An der Westküste des heutigen Kanada eröffneten in den 1970er Jahren zwei Museen, deren Gründung Voraussetzung für die Restitution von Teilen der sogenannten Kwakwaka’wakw-Potlatch-Sammlung war. Die komplexe Geschichte der durch die kanadische Kolonialpolitik sanktionierten Enteignung und die Bedeutung der Rückführung innerhalb der Kwakwaka’wakw-Gesellschaftsstruktur legt die Anthropologin Alexandra M. Peck in ihrem Beitrag dar und stellt dabei ein spezifisches Verständnis von individuellem Besitz und kollektivem Eigentum heraus. Als Requisiten und Insignien wechselten die einzelnen Objekte durch die Potlatch-Praxis regelmäßig ihre Besitzer*innen und gewannen mit jedem Mal an Wert. Diese innergesellschaftliche Mobilität hatte zugleich eine stabilisierende Funktion: Die Übergaben bezeugten wichtige politische wie private Vereinbarungen. Die Abwesenheit der Objekte sorgte für ein entsprechendes Ungleichgewicht – und ihre an Musealisierung gebundene Reintegration ist auch nach gut 50 Jahren nicht abgeschlossen.
Potlatching: die Aufführung und Bekräftigung von Rechtsansprüchen mittels materieller Kultur
Bei den vor der Zeit des Siedlerkolonialismus von den entlang der nordamerikanischen Nordwestküste praktizierten Potlatches versammeln sich entfernte Verwandte, um Rechtsansprüche zu bekräftigen, besondere Ereignisse zu begehen, Eigentum zu übertragen, Rechtsverletzungen zu beheben und politische Autorität auszuüben. Diese Versammlungen sind auf Zeug*innen angewiesen, die das Geschehen beobachten und, falls Skeptiker*innen die Richtigkeit von Ansprüchen in Zweifel ziehen sollten, die Vorgänge in allen Einzelheiten nacherzählen können. Im Gegenzug werden die Gäst*innen reich mit materiellen Gütern – Kupferschilden, Wolldecken und geschnitzten Masken – beschenkt. Als eine Form des „Kampfes mit Eigentum“ verlangt der Potlatch Gegenseitigkeit und symbolische Aggression; der Wettstreit der Geschenke ist ein wesentlicher Aspekt des Events, bei dem gesteigerte Großzügigkeit höheren Status widerspiegelt und die Dankesschuld anderer sichert. Objekte, die beständig zirkulieren, erfahren eine Wertsteigerung und dienen als Gedächtnisstütze, anhand derer Zeug*innen sich Ereignisse ins Gedächtnis rufen.
Bei den Potlatches der Kwakwaka’wakw dienen Requisiten und Würdeabzeichen dazu, den jeweiligen Teilnehmer*innen ein uraltes Erbe zu überliefern. In aufwendigen Darbietungen mit Falltüren, Puppen und Pyrotechnik kommen Geschichten, Gesänge und Tänze zur Aufführung, die verschiedenen Abstammungslinien (‘Na’mima) gehören. Jedes ‘Na’mima geht auf eine*n spirituelle*n Vorfahr*in zurück, der*nen Angehörige über besondere Rechte verfügen, die in unterhaltsamen Vignetten vermittelt werden. Das Erbe eines ‘Na’mima umfasst materielle wie immaterielle Werte, die treuhänderisch für zukünftige Generationen verwahrt werden, wobei alle Vorfahren und Nachkommen gleiche Anteile halten. Dieses Modell trotzt Vorstellungen von Privateigentum oder Erbschaft, die die Betonung auf das Individuum legen. In dramatischen Nachstellungen namens Nuyumbalees – „Geschichten vom Anfang der Welt“ – erklärt