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„VIEL ZU SÜSS OHNE DICH“ – DIE LIEBE IM ERNSTFALL Sandra Grether über „Endlich tut es wieder weh“ von Elif

Elif, „Bomberjacke“, 2022, Setfoto

Elif, „Bomberjacke“, 2022, Setfoto

Drei Jahre nach ihrem letzten Studioalbum „Nacht“ veröffentlichte die Berliner Sängerin und Songwriterin Elif 2023 mit „Endlich tut es wieder weh“ nun ihr viertes. Wie bereits ihre vorherige Platte handelt auch diese von Verlusten, doch vorbei ist die Zeit der Lähmung und Erschöpfung. Es tut wieder weh, und das ist nicht schlimm; der Schmerz ist heilend und produktiv – und Elif nimmt uns mit durch die verschiedenen Phasen dieser Empfindung, resultierend aus Liebeskummer, drängenden Zugehörigkeitsfragen, aus Brüchen, Verletzungen und Neuanfang. Für die Autorin und Musikerin Sandra Grether liegt ein kathartisches Moment im unkontrollierten Ausagieren von Schmerz, das sich im Falle von Elif in einem der eindringlichsten, tiefgreifendsten und bemerkenswertesten Alben des vergangenen Jahres materialisierte.

Mit Endlich tut es wieder weh von Elif ist bereits im Frühjahr 2023 das stärkste Deutschtrap-Album des vergangenen Jahres erschienen. In einem Jahr, in dem deutschsprachige Trap-Rapperinnen und genreverwandte Hyper-Pop-Sängerinnen wie Elli Preiss, Wa22ermann oder Mariybu ähnlich reimdicht, welthaltig in der Weitsicht und berührend in der Momentaufnahme abgeliefert haben, ragt dieser vierte Longplayer der Berliner Musikerin noch mal weit hinaus. Das Motto des Albums könnte lauten: „Die Liebe im Ernstfall“. Elif beherrscht das abgründige Liebeslied mittlerweile wie keine der anderen Sänger*innen in ihrem Genre. Vielleicht weil die Beziehung zu ihrem Ex-Freund, von der so viele der Stücke handeln, sie zuvor so beherrscht hat. Ihre Lieder kommen nicht in dem für Teenie-Trap üblichen, dem oder der Ex oder Affäre noch einen Mittelfinger hinterherschickenden Gestus daher. Die Tracks gehen vielmehr wie erwachsener Soul durch die verschiedenen Phasen des Schmerzes hindurch, bleiben aber musikalisch ganz klar der Stilistik des Traps und des Deutschraps verhaftet, wenngleich es auch hier einen durchgängigen Bruch mit dem Genre gibt: Ihre Songs sind so melodienreich wie guter britischer Pop, und es gibt mehr gesungene Stellen als gerappte.

Aber der Reihe nach: Gleich zu Beginn alles verschleudern, ganz ohne Sinn und Verstand, im besten Sinn: Im Opener und Titeltrack „Endlich tut es nicht mehr weh“ fasst die Sängerin bereits alle Schmerzensmotive zusammen, die uns in den kommenden 15 Songs erwarten. Die Issues der 1992 als Tochter türkischer Einwanderer*innen in Berlin geborenen Elif Demirezer purzeln durcheinander wie die aufgewühlten Emotionen einer verliebten Person, der es schwerfällt, loszulassen, werden dabei aber auch pointiert auf den Punkt gebracht; schließlich ist sie eine extrem versierte Songwriterin, die sich bereits im Alter von 16 Jahren mit einem selbst komponierten Song bei der achten Staffel der ProSieben-Castingshow „Popstars“ bewarb – und Zweite wurde!

Sie sei halt immer wach, auch wenn alle anderen schlafen, feiert Elif sich selbst im besagten Titeltrack. Keine Ruhe mehr. Die Fans wissen längst: Ihr doch egal, ob man sie liebt oder hasst! Beim Blick nach oben denkt sie daran, was die Mama mal gesagt hat: Musst nur weitergehen, du bist doch schon so weit gekommen. Hey ja. Gewinnerin sein, aber keinen Plan haben; nur einen luziden siebten Sinn. Liebeslieder schreiben, an den allerletzten Tag des Lebens denken. Auf die Fresse fliegen fühlt sich an wie fliegen. Der hässlichen Wahrheit mitten ins Gesicht schauen, sich selbst vermisst haben. Elif trägt für immer Schwarz. Und dafür steht bei ihr die Mitternacht. Ihre liebste Tageszeit. Sie sieht die Lichter ihrer Stadt.

Ein Einstieg wie ein lückenloses Inhaltsverzeichnis. Für den Fall, dass es schnell gehen muss, oh, oh ja. Und es muss ja immerzu schnell gehen, im Trap, dieser Musikrichtung, die aus Abkürzungen und Anglizismen eine ganz eigene Poesie der Lebenslust kreiert hat. Vielleicht auch, um die dadurch gewonnene Lebenszeit ins Extreme zu steigern. Im Rausch, beim Chillen. In der verlorenen Kