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Goya, mon amour. Stefanie Kleefeld über Amelie von Wulffen im Portikus, Frankfurt am Main

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Amelie von Wulffen, „Am kühlen Tisch“, Portikus, Frankfurt am Main, Ausstellungsansichten. Fotos: Helena Schlichting

‚Irgendwie aus der Zeit gefallen’ – so in etwa könnte man den Eindruck beschreiben, der sich angesichts Amelie von Wulffens neuestem Arrangement aus Malereien und Mobiliar im Untergeschoss des Frankfurter Portikus einstellte. Die Vorstellung, man wäre auf seltsame Weise unversehens in die nächste Gemäldegalerie versetzt worden, kam nicht von ungefähr, denn auf den elf zumeist gleichformatigen Bildern, die auf gleicher Höhe im Kreis gehangen waren, sowie auf den sieben bemalten Stühlen, die in der Mitte des Raumes standen, tummelte sich ein ganzes Potpourri aus Stilen, Anleihen, Zitaten, Techniken und Sujets der neueren Malereigeschichte: Blumengebilde à la Georgia O’Keeffe, impressionistische Landschaftsmalereien, Fragmente von Stillleben, Selbstporträts, Gemälde in Spachteltechnik, Seidenmalerei usw. Angesichts dieser Melange schien die gesamte Stilfülle der vermeintlichen Gemäldegalerie hier geradezu in einem Raum zu kollidieren. Die einzelnen Motive, die sich je nach Wissenshorizont unterschiedlich schwer bzw. leicht auf ihr zitiertes Original zurückführen ließen, waren allerdings nicht separat aufgerufen, sondern collageartig in- und übereinander geblendet oder unvermittelt nebeneinander gesetzt. Hierbei gab es die wirresten Kombinationen: etwa einen überlebensgroßen Apfel der Sorte Granny Smith, der vor einer impressionistischen Segelboot-Szenerie zu schweben schien („Ohne Titel“, 2013). Mit Motiven dieser Art bediente sich von Wulffen jedoch nicht nur aus der Historie, sondern spielte auch auf das eigene Werk an. So rief der Apfel beides auf: Klassiker der Kunstgeschichte wie etwa René Magrittes Apfelbilder oder niederländische Stilllebenmalerei, aber auch ihre Gemüsezeichnungen, bei denen unter anderem ein solcher mit riesigem Rotweinglas unterm Arm in Begleitung einer Banane und einer Zitrone unterwegs ist.[1]

Von einem radikalen Nebeneinander beschriebener Art waren jedoch nicht alle der gezeigten Bilder gekennzeichnet. Obwohl sämtliche Arbeiten auf der Addition unterschiedlicher Motiv- und Stilfragmente basierten, fügten sich diese in einigen Fällen bruchlos ineinander. So war die Szene zweier in einer Gemäldegalerie sitzender und sich in Studien vor Originalen übender Damen beispielsweise in das sie umgebende Motiv - eine an Monets Seerosenbilder erinnernde vornehmlich grüne Fläche - regelrecht eingebettet („Ohne Titel“, 2013). Solch ein Ineinandergreifen von Welten, die eigentlich nicht zusammen gehören, sowie das Missachten von Größenverhältnissen oder Naturgesetzen rief denn auch weitere Arbeiten von Wulffens ins Gedächtnis, nämlich jene aus den Nullerjahren, bei denen sie fotografierte Details existierender Architektur mit Malerei verbunden und durch das Prinzip des Kombinierens sowie Weitermalens verschiedener Bildelemente geradezu surreale Raumszenarien geschaffen hat.

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Gespickt waren die Bilder mit Porträts von Malern, einer durchweg männlichen Versammlung von Größen der Kunstgeschichte: Max Beckmann, Vincent van Gogh, Gustave Caillebotte und Francisco de Goya. Wenngleich sich die Bilder zumeist an existierende Selbstporträts anlehnten, waren sie dennoch keine Kopien, sondern Variationen über diese. Gleich mehrmals hatte sich von Wulffen etwa an Goyas „Selbstporträt vor der Staffelei“ versucht. Das Originalmotiv von 1795 aufgreifend, zeigten auch ihre Versionen den Maler entsprechend des Titels mit Palette an der Staffelei, den Blick dem Betrachter zugewandt. Dass das Porträt jedoch durch von Wulffens Filter gegangen war, zeigten nicht zuletzt die ihm hinzugefügten Motive. Jenes Bild beispielsweise, welches sowohl in der Ausstellung als auch auf der Einladungskarte zu sehen war (ebenfalls „Ohne Titel“, 2013), wurde um zwei überdimensionale Bienen ergänzt, die auf der Bildoberfläche wie auf einer Postkarte zu sitzen schienen.[2]

Angesichts dieser Sammlung heterogener Motiv- und Stilfragmente stellten sich umgehend Fragen ein wie etwa „Was machen all diese Künstler in einer Amelie von Wulffen Ausstellung?“ Denn aufgrund der lebensgroßen Porträts schienen diese im Ausstellungsraum geradezu anwesend, so dass von Wulffens Bezugnahme auf sie über das übliche Verweisen und Referenzieren hinausging. Eine Etage höher, im Dachgeschoss des Portikus’, gab es zumindest den Ansatz einer Antwort. Dort erwartete den Besucher eine Diashow mit Reproduktionen von Zeichnungen, die das Autobiografische explizit zum Thema machten. Nachdem zuvor bereits ganze Ausstellungen von Wulffens genau um diesen Gegenstand gekreist waren, zeugten sie hier ein weiteres Mal von von Wulffens Faible fürs Exhibitionistische, Selbstironische und latent Peinliche.[3] So wurden auf ihnen vermeintliche Begebenheiten aus dem Leben aber auch mutmaßliche Phantasien und Ängste der Künstlerin thematisiert. Man sah sie beispielsweise den eigenen Namen googeln, bei Artfacts landen und erkennen, dass sich die Karriere gerade im Senkflug befindet.