jedes ‘Na’mima die eigenen ererbten Rechte, verwahrt Ansprüche gegen Übergriffe oder überträgt Vorrechte auf andere. Als kulturelle Werkzeuge signalisieren Masken, Kopfschmuck und Rasseln Rechts- sowie Eigentumsansprüche. Ohne diese Besitztümer gerät die gesellschaftliche Ordnung der Kwakwaka’wakw leicht aus dem Gleichgewicht. Wie Chief Harry Assu (1905–1999) erklärte: „Bei unseren Leuten redet man nicht darüber, welche Rechte […] man hat; man […] zeigt es ihnen in einem Potlatch.“
Der Indian Act und das Potlatch-Verbot
Obwohl die kanadischen Siedlerkolonialist*innen viele Aspekte des Lebens der Indigenen Gesellschaften nicht verstanden, erkannten sie die Bedeutung des Potlatch für die Kwakwaka’wakw. Aus ihrer „aufgeklärten“ Perspektive war er ein Beleg für die „Haltlosigkeit“ und „Sittenlosigkeit“ der Indigenen. Die eigenen Besitztümer restlos unter dem Publikum zu verschenken, passte nicht zum Aufbau von Vermögen durch Leistung im Kapitalismus; die eine ganze Woche dauernden Potlatch-Feste erschienen als unverdiente Ferien, die die Teilnehmer*innen davon abhielten, in der kapitalistischen Wirtschaft zuverlässig bezahlter Arbeit nachzugehen. Nicht eingeweihten Siedlerkolonialist*innen, die Potlatches beobachteten, erschienen sie als lärmende, protzige, rauschhafte Veranstaltungen, an denen der Versuch, die Kwakwaka’wakw in „zivilisierte“ christliche Subjekte zu verwandeln, zu scheitern drohte.
1876 erließ Kanada den Indian Act, ein umfangreiches Gesetzespaket, das Indigenen unter anderem das Tragen kultureller Würdeabzeichen, die Teilnahme an Wahlen, das Sprechen ihrer Erstsprache und das Einwerben von Spenden für Rechtsbeistand verbot. Eine Bestimmung des Gesetzes verbot auch Potlatches; auf Darbietungen und Versammlungen in größerer Runde und den Austausch von Geschenken stand die Freiheitsstrafe. Die Tradition wurde im Untergrund weitergeführt, indem Potlatches als Feiertagsveranstaltungen (etwa zu Weihnachten) getarnt wurden, um von ihren Indigenen Bezügen abzulenken. Sie aufzugeben hätte bedeutet, den Verlust von wichtigen Bindungen an die Vergangenheit und ererbten Vorrechten – Elementen, die symbolisch für das Wesen der Kwakwaka’wakw-Gesellschaft standen – zu riskieren.
Die Ursprünge der Potlatch-Sammlung
1921 lud Chief Dan Cranmer (1885–1959) zum größten Potlatch ein, an den sich die teilnehmenden Kwakwaka’wakw erinnern konnten. Mehr als 400 Gäst*innen wohnten dem fast eine Woche andauernden Ereignis bei; die Zeug*innen wurden großzügig vergütet. Jener Potlatch war keine Festveranstaltung, sondern ein Verwaltungsakt: Cranmer hatte sich von seiner Frau Emma getrennt und musste gemäß den Gesetzen der Kwakwaka’wakw Vermögenswerte und Vorrechte an Emmas Familie zurückgeben. Als freigebiger Gastgeber, der seinen gesetzlichen Pflichten nachkam, hatte Cranmer das gesamte Eigentum seiner Ex-Frau zurückerstattet und sich von den meisten seiner Besitztümer getrennt. Wie an diesem Potlatch zu erkennen ist, war die Idee einer solchen Rückgabe – wie die des Eigentums – den Kwakwaka’wakw nicht fremd. Vielmehr war Restitution eine tragende Säule ihrer Gesellschaft.
