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Sophie Goltz

Stadt Museum Sophie Goltz über Andreas Fogarasi im Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen

|andrea-fogarasi-1998-ludwig-forum-fur-internationa| Andrea Fogarasi, "1998", Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, 2o1o, Ausstellungsansicht

Die aktuelle Ausgabe von dérive. Zeitschrift für Stadtforschung ist dem Schwerpunkt „Rekonstruktion und Dekonstruktion“ gewidmet. Die Überschriften lesen sich wie ein bürgerlicher „Parcours“ durch die jüngsten urbanen Entwicklungen hierzulande: etwa „Rekonstruktivismus als soziale Bewegung – der Fall Berlin“, „Nach der sozialistischen Moderne? Der Streit um die Rekonstruktion der Leipziger Universitätskirche St. Pauli“, „Wiederaufbau und Dekonstruktion: Zwei Skizzen zu Frankfurter Fällen“. Auch wenn die Essays sich auf Deutschland konzentrieren, so vermitteln sie im Kern, was sich allgemeiner als postnazistischer Zustand mitteleuropäischer Städte [1] beschreiben lässt: Restaurative Gesellschaftspolitik und bürgerliche Stadtplanung sind untrennbar miteinander verwoben. Am Ende des Heftes findet sich die Bildbeilage „Cities and Placemarks, Folkemuseum“ des Mitherausgebers Andreas Fogarasi anlässlich seiner Aachener Ausstellung mit dem Titel „1998“, die diese mithin in Form von Printed Matter erweitert. Fogarasi konzipierte eigens für seine Ausstellung im Ludwig Forum zwei neue ortsspezifische Arbeiten und ergänzt diese mit bestehenden Werken wie dem Sandsteinblock „Panneu de Pierre“ (2008) oder dem Siebdruck „1974, 1975, 1976 …“ (2007).

Menschen erscheinen geisterhaft in dem eigens für die Ausstellung produzierten, großformatig an eine Wand projizierten Video „Folkemuseum“ (2010), welches das gleichnamige Freiluftmuseum in Oslo ins Zentrum stellt. Zufällig laufen Besucher/innen ins Standbild, und in der nächsten Einstellung erscheint die Frage „Should I bring my own actor?“. Die Antwort Fogarasis ist, von hinter der Kamera vor diese zu treten und sich auf eine Bank zu setzen, um einen Apfel zu essen. Das Video zeigt derweil verschiedene Geschichten: des Museums, der Landschaft, der norwegischen Stadt und ihrer Architektur von 1500 bis heute und letztlich des Sammelns von bisher 155 Gebäuden auf einer Fläche von 140 000 Quadratmetern. Eine Hausmesse der Jahrhunderte und der Baumeister: Auf eine originalgetreu rekonstruierte Architektenwohnung (1979) folgen eine Tankstelle (1928) und eine Kleinfamilienwohnung (2002), die vor ihrem Abriss von pakistanischen Einwanderern bewohnt wurde. Der auf dem in der Wohnung befindlichen Fernseher laufende Bollywoodfilm soll diesen Lebenszusammenhang andeuten und entbehrt jeder politischen Sensibilität seitens des Museums. Durch den fehlenden Untertitel bleiben die Betrachter/innen allerdings im Unklaren über die Geschichte dieser musealisierten Wohnung und ihrer Bewohner/innen. Fogarasi baut solche Momente der Störung immer wieder in seinen Gang durch das Folkemuseum ein, denn was macht ein Bollywoodfilm in einem europäischen Freilichtmuseum? In diesem Video tauchen darüber hinaus weitere Stationen der Entstehung modernen städtischen Lebens auf: eine Bank, Geschäfte, der erste Sitzungssaal des Parlaments und ein ganzer Stadtteil mit Straßen und Plätzen. Durch die Inszenierung etwa von Interieurdetails verrät sich der architekturhistorisch geschulte Blick Fogarasis, um ihn jedoch im gleichen Moment wieder zu brechen durch den szenatorischen Wechsel von Fassaden, Innenräumen und Landschaften. Das älteste Häuserartefakt des Osloer Freilichtmuseums ist ein hölzerner Sakralbau (ca. 1200), dem ländliche Holzhäuser (ca. 1500) folgen. Fogarasi bezieht diese in seine Darstellung des Zusammenhangs zwischen Urbanisierung, Fortschrittslogik und Regulierung durch gebaute Umwelt mit ein. Die Frage nach dem Landleben heute bleibt indes mit dem eingeblendeten Stichwort „rual life“ im Raum stehen. Es gibt kein Voiceover, keine Offstimme. Die Kommentare sind als Schrift über die Bilder gelegt und so der Subjektivität einer identifizierbaren Sprecherposition entzogen.

Welche sind die musealen Häuser von morgen? Oder wird die europäische Stadt durch ihren unbezahlbaren Rekonstruktionswahn selbst zum Mausoleum? Einen Kommentar auf diese Fragen scheint Fogarasi mit der Frottage auf Papier („Cité de Refuge“, 2008), der Mäzenatentafel eines von Le Corbusier gebauten Obdachlosenheimes (1929–1933) in Paris zu geben. Auf dieser Tafel werden die Stifter inklusive der gezahlten Summen aufgelistet. Ein weiterer Kommentar könnte die skulpturale Marmorinstallation (ohne Titel, 2010) sein, die wie eine Ausstellung in der Ausstellung funktioniert. Jeweils zwei Fassadenplatten aus Marmor hat Fogarasi für diese mehrteilige Skulptur zusammenmontiert und in einem Raum platziert. Insgesamt sind so zehn steinerne Displays entstanden, deren Rückseiten durch ein Netz des Klebstoffs Kunstharz ihre Künstlichkeit freilegen. Auf den polierten Vorderseiten ist jeweils eine Farbfotografie angebracht. Die Aufnahmen spielen mit der konventionellen Architekturfotografie und zeigen die „Antihelden“ (Heike Dietz) des Verlangens nach der historisch gewachsenen europäischen Stadt – Bildausschnitte aus der „Spektakelarchitektur“ eines Frank Gehry (Art Gallery of Ontario, Toronto 2008) oder Ben van Berkel/Caroline Bos (Mercedes-Benz Museum, Stuttgart 2006). Die Konstruktionslinien der jeweiligen Fotografie gehen manchmal in das Steinmuster über: Dieser fast perfekte Zustand einzelner Displays wird durch winzige Details wie eine Graffitisignatur in den Bildern dieser potenziellen „Museen von morgen“ gebrochen. Der Glamour dieser ikonischen Gebilde computergestützten, architektonischen Entwerfens und Bauens hat offenbar keine lange Halbwertzeit angesichts des aufblühenden Historismus der zum Museum ihrer selbst werdenden europäischen Stadt.

Fogarasi gibt an, den Ausstellungstitel „1998“ eher zufällig gewählt zu haben, entgegen der Festivalisierungslogik unzähliger Jubiläen, und doch schwingt in ihm eine Anspielung auf 1989 mit sowie auf die weniger sichtbaren Umwälzungen der letzten Dekade. Joachim Fischer schreibt dazu in derivé: „Die[se] dramatische revolutionäre Herstellung der bürgerlichen Gesellschaft Ende des 20. Jahrhunderts vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat Folgen und für alle bereits existierenden verbürgerlichten (und auch noch nicht verbürgerlichten) Gesellschaften: Es ist die Anerkennung ihrer Vergesellschaftsprinzipien durch Fremdaffirmation. Und weil er sich in den verrotteten, von den dezidiert nicht-bürgerlichen Gesellschaftsprojekten der Liquidierung preisgegebenen alteuropäischen Bau-Schauplätzen vollzieht, führt dieser revolutionäre Grundimpuls zu einer flächendeckenden, leitbildhaften Wiederentdeckung der europäischen Stadt als historischer Brutstätte des sich riskierenden Bürgertums.“ [2]

Fogarasi kann bereits auf ein umfangreiches Werk und eine erfolgreiche Ausstellungstätigkeit [3] verweisen, die wie auch in Aachen um Themen wie Architektur, Ökonomisierung der Städte und Kulturalisierung öffentlicher Räume kreist, d. h. um die De-/Konstruktion der europäischen Stadt. Vielen seinen Arbeiten ist gemein, das Potenzial und die Aktualität urbaner Erzählungen im Unfertigen, in der Überlagerung [4] von unterschiedlichen Erwartungen und Forderungen an den sozialen wie politischen Stadtraum zu suchen. Mitunter ist dabei sein künstlerischer Blick auf den urbanen Raum entfernt von einer möglichen Forderung an diesen Raum. Das (Superpositions-)Prinzip der Gleichzeitigkeit entfaltet seine Politizität in den Arbeiten Fogarasis im Verborgenen, im Dazwischen, in der Interferenz. Doch schreitet die Realisierung der imaginären europäischen Stadt unaufhaltsam voran und verharrt nicht wie Fogarasis Praxis in mehreren Zuständen gleichzeitig.

„Andreas Fogarasi – 1998“, Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen, 28. Februar bis 25. April 2010.

Anmerkungen

[1]Ganz anders gelagert waren die Reaktionen von Stadtplanern Mitte der 1940er Jahre auf die massiven Zerstörungen der Städte während des Zweiten Weltkriegs in Europa: "So kalt und berechnend, so verständnislos, soviel Schmerz und Kummer bereitend die Vorstellung auch sein mag, der Städtebauer möge es sagen dürfen: dieses Werk der Zerstörung wird Segen wirken" (Konstanty Gutschow). Vgl. Zwischen Traum und Trauma - die Stadt nach 1945, Symposium zur Nachkriegsmoderne, Braunschweig, 9.-11. Juni 2010.
[2]Joachim Fischer: Rekonstruktivismus als soziale Bewegung - Der Fall Berlin, in: dèrive 38/2010, S. 10.
[3]Auf der 52. Venedig Biennale (2007) erhielt er als Vertreter Ungarns den Goldenen Löwen für den besten Pavillon mit seinem Beitrag Kultur und Freizeit.
[4]„In der Quantenmechanik wird ein dynamisches System zu einem bestimmten Zeitpunkt durch seine Wellenfunktion zu diesem Zeitpunkt dargestellt. Nach dem Superpositionsprinzip kann ein Quantensystem eine Eigenschaft haben, die man von den Wellen kennt: (D)as betrachtete System verharrt gleichzeitig in mehreren Zuständen. Diese Eigenschaft führt zu einer Interferenz-Fähigkeit zwischen verschiedenen Zuständen und somit zu typischen quantenmechanischen Effekten, die man aus der klassischen Mechanik nicht kennt.“ Birgit Bomfleur, Schrödingers Katze kann aufatmen - und sei es auch nur ein letztes Mal, quanten.de, 11/12.2001.

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