Vorwort
Es ist am Anfang immer leichter, ein Vorhaben durch negative Begrenzung zu charakterisieren. Uns geht es NICHT darum, die Mechanismen des Kunstbetriebs oder den Kunstdiskurs zu durchschauen, d.h. nach altem, ideologiekritischem Muster das, was sich DAHINTER verbirgt, den Verblendeten vorzuführen. Denn die Kritik an den Verhältnissen sorgt erfahrungsgemäß für ihre Intensivierung. Man sollte also versuchen, den kritischen durch einen anderen Ansatz zu ersetzen, der durch seinen Gegensatz - Affirmation - auch nicht richtig gekennzeichnet ist. Vielleicht wäre es eher die Vorführung von extremen Sachverhalten, die für sich sprechen und zum Begreifen der Verhältnisse beitragen?
Denn das auf der Hand Liegende ist oft viel aufschlußreicher, als das dahinter sich Versteckende. "Texte zur Kunst" wird aktuelle Kunstproduktion und kunstgeschichtliche Reflexion miteinander verbinden. Damit soll jenes Wecheselverhältnis zwischen Veränderung der künstlerischen Arbeitsweise und dem Wandel kunstgeschichtlicher Kategorien ins Bewußtsein gehoben werden, das einer richtigen, aber nur als Klischee tradierten Auffassung zufolge den Entwicklungshergang der Kunstgeschichte unterschwellig bestimmt hat. Das Klischee bring Wölfflin und den Impressionismus, Warburg und die kubistische Collage, Wiederentdeckung des Manierismus und expressionistische Kunstbewegungen zusammen. Für heute würde das heißen, daß das Interesse an Systemtheorie und Kontextforschung zu neueren konzeptuellen Ansätzen oder die Beschäftigung mit rezeptionsästhetischen Fragestellungen zu der seit Minimal üblichen Auseinandersetzung mit dem Betrachter in Beziehung gesetzt werden könnte. Solche Analogien sind vorschnell und produktiv gleich. Deshalb wird das Prinzip der Anschlußfähigkeit, die Möglichkeit, parallel laufende Entwicklungen aufeinander zu ziehen oder gerade im Kontrast von künstlerischer und kunsthistorischer Vorgehensweise die spezifische Differenz herauszuarbeiten, unser Programm bestimmen.
Uns wurde immer die Frage nach der Zielgruppe gestellt. Keine Zielgruppenuntersuchung kann darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei ihr um eine fiktive Größe handelt, die nur in Umfrageergebnissen existiert. Das Publikum wird in jeder, sich an ein Publikum richtenden Arbeit neu geschaffen. Wir setzen ein imaginäres Publikum voraus, das sich dann in ein reales verwandeln kann. Die von Frederic Jameson festgestellte "kulturelle Fragmentierung im Postkapitalismus" läßt die Vermutung zu, daß wir mit einer ausdifferenzierten und unterschiedlich spezialisierten Öffentlichkeit bereits rechnen können.
"Texte zur Kunst" sollte den Abstand verkürzen, zwischen dem Geheimtipp (eines Buches, einer Ausstellung, eines Kataloges, einer Theorie, einer Aussage) und dem simultanen Rezipieren der gleichen Sache von mehreren. Auf die damit einhergehende Gefahr einer „Vulgarisierung“ und inhaltlichen Entleerung ist oft genug hingewiesen worden. Sie ist gering, im Vergleich zu den Konsequenzen, die eine Nicht-Verteilung (eines Buches, einer Ausstellung, eines Kataloges, einer Theorie, einer Aussage) mit sich bringen würde.
Die Gegenüberstellung von "Avantgarde und Massenkultur" ist ein Paradigma der Moderne, die sich durch die Differenz zum "Niederen" erst konstituierte und für die eine Abhebung vom Kitsch Existenzgrundlage war. Genauso hat umgekehrt "die Theorie der Massenkultur, kommerziellen Kultur oder Kulturindustrie immer versucht, ihren Gegenstand gegen die sogenannte Hochkultur zu definieren, ohne den objektiven Gehalt dieses Gegensatzes zu reflektieren." (Frederic Jameson)
Hohe und niedrige künstlerische Praktiken stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander und lassen sich nicht mehr als Gegensatz, sondern nur noch als "bereits miteinander verwoben" begreifen. Produktion und Rezeption überschneiden sich in beiden Bereichen: Der Klassiker wird zum Trashfilm, das japanische Kaufhaus zeigt Galeriekunst aus Soho und ein Teil der Kunst-Öffentlichkeit ist gleichzeitig Horrorfilm-, Rockkonzert oder Fernsehserienpublikum.
"Avantgarde und Massenkultur" bezeichnet auch die Pole, zwischen denen die Arbeit von "Texte zur Kunst" angesiedelt sein soll: im künstlerischen und gleichzeitig in dessen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Unsere Produktion wird von der Überzeugung geleitet, daß beide Pole sich zwar voneinander unterscheiden, nicht aber trennen lassen, daß — wie T.J.Clark formuliert hat — noch das hermetischste Werk auf ein Publikum bezogen, und deshalb aus seiner sozialen Funktion heraus verstanden werden kann.