfertigen Behauptung nachzugeben, Kunst und Politik seien zwei wesenhaft voneinander zu trennende Bereiche. Friedrich Christian Flick ist Enkel und Erbe des Rüstungsindustriellen und verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick. Wie schon sein Großvater weigert er sich bis heute, eine Entschädigung an Zwangsarbeiter/innen aus den Flick-Werken zu zahlen. Während die Stadt Zürich eine Ausstellung der Sammlung ablehnte, erhielt diese in Berlin vor allem durch Politiker von SPD und Grünen große Unterstützung. Nachdem die öffentliche Diskussion über die Flick-Collection seit Eröffnung allmählich zu verstummen scheint, hat Texte zur Kunst Personen aus dem Kunstbetrieb - Galeristen, Ausstellungsmacher, Künstler/innen - um ein Statement gebeten. Die Resonanz auf diese Umfrage fiel eher schwach aus - ist das ein Symptom, das der Normalisierungsthese Nahrung gibt?

Hans Haacke

Die Zeit veröffentlichte eine Woche vor der unappetitlichen Eröffnung der Friedrich Christian Flick Collection in Berlin acht Künstlerkommentare, darunter auch einen von mir. In einer Anmerkung dazu hieß es, von mir gäbe es in der Sammlung keine Arbeit. Leider stimmt das nicht. 1998 hat die New Yorker John Weber Gallery 23 Blätter mit Notizen zu meinem "John Weber Visitors Profile 2" von 1973 an den Nachbarn Heinz Berggruens im Schweizer Gstaad verkauft. Mir war der Name Flick nicht unbekannt. Ich hatte in vager Erinnerung, dass ein Flick in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt worden war. Und ich erinnerte mich auch an einen Parteispendenskandal. Die cdu, die csu, die fdp und auch die spd waren in den siebziger Jahren durch großherzige Flick-Spenden davon überzeugt worden, dass der Gewinn aus dem Verkauf eines großen Aktienpakets (Wert zwei Milliarden D-Mark) von der fälligen Steuer zu befreien sei. Auf meine Nachfrage wurde mir erklärt, der Sammler Friedrich Christian Flick sei ein 1944 geborener Enkel des Kriegsverbrechers. Ihn für die Verbrechen seines Großvaters verantwortlich zu machen, erschien mir als eine unzulässige Art von "Sippenhaft". Unverzeihlich naiv stimmte ich deshalb 1998 dem Verkauf meiner Blätter zu (sie sind nicht im Hamburger Bahnhof zu sehen). Die Berliner Flick-Apologeten bedienen sich heute scheinheilig meiner Argumentation von damals, um vom Kern des Skandals abzulenken, in den sie sich wissentlich hineinmanövriert haben.

Um die Jahrtausendwende weihte der bis dahin allgemein nur als Playboy bekannte Flick-Enkel die Zürcher in seine Pläne ein, in ihrer Stadt für 10-15 Millionen Euro aus der eigenen Tasche ein privates Museum für seine junge Kunstsammlung bauen zu wollen. Sein Vorbild war Charles Saatchi. Journalisten, Intellektuelle und Theaterleute machten daraufhin die Recherchen, die ich versäumt hatte anzustellen. Was sie herausfanden und veröffentlichten, war nicht erbaulich.

Wie inzwischen allseits bekannt ist, geht der Grundstock des Vermögens von Mick Flick - so sein Kose- und Spitzname - auf die enge und lukrative Kollaboration des Großvaters mit den nationalsozialistischen Machthabern zurück. Der alte Flick profitierte nicht nur von der "Arisierung" jüdischen Besitzes, in seinen Rüstungsbetrieben arbeiteten ca. 50000 Zwangsarbeiter/innen, Kriegsgefangene und kz-Häftlinge unter fürchterlichsten Bedingungen. Da hat der Fundus des Enkels seinen Ursprung. Durch gewiefte Anlageberatung und Umgehung von Steuern ist er inzwischen auf geschätzte 500 Millionen Euro angewachsen (1975 hatte sich Mick in die Schweiz abgesetzt und damit ungefähr 125 Millionen Euro an Steuern gespart). Es waren die Arbeitssklaven des Großvaters also, die das Grundkapital für die in wenigen Jahren hingeklotzte Kunstsammlung mitgeschaffen haben. Zeit seines Lebens bestritt der alte Flick jegliche Schuld. Folgerichtig weigerte er sich, an die unfreiwilligen "Mitarbeiter", die ihn zum reichsten Mann des "Dritten Reiches" und danach zum reichsten Mann der Bundesrepublik gemacht hatten, auch nur die geringste Entschädigung zu zahlen. Mick Flick, der, wie er sagt, seinen Großvater "geliebt und verehrt" habe, weigert sich wie der Alte beharrlich, auch nur einen Schweizer Franken als Entschädigung an die überlebenden Arbeitssklaven zu zahlen. 1997 schrieb der junge Kriegsgewinnler an seinen ebenso renitenten Onkel Friedrich Karl Flick, die öffentliche Präsentation seiner Kunstsammlung solle seinen "Kindern und Nachkommen eine konstruktive Möglichkeit zur neuen Identifikation mit unserem Namen aufbauen".

Als die kritische Analyse seiner persönlichen Geschichte ihn nötigte, die Museumspläne in Zürich aufzugeben, gründete er vorsorglich in Potsdam eine mit 10 Millionen D-Mark dotierte "F. C. Flick-Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz". Einen Stiftungsfonds dieser Größenordnung tun Banker verächtlich als "Peanuts" ab. Es existieren bereits Stiftungen, die das erklärte Ziel dieser Neuschöpfung mit langjähriger Erfahrung verfolgen. Dazu gehört u.a. die Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. In den Augen des pr-bewussten Gönners hätte sie allerdings mehrere Mängel. Sie führt den Namen eines 1990 in Brandenburg von rechten Jugendlichen ermordeten Angolaners und nicht den Flick-Namen. Seine private Zuwendung hätte keine Publikumswirksamkeit. Er könnte nicht den Ton angeben und seine Vertrauten, die Vorsitzende des spd-Kulturausschusses im Bundestag und ihre ehemalige Büroleiterin, vor Ort nach dem Rechten sehen lassen.

Kein prominenter deutscher Politiker hat sich kritisch zu diesem miserablen Possenspiel geäußert. Ohne Hemmungen bescheinigte der Bundeskanzler dem Steuerflüchtling ausdrücklich "Verantwortungsbewusstsein" und postulierte kühn: "Kunst steht für sich." Ist das eine Paraphrase des schillernden Bildtitels von Martin Kippenberger "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken"? Die New York Times berichtet, dass der Gefeierte die Aufmerksamkeit der Presse lachend besonders auf dieses Bild gelenkt hat. Nur Hinterbänkler der spd, der Grünen und aus der cdu merkten kritisch an, dass die auf sieben Jahre befristete, moralisch belastete Leihgabe aus Steuerersparnisgründen einer auf der britischen Kanalinsel Guernsey registrierten Briefkastenfirma gehört, die Kunstwerke kauft - und verkauft. Ihr in Berlin ausgestelltes Betriebskapital unterliegt, wie die Abgeordneten meinen, dem deutschen Steuergesetz. Trotz anders lautender Proklamationen des Bundeskanzlers werden im heutigen Milieu Steuertricks dieser Art gerne als lässige Schönheitsfehler übersehen und notorische Steuerflüchtlinge auf Kosten der Steuerzahler hofiert. Kein Wunder, dass die Staatsverdrossenheit steigt.

Zwei Tage nach dem großen Bahnhof im Berliner Bahnhof meldete sich der Enkel Hermann Görings in der Berliner Zeitung zu Wort (von seinem Großvater hat er u.a. Bilder von Cranach, Rubens und Rembrandt geerbt): "Die Flick Collection hat mir gezeigt: Wenn die Kunst gut genug ist, dann fragt man nicht, wo das Geld herkommt, mit dem sie erworben wurde. [...] Wenn Flick, warum dann nicht auch Göring?"

Max Hetzler

Ein Abend in der Paris Bar Mein Freund, der Sammler und Verleger aus Köln, ruft an und fragt, ob ich am Abend mit ihm zu der großen Eröffnung in Berlin ginge. Geht nicht, antworte ich ihm, ich habe keine Einladung bekommen. Macht nichts, sagt der Freund, ich komme trotzdem, dann gehen wir eben gleich in die Paris Bar.

"Belle table für die Herren" schreit der Besitzer der Paris Bar. Es geht eng zu, die Stammgäste sind schon alle da, das Restaurant ist proppevoll. Ich begrüße meinen Berliner Kollegen samt Entourage, den Sammlerfreund aus Stuttgart, den Kippenberger-Fan und Investor aus New York. Der adlige Künstler, der alerte Auktionär mit weiblicher Begleitung, der Kunsthändler aus New York mit seinem Künstler, die Kollegin aus Köln mit der Schwester von Martin haben alle prominente Tische. An der Bar hält der ehemalige Impressario der Villa Arson Hof. Ich denke mir, schnell noch ein Bier und dann ab nach Hause, wenn da nicht die Schnäpse wären, die der Besitzer uns ständig ausgibt (seltsam, dass man diese auf der Rechnung wiederfindet).

Mir dreht sich mein besoffener Kopf: "Endlich was los in Berlin", sagt die Sammlerin. "Der ist gar nicht so ...Nein, das hast du falsch verstanden ... Wo wohnt man eigentlich in Berlin ..." Der Kunsthändler drängelt, lasst uns weiterfeiern, wir gehen noch nach nebenan.

Der Besitzer singt im Duett mit dem Künstler und bestellt dabei weitere Schnäpse.

Einer schreit: "Du bist doch schwul." Der Künstler klagt über seine Midlife Crisis, der Freund aus Stuttgart sagt, das ist wie früher, und geht in sein Hotel. Um fünf in der Früh bin ich endlich zu Hause. Ich weiß nur noch, abends geht mein Flieger nach São Paulo zur Biennale. Prost Max.

Später am Tag beim Rasieren denke ich mir, komisch, der Großvater konnte gut mit den Nazis, der Onkel pflegte die Bonner Parteienlandschaft, und der Enkel biedert sich bei den Sozialdemokraten an, wo doch der Kanzler vor kurzem noch über Steuerflüchtlinge wetterte. Oder ist es etwa umgekehrt, dass die Politik den Sammlern hinterherläuft?

Beim Mittagessen im Sale e Tabacchi die taz gelesen. Das Titelfoto mit dem Sammler und dem Kanzler ist gut getroffen. Alles andere konnte man bereits in der Frankfurter nachlesen, mehr ist nicht zu sagen. Endlich was los in Berlin.

ps: Die Ausstellung habe ich noch nicht gesehen.