Die kolonialen Behörden schritten schnell ein und klagten beinahe 45 Teilnehmer*innen an. Manche bekannten sich schuldig, während andere argumentierten, dass kanadische Gesetze keine Geltung im Hoheitsbereich der Kwakwaka’wakw hätten. Die nunmehr als Straftäter*innen Gebrandmarkten hatten die Wahl zwischen Gefängnis oder Haftverschonung im Gegenzug für die Herausgabe der Potlatch-Gegenstände ihres Dorfs. Viele wählten die Freiheit und sahen zu – „weinend, als wäre jemand gestorben“ –, wie ein mit Masken, Gefäßen und Würdeabzeichen beladenes Schiff am Horizont verschwand. Harry Assu erinnerte sich an das Klagen seiner Stammesältesten: „‚Jetzt ist alles verloren. Wir können genauso gut heimkehren‘. Wenn wir von ‚Heimkehr‘ sprechen, meinen wir das Sterben.“ Die Potlatch-Teilnehmerin Agnes Alfred (1890–1992) versuchte, die traumatische Erfahrung aus der Perspektive der Kwakwaka’wakw zu begreifen, und bemerkte: „Wir waren frei, weil […] die Masken für unsere Entlassung aus dem Gefängnis bezahlt hatten.“
Cranmer hatte nicht kommen sehen, dass die Versammlung, bei der Eigentum rechtmäßig übertragen werden sollte, zur (il)legalen Beschlagnahmung von über 650 Potlatch-Gegenständen führen würde, der Entstehung der berüchtigten kanadischen „Potlatch-Sammlung“. Sogenannte Indian Agents präsentierten sie in der anglikanischen Kirche in der Kwakwaka’wakw-Gemeinde Alert Bay und kassierten Eintrittsgelder von Tourist*innen, Anthropolog*innen und Sammler*innen, die die schier überwältigende Anhäufung von konfiszierten Objekten sehen oder fotografieren wollten. Sehr bald verließen Stücke aus der Potlatch-Sammlung das Gebiet der Kwakwaka’wakw: Ausgesuchte Masken wurden durch Sammler*innen erworben, an Museen in aller Welt gespendet oder an andere Institutionen verkauft. Wie die Ehe der Cranmers zerbrach auch die Potlatch-Sammlung.
Beschlagnahmung versus Sammlung?
Die koloniale Geschichte der Potlatch-Sammlung spiegelt ein den Indigenen Gemeinschaften der Zeit vertrautes Phänomen wider: den Exodus ihrer materiellen Kultur aus lokalen Kontexten in Museen. Frühe Anthropolog*innen betrieben Salvage Ethnography, das Sammeln von „Artefakten“ von Indigenen Kontakten, deren Gesellschaften als dem Untergang geweiht galten. Die Beamt*innen, die die Potlatch-Teilnehmer*innen strafrechtlich verfolgten, strebten jedoch ein ganz anderes Ziel an: Sie wollten den kulturellen Niedergang vorantreiben. Führende Vertreter*innen der Kwakwaka’wakw waren sich dieses Gegensatzes bewusst und hießen den Urvater der Anthropologie, Franz Boas (1858–1942), willkommen, solange er nicht
„unseren Tänzen und Festen Einhalt gebietet […]. Wir wollen niemanden hier haben, der unsere Gebräuche stört […]. Ein strenges Gesetz heißt uns unser Eigentum unter unseren Freunden und Nachbarn verteilen. Es ist ein gutes Gesetz. Möge der weiße Mann nach seinem Gesetz leben, wir werden nach unserem leben.“
Aus der Sicht der Kanadier*innen war die Potlatch Collection eine in einem heldenhaften Kampf nach Maßgabe des Indian Act zwischen Kwakwaka’wakw und nicht Indigenen Behörden errungene symbolische Trophäe. Den Objekten kam nun ein erhöhter Status zu, nicht wegen ihrer Bedeutung für die Indigenen, sondern wegen ihrer Rolle in der kanadischen Geschichte. Ironischerweise war die Sammlung ein materieller Beweis dafür, dass die Kwakwaka’wakw gerade nicht vom Siedlerkolonialismus ihrer Eigenständigkeit beraubt worden waren und auch nicht die von Anthropolog*innen beschriebene verschwindende Race waren. Dennoch leistete die Art ihrer Entstehung – die massenhafte Beschlagnahmung von Objekten weitgehend ohne Rücksicht auf ihre Eigentümer*innen, Schöpfer*innen oder Bedeutungen – der Vorstellung Vorschub, es handle sich um uralte Relikte, deren Ursprünge sich im Dunkel verloren, und nicht um Besitztümer der Kwakwaka’wakw der Gegenwart. Die absichtliche Unkenntnis der Provenienz stand im Einklang mit der Theorie der Salvage Ethnography der Anthropolog*innen: Wenn es sich fügte, dass die ehemaligen Besitzer*innen der Potlatch-Sammlung „verschwunden“ waren, gab es schließlich keinen Anlass, das Eigentum einer ausgestorbenen Kultur zurückzuführen.
