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Barbara Buchmaier and Hans-Jürgen Hafner

Über "Die Kunst ist super!" im Hamburger Bahnhof, Berlin

Otto Zitko, „Ohne Titel“, 2009, Hamburger Bahnhof, Berlin, Ausstellungsansicht Otto Zitko, „Ohne Titel“, 2009, Hamburger Bahnhof, Berlin, Ausstellungsansicht

Wenn das Amt des Direktors der Nationalgalerie in Berlin neu besetzt wird, ist das – zumindest in der Hauptstadt – ein kulturpolitisches Ereignis. Ist daran doch die Verantwortung für sechs große Häuser gebunden, darunter der Hamburger Bahnhof sowie die Neue und die Alte Nationalgalerie. Seit 2008 hat die Nationalgalerie mit Udo Kittelmann einen neuen Kopf an ihrer Spitze. Und wie jeder Wechsel versprach auch dieser einen Paradigmenwandel.

Mit der Ausstellung „Die Kunst ist super!“ gab Kittelmann nun im Herbst dieses Jahres seinen Einstand als Kurator in Berlin. Idee war es, den Sammlungsbestand der Nationalgalerie, der Sammlung Marx, der Friedrich Christian Flick Collection und der Sammlung Marzona zusammen mit Leihgaben von Künstler/innen neu zu arrangieren und zu präsentieren. Und angesichts der steilen Pseudo-These des Ausstellungstitels war man mehr als gespannt, ob bzw. wie es Kittelmann gelingen würde zu begründen, was denn nun eigentlich so super ist an der Kunst.

Da haben wir’s. Die Kunst ist super! Aber was ist es eigentlich, was wir da haben? Den Titel einer Ausstellung? Eine in Form und Aussage eher plumpe Marketingkampagne? Eine trotzige oder gar selbstbewusste künstlerische Kampfansage in Zeiten der Krise? Eine im Rahmen einer Sammlungsneupräsentation zu erhärtende kuratorische These? Wir geben zu, wir wissen es nicht.

Wir wissen es nicht, obwohl wir die unter dem Titel „Die Kunst ist super!“ präsentierte Neueinrichtung der Sammlungsbestände im Hamburger Bahnhof sorgfältig angesehen und ausführlich diskutiert haben. Wir sind nicht dahintergekommen, gleichwohl wir die vermittelnden Werklegenden, Wandtexte und Begleitbroschüren geduldig studiert und ausgewertet haben. Es wurde uns tatsächlich umso weniger deutlich, je mehr wir den viel zu vielen Fährten zwischen künstlerischen und kulturgeschichtlichen Artefakten, historischer und aktueller Kunst, unterschiedlichen Sammlungsblöcken, Originalen und Kopien, Medien und Diskursen nachgegangen sind, die Udo Kittelmann nun für seinen Einstand in Berlins „Museum für Gegenwart“ in seiner, wie es heißt, typisch „unorthodoxen“ Manier zum Parcours zusammengeführt hat.

Ein Parcours koketter kuratorischer Coups ist dabei herausgekommen. Ein Parcours, der Wiederholungen und Neuansätze und bei Weitem zu viele Ein- und Ausgänge hat, um sich je zu einem Rundgang im Wortsinn zu schließen. Aber auch ein Parcours, von dem wir mit Recht erwarten dürften, dass er ein umfassendes und kritisches Bild der Gegenwartskunst aus der Perspektive eines staatlichen Museums für Gegenwartskunst entwerfen sollte. Denn gerade in einer durch und durch ökonomisierten, von Sachzwängen regulierten Situation nicht nur der Kunst an sich, sondern auch unserer Gesellschaft ist es Aufgabe und Funktion eines solchen Museums, Kriterien zu entwickeln und Methoden zur Diskussion zu stellen, wie mit Kunst der Gegenwart umzugehen ist. Was zu sammeln und weshalb es zu bewahren ist, und wie dies öffentlich vermittelt werden kann.

Stattdessen reiht Kittelmanns Parcours im Übermaß künstlerische und kulturelle Artefakte aneinander, wie sie die – zumal wegen der großzügigen Legate der Sammlungen Marx und -Marzona sowie der umstrittenen Friedrich -Christian Flick Collection – doch immerhin statistisch gesehen bemerkenswerten Berliner Sammlungsbestände eben so hergeben.

Das Zentrum von Udo Kittelmanns erstem großen Hauptstadtauftritt als Spitzenkraft [1] der Berliner Museumsinstitutionen für die Kunst seit dem 19. Jahrhundert, sozusagen den Kern seiner Neupositionierung, bildet sicherlich die Haupthalle des Hamburger Bahnhofs. Tabula rasa hat er gemacht, sie leer geräumt. Die Halle beeindruckt nun als historisch- weitläufige Funktionsarchitektur, die nach der Schließung des einstigen Kopfbahnhofs bereits seit 1906 als Standort für ein Technik- und Verkehrsmuseum diente.

