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Der Hang der Abstraktion zum Verkehrsschild (II)

02.05.- 26.06.2009 / Georg Karl Pfahler / Galerie Crone, Berlin

Georg Karl Pfahler / Samson II, 200x200 cm, 1972 / Orlando Nr.VI, 200x200 cm, 1971

Ein ultimativer Abstraktmaler Richtung Verkehrsschild war wohl Georg Karl Pfahler. (Mal abgesehen von Peter Halley. Zu ihm an anderer Stelle später mehr.) Bei Pfahler funktioniert das Bild als Schild  in einem eigenartig meditativen Sinn, trotz all der scharfen Kanten, die so gut gesetzt präzise ausgewuchtete Farbflächen sortieren. In den sechziger Jahren galt er als einziger deutschsprachiger Hardedge-Maler, freilich ohne den geistigen Überbau der amerikanischen Kollegen. In der Ausstellung waren ausschließlich Bilder der sechziger und siebziger Jahre zu sehen. Seine Bildwelt zielt mehr auf das nackte Konkrete. Es schaut immer etwas aus wie eine perfekt gelöste Rechenaufgabe mit mindestens zwei, drei Unbekannten, die aber schon länger an unserem Tisch saßen. Die Galerie Crone hat ein ganz gutes Händchen für sogenannte Wiederentdeckungen, wie beispielsweise bei Almut Heise geschehen. Bei Pfahler bin ich mir nicht ganz so sicher. Es gäbe sicher weniger - oder gerade mehr? - Staus, wenn Georg Karl Pfahlers Bilder in regelmäßigen Abständen an Autobahnen platziert wären. Wenn man eines gesehen hat, kann man sich gut ausmalen wie die nächsten zwanzig gemacht sind, was ihrer Qualität keinen Abbruch tut. Autobahnen tendieren auch zur Überlänge. Ach, immer dieser Unikatswille. Viele Sätze hat jeder schon hundertfach durchformuliert. Ich habe Hunger! Und die beste Betonungsvariante hängt für immer gerahmt überm Kühlschrank. Oder einmal ultimativ perfekt ausgesprochen, ist man für immer satt. Georg Karl Pfahler konfigurierte in gewisser Weise algorithmische visuelle Systeme, die sich ab einer bestimmten Komplexität wie von selber multiplizieren. Es wirkt weniger als ein Arbeiten in Serien als in fortlaufenden Versuchsanordnungen, dem Materialwillen untergeordnet. Hier darf der Maler dann mehr die runtergedimmte Rolle eines ausführenden Organs spielen. "Das Befreiende ist, dass seine Bilder oberflächlich betrachtet, wenig wollen." Aber immer etwas zu komplex, um als schnöde Dekoration durchzugehen. Diese Befreiungsmomente des Unterbietens haben stiltechnisch die Popart komplett übersprungen, und sind in ihrer perfekten Ausführung später symptomatisch für eine verkrustet sozial-demokratische Ausschmückung des verwaisten öffentlichen Raumes geworden. Das war natürlich nicht der Plan.

02.05.- 13.06.2009 / Zum Gegenstand / Amy Sillman / Carlier Gebauer, Berlin

"The best description I ever read of existentialism was that no one else can take a bath for you."

Amy Sillman / Ausstellungsansicht "Zum Gegenstand" / Galerie Carlier Gebauer

Insgeheim ist Amy Sillman wahrscheinlich eine jüngere Schwester von Maria Lassnig. Oder auf dem Weg eine solche zu werden, was Qualitäten und Reputation betrifft. Das gut gemalte abstrakte Bild kommt hier zu seinem vollen Recht. Überhaupt nicht unbekannt, aber dafür erstaunlich interessant. Energetische Kraftfelder in Farbe und Form sehr überzeugend von jemandem inszeniert, der mit Haut und Haar in den Malprozess abtauchen kann. Besonders dann, wenn oft gewinnbringend die Farbe von der Leinwand wieder runtergespachtelt wird. Was bei Maria Lassnig die spezielle Begrifflichkeit der Körperbewusstseinsmalerei ist, sind bei Amy Sillman eher diagrammatische Bildfaktoren. In beiden Fällen schwer nachvollziehbar, aber als Behauptungsmoment schon mal herausfordernd. Überraschend in der Ausstellung bei Carlier-Gebauer waren auch ein von ihr publiziertes charmantes wie aufschlussreiches Fanzine sowie diagrammartige Zeichnungen, die Gäste und Sitzordnung beim Ausstellungsdinner charakterisieren und kommentieren. Ihre entdeckte Faszination für Diagramme generell, - wie im Fanzine anschaulich verhandelt wird - macht auch Sinn für aufgefrischte Erklärungsmodelle einer solchen weitgehend abstrakten Malerei. Ihre eigene Positionsbeschreibung lautet „realistisch zur Welt, wenn auch abstrakt." Ist das Diagramm nicht auch der Uronkel des Comics? Ein Meister der Gesichtsabstraktion wie Michael Jackson ist leider vor ein paar Tagen gestorben. In das Diagramm als Bildmoment setzt Sillman beträchtliche Hoffnungen. Das ist kein verbales Standardtänzchen. Es ermöglicht mehrere simultane Sichtungen, wobei die Leserichtung nach Belieben wechseln kann. Beinhaltet also sozusagen nonlineare zeitbasierte Kapazitäten. Abstraktionsmomente sind hier ausschließlich zweckdienlich bedingt zwecks Informationsabkürzung, damit sind schon mal jede Menge Referenzbremsen abgeschüttelt. Aber eigentlich erscheint diese Art Informationsverdichtung nur möglich, weil auf weitergehende Ausformulierungen rabiat verzichtet wird. Ein Piktogramm kann nur dann mit sich zufrieden sein, wenn seine Betrachter es kurzmöglichst anschauen müssen. Diese Antikontemplation steht auch im Widerspruch zu einem überaus ausdifferenziertem Formalrepertoire, wie es eben auch Amy Sillmans Malerei betreibt. Oder mir ist da was entgangen.

