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Smart Brut

21.01 - 25.04.2010 / BJARNE MELGAARD / „JEALOUS" / ASTRUP FEARNLEY MUSEUM / OSLO

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Bjarne Melgaard / Untitled / 240 x 300 cm / 2009

Norwegen hat eher wenig zeitgenössische Konsenskünstler mit internationalem Renommee. Bjarne Melgaard ist einer von ihnen. Seine allgemeine Anerkennung und Rolle als Identifikationsfigur auch für nachfolgende Generationen hat er eher trotz der Tatsache erlangt, dass er eigentlich Maler ist oder sich der Malerei bedient. Melgaards Arbeitsweise bedient viele Klischees des ruppigen Badpaintings oder Neo-Gothic. Unter allen lebenden Künstlern hat er mit Sicherheit am häufigsten das Wort „FUCK" auf die Leinwand gebracht. Munch würde heute vielleicht so ähnlich malen. Aber das ist ein anderes norwegisches Problem. Hierzu muss man auch wissen, dass in Norwegen der sogenannte Malereiboom wie in Mitteleuropa (oder auch nur in Leipzig) Anfang/Mitte der Nuller Jahre einfach nicht stattgefunden hat. Eine kategorische Mediendiskussion mit Ausschlusscharakter gibt es zwar nicht, aber latent verschleppte Moderne-Ressentiments gegenüber Malerei fühlen sich hier noch an wie in Deutschland Anfang der neunziger Jahre. Sagt ja keiner, dass sie viel verpasst hätten, aber irgendwas verpasst haben sie schon. Ein junger norwegischer Künstler sagte mir mal, als er vom realistischen Abbildungsgrad her einfach von Malerei zu Zeichnung übergewechselt sei, gab es plötzlich überhaupt keine Probleme mehr in punkto Akzeptanz an der dortigen Kunsthochschule.

Ein zentrales Stichwort bei Melgaard ist eigentlich „Spatial Novel". Schönes Stichwort. Besser ein angetäuschtes Versprechen als gar keins. Das bezieht sich auf seine geschickt vollgekramsten Allover-Installationen, die gekonnt alles eingemeinden können, was ihm grad so vor die Füße fällt. In der einzigen raumgreifenden Installation ist das unter anderem auch eine von Anselm Kiefers Bleibuchregalskulpturen, die dort sonst als ständiger Bestandteil der Sammlung präsent sind. Als vereinnahmtes Bestandteil von Melgaards Installation bekommt selbst diese Arbeit wieder eine Art frische Patina.

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Bjarne Melgaard / Untitled / 300 x 240 cm / 2009 (jeweils)

Bjarne Melgaards Ausstellung „Jealous" im Astrup Fearnley Museum macht einiges her. Wenn auch als seine erste Retrospektive angekündigt, ist ein Großteil der Arbeiten neu für diese Show entstanden. Das Astrup Fearnley Museum ist eine wenigen großen Ausstellungssorte in Oslo, das sich adäquat um zeitgenössische Kunst kümmert. Die Crux dabei ist, es wird von einem privaten Sammler betrieben. Indirekt heißt das, der durchaus immense Kulturetat Norwegens ist nicht in der Lage, ein relevant funktionierendes Museum für Gegenwartskunst auf die Beine zu stellen.

Bjarne Melgaard hat circa fünfundzwanzig großformatige Leinwände von Assistenten fotorealistisch vollmalern lassen, um diese dann in seiner typisch signifikanten Art mit mehreren hundert XXL- Old Hollandtuben direkt auf die Leinwand voll zu schlenkern. Die Farbwürste lagern zum Teil in drei Schichten übereinander. Wenn auch mit etwas weniger obsessivem Schwung als sonst auf dem Bildträger angebracht. Vielleicht hat die durchweg ordentlich gemachte Fotopeinture doch etwas hemmenden Respekt verursacht. Die Motive dieser fotografische Hintergrundmusik haben einen privaten unspezifischen Touch. Melgaard selbst ist auch in würdiger Grandseigneur-Pose mit Spazierstock zu sehen. Er sieht gut aus. Die handschriftlich entsprechend gekrakelten Zeilen auf all diesen Garagentorformaten stehen unter dem Motto „Chemical Diary". Dort ist durchweg die Rede von Lovern und grenzwertigen Sexpraktiken: Muss weder alles lesen noch nachmachen. Es geht wohl explizit um einen impertinenten Sound von Pseudo-Privatheit in Text und Bild, die einen in eine ungefragte Zeugenschaft mit hineinzieht, aber eben nur prototypisch und in der Hauptsache penetrant.

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Bjarne Melgaard / Untitled / 240 x 300 cm / 2009

Obsession und Opfer sind sozusagen die zwei mentalen Standbeine, von denen Melgaard in seiner Künstlerrolle augenscheinlich aus operiert. Er inszeniert sich nach wie vor als zu Unrecht abgewiesener Outlaw, der seiner versammelten Umwelt hauptsächlich einen vor den ästhetischen Latz knallen möchte. Als mittlerweile international wohlhabender Konsenskünstler entbehrt das nicht einer gewissen Koketterie. Irritierender in der Show bleibt das Duell von Fotorealismus und Melgaards Farbwurstattacken, die versiert selbst jegliches embryonales Stilbewusstsein unterbieten. Melgaards präfantile Antigestaltung gegen das Summen der breiten visuellen Masse funktioniert als maximal feindliche Gegenüberstellung im Kontrast sehr gut. Er hat vielleicht etwas zu pflichtschuldigst alle potentiell leeren Museumswände zugepflastert. Da riecht es dann leicht nach überinszenierter Anti-Salonkunst im Stadionrockformat. Und es bleibt der Beigeschmack, dass es das dekadent aufwendig hergestellte Malereihandwerk unbedingt braucht, um seinen Stilkanon noch mal etwas zuzuspitzen. Sein De-Skilling gegen das zeitgenössische gerade wieder abgeschmackte Re-Skilling fährt hier einen etwas zu leichten Sieg ein. Trotzdem hat er im Vergleich zu andern Smart-Brut-Künstler noch mal recht schlau auf die Tube gedrückt.


PETER SAUL / „SHEER TERROR" / NOLAN JUDIN BERLIN / 13.05 - 24.04.2010

„I was surprised by Minimalism. It had never occurred to me that viewers would want less to look at. Finally, I realized it gives the spectator a chance to be more interesting than the picture."

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Ausstellungsansicht / Peter Saul / "Sheer Terror" / Nolan Judin Berlin

Comic und Malerei kennzeichnet ein eigenartiges Nichtverhältnis. Beide kulturellen Subsysteme hocken recht selbstbezüglich in ihren gemütlich ausgebauten Ghettos, haben eine vage Ahnung voneinander und ab und zu wird wohl mal was über den Zaun geschmissen. Ob als Angriff oder Angebot bleibt unklar, bei zwei bedingt ähnlich veranlagte Kulturkräften, die noch nicht mal verfeindet sein können. Vielleicht weil eines mal als Überbau und das andere als Unterbau veranlagt war. Das war ohne weitere Wertung gemeint. Von Konkurrenz kann man auch nicht wirklich sprechen, dazu sind schon die Preisstrukturen und Käuferschichten zu unterschiedlich. Das eine hat Vorteile, die das andere auf Teufel komm raus absolut nicht braucht. Und umgekehrt.

Peter Saul ist ein verdienter wie unterschätzter Pionier in dieser schlecht besuchten Comic& Malerei Begegnungsstätte. Sein Kulturaustausch betreibt dort Konfliktverschärfung- und bereinigung gleichzeitig. Jede Menge gängige Zeitgenossenkunst mit Subkulturtouch wäre ohne ihn kaum denkbar. Maler wie Caroll Dunham und Elisabeth Murray haben sich ausdrücklich auf ihn berufen. In Europa hat er bisher nicht annähernd die Aufmerksamkeit wie Philip Guston bekommen, auch wenn sein Einfluss auf jüngere Künstler allmählich wächst. Immerhin hatte er vergangenes Jahr drei Retrospektiven in Amerika, wenn auch eher dezentral platziert. Er ist einer der wenigen Maler, der es am ehesten schafft, aus diesen beiden kulturellen Subsystemen zugleich etwas herauszuholen, sozusagen mit punktuell interessanten Synergieeffekten. Das unterscheidet ihn von Künstlern wie Roy Lichtenstein, Keith Haring oder Raymond Pettibon, die eher einen erfolgreichen stilistischen Oneway- Importhandel von der Comic- in die Kunstwelt durchgeführt haben. Für den „New Yorker" ist er einer der wenigen relevanten lebenden amerikanischen Historienmaler. Mit Mitte siebzig ist er 2008 noch mal nach New York gezogen, hat ein Ein-Zimmer-Appartment und teilt sich mit sechs anderen Künstlern ein Studio. Man hätte vielleicht einen etwas gehobeneren Lebensstil erwartet.

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Cold Sweat / 1999 / Acryl auf Leinwand / 140×170 cm

Einfach gesagt, verbindet er die feste Konturierung und grafische Grundkomposition eines Comiceinzelbildes mit raffiniert gemalten Flächenfüllungen. Hier sind präzise gearbeiteten kurvigen Farbschattierungen ausschlaggebend. Outlines kommen in den letzten Jahren kaum noch vor. Ebenso wenig wie beherzte Pinselstriche mit gestischem Farbschmelz. Die fertigen Bilder wirken insgesamt sehr kalkuliert und nahezu steif durcharrangiert. Das tut ihren erstaunlich frischen aggressiven Prop-Qualitäten jedoch keinen Abbruch. Die Kompositionen haben sich tendenziell eher auf ein bildfüllendes Motiv hin vereinfacht. Bekannt wurde Peter Saul in den Sechzigern mit psychedelisch multiplexer Hippiepopart, mit verwirrenden Kompositionen ein wenig wie postsurrealistisch flach gelutschte Flowcharts. Die Bilder der letzten Jahre zeigen jetzt mal einfach ein lustig mit Angstschweiß geflutetes Konterfei oder historische Sujets des zweiten Weltkrieg mit Stalin und Mao vereint im Kampf gegen deutsche Nazis. Die haben laut Peter Saul noch lange nicht genug auf den Deckel gekriegt. Innerhalb der erwähnten Hauptmotive ringen nach wie vor sehr vielteilig und amorph diverse Körperteiligkeiten und andere Symbolträger miteinander um den besten Platz im Bild beziehungsweise sorgen für interessant changierende Lesweisen des komplexen Bildgefüges.

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Sardanapalus / 2005 / Acryl und Öl auf Leinwand / 198×244 cm