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Vorwort

In der Vorbereitung zu dieser Ausgabe von Texte zur Kunst sahen wir uns neben der anhaltenden Virulenz expliziter oder drastischer Darstellungen von Sexualität in Kunst und Pop-Kultur mit einer ganzen Reihe von Tagungen, Filmen und Festivals zum Thema "Pornografie" konfrontiert. In Berlin fand nicht nur die auch im Feuilleton viel beachtete "Post Porn Politics"-Konferenz an der Volksbühne statt, sondern auch das erste Porno-Filmfestival und begleitend das CUM2CUT Indie-Porn-Short-Movies-Festival, bei dem die mit Digital-Kameras ausgestatteten Teilnehmer/innen aufgefordert waren, an drei aufeinander folgenden Tagen heterosexuelle, schwule, lesbische oder transsexuelle Do-it-yourself-Pornos an beliebigen Orten in der Stadt zu drehen ("Enjoy the pleasure of sharing pornography all over the city"). Pornografie hat offensichtlich Konjunktur - sowohl im Mainstream als auch in so genannten Indie-Kontexten und in theoretischen Debatten um Subjektivität und Identitätspolitik, von der jede Nische sexuellen Begehrens und alle Fantasien bedienenden, von zahllosen individuellen Blogs flankierten Porno-Industrie im Internet ganz zu schweigen.

Das Spektrum der Ansätze, Pornografie zu theoretisieren oder zu kritisieren, ist heute so diversifiziert wie die unter diesem Begriff zusammengefassten Darstellungen von Sexualität selbst. Lange Zeit waren die feministischen Debatten um Pornografie von dem Antagonismus zwischen Anti-Porno- und Anti-Zensur-Positionen geprägt, wobei einerseits die misogynen Aspekte der heterosexuellen Pornografie - bisweilen auch Kausalitäten zwischen pornografischen Szenarien und Vergewaltigungsstatistiken - betont und andererseits das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit gegenüber Zensurbestrebungen ins Feld geführt wurden. Mit Publikationen wie dem Buch "Hard Core" von Linda Williams, die 2004 einen programmatisch "Porn Studies" betitelten Sammelband folgen ließ, setzte Anfang der neunziger Jahre unter dem Einfluss von Textualitätsmodellen ein Paradigmenwechsel hin zu Fragen nach den historisch variablen Konventionen, Medien und Ästhetiken der Pornografie als Genre ein - womit Porno tendenziell auch den Status einer vermeintlichen Überschreitung gesellschaftlicher Normen einbüßte und zum Gegenstand akademischer Forschung avancierte - in den Worten von Williams wechselte Porno von einer Position "ob/scene" zu einer "on/scene". Der von der amerikanischen Künstlerin und ehemaligen Porno-Darstellerin Anne Sprinkle und der französischen Theoretikerin Marie-Hélène Bourcier geprägte Begriff des "Postporn" steht im diametralen Gegensatz zu den "PorNO"-Kampagnen der siebziger und achtziger Jahre schließlich für den Versuch, mittels pornografischer Inszenierungen alternative sexuelle Ökonomien jenseits von normativen Identitätszuschreibungen zu entwerfen. In diesem Zusammenhang wird Pornografie nicht als spezifisches Genre begriffen, in dem Körper verfügbar gemacht und einem objektivierenden Blick unterworfen werden, sondern - beispielsweise in den Arbeiten der französischen Theoretikerin Beatriz Preciado - über Gesten queerer Selbstermächtigung Bezüge zu den ästhetischen Praktiken der Performance Art hergestellt und dementsprechend die lebendige Präsenz sexualisierter Körper gegen die pornografische Logik der visuellen Lust und des Konsums positioniert. Die Mehrzahl der Künstler/innen, die sich in den letzten Jahren mit Pornografie auseinander gesetzt haben, scheint allerdings der Annahme zu folgen, dass es unter den derzeitigen ökonomischen und technologischen Bedingungen kein Außerhalb der Pornografie mehr geben kann - eine These, die in jüngster Zeit unter dem Schlagwort einer "Pornografisierung" oder "Pornoisierung" der Gesellschaft beispielsweise in der taz von Mark Terkessidis mit Bezug auf das in immer härteren Gonzo-Filmen inszenierte "Regime einer permanenten Überforderung" der Darstellerinnen in Analogie zu neo-liberalen Arbeitsverhältnissen diskutiert wurde. Zensurbestrebungen, wie es sie im Fall der schwulen S/M-Inszenierungen Robert Mapplethorpes in den achtziger Jahren in den USA gab, sind im Kunstfeld heute kaum mehr anzutreffen. Vielmehr lässt sich feststellen, dass Pornografie "in den Salons der Hochkultur bildwürdig geworden ist" - wie es die gerade erschienene Ausgabe der Zeitschrift Kunstjahr für 2006 formuliert. Auch wenn es beim derzeitigen "Porno-Boom" in Kunst und Pop-Kultur wohl nicht um eine provokante Erweiterung des bürgerlichen Kunstkanons um sexuell aufgeladene Motive geht, sondern es sich um einen Reflex auf - mitunter um eine Reflexion über - die Begehrlichkeiten des Kunstmarktes handelt, haben Künstler/innen von Vanessa Beecroft, David LaChapelle und Jeff Koons über Richard Philipps, Richard Prince und Thomas Ruff bis hin zu Larry Clark, Tracey Emin und Andrea Fraser die Pornografie schon seit längerem als Feld entdeckt, in dem analytisch-kritische Distanz und affektive Involvierung auf Produzent/innen- wie Rezipient/innenseite zusammenkommen und verwertbar werden können.

Vor diesem Hintergrund versuchen die Beiträge der vorliegenden Ausgabe, die wir zusammen mit Diedrich Diederichsen konzipiert haben, sich dem Thema Pornografie in Kunst, Pop, Indie-Kultur, digitalen Medien und kritischer Theorie anzunähern und eine Zustandsbeschreibung des aktuellen Stands der (identitäts)politischen Debatten um explizite Darstellungen von Sexualität vorzunehmen. Seit nunmehr drei Ausgaben machen wir alle Texte und Gespräche des Hauptteils einem nicht deutschsprachigen Leser/innenpublikum in englischen Versionen zugänglich. Außerdem finden Sie alle nicht in deutscher Originalsprache verfassten Besprechungen - sowie die englischen Originalversionen einiger Statements zu unserer Umfrage - erneut auf unserer Website www.textezurkunst.de.

Diedrich Diederichsen / André Rottmann / Mirjam Thomann