Auf nur drei solitär gestellte Exponate beschränkt sich die Präsentation in dieser Halle. Nicht zuletzt deshalb muss sie als modellhaft gelesen werden. Reklamiert sie für sich doch die Rolle eines Exposés, eines Exempels. Was aber will uns die Gegenüberstellung von Robert Kusmirowskis ursprünglich für die vierte Berlin Biennale produziertem „Wagon“ (2006), Roman Ondáks Miniaturmodell der berühmten Turbinenhalle der Londoner Tate Modern, „It Will All Turn out Right in the End“ (2005/6), und einem Exemplar der Edition des „Roue de Bicyclette“ (1913/1964) von Marcel Duchamp sagen? Was will Kittelmann mit der ebenso dramatischen wie kryptischen Inszenierung des originalgetreuen Nachbaus eines Zugwaggons aus den 1920er Jahren, der allerdings erst an seinem vormaligen Ausstellungsstandort – der früheren jüdischen Mädchenschule an der Auguststraße – sein ganzes Pathos entwickeln konnte, zusammen mit einer Ikone der Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts, die uns ironischerweise jedoch nur als Auflagenobjekt überliefert ist? Was hat die Innenarchitektur eines der bekanntesten Museen für Gegenwartskunst in diesem Set-up bedeutungsschwangerer Anspielungen verloren? Wieso muss die Erinnerung an eine faktische Urszene der Kunst der Moderne – die Erfindung des Readymade –, auratisch gesockelt und beleuchtet, zwei ziemlich aktuelle Arbeiten flankieren, die uns, im aktuellen Kontext einigermaßen vage, an den Holocaust oder an das Starprinzip des internationalisierten Kunstbetriebs denken lassen? Was bedeutet es, dass es Modelle, Originale, Kopien gibt? Was, dass die Dinge nicht das sein müssen, was sie zu sein scheinen? Hieße das, dass Wirklichkeit am Ende nur in der Wirklichkeit erlebt werden kann?

Eines ist sicher: Diese Präsentation, die dafür ausgewählten Werke, die Art und Weise ihrer Positionierung und Vermittlung ohne alle Rücksicht auf formale, historische oder kontextuelle Spezifika macht klar – Kittelmann legt als Kurator weit mehr Wert auf Suggestion als auf Nachvollziehbarkeit. Die Kunst ist super. Selber schuld ist, wer da noch Fragen hat – das scheint Dreh- und Angelpunkt seines Selbstverständnisses als Ausstellungsautor zu sein.

Nur so wird erklärbar, wie und warum Kittelmann derart kapriziös seine kuratorischen Fingerzeige in sämtlichen Ausstellungsräumlichkeiten gibt, quer durch Sammlungen, Legate und Leihgaben; wie sich die gipsernen Totenmasken etwa von Goethe oder einer unbekannten Toten aus der Seine (alle Leihgaben aus der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin) mit einem Syberberg’schen Interviewfilm zum Wagner-Clan in den Kiefer-Bestand der Sammlung Marx verirren können, der zurzeit komplett in die Kleihues-Halle verlagert ist; wieso sich in den üblicherweise der Flick Collection vorbehaltenen Rieck-Hallen zu dem installativen Schlafzimmerinterieur, „Heim“ (1997) von Franz West, Haim Steinbach und Heimo Zobernig, ein poppiger Akt von John Wesley, ein nicht näher spezifiziertes Filmplakat und eine kleine Arbeit („Zwei Vasen“, 1969) von Gino de Dominicis aus der Sammlung Marzona beigesellen.

Solche kuratorischen Gesten sind nichts als kokett. Denn zu einem programmatischen Entwurf wollen und können sie sich nicht zusammenfügen. Was kann es aber für Konsequenzen für das Museum als, idealitem, Modellfall haben, wenn alleine die Handschrift eines genauso unorthodox wie autoritär verfahrenden Kurators für die zwar möglichen, doch meist nur beliebigen Kombinationen quer durch Kunst und Kultur, Medien und Formate, Geschichte und Gegenwart bürgt? Wenn beispielsweise Vitrinen neben Vitrinen aufgestellt werden – einmal als struktureller Aspekt eines zeitgenössischen künstlerischen Verfahrens (bei Gerd Rohlings „Die Kollektion“, 1989–2008), einmal als ausschließlich funktionales Display für Insektenmodelle des Dermoplas-tikers und Modellbauers Alfred Keller aus den 1930er/ 1950er Jahren, die eigens aus dem Naturkundemuseum ausgeliehen werden mussten. Ein „Modellversuch“ soll diese Zusammenstellung von beleuchteten Vitrinen, einmal bestückt mit bunten Gefäßen, einmal mit 20- bis 100-fach-vergrößerten Kleinstlebewesen, dem Titel nach sein. Mehr als allgemeine Aussagen über Glaskästen lassen sich daran aber nicht anschließen. Und so geht es weiter, etwa mit den beiden, Robert Kusmirowskis „Wagon“ zugeordneten historischen Sitzbänken. Die sind „nur“ Kunst. Die Franz-West-Bänke, die zahlreich im Foyer aufgestellt sind, sind ebenfalls Kunst, dienen aber dennoch auch zum Sitzen. Glücklich dürfen sich also vor allem diejenigen preisen, die um solche Unterschiede bereits vor ihrem Museumsbesuch wussten. Im Hamburger Bahnhof bedarf es im Falle der Bänke schon mal des Aufsichtspersonals, um – ohne Aussicht auf tieferes Verständnis – mit ihnen konfrontiert zu werden.

Aber vergessen wir nicht: Die Kunst ist super. Dazu passt, was Kittelmann kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Art äußerte. Super ist die Kunst – denn „da kann man machen, was man will“. [2] Die Frage ist nur – wer macht und warum? Als unorthodox gilt der Kurator Kittelmann. Doch als einer von jetzt zwei Direktoren [3] der Stiftung Preußischer Kulturbesitz präsidiert er immerhin sechs Häusern. Diese widmen sich der Sammlung, der konservatorischen Bewahrung und einer adäquat kunsthistorisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kunst seit dem 19. Jahrhundert. Dieser Arbeit im Hintergrund gibt Kittelmann – im Kuratorischen, im Programmatischen, in Vermittlung und Marketing – ein Gesicht nach außen. Er ist zuständig für eine museale Agenda aus Wechsel- und Bestandsausstellungen, soll Sammlungspolitik in Präsentation und Ankäufen betreiben. Als Direktor soll er seine Häuser inhaltlich sattelfest, öffentlich attraktiv und international konkurrenzfähig machen.

Doch wie soll das gehen, wenn der neue Parcours im Hamburger Bahnhof sozusagen als „Chefsache“ bestenfalls als Psychogramm des Kurators zu lesen ist? Wenn ein paar kuratorische Gesten den notwendigen musealen Diskurs ersetzen, der Direktor sich launig als Autor verwirklicht? Nur der feste Glaube an eine Qualität des Unorthodoxen würde die Nivellierungen, die Kittelmann betreibt, erträglich machen. Sein kuratorisches Verfahren entspezifiziert Kunst zur Kultur, indem es willkürlich Medien und Formate, Artefakte und Inhalte, Begriffe und Methoden auf eine Oberfläche bringt. Das Modell Kittelmanns ignoriert die Dialektik von Form und Inhalt eines Kunstwerks ebenso wie den durch und durch relationalen Charakter von Kunst – zugunsten einer Technik bloßer Sugges-tion auf Basis einer kulturellen Matrix, die das Spezifische der Formen, Begriffe und Kategorien zur kuratorischen Verschiebemasse ummünzt. Entsprechend skeptisch sollte es machen, wie Kittelmann zwischen Sammlung und Legat, Leihgabe und Ankaufswunsch herumfuhrwerkt; wie sich öffentliche und private, Sammler- und kuratorische Interessen in diesem Gesamtbild zur Unkenntlichkeit verwässern, anstatt dass präzise gekennzeichnet und erklärt wird, warum und mit welchem Recht etwa die neuen und ortspezifisch konzipierten Arbeiten von Richard Artschwager, Robert Kusmirowski, Daniel Richter oder Otto Zitko ihren Weg ins Museum fanden.

Wir fragen uns, ob solches lauthals Unorthodox-Sein im Kuratorischen tatsächlich zum Programm, geschweige denn zu einer musealen Programmatik taugt? Ob es wirklich reicht, mit genial-künstlerischem Gestus zu machen, was man nur möchte, um den Auftrag an ein Museum für Gegenwartskunst zu erfüllen, aber auch um „das Museum“ tatsächlich als „Modell“ der Bewahrung und Vermittlung von Kunst – mit Anspruch auf öffentliche Wirksamkeit – zeitgenössisch adäquat zu fassen? Ob solcherart „frischer Wind“, wie ihn Kittelmann jetzt als kuratierender Direktor verbreitet, nicht vielmehr vom eigentlichen Problem ablenkt – wie nämlich ein Museum für Gegenwartskunst einerseits als wissenschaftliche Einrichtung nach derzeitigem Stand leistungsfähig gehalten werden kann und wie es sich andererseits als Institution öffentlich beziehungsweise politisch richtungsweisend positioniert?

Spektakuläre Coups und spontane Einfälle, aufwendig produzierte und effektiv vermarktbare Eintagsfliegen kennzeichnen die verworrene Berliner Museumspolitik seit Langem, ebenso wie ihre Anfälligkeit für allerhand kulturpolitische Kurzschlüsse. Vor dem Hintergrund ist es äußerst zweifelhaft, dass das Nur-Unorthodoxe dort am rechten Platz ist, wo es seit jeher an Kontinuität, Programm und Methode sowie deren Kritik fehlt.

Anmerkungen

[1]Seit November 2008 ist Udo Kittelmann als Direktor der Nationalgalerie Herr über Alte und Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst, Friedrichswerdersche Kirche, Museum Berggruen und Sammlung Scharf-Gerstenberg.
[2]Ute Thon / Kito Nedo, „Bilder lügen nicht“. Interview mit Udo Kittelmann, http://www.art-magazin.de/szene/22837/?mode=print 30.10.2009.
[3]Als Kittelmanns Kollege im Direktorenamt fungiert Michael Eissenhauer, der seit dem 1. November 2008 neuer Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin ist.