Die Potlatch-Sammlung heute
Derzeit betreiben die Kwakwaka’wakw zwei Museen, das U’mista Cultural Centre und das Nuyumbalees Cultural Centre. Beide wurden in den 1970ern gegründet, um eine Bedingung für die Rückkehr einer Mehrzahl der Objekte aus der Potlatch-Sammlung aus Museen in aller Welt zu erfüllen. Die Namen der Einrichtungen verweisen auf Vorstellungen von Eigentum und Rückführung: U’mista bezeichnet bei den Kwakwaka’wakw die wohlbehaltene Heimkehr von etwas, während Nuyumbalees sich auf Potlatch-Melodramen bezieht, in denen gemeinschaftlich gehaltene Rechte vermittelt wurden. Auch wenn über die bewegte Geschichte der Potlatch-Sammlung viel geschrieben worden ist, sind die Folgen der Rückführung für die Kwakwaka’wakw-Gemeinschaften und die Rollen, die die Objekte heute spielen, noch wenig erforscht.
Historisch galten die Potlatch-Ausstattungen als lebende Wesen, deren Energie sich zu erschöpfen drohte, wenn sie nicht zwischen Potlatches ruhen durften. Doch die Rückführung der Sammlung an das U’mista und das Nuyumbalees hat Folgen für die Behandlung der Gegenstände. Die Masken werden nicht mehr verpackt und eingelagert, um ihre heilige Kraft zu erhalten. Stattdessen werden die Objekte in diesen zwei Indigenen Museen – die für ihre Rückführung eingerichtet wurden – zwar ausgestellt, aber merkwürdigerweise ohne aussagekräftige Beschilderung oder Beschriftungen, die ihre Funktionen in der Kultur der Kwakwaka’wakw erläutern würden. Da die Museen Indigene wie nicht Indigene Besucher*innen ansprechen, fragt man sich, ob diese Abwesenheit öffentlich zugänglicher Informationen über die Sammlungen ein Versuch sind, den kolonialen Blick zu unterlaufen. Die auf kleinen Sockeln ausgestellten Masken stehen stumm da und beobachten mit hervortretenden Augen und weit geöffneten Mündern die Besucher*innen, die die Objekte ohne tiefere Kenntnis ihrer Bedeutung in Augenschein nehmen. Dieses institutionelle Schweigen stellt eine Indigene Form der Verweigerung dar: Manches Wissen der Kwakwaka’wakw soll, so scheint es, vertraulich bleiben, auch wenn die Gegenstände selbst jetzt einen profanen Ort einnehmen.