02.05.- 20.06.2009 / Shards and Skywindows / Rebecca Morris / Galerie Barbara Weiss, Berlin

DAS PUZZLE GEHT NIE AUF UND SIEHT SO BESSER AUS

Rebecca Morris Malerei kennzeichnet ein eigenartiger Keramikflair. Ein Art von vielversprechendem Puzzle wird da in ihren Bildern oft neu zusammengesetzt, ohne dass je ein rekonstruierter Gesamtkörper als Auflösung gezeigt würde. Dieser Chor von Bruchstücken braucht keine Rampensau. Das vage Versprechen ist prickelnder. Das liegt zum einen an ihren patchworkartigen und scherbenhaften Kompositionen, zum andern an gekonnt durchgespielten verschiedenen Stil- und Schärfegeraden, mit denen ihr abstrakter Zeichenapparat auf einen zukommt. Schwer zu sagen, was die Bilder einem eigentlich zeigen möchten. Irritierendes Potpourri abstrakter Pinselspuren immer kurz vor der Musterbildung. Das Puzzle geht nie auf und sieht so besser aus. Und garantiert absolut figurationsfrei. Aufrichtige Suchmomente beim Machen sind unbedingt vorhanden. Ich habe eine bestimmte Faszination, die von Mary Heilman auszugehen scheint, auch nie ganz nachvollziehen können. Außer, dass sie Finger zum Malen benutzt hat, als selbst schon die Verwendung normaler Pinsel ein Kapitalverbrechen war. Rebecca Morris Malerei praktiziert und propagiert ‚coolen'  Formalismus mit erfrischender Handwerklichkeit. Die kleinen Formate sind eindeutiger im Hinblick auf verbindliche Stilmixturen. Dreieckige Bilder mit der Spitze nach oben sind immer sehr mutig. Die Dreiecksbilder in der Show benutzten als einzige affirmative Antimomente in retrograder Manier. Igittibääh, so bemalte Teetassen hatte meine zu spät befreite Tante auch im Schrank. In einem älteren kleinen runden Format gelingt einwandfrei eine Symbiose zwischen Airbrushstyle und kubistischer Bildkomplexität. Diedrich Diedrichsen hat in einem lesenswerten Text über Rebecca Morris diagnostiziert, um eine Positionierung zur Moderne als letzte normative Kraft käme nach wie vor niemand drumherum. Das Dilemma sei wie bei Weltreligionen auch, es gebe nur linientreue Gefolgschaft, bedingungslose Ablehnung oder eine ironische Anverwandlung gegenüber diesem kulturhistorischem Diktum. Rebecca Morris spezielle Qualität sei nun, dass es ihr gelingt sich zu positionieren, ohne auf eine dieser drei Rollenangebote oder Reaktionsmuster zurückgreifen zu müssen. Hier wäre eine Art vierte Kraft der Moderne abzusehen, weder bekennerhaft noch antizyklisch und dazu völlig ironiefrei. Diese Haltung - mit dem leichten Beigeschmack ph-neutraler Seife - einzunehmen, sei ja ohnehin von verblüffender Einfachheit, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die gesamte Moderne tatsächlich ein undurchschaubares Bündel verschiedenster konträrer Kunstansätze und Lebensentwürfe gewesen sei. Das klingt dann fast, als sei der Modernismus des 20. Jahrhunderts eigentlich die konsequentere Postmoderne gewesen. Mit dem kleinen Unterschied sozusagen Utopiezwang hier und utopiefrei da.