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VORWORT

Die seit Jahrzehnten diagnostizierte Krise der Kunstkritik betrifft zwangsläufig auch einen ihrer Grundpfeiler, die Rezension. Dass die Rezension in Schwierigkeiten steckt, lässt sich sowohl quantitativ als auch qualitativ beschreiben: So nimmt die Anzahl von Kunstrezensionen auf den Seiten überregionaler Tageszeitungen kontinuierlich ab. Ein Blick ins Archiv des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt beispielsweise, dass in den 1990er Jahren im Schnitt jährlich über 600 Ausstellungskritiken erschienen, in den Jahren vor der Pandemie waren es nur noch knapp unter 400. Auch lässt sich auf der qualitativen Ebene konstatieren, dass Besprechungen bildender Kunst, anders als beispielsweise Theaterkritiken, häufig streitbare Werturteile scheuen – was sicherlich auch mit der zunehmenden Prekarisierung des freiberuflichen Kunstkritiker*innenstands im Zusammenhang steht. Man will es sich nicht mit potenziellen Auftraggeber*innen verscherzen, möchte auch weiterhin zu Essen eingeladen werden und möglicherweise Aufträge für lukrativere Katalogbeiträge erhalten.

Als Kerngeschäft der meisten Kunstzeitschriften und Periodika haben sich Rezensionen dort, anders als im Feuilleton, nicht reduziert. Doch die strukturellen Veränderungen der letzten 30 Jahre machen sich auch hier bemerkbar: Gut begründete kritische Einwände treten hinter zunehmend affirmative Beschreibungen zurück. Diese Verschiebung thematisierte TEXTE ZUR KUNST bereits vor zwei Jahrzehnten mit einer als „Verriss“ betitelten Ausgabe oder zuletzt mit dem Blick auf kunstkritische Methodendebatten, in denen die Fragwürdigkeit eines universellen Werturteils diskutiert wurde. Seither hat sich der Befund einer gehemmten Urteilslust, zumindest was die Besprechung von Kunstausstellungen betrifft, konsolidiert: Viele Reviews gleichen in ihrem apologetisch-beschreibenden Duktus eher den in Galerien ausgelegten Ausstellungs- oder Pressetexten. Die Gattungsgrenzen zwischen Rezension, Katalogtext oder Künstler*innenporträt verschwimmen zusehends.

Um diesen Befund zu erklären, greift eine rein funktionalistische Perspektive auf die Rolle der Kunstkritik jedoch zu kurz. Denn eine solche Betrachtung lässt sowohl die Instrumente der Kunstkritik als auch die jeweils unterschiedlichen publizistischen Möglichkeitsspielräume der Rezension außer Acht. Auch die geänderte Medienlandschaft der letzten Jahre muss zur Erklärung herangezogen werden. So führt die Verlagerung von Reviews ins Internet und die damit einhergehende Verfügbarkeit dazu, dass professionelle Kritiker*innen vorsichtiger werden, negativ oder kontrovers zu urteilen – und zwar nicht mehr nur aus ökonomischen Zwängen heraus, sondern auch aus Angst vor möglichen Shitstorms und dem Verlust ihrer Reputation. Gleichzeitig lässt sich in den Kommentarspalten Sozialer Medien oder auf Blogs jedoch beobachten, dass schnelle Evaluierungen informierte Kritiken zu ersetzen drohen. Diese polarisierenden Meinungsbekundungen ohne theoretische Ambition stehen also einer methodisch fundierten Kritik gegenüber, die ihr Debattenpotenzial verloren zu haben scheint.

Angesichts der prekären Lage der Rezension ist es das Anliegen dieser Ausgabe, sich für diese historisch-spezifische Gattung starkzumachen und ihre Rahmenbedingungen genauer zu beleuchten. Was sind die Charakteristiken einer Review? Was kann oder soll sie leisten und welcher Methoden und Sprachspiele bedient sie sich? Grundsätzlich handelt es sich bei Rezensionen um versprachlichte Formen der kritischen Betrachtung, die einen kulturellen, öffentlich zugänglichen Gegenstand vorstellen, wertend behandeln und einordnen.

Wie sich ihr Wert generierendes Potenzial nicht zuletzt aufgrund neuer, digitaler Medien verschoben hat, ist Gegenstand eines Round Table zwischen Claire Bishop, Jarrett Earnest, Eva ­Hayward, Christian Liclair und Eric Otieno ­Sumba. Obgleich die Teilnehmenden auf die aktuellen Bedrohungen dieser Publikationsform sowie ihre Verstrickungen in den Kunstmarkt verweisen, betonen sie den produktiven Einfluss, den Entschleunigung, Zeichenvorgaben und die Anwesenheit eines (bezahlten) Redaktionsteams auf das kritische Denken der Rezensent*innen haben können. Abseits von Clickbait und polarisierender Thumps-Up/Thumps-Down-Rhetorik bietet das (professionelle) Rezensionswesen zudem einen Raum, in dem vorherrschende Wertmaßstäbe sowie fragwürdige ästhetische Konventionen und überholte kunsttheoretische Paradigmen auf den Prüfstand gestellt werden können. Zudem kann durch Rezensionen ein nachhaltiges Archiv jener künstlerischen Praktiken geschaffen werden, die von der klassischen Kunstgeschichtsschreibung mitunter übersehen oder marginalisiert werden.

Auch Peter Geimer stellt in seinem Beitrag die Produktivität heraus, die das Rezensieren für Publikationsorgane auf das kritische Denken der Schreibenden haben kann. Unterschiedliche Kunstmagazine implizieren ihm zufolge eine jeweils spezifische Leser*innenschaft – was es den Autor*innen möglicherweise abverlangt, den vertrauten Gegenstand anders zugänglich zu machen. Auch kann die vorausgesetzte Leser*innenschaft dazu anhalten, allgemein angenommene Methoden oder Grundannahmen neu aufzurollen. Wer etwa, so Geimer, TEXTE ZUR KUNST liest, erwartet von der Rezension einen theoretisch informierten Diskurs, der neben den Werken auch ihre institutionelle, ideologische oder ökonomische Einbindung thematisiert. Doch auch die Review selbst ist, so machen es die Beiträge in diesem Heft deutlich, in das Geschehen auf dem Kunstmarkt eingebunden; nicht nur, weil dem zu besprechenden Gegenstand oft ökonomische Überlegungen vorrausgingen, die ihn im öffentlichen Raum erst sichtbar werden ließen. Mehr noch wohnt auch der Rezension ein Wert generierendes Moment inne: Sie schafft einen Symbolwert, der sich unter Umständen in Marktwert transformieren lässt.

Um die Potenziale von Rezensionen als Textgattung aufzuzeigen, setzt sich diese Ausgabe von TEXTE ZUR KUNST fast ausschließlich aus Rezensionen zusammen. Wir haben die Autor*innen jedoch angeregt, im Rahmen ihrer Review deren Status, die verwendeten Methoden sowie ihre eigene Rolle als Rezensent*innen zu reflektieren. Auf diese Weise tritt zum einen die stilistische Mannigfaltigkeit der Rezensionen deutlicher hervor. Zum anderen weisen einige Autor*innen selbst auf die Spezifik dieser Textform für die (Kunst-)Kritik hin.

Letztlich wollen wir diese Ausgabe auch als eine Hommage an die Review verstanden wissen. Denn Rezensionen tragen nicht nur maßgeblich zur kulturellen und monetären Wertbildung von Kunstwerken bei. Sie bestimmen auch das Niveau der Diskurse innerhalb der Kunstwelt und bieten zudem ein Experimentierfeld, in dem theoretische, sprachliche oder methodische Verfahren erprobt werden können.

Sabeth Buchmann, Isabelle Graw, Antonia Kölbl, Christian Liclair, Anna Sinofzik und Beate Söntgen