Mit Blick auf die Vergangenheit der Potlatch Collection bemerkte die Kwakwaka’wakw-Anthropologin Gloria Cranmer Webster (1931–2023), dass es, nachdem die Gegenstände „so lange an einem fremden Ort [nicht Indigenen Museen] […] eingesperrt waren, falsch schien, sie wieder einzusperren“. Doch die Präsentation von Potlatch-Objekten im U’mista und Nuyumbalees ist komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Sie werden zwar weiterhin in Museen (wenngleich anderer Art) verwahrt, bekommen jedoch Gelegenheit zu zirkulieren, ein Prozess, der historisch den Wert von Potlatch-Gütern steigerte. Im Jahr 2011 ermöglichte das U’mista zum Beispiel einen befristeten Austausch mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden; weniger weit reisen die Gegenstände, wenn Eigentümer*innen aus der Kwakwaka’wakw-Gemeinschaft sie ausleihen, um Potlatches durchzuführen oder Nachbildungen anzufertigen. Von ihrer dunklen Vergangenheit befreit, bleibt die Sammlung mit ihrer eigenen Handlungsmacht ein aktives Mitglied ihrer Gemeinschaft und lässt die Kwakwaka’wakw darstellen, „welche kulturellen Vorrechte ihnen zukommen und welche Gesänge, Tänze und Legenden sie feiern können“. Insofern Potlatch-Objekte durch die Interaktion mit Menschen bestimmt sind, erfüllt diese Resozialisierung auch ihre Identität mit neuem Leben und untermauert so die Überzeugung, dass Gegenstände ihre eigenen Lebenswege und Erfahrungen in sich tragen.
Darüber hinaus regen Rückführungen auch die Wiederbelebung bestimmter kultureller Praktiken an, wie bei von U’mista anlässlich der Rückgabe fehlender Objekte veranstaltete Potlatches deutlich machen. Der von Chief Mungo Martin (1879–1962) ausgerichtete erste legale Kwakwaka’wakw-Potlatch im Jahr 1952 (das Verbot war 1951 aufgehoben worden) musste ohne Gegenstände aus der Sammlung stattfinden, die erst ab den 1970ern zurückgeführt wurden; einige werden bis heute vermisst. Wenn ehemals fehlende Objekte bei heutigen Potlatches wieder eingeführt werden, rufen sie die „dunklen und schwierigen Zeiten“ in der Geschichte der Kwakwaka’wakw in Erinnerung und setzen Emotionen frei, die aus Scham oder Wut lange unterdrückt wurden. Diese Objekte wieder einzubinden ist eine kathartische Erfahrung und erlaubt es zugleich, Persönlichkeiten der Kwakwaka’wakw aus Geschichte und Gegenwart zu ehren und ererbte Rechte physisch zu vergegenwärtigen.
Gleichzeitig wirft die Rückführung der Potlatch-Sammlung Fragen zum rechtmäßigen Erbe der Kwakwaka’wakw auf; einst zum Schweigen gebrachte Besitztümer tun nun hartnäckig ihre eigenen Auffassungen kund. Da die Objekte traditionell mit besonderen gesellschaftlichen Gruppen oder Familien verbunden waren, beanspruchen bestimmte Gruppierungen innerhalb der Gemeinschaft ausgewählte Gegenstände für sich, was mitunter Konflikte zutage treten lässt. Das U’mista spielt solche Auseinandersetzungen herunter und hebt stattdessen das Potlatch-Verbot und die kanadische Geschichte der Diskriminierung Indigener hervor. Das Nuyumbalees dagegen unterstreicht Rechte und gesellschaftliche Rangunterschiede; in den Ausstellungen gezeigte Familienfotos stellen Verbindungen zwischen den zurückgeführten Materialien und bestimmten Familienoberhäuptern her, um Vorwürfen falscher Eigentumsansprüche entgegenzutreten. Ausstellungstexte erinnern in vorsichtig gewählten Worten daran, dass, als Führungsschichten durch „Krankheit, die Bekehrung zum Christentum und die Androhung von Freiheitsstrafen“ ihren Rang verloren, „einfache Leute sich rechtswidrig der Stellungen entfernter Verwandter bemächtigten“. Diese Aussage bringt das Museum als Autorität in Stellung und suggeriert, dass manche Nachfahren von Kwakwaka’wakw kein legitimes Anrecht auf Potlatch-Gegenstände hätten. Andererseits ist das Museum bedacht, nicht direkt und gezielt Beschuldigungen zu erheben, was den großen Wert widerspiegelt, den die Kwakwaka’wakw dem mit hohem Rang verbundenen Anstand beimessen. So setzt das Museum dem Bild von Indigenen Gemeinschaften als egalitär oder harmonisch eine Verdeutlichung der „legendären Vielfalt der Kwakwaka’wakw und ihrer Debattenkultur“ entgegen.
Im Einklang mit Victor W. Turners Modell des sozialen Dramas (eines vierstufigen Prozesses) hat die Potlatch-Sammlung den berüchtigten Indian Act (Bruch oder Störung), den gewaltsamen Verlust ihrer rechtmäßigen Heimat bei den Kwakwaka’wakw (Krise) und die Rückführung aus verstaubten nicht Indigenen Museumssammlungen in dynamische Indigene Kulturzentren (Wiedergutmachung) überlebt und durchläuft nun einen Prozess der Resozialisierung in der Gemeinschaft (Wiedereingliederung). Auch wenn die Geschichte der Potlatch-Sammlung im 20. Jahrhundert zweifellos die Haltung der Kwakwaka’wakw zu Eigentum und Materialität mitprägt, sind die Gegenstände für sie von breiterer und tieferer Bedeutung. So wie ‘Na’mima-Besitztümer Eigentum der Vorfahren in der Vergangenheit und zukünftiger Generationen sind, wird auch die Potlatch-Sammlung nicht ausschließlich durch ihren gegenwärtigen Zustand bestimmt. Unter den Kwakwaka’wakw sind die Objekte lebende Wesen, in denen sich die Erfahrungen, Traumata und Freuden eines langen Lebens verdichten. Die durch die Beschlagnahmung 1921 und die Folgen des Siedlerkolonialismus angerichteten Schäden sind nicht zu leugnen. Aber sie sind doch nur ein – kein alles andere überschattendes – Kapitel in der Geschichte der Kwakwaka’wakw, die von unvordenklichen Zeiten bis in die Gegenwart reicht. Die jüngsten Wirrungen um die Potlatch-Sammlung bilden nur einen Aspekt ihrer facettenreichen Identität. Als komplexe Objekte, die in die Obhut immer wieder anderer Familien gegeben werden und deren wirtschaftlicher Wert sich fortwährend wandelt, haben diese widerstandsfähigen Kostbarkeiten vielfältige (und manchmal widerstreitende) Bedeutungen, die aus ihren vergangenen, heutigen und sogar zukünftigen Lebenswegen erwachsen.
Übersetzung: Gerrit Jackson
Alexandra M. Peck ist Inhaberin des ersten Audain-Lehrstuhls für Historical Indigenous Art am Department of Art History, Visual Art and Theory der University of British Columbia. In ihrer Forschung verbindet sie Museumswissenschaft, Anthropologie und Archäologie, um die vielfältigen Bedeutungen der präkolonialen Kunst der amerikanischen Nordwestküste hervorzuheben, die von Totempfählen über Wollwebereien bis hin zu altertümlichen Steinwerkzeugen reichen. Zuvor war sie Gastwissenschaftlerin für Indigenous Studies am Institute for Advanced Study der University of Minnesota, nachdem sie 2021 an der Brown University in Anthropologie promoviert wurde.
Image credit: 1. Public domain, photo Edward S. Curtis; 2. Public domain / Vancouver Public Library, photo Albert Paull; 3. Courtesy of U'mista Cultural Centre, Alert Bay, B.C. CANADA, photo Vickie Jensen; 4. Metropolitan Museum of Art, photo Pierre-Selim Huard; 5. Public domain; 6. Courtesy of Christopher Grabowski
Anmerkungen