Alice Creischer/Andreas Siekmann

Irgendetwas funktioniert nicht mehr mit der Sublimierung Die Geschichte, wie die Sammlung Flick in die Berliner Museumslandschaft installiert wurde und wie sie dorthin passt, ist ein Beispiel für jene Kampagnen der neuen politischen Unternehmer, wie sie Lazzarato vor zehn Jahren an Benetton und Berlusconi beschrieben hat. Solche Kampagnen haben sich in den neunziger Jahren gerade in der Kulturpolitik der "Hauptstadt" so oft wiederholt, dass sie zusammen ein nationales Projekt ergaben, in dem die Ökonomisierung von Sinnproduktion auf besonders effiziente Art und Weise geschah. Darin eingeschlossen ist auch die Sammlertätigkeit Flicks, die eben nicht passioniert ist. Jeder weiß, dass Flick erst Mitte der neunziger Jahre begann einzukaufen. Er kaufte zum größten Teil bei der Galerie Hauser & Wirth ein und wurde dort auch professionell beraten: Was ist in einer solchen xxl-Sammlung zeitgenössischer Kunst mit einer solchen von vornherein intendierten Megabedeutung ein unbedingtes "Must"? - Broodthaers, Duchamp, Picabia ... Nauman, Richter - die übliche Heroen der usa-Deutschland-Reeducation-Verbindung. Flick kaufte ohne diese private Zeit des Genießens und des kurzfristigen Entzugs von Verwertung ein, die man doch mit dem Sammlerklischee gemeinhin verbindet. Er kaufte mit der direkten Intention eines "Flick-Branding" - bereits 1999 gab es Pläne, die Sammlung im geschichtsträchtigen Haus der Kunst in München zu zeigen.

Von daher können wir die Sammlung nicht sauber von der Diskussion um den verbrecherischen Ursprung des Geldes und die unterschlagenen Entschädigungszahlungen trennen. Dies auch, weil wir beobachtet haben, wie in den Debatten, die viel zu kurz vor der Eröffnung begannen, die Qualität der Sammlung schon a priori sagenhaften Glanz gewann, einen Glanz, den sie doch nur als eine Art Kontrastmittel gewinnen konnte. "Aber die Qualität der Sammlung ..." - das war eine Floskel, die umso unhinterfragbarer gebraucht wurde, je mehr das Prinzip der künstlerischen Autonomie innerhalb der Normalisierung von faschistischer Geschichte instrumentalisiert wurde. Es fällt uns auch in diesem Fall besonders schwer, eine Unvoreingenommenheit für möglich zu halten, die "ganz objektiv" die künstlerische Qualität von ihrem politischen Eventmarketing trennen kann. Vielleicht projizieren wir also, aber uns kommt es beim Betrachten der Sammlung so vor, als werde ihr Autonomie-Joker in doppelter Hinsicht porös - sowohl in seiner Anwendung als Legitimationsrhetorik als auch in dem, was sich in der Wahl der Arbeiten ganz uneingestanden und jenseits dieses abgeschmackten Großsammlungs-Kalküls doch abbildet an Durchsetzungswillen, an Alibifunktion und an dem, was man Symptom nennen könnte: in manchen Arbeiten, in ihrem Arrangement und ihren Anhäufungen, in den immer wiederkehrenden Motiven von Gewalt und Krieg - eine zwangsvirile und vor lauter Existenzialität dumpfe Installationsware in einem Prada-Shop-Ambiente.

Zwei Tage vor Ausstellungseröffnung fand in der Freien Universität in Berlin ein Kolloquium statt, in dem ehemalige Zwangsarbeiterinnen über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Fabriken des Flickkonzerns berichteten. Wir konnten sie nicht sehen, weil zwischen ihnen und uns eine Phalanx von Kameras aufgebaut war. Die Kameras verlangten ein Statement zur Sammlung, deren Eröffnung eines der glanzvollsten gesellschaftlichen Ereignisse in diesem Herbst in Deutschland sein wird. Eva Fahidi antwortete, man könne Schuld prinzipiell nicht vererben - sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: Aber sie sei sich ganz sicher, dass in dieser Sammlung ganz bestimmt eine große Tafel angebracht sei, auf der stehe, dass das, was man dort sehen kann, mit geraubten und zu Tode abgepressten Profiten finanziert wurde.

Es geht uns bei dieser Episode nicht darum, darauf hinzuweisen, wo wohl die meisten Medien in der Übertragung den Schnitt setzten. Es geht uns darum, auf eine Verbindung zwischen dem Schnitt und dem Begehren nach diesen Zeuginnen hinzuweisen. Vielleicht kann man diese Phalanx, die aufnimmt und die Schnitte bestimmt, ja auch mit dem Public-Relation-Apparat der Sammlung vergleichen, der die Diskurse der Kritik und des Protestes immer wieder so lenkt und rationalisiert, dass sie letztendlich auf ihrem Konsenskonto unter "Mehrwert an Code" verbucht werden können. (Zum Beispiel ist das gesamte kritische Feuilleton noch einmal in der Zeitschrift der Flick-Collection abgebildet.) Vielleicht ist die Flick-Sammlung symptomatisch dafür, dass es schon längst nicht mehr um "Tabuisierung" von ns-Geschichte geht, sondern um ihre Verwertung. ns-Geschichte liefert in der Dynamik ihrer Aneignung eine Art Schubumkehr, eine Legitimitätsenergie bei der Fortsetzung chauvinistischer Welt- und Kulturpolitik: Auschwitz als Begründung "humanitärer Interventionen", die Flick-Sammlung als Bühne, auf der sich ein "Mensch als Mensch" präsentiert, der die Entschädigungszahlungen an die Zwangsarbeiter/innen mit seinem Gewissen ausmacht. (So Flick bei seiner Rede zur Eröffnungsfeier der Ausstellung - und dann der Kameraschwenk zu den beifällig nickenden Charaktermasken der Schröders, der Weiss', der Vollmers etc., die so versonnen sind, als ob sie gerade Schillers Don Carlos lauschen: "... gebt Gedankenfreiheit!") Diese Form des bürgerlichen Humanismus ist es, die uns an dem Flick-Symptom ganz besonders ankotzt - so wie sie sich verbindet mit diesem Kitsch der privilegierten schönen Seele, die über Freiheit und Autonomie verfügt - ein Tand, der nur schlecht jene Brutalität und Dreistigkeit kaschiert, mit der Kulturpolitik durchgesetzt wird und mit der die ausdrückliche, willkürliche Gebärde der Ignoranz/der Souveränität/der Herrschaft über Recht und Unrecht sich aufführt.

Vor dem Museum hält eine Frau den geladenen vips, die sich zur Eröffnung der Sammlung durch die Schleuse der Identitätsregistratur winden - ein langer Riegel an Festivalzelten -, ein Plakat mit dem Gesicht einer Zwangsarbeiterin entgegen. Sie wehrt die Zudringlichkeit eines gesetzten Herrn ab, der ihr schnell und heimlich ein Geldstück in die Hand drücken möchte. Wir erkundigen uns, wie viel es denn war. Es waren 20 Cent. Wir schreiben dies nieder am 3. November, und wir können nicht wie sonst so oft eine Linderung unserer Wut in diesem Schreiben finden. Irgendetwas funktioniert nicht mehr mit der Sublimierung.

Michael Krome

Flickschusterei

Die Friedrich Christian Flick Collection manifestiert sich als Effekt einer kulturpolitisch ignoranten Haltung, die zu wenig in Prozesse und zu viel in kurzfristige Effekte investiert.

Dass die Sammlung Flick in der Sache eine Bereicherung für Berlin ist, darf kunstmarktimmanent als unbestritten gelten. Das gilt nicht nur für standortinteressierte Strategen wie die Protagonisten von Nationalgalerie und Hamburger Bahnhof, sondern auch für die Akteure von Senat und "Partner für Berlin" und ambivalenterweise für viele beruflich in die zeitgenössische Kunst Involvierte.

Hintergrund der Willkommensbereitschaft über einen Appendix baulicher und inhaltlicher Art zum Hamburger Bahnhof scheint das Versäumnis am Aufbau einer eigenen Sammlung zu sein. Als Glücksfall wird die Flick-Collection auch deshalb bezeichnet, weil sie den Mangel an Engagement und Courage der äußerst undynamisch agierenden Museumslandschaft schnellstens kompensieren sollte. Dass die temporäre Übernahme einer im Ausland gekauften Sammlung renommierter Künstler wohl kaum von Risikobereitschaft, geschweige denn von standortbewusstem Engagement zeugt, ist den kulturpolitischen Akteuren mit Sicherheit entgangen. Vor gut zehn Jahren hätte man in die internationale Entwicklung der Berliner Kunstlandschaft investieren sollen, und Schenkungen, Privatsammlungen und Übernahmen zweifelhafter Herkunft hätten sich erübrigt. Das wäre eine kulturpolitische Haltung gewesen, welche zu einer glaubwürdigeren internationalen Rezeption geführt hätte. Eine Stadt wie Berlin mit solchen metropolen kulturellen Ansprüchen hat es peinlicherweise nicht geschafft, die durch die Leihgabe entstandene faktische Bereicherung an politische und ethische Bedingungen zu knüpfen. Die entscheidenden Instanzen sowohl der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wie auch die der Staatlichen Museen haben besonders anlässlich der Flick-Sammlung die Armut ihrer diskursiven Instrumente entlarvt. Wo Flicks Kunst mit "entarteter Kunst" verglichen werden kann (Peter-Klaus Schuster) ist auch von weiteren kuratorischen Projekten inhaltlich kaum etwas zu erwarten. Die bislang interessanteren Impulse zur zeitgenössischen Kunst kamen eher von Seiten der Kunst-Werke als von staatlicher Seite. Die Ignoranz gipfelt in den dümmlich falschen und populistischen Ansichten eines Generaldirektors, der sich billige hermeneutische Witzchen abholt, indem er das Kürzel der kw mit "kann weg" apostrophiert. Es wird sich zeigen, dass selbst der kuratorische Wegfall eines umstrittenen Klaus Biesenbach ein weiteres Veröden der institutionellen Situation verursacht, denn bei aller Kritik haben die Kunst-Werke mithilfe von Biesenbach und seinem Team wirklich etwas aufgebaut, was international glaubhaft und authentisch war, und zwar aus dem Nichts.

Das von der smpk propagierte "Unternehmen Flick" knüpft nahtlos an Berlins Neigung, die Ereigniskultur zu fördern, an, die bisher ablesbar war an übernommenen Konzepten und Ausstellungen wie "Sensation", "Das MoMA in Berlin", Preis der Nationalgalerie ... Wenn man sich mit den Künstlern der Shortlist des Preises der Nationalgalerie unterhält, werden deren widrige Ausstellungsbedingungen deutlich sichtbar. Aber auch hier: Der Effekt wird mit 50000 Euro finanziert, die Struktur ist unterfinanziert. Fatalerweise prägen diese Künstler und deren Unzufriedenheit über den Zustand des Hauses mehr das internationale Bild des zeitgenössischen Berlin, als es die Vertreter des Hauses generieren.

Als ich mit einigen Kollegen vor etwa drei Jahren Verantwortlichen des Hamburger Bahnhofs den Kurator Daniel Birnbaum als kompetenten "junior curator" vorschlug, wurde diese Idee aus Geldmangel nicht weiter verfolgt. Birnbaum ist mittlerweile ein Vertreter der international erfolgreichen Frankfurter Institutionslandschaft. Flick selbst, so wie ich ihn auch persönlich kennen gelernt habe, gibt sich durchaus als lustiger, der Kunst und den Künstlern sehr nahe stehender und interessierter Mensch mit liberaler und multikultureller Offenheit. Vermutlich kein Mensch mit reaktionärer oder gar rechter Gesinnung. Trotzdem hat er in meinen Augen die politischen, ethischen und moralischen Verpflichtungen einer Person des öffentlichen Lebens privatistisch negiert, und das ist nicht gut so. Diese Einstellung schließt sich lückenlos an eine Reihe dekontextualisierter Verhaltensmuster an; fehlende Reflektiertheit sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft.

Vorschlag: Nachzahlen, internationales Kuratorenteam, also generierende Aktivität dem Hamburger Bahnhof schenken und den Preis der Nationalgalerie abschaffen helfen.