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Auch Goya tauchte in den Zeichnungen wieder auf. Als Kollaborateure im Geiste zeigte eine aufgrund der eingefügten Sprechblasen an Comics erinnernde Serie ihn und von Wulffen durch das zeitgenössische Kunstfeld wandeln, die nächste Ausstellung der Künstlerin besprechen und über Stillleben und Malerei im Allgemeinen palavern. Man war sich allerdings nicht ganz sicher, ob von Wulffen einem so ganz nebenbei eine Lesart der Bilder an die Hand gab, wenn ihr gezeichnetes Ich Goya erklärte: „Ich greife also diese kalte bürgerliche Malerei auf und zerstückele sie erneut. So schaffe ich Fluchtwege, ich zersetze sie und kreiere Psychoräume“; oder ob es sich hierbei nicht viel eher um eine Persiflage darauf handelte, dass Künstler/innen heutzutage ihre Arbeiten diskursschwanger zu verkaufen haben.

Die Zeichnungen schienen aber auch an anderer Stelle eine Art Subtext für die Ausstellung zu liefern. Eine handelte etwa von dem für das Kunstfeld so typischen Gerangel um den richtigen Tisch beim Dinner danach. Nicht an eben diesem gelandet sitzt von Wulffen am falschen, muss nervige Gespräche über die Kulturmetropole Berlin über sich ergehen lassen und wünscht sich zu ihren Künstlerfreunden an den heißen Tisch. Die ausweglose Dämlichkeit der Situation aufzeigend, sowohl solche Gespräche führen zu müssen als auch wie in der tiefsten Pubertät zu den Coolen gehören zu wollen, gab die Zeichnung der Ausstellung ihren Namen: „Am kühlen Tisch“.

Angesichts des scheinbar reflexhaften Zwangs, dass, wie jüngst die von Susanne Pfeffer im Fridericianum kuratierte Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials[4] wunderbar gezeigt hat, zeitgenössische Kunst auf eine ganz bestimmte Weise auch wie zeitgenössische Kunst auszusehen habe, waren der latent muffige und angestaubte Eindruck der Malereien, der zuweilen etwas unbeholfene bis plumpe Stil der Zeichnungen, deren offensive Selbstbezüglichkeit sowie die nicht gerade hitverdächtigen Bezugnahmen von Wulffens – denn wer sieht sich schon im Zwiegespräch mit jemandem wie Goya – in ihrer Eigenständigkeit, Unaufgeregtheit und Haltung, eben nicht der jeweils aktuellen Form von Zeitgenossenschaft hinterher rennen zu müssen, geradezu erfrischend.

Amelie von Wulffen, „Am kühlen Tisch“, Portikus, Frankfurt am Main, 30. November 2013 – 2. Februar 2014

 


[1] In den letzten Jahren hat von Wulffen eine Vielzahl von Zeichnungen geschaffen, in denen sie neben Weingläsern, Tortenstücken, Eiswaffeln, Brezeln und Weißwürsten auch diverses Gemüse und Obst anthropomorphisiert und zu Protagonisten verschiedenster Geschichten gemacht hat. Sie alle verkörpern ganz spezielle Charaktere und sind in meist alltagsnahen, zum Teil geradezu grotesken Szenarien verwickelt – sei es nun das rauchende Weinglas, die Bier trinkende Brezel oder der am Lagerfeuer sitzende und Gitarre spielende Maiskolben. Die Zeichnungen weisen folglich nicht nur narrative Züge auf, sondern sind  auch von einem ganz speziellen Charme und Witz gekennzeichnet. Zu sehen waren Arbeiten dieser Serie etwa 2011 in der mittlerweile geschlossenen Galerie Alex Zachary in New York sowie 2013 in der Gruppenausstellung „Homes & Gardens“ bei Freedman Fitzpatrick, Los Angeles (vgl. Michaela Wünschs Besprechung in Texte zur Kunst, 93, 2014, S. 222-224).

[2] Eine weitere Variante besagter Porträts („o.T.“, 2012) war zwar nicht in der Ausstellung zu sehen, diente von Wulffen jedoch als Titelbild des in Kooperation mit dem Münchner Kunstverein zur Ausstellung erschienen Katalogs „Am kühlen Tisch“. Bei dieser Variante ist das Porträt mit bunten Farbklecksen überzogen, darauf sitzend ein riesiger Hirschkäfer.

[3] Zu erwähnen ist hier etwa die 2011 in der Berliner Galerie Crone gezeigte Ausstellung „Bitte keine heiße Asche einfüllen“, in der sich von Wulffen komplett dem eigenen Porträt gewidmet hatte. Vgl. hierzu Stefanie Kleefeld, "So Many Faces. Über Amelie von Wulffen in der Galerie Crone, Berlin", in: Texte zur Kunst, 78, 2011, S. 226-230.

[4] Zu sehen im Kasseler Fridericianum vom 29.9.2013 bis 23.2.2014; vgl. dazu Kerstin Stakemeier „Prothetische Produktionen. Die Kunst digitaler Körper“, in: Texte zur Kunst, 93, 2014, S. 167-181.