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Wert generieren in der Pandemie von Isabelle Graw

In bed with Butler

In bed with Butler

Der krisenbedingte ‚Lockdown‘ verstärkt nicht nur soziale Ungleichheiten wie etwa die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Auch droht der Kunstmarkt sich unter dem Eindruck von „private viewings“ und „private sales“ in eine umso exklusivere und intransparentere Zone zu verwandeln. Damit steht nichts Geringeres als der Wert der Kunst selbst infrage, wie die Mitbegründerin und Herausgeberin von TEXTE ZUR KUNST Isabelle Graw im neunten Beitrag unserer Kolumne „Notes from Quarantine“ argumentiert: Dort, wo sozialer Austausch angesichts von Galerienschließungen und Abstandsregelungen massiv erschwert ist, entfällt auch die institutionelle Rahmung von Kunst im modernen Sinne.

1. Coronabedingte Schreibprobleme

Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Kolumnenbeitrag angehen soll. Keinesfalls wollte ich in den Chor der (zumeist männlichen) Kommentatoren (wie Giorgio Agamben, Slavoj Žižek, Frank Castorf etc.) einstimmen, die im Feuilleton schnell etwas aus der Hüfte Geschossenes ablieferten, das ihre bekannten Thesen zumeist nur variierte. [1] Der Pandemie gegenüber schienen sie sich zudem in einer souveränen Position zu wähnen, was mir vermessen vorkam. Als weitaus hilfreicher und anregender empfand ich dagegen Initiativen wie die Vorträge des „Frankfurter Arbeitskreises“, die nicht nur eine Verknüpfung von Gegenwartsdiagnostik und Theoriebildung leisten, sondern mehr noch die Erfahrung unserer Bedingtheit und Verwundbarkeit angesichts der Pandemie hervorheben. [2] Dass diese Krise ins Persönliche hineinreicht, zeigt sich auch in der aktuellen Zunahme an autobiografischen oder betont auktorialen Schreibweisen: zahlreiche Wissenschaftler*innen, Intellektuelle und Schriftsteller*innen sagen wieder „ich“, so auch in den im Rahmen dieser Kolumne bereits erschienenen Texten. Im Idealfall verknüpfen sich hier persönliche Beobachtungen mit dem Nachdenken über die aktuelle Geltungsmacht von gesellschaftstheoretischen Kategorien wie etwa Biopolitik. [3] Auch mein Text über die Auswirkungen dieser ‚Krise‘ auf die Kunstökonomie sollte in meiner Vorstellung ‚persönlicher‘ ausfallen und dabei diagnostische Befunde mit gesellschaftstheoretischer Wertreflexion verbinden. Mich interessierte vor allem, wie sich der pandemiebedingte Zusammenbruch von kunstbetrieblichen Infrastrukturen auf die besondere Wertform der Kunst auswirkt. Für den gegenwartsdiagnostischen Befund sah ich mich allerdings vor die Schwierigkeit gestellt, dass sich die Datenlage mit jedem Tag ändert. Man kommt kaum hinterher mit dem Verarbeiten der ständig sich aktualisierenden Informationen, weshalb ich noch jeden online oder offline publizierten Artikel zu „Kunstmarkt und Corona“ hektisch zu rezipieren und auszuwerten versuchte. Es war eine gewisse Unruhe, ein Zustand rastloser Aufnahmebereitschaft, der Besitz von mir ergriff. Dabei hatte ich mir eigentlich fest vorgenommen, mir die erforderliche Zeit zu nehmen, um die Auswirkungen dieser ‚Krise‘ auf die besondere Wertform der Kunst in Ruhe durchzudenken. Aber in der Pandemie lassen sich manche Vorsätze anscheinend nur schwer verwirklichen.

2. Weder Zeit, noch Ruhe

Denn „Zeit“ und „Ruhe“, die man zur Analyse der (in jeder Hinsicht neuartigen) Lage benötigten würde, haben sich in den letzten Wochen mehr denn je als Luxusgüter herausgestellt, die nur wenigen zur Verfügung stehen. Bei zahlreichen berufstätigen Frauen mit Kindern nimmt z.B. deren sprichwörtliche Doppelbelastung (und daraus resultierende Erschöpfung) ungeahnte Ausmaße an, wenn sie neben der von ihnen ohnehin mehrheitlich geleisteten Care-Arbeit auch noch ihre Kinder beschulen müssen. Dass im Zuge des krisenbedingten ‚Lockdowns‘ nicht nur soziale Ungleichheiten, sondern auch die strukturelle Benachteiligung von Frauen massiv zunimmt, ist von zahlreichen Autor*innen zu Recht festgestellt worden. So haben einer Studie zufolge in den letzten Wochen 50% mehr Männer Texte bei wissenschaftlichen Zeitschriften eingereicht, während Wissenschaftlerinnen quasi überhaupt keine Texte mehr vorlegen. [4] Dies bedeutet, dass zahlreiche Akademikerinnen aufgrund der in erster Linie auf ihre Kosten gehenden Care-Arbeit im akademischen Wettbewerb stark zurückfallen.

Im Vergleich dazu ist meine derzeitige Situation als ausgesprochen privilegiert zu charakterisieren. Ohnehin schwerpunktmäßig von zuhause aus im vielbeschworenen „Homeoffice“ arbeitend, was die Trennung von ‚Beruf‘ und ‚Familie‘ nebenbei bemerkt endgültig aufhebt, muss ich darüber hinaus auch nicht Lehrerin für meine 13-jährige Tochter spielen. Denn diese erhält zum Glück täglich zwischen 9 und 16 Uhr Online-Unterricht von ihrer Schule. Dank eines Opus Magnum-Stipendiums bin ich zudem in diesem Semester von der Lehre befreit, was mir aufreibende Zoom-Seminare und Zoom-Vorlesungen ebenfalls erspart. Wenn man jetzt noch das Wegfallen sämtlicher Vortragsreisen sowie aufgeschobene Deadlines hinzuzählt, müsste ich eigentlich alle Zeit der Welt haben. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, was zunächst einmal daran liegen mag, dass ich zum permanenten Online-Checken der neuesten Corona-News neige – und dies hat wie oben bereits erwähnt einen ausgesprochen paralysierenden Effekt auf die eigene Arbeit. Angesichts der zahlreichen Berichte über schwer kranke, um ihr Leben kämpfende oder sterbende Menschen stockt mir der Atem und es fällt mir mit Blick auf dieses Geschehen schwer, den Sinn des eigenen Forschungsprojekts (über den ‚Wert der Kunst‘) zu erkennen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich die Motivation für mein Vorhaben im Moment ganz aus mir selbst heraus generieren muss. Denn ‚motivierende‘ Lebens-und Arbeitsstrukturen wie etwa das inspirierende Essen mit Kolleg*innen oder die Diskussionen mit Freund*innen nach Vorträgen fallen vorerst weg. Während ich also ohne die mir sonst Halt gebenden, aber mich eben auch im besten Sinne fordernden Rahmenbedingungen trotz meiner privilegierten Situation etwas freudlos am Schreibtisch sitze, drangsaliert mich zugleich meine innere Polizistin mit dem Befehl, diese Ausnahmezeit ohne soziale und berufliche Verpflichtungen doch unbedingt produktiv für die Fertigstellung meiner diversen Buch-und Textprojekte zu nutzen. Obwohl ich also theoretisch über mehr Zeit verfüge, setze ich mich mehr denn je unter enormen Zeitdruck.

Aber noch ehe ich diesem Druck nachgeben und losschreiben kann, schiebt sich eine dringlichere Sorge, die Sorge um das ökonomische Fortbestehen dieser Zeitschrift, in mein Bewusstsein. Wie alle Printmedien sieht sich auch Texte zur Kunst derzeit mit einem sinkenden Anzeigenaufkommen konfrontiert, das finanziell kompensiert werden muss. Zwar steht uns das Wasser nicht bis zum Hals, zumal Geschriebenes im Moment Konjunktur zu haben scheint. Das Unwägbare der derzeitigen Situation ist jedoch schwer auszuhalten – man weiß einfach nicht, wie es ökonomisch weitergehen wird und kann nichts (auch keine Veranstaltung zu unserem 30. Jubiläum) wirklich planen. In den ersten Wochen des ‚Lockdowns‘ habe ich entsprechend oft schlaflose Nächte gehabt, in denen ich über Sofortmaßnahmen wie „Support Editions“ oder diese Kolumne nachdachte, die es für Texte zur Kunst ins Leben zu rufen galt. Von „Ruhe“ und „Zeit“ also erstmal keine Spur.

3. Die Privilegien des Geldes

Für die globale Wirtschaft im pandemiebedingten ‚Lockdown‘ hat der Soziologe Sighard Neckel treffend eine „Unterbrechung der Wertschöpfungsketten“ konstatiert, wobei sich mit Blick auf den Kunstmarkt fragen ließe, ob dieser Befund einer Stilllegung von Produktion, Investition und Konsumption auch hier zutrifft. [5] Findet also auch im Kunstbetrieb keine Wertschöpfung, sprich keine Generierung von Gewinnen mehr statt? Die Besonderheit des Kunstmarkts „in Zeiten von Corona“ scheint mir zunächst einmal darin zu bestehen, dass künstlerische Produktion – allerdings nur bei über die entsprechenden Rücklagen verfügenden Künstler*innen – durchaus weiterhin stattfindet. Nur sind dieser künstlerischen Produktion ihre institutionellen Anlässe (Ausstellungstermine), Vertriebskanäle (Galerien, Museen, Kunstmessen, Biennalen etc.) und sozialen Praktiken (Networken auf Eröffnungen) weggebrochen, was neben einem Ausbleiben von Rezeption auch ausbleibende Verkäufe impliziert. Wir haben es folglich derzeit mit einer künstlerischen Rest-Produktion zu tun, der ihre Infrastrukturen weitgehend abhandengekommen sind; und Infrastrukturen wie Institutionen, Praktiken und Beziehungen sind Judith Butler zufolge keine äußeren Stützen des Lebens, sondern dem Leben selbst immanent. [6] Sind diese Infrastrukturen (wie derzeit der Fall) geschwächt, dann ist nach Butler auch unser Leben bedroht. Auf künstlerische Produktion übertragen, würde diese Abhängigkeit des Lebens von seiner Infrastruktur bedeuten, dass auch sie nicht überleben kann, wenn die sie ausmachenden Institutionen, Praktiken und Beziehungen wegfallen. [7] Ohne institutionelle und soziale Rahmung wäre künstlerische Produktion jedenfalls etwas anderes als ‚Kunst‘ im modernen Sinne.

Wobei man im Moment noch nicht sagen kann, ob die Infrastrukturen der Kunstwelt – etwa durch die aus New York kolportierten Entlassungswellen in Museen, Galerien und Auktionshäusern – nachhaltig in personeller und finanzieller Hinsicht geschwächt aus dieser Krise hervorgehen werden; oder ob sich diese Entlassungen einmal mehr nur als eine Art neo-neoliberale Rosskur erweisen werden, mit deren Hilfe Institutionen auch langfristig noch mehr Kosten einsparen werden. Mit Sicherheit kann man allerdings jetzt schon feststellen, dass auch diese Krise vor allem auf Kosten der prekär Beschäftigten geht. So haben mir ehemalige Studierende aus Städten wie New York oder Los Angeles berichtet, dass sie ihre Jobs in den Ateliers markterfolgreicher Künstler*innen durch Corona verloren hätten. Folglich stehen sie ohne Einkommen und Krankenversicherung da, also buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Die wohlhabenden Künstler*innen, Sammler*innen und Galerist*innen hingegen haben sich dem Vernehmen nach längst aus Städten wie New York in ihre Landsitze, Villen, Häuser am Meer etc. abgesetzt. Dass die Kluft zwischen ‚Arm‘ und ‚Reich‘ im Kunstbetrieb traditionell sehr ausgeprägt ist, ist dabei keine neue Erkenntnis, nur zeigt sie sich in dieser Pandemie mit besonderer Anschaulichkeit.

Auch die existentiellen, gleichsam lebensbedrohlichen Folgen dieser Ungleichheit werden greifbar: Wer arm oder nicht wohlhabend ist, muss in zumeist beengten Wohnverhältnissen in der Stadt bleiben und ist dem Virus dadurch ungeschützter ausgeliefert, wird also mit größerer Wahrscheinlichkeit erkranken. Speziell die V.I.P.s der Kunstwelt neigen jedoch dazu, ihre Privilegien als selbstverständlich zu erachten, so als wäre Ungleichheit ein Naturgesetz und nichts gesellschaftlich Produziertes, so als wären ihre Privilegien nur „verdient“ und nicht auch auf dem Ausschluss anderer basierend. [8] Als ein Beispiel von vielen sei hier auf Marc Glimcher verwiesen, den Chef der Pace Gallery, der in seinem autobiografischen Bericht über die eigene Corona-Erkrankung dankbar von seinen Ärzten erzählte, die ihn persönlich zuhause betreuten. [9] Dass die in New York am Virus erkrankten nicht-weißen Menschen aus dem Dienstleistungssektor von einer vergleichbar exklusiven Privatbehandlung nur träumen können, scheint Glimcher gar nicht erst in den Sinn zu kommen.

Still life with weights

Still life with weights

4. Business down 90%?

Unter der Unterbrechung der Wertschöpfungskette leiden neben den ökonomisch prekären Künstler*innen, Techniker*innen, Aufbauhelfer*innen, Projekträumen und Transportunternehmen auch die finanziell besser aufgestellten Galerien aus dem sogenannten mittleren Segment. Denn abgesagte Kunstmessen können auch für sie eine existentielle Bedrohung darstellen, da die dort generierten Verkäufe oft den Löwenanteil ihres Umsatzes ausmachen. Gleichwohl variieren im Moment die Einschätzungen darüber, was der Shutdown für dieses Marktsegment bedeutet: Während etwa die Kunsthändlerin Dominique Lévy von New York aus erstaunlich offenherzig einen Einbruch des Kunstmarkts um 90 Prozent konstatierte, [10] erklärte der Berliner Galerist Johann König, dass die Geschäfte für ihn eigentlich ganz gut laufen. [11] Insofern als Galerist*innen erfahrungsgemäß zur Beschönigung noch der düstersten Lage neigen, ist Lévys ungewohnt pessimistische Einschätzung womöglich näher an der Wahrheit dran. Die Stimmung in den Galerien kam mir jedenfalls auf meinem ersten (maskierten) Galerienrundgang (unter strengen Auflagen) am vergangenen Wochenende (2. Mai) eher gedrückt und verhalten vor. Schon das Wegfallen der Begrüßungsrituale – man winkt sich, wenn überhaupt, nur aus der Ferne zu, ohne wirklich miteinander zu kommunizieren – steht emblematisch für die derzeit erschwerte Wertermittlung, die ja im Wesentlichen auf sozialer Interaktion beruht. Wert ist, so hatte es bereits Karl Marx formuliert, ein „gesellschaftliches Verhältnis“, sprich: etwas auf Austausch Beruhendes, das relational verfasst ist. [12] Dies gilt auch für die Ware Kunst, die nicht zuletzt deshalb von sozialen Ritualen wie Eröffnungen und Dinnerpartys flankiert wird, weil ihr Wert kein intrinsischer ist – er steckt nicht in den Werken selbst, sondern muss immer wieder situativ neu ausgehandelt werden. Sozialer Austausch ist aber genau das, was Masken, Kontaktverbot und Abstandsregeln aktuell massiv erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Somit steht auch der Wert der Kunst derzeit auf unsicherem Grund.

5. Digitale Showrooms, private Viewings und die zwiespältige Situation der Kritik

Aufgrund der Schließungen von Galerien und Museen hat es in den vergangenen Wochen eine veritable Flucht in „Online Viewing Rooms“ gegeben, wobei die Art Basel Hong Kong (20-25. März 2020) hierfür den Anfang machte. Dominique Lévy zufolge kranken solche Showrooms daran, dass sie schlicht „not friendly“ seien – auch ihnen fehlt also das Soziale, in das der Handel mit Kunst tief eingelassen ist. Dennoch haben mich zahlreiche Emails von Galerien erreicht, die die Verlagerung ihrer Ausstellungen in Online-Showrooms bekannt gaben. Neben dem besagten Mangel an friendlyness neigt dieses Format jedoch dazu, das Alleinstellungsmerkmal der bildenden Kunst – dass ihre Produkte als konkret zu erfahrende, materielle Unikate zirkulieren – zu verspielen. Es ist zwar nicht so, dass sich die Spezifik (und Materialität) eines Kunstwerks online gar nicht vermitteln ließe, aber eben doch zumeist nur annähernd. Besonders für zahlreiche Gemälde gilt – ich denke hier etwa an die collagenhaften Textil-Bilder von Tschabalala Self –, dass man sie im Original gesehen haben muss, um ihre Rhetorik zu verstehen. Online-„Walk throughs“ durch Ausstellungen, wie sie etwa die Berliner KW für die Ausstellung von Hassan Sharif anbieten, sind letztlich auch deshalb so unbefriedigend, weil sich nicht jede Betrachterin im Auge der über die Arbeiten gleitenden Kamera wiederfindet. Ich z.B. möchte so nicht wahrnehmen müssen. Statt das analoge Ausstellungserlebnis in digitaler Form nachzubilden, sollten vielleicht Online-Formate entwickelt werden, die dies gar nicht erst versuchen. Und statt der Betrachterin zu erklären, wie die Ausstellung zustande gekommen ist, was nur bedingt interessiert, könnte dargelegt werden, welche spezifische Intervention in ihrem jeweiligen sozialen und räumlichen Kontext die Ausstellung jeweils leistet. Erst wenn nämlich annährend deutlich wird, was bei einer Ausstellung oder bei einer künstlerischen Arbeit zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt auf dem Spiel steht, wird ihre symbolische Bedeutung, und damit eben auch ihr Symbolwert, greifbar. In den meisten Online-Viewing-Rooms werden Kunstwerke hingegen so präsentiert, als würde sich ihre symbolische Bedeutung, und insofern Symbolwert, von selbst verstehen, wo er doch in Wahrheit ausgehandelt werden muss. Wobei eine derartige Aushandlung im analogen Raum natürlich auch nicht selbstverständlich stattfindet, sie muss forciert und entsprechend inszeniert werden.

Für das Gegenteil eines solchen Aushandlungsprozesses scheint mir die im Zuge von Galerienschließungen, Kontaktverboten und Abstandsregelungen gestiegene Tendenz zu „private viewings“ oder „private sales“ (in Galerien und Auktionshäusern) zu stehen. Kunstwerke werden hier nur mehr von wenigen Privilegierten in exklusiven Settings betrachtet oder privat im Showroom der Galerie verkauft. Man könnte sagen, dass bestehende Tendenzen des künstlerischen Feldes zur voraussetzungsreichen Abschottung und Intransparenz durch Corona noch verstärkt und zugleich unsichtbar gemacht werden. Qua „private viewings“ verwandelt sich der Kunstmarkt in eine noch exklusivere und intransparentere Zone, die unter Ausschluss ihrer Rest-Öffentlichkeit funktioniert. Und für eine zwischen „private viewings“ und „private sales“ aufgespannte Kunst gilt darüber hinaus, dass sie, da nicht mehr auf Öffentlichkeit und Kritik bezogen, keine Kunst im modernen Sinne mehr sein kann.

Nun sind auch im Zuge dieser Kunstmarktkrise wieder Stimmen laut geworden, die sich von ihr eine längst fällige Trennung von „Spreu“ und „Weizen“, also eine Art Marktbereinigung erhoffen, so als würde nur der Markt über die symbolische Bedeutung eines Kunstwerks entscheiden. [13] Zwar haben sich frühere Rezessionen – Anfang der 1990er Jahre oder 2008 – durchaus in Form einer Glaubwürdigkeitskrise auf dem Kunstmarkt manifestiert, sodass bisherige Hierarchien und Glaubenssysteme, zumal in der Auktionssphäre, fragwürdig wurden. Zugleich war aber die Sehnsucht nach einem schnellen „Back to Normal“ nach meiner Erinnerung jedes Mal sehr ausgeprägt, sodass am Ende vor allem die schon vorher als „Gewinner*innen“ positionierten Akteur*innen gestärkt aus diesen Krisen hervorgingen. Krisen sind dabei immer auch die große Stunde der Kritik gewesen, schon in etymologischer Hinsicht sind beide eng aufeinander verwiesen. [14] So stark die Sehnsucht nach kritischen Stimmen (oder nach sinnstiftenden „Editorials“ in den Online-Präsentationen der Galerien) auch sein mag, ist doch zugleich eine Entwertung der Kritik in Zeiten der Pandemie festzustellen: So wird sie beispielsweise bei der Aufzählung der wichtigsten „Säulen des Kunstbetriebs“ gar nicht erst erwähnt, wenn es etwa um die Forderung nach mehr staatlicher Unterstützung für Galerien geht. [15] Als Agentin einer symbolischen Wertgenerierung mag sie derzeit punktuell gefragt sein, doch zugleich wird sie als zentrale Akteurin der Wertproduktion regelmäßig ausgeblendet. Was dieser zwiespältige Befund für mein eigenes kunstkritisches Schreiben in der Pandemie bedeutet, ist derzeit noch etwas unklar. Speziell morgens nach dem Aufwachen, wenn sich mir die neue, bedrückende Realität mit Wucht aufdrängt, schwanke ich zwischen großer Zerknirschtheit und hartnäckigem Elan: kunstkritisches Schreiben scheint mir in solchen Momenten in demselben Maße überflüssig und sinnlos wie absolut geboten und dringend notwendig zu sein.

Isabelle Graw ist Mitbegründerin und Herausgeberin von Texte zur Kunst. Sie lehrt Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt/M. Zuletzt erschien ihre Publikation Die Liebe zur Malerei. Genealogie einer Sonderstellung (2017).

Anmerkungen

[1]Vgl. Giorgio Agamben: „Wir sind nurmehr das nackte Leben“, NZZ, 18.03.2020. https://www.nzz.ch/feuilleton/giorgio-agamben-ueber-das-coronavirus-wie-es-unsere-gesellschaft-veraendert-ld.1547093. Slavoj Zizek: „Das Ende der Welt, wie wir sie kennen“, Welt+, 03.03.2020, https://www.welt.de/kultur/plus206189063/Corona-Epidemie-Das-Ende-der-Welt-wie-wir-sie-kennen.html. Vgl. auch das unsägliche Interview mit Frank Castorf im Spiegel, in dem er sich auf vulgäranarchistische Weise dagegen verwehrt, von Angela Merkel zum Händewaschen „gezwungen“ zu werden. Symptomatisch ist dabei seine sexistische Fixierung auf die mächtige Frau und seine Verwechslung des demokratischen Willens mit einem ihn regulierenden Herrscher. https://www.spiegel.de/kultur/frank-castorf-ueber-angela-merkel-und-corona-moechte-mir-nicht-sagen-lassen-dass-ich-mir-die-haende-waschen-muss-a-5ff19227-383c-4168-a1da-6aef96950855, 28.04.2020.
[2]Empfehlen möchte ich in diesem Zusammenhang vor allem die Vorträge „Kritische Theorien zur Pandemie. Ein Glossar zur Corona-Krise“ des Frankfurter Arbeitskreises auf Youtube, die den Kurzschluss zwischen Gegenwartsdiagnostik und Theoriebildung auf gelungene Weise leisten. Mit Blick auf das Virus lässt sich z.B. Katharina Hoppe zufolge der Gegensatz zwischen Natur und Gesellschaft nicht länger aufrechterhalten. Stattdessen müsse von „biosozialen Prozessen“, von einer „Verwobenheit von Gesellschaft und Natur“ ausgegangen werden. In epistemischer Hinsicht läuft diese Verwobenheit Hoppe zufolge auf ein anderes Menschenbild hinaus: der Mensch müsse als aus Abhängigkeitsbeziehungen bestehend gedacht werden – ein Vorschlag, der sich auch in Judith Butlers neuem Buch The Force of Nonviolence (2020) findet. Auch ethisch zwingt uns das Virus nach Hoppe dazu, unsere Bedingtheit und Verwundbarkeit anzuerkennen. Und politisch soll die Anerkennung von biosozialen Verwobenheiten zuletzt darauf hinauslaufen, die derzeitigen Missstände im Gesundheitswesen wie auch die sichtbar gestiegenen sozialen Ungleichheiten deutlich zu benennen, um auf dieser Basis Forderungen zu formulieren. https://www.theorieblog.de/index.php/2020/03/kritische-theorien-in-der-pandemie-ein-glossar-zur-corona-krise-29-maerz-2020-ab-1700-online/, 6.5.2020.
[3]Vgl. hierzu: Sabeth Buchmann: „Im virtuellen Kollektiv gesprochen“, in: Texte zur Kunst, Notes on Quarantine, https://www.textezurkunst.de/articles/im-virtuellen-kollektiv-gesprochen. Vgl. zur Nützlichkeit von Begriffen wie Disziplinargesellschaft oder Biopolitik auch: Philipp Sarasin: „Mit Foucault die Pandemie verstehen?“, in: Geschichte der Gegenwart, https://geschichtedergegenwart.ch/mit-foucault-die-pandemie-verstehen/über Biopolitik.
[4]Vgl. hierzu Carolin Wiedemann: „Kinder, Küche, Corona. Die Krise ist die Bühne des Patriarchats“, in: Tagesspiegel, 29.4.2020.
[5]Vgl. Sighard Neckel: „Die Polarisierung wird zunehmen“, Frankfurter Rundschau, 24.3.2020.
[6]Vgl. Judith Butler: The Force of Nonviolence, London 2020, hier S.198.
[7]Zur Bedeutung von Infrastrukturen vgl. auch den Kolumnenbeitrag von Sabeth Buchmann: „Im Visuellen Kollektiv gesprochen“, https://www.textezurkunst.de/articles/im-virtuellen-kollektiv-gesprochen/ und den Kolumnenbeitrag von Tom Holert: „Fragilität und Nützlichkeit“, https://www.textezurkunst.de/articles/fragilitat-und-nutzlichkeit.
[8]Wobei es natürlich auch unter den Privilegierten zugleich die Tendenz gibt, die eigene Privilegiertheit zu benennen, es dann aber dabei zu belassen und nichts dafür zu tun, die Strukturen zu verändern.
[9]Vgl. „I had the Coronavirus. It Made Me Think About How the Art World Recovers“, by Marc Glimcher, O7.04.2020 https://www.artnews.com/art-news/news/coronavirus-marc-glimcher-pace-gallery-1202683345/.
[10]Tanya König: „Art Basel´s Digital only edition fails to impress influential Art dealer”, 21.042020, CNN Money, https://www.cnnmoney.ch/coronavirus/art-basels-digital-only-edition-fails-to-impress-influential-art-dealer/.
[11]Vgl. Johann König: „24h in Isolation“, https://www.youtube.com/watch?v=Ag6c2gjg4Gc, 22.04.2020.
[12]Vgl. Karl Marx: „Ware und Geld“, in: Ders.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Berlin 1984, S.49-108, hier S.62.
[13]Vgl. hierzu die Äußerungen von Johann König a.o.O. sowie das Interview mit Daniel Hug, Direktor der Art Cologne: „Re-evalutation of the Art World is necessary and healthy“, in: https://arterritory.com/en/visual_arts/interviews/24746-re-evaluation_of_the_art_world_is_necessary_and_healthy?fbclid=IwAR0vqimiEiYIASMW9drdlQpCAb6ZMwmrta9LmYbsyzSbL3lwZv9yZQF2URw.
[14]Vgl. hierzu Katharina Hausladens Beitrag in der kommenden Juni-Ausgabe von Texte zur Kunst.
[15]Vgl. Rupert Pfab im Gespräch mit Gabi Wuttke: „Galeristen fordern Unterstützung durch Kunstankäufe“, in: Deutschlandfunkkultur, 20.04.2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/kunstmarkt-in-coronazeiten-galeristen-fordern.1013.de.html?dram%3Aarticle_id=475066&fbclid=IwAR2QWInzIcJV0XNnqKRLefyY5YEm8BfFhuZouET-G06v2E1qn-VVUBrEsuU.