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Heike Munder

Live in your head: Eine Wunschliste

Urs Fischer, „Glaskatzensex – Transparent Tale“, 2000 Urs Fischer, „Glaskatzensex – Transparent Tale“, 2000

„Live in Your Head“ ist der Untertitel von Harald Szeemanns Ausstellung „When Attitudes Become Form“ aus dem Jahr 1969. Die Ausstellung brachte materiell Unvereinbares – unter anderem ephemeres Material von Eva Hesse mit glatten minimalistischen Oberflächen von Sol LeWitt – zu einer auch heute noch explosiv wirkenden Mischung zusammen. Eine kuratorische Haltung, die in den letzten Jahren durch die Glätte der Marktproduktionen abhanden gekommen ist und nun wieder aus dem Schatten tritt.

Taktile Oberflächen, die berührt oder auch nur betrachtet werden können, Brüche in der Fläche oder im Material, selbst Fingerspuren handwerklicher Arbeit sind wichtige und wirksame Verführungsstrategien. Oder ephemere Materialien, die für nichts anderes arrangiert wurden als für den Moment der Eröffnung und danach dem Verfall preisgegeben werden, wie dies zum Beispiel bei den Arbeiten von Karla Black der Fall ist. Ihre Kunst ist gerade deshalb anspruchsvoll, weil sie physischen und visuellen Genuss mit geschichtlichen Bezügen zusammenbringt: zum Beispiel in „Punctuation is pretty popular: nobody wants to admit to much“ (2008), einer Bodenskulptur, die aus einem kruden Materialmix von Kreide, Tüchern, Gipspulver, Klebeband, Cellophan, Frischhaltefolie, Farbe, Spülmittel, antibakterieller Handcreme und Körperlotion besteht und das Thema der Entropie aufnimmt, wie es Yve-Alain Bois und Rosalind Krauss unter dem Begriff des Informe diskutiert haben, um es mit ihren puderigen schönen Pastellfarben zu konterkarieren.

Andere hingegen liebten in den letzten Jahren – der Ästhetik des Minimalismus ähnlich – die glatten Werte, liebten es, gut zu produzieren und zu verkaufen, was symbolisch für gesellschaftlichen Mehrwert stand und somit Mittel zur Distinktion war. Leider fielen dem auch wirklich gute Künstler zum Opfer, als ihre Galerien ihnen allzu willig unbegrenzte Kapazitäten für ihre Kunstproduktionen zusprachen und die Künstler damit nichts anderes taten als sich in eine direkte Korrelation mit der allgemeinen Ökonomie zu stellen, indem sie den Produktionswert z.B. durch Materialien wie Bronze oder Aluminium anpassten.

Eines von vielen Beispielen für den Materialfetischismus bzw. die fraglose Umsetzung des nicht enden wollenden Geldes ist eine auf den ersten Blick naturalistisch wirkende Skulptur („Interlude“, 2007) von Andro Wekua, die aus Holzpaletten, Kabelrolle, Tischchen, Dekorobjekten und einer sitzenden Figur zu bestehen scheint, jedoch aus Aluminium gegossen ist. Hat die Kunst dadurch gewonnen? Ist sie intellektuell durch den Gebrauch dieses Materials nobilitiert oder doch nur ein affirmativer Beitrag zur Ökonomie? Ein anderes Beispiel ist eine Serie von Skulpturen (2006–2008) von Urs Fischer, die mit Damennamen betitelt sind wie „Miss Satin“ oder „Marguerite de Ponty“. Auch hier wurde der Produktionsapparat hochgefahren. Einen mit der Hand gekneteten, im Durchmesser drei Zentimeter großen Knetgummi ließ er durch ein 3-D-Programm zu einem ca. drei Meter großen anschwellen. Das Ganze wurde ebenfalls in Aluminium gegossen, einem hochempfindlichen Material, untauglich für eine Außenskulptur. Auch hier wird sich der Ökonomie schamlos angepasst und eine klare Geldästhetik widergespiegelt. Doch wozu? Bestach doch gerade Fischer früher durch seine sehr kruden Materialien, z.B. gebrochenes Glas, das er zu billigen Katzenobjekten zusammenklebte. Darin zeigte sich sein bestechender Humor, der gepaart war mit einer prozesshaften, aber auch exzessiven Arbeitsmethodik, die beim Betrachter fast physische Spuren hinterließ. Denn die Materialität der Dinge lässt suggestive Bezüge entstehen, weil sich an sie Erinnerungen und Erfahrung knüpfen. Bei Andro Wekuas Verwendung von Alltagsgegenständen ist dies der Fall, weshalb es so schwer einzusehen ist, warum es der künstlichen Aufwertung durch die Materialökonomie bedurfte. Grundsätzlich bieten Arbeiten, die sich auf eine prozessuale Materialität berufen, eine mit der Veränderung einhergehende langfristige Auseinandersetzung und stehen im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Logik. Das Material ist hier etwas, zu dem man immer wieder zurückkommen muss, was einen nicht loslässt. Zum Glück gab es parallel zur ökonomischen Entwicklung auch immer anderes, ob es die performativen Arbeiten Mark Leckey oder Spartacus Chetwynds sind, Erinnerungsarbeiten aus ephemeren Materialien wie die Cathy Wilkes’ oder Robert Kusmirowskis oder Beschwörungen der Moderne wie bei Aleana Egan und Nairy Baghramian, um nur einige Beispiele zu nennen. Es geht hier darum, materielle und historische Widersprüche gelten zu lassen und somit die Aufmerksamkeit offenzuhalten und nicht in Kurzfristigkeit und eine einfache Lesart abzugleiten. Die von Adam Szymczyk und Elena Filipovic kuratierte 5. Berlin Biennale 2008 hat beispielsweise solche künstlerischen Positionen versammelt, die einen anderen, geradezu glanzlosen und nebensächlichen Schauplatz bespielten und für die Zukunft aufatmen ließen: Zurück zur Haptik, der Zurückhaltung und dem Intellekt! „Live in Your Head“ ist eine gute Arbeitsaufforderung zur Wiedererweckung eines Interesses an Prozessen, da diese nicht abgeschlossen sind, sondern laufend Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Meine Wunsch-liste wäre noch um folgende Schlagwörter zu ergänzen: geistige Stimulation durch Material, Form und Idee. Ich hoffe auf Mosaiksteinchen für eine Erinnerungsarbeit oder Spurensuche für die jeweilige gesellschaftliche Dekade. Einhergehend mit der notwendigen Entschleunigung, die neue Dimensionen zulässt und sich irgendwo im Reich von Jorge Luis Borges’ Labyrinthen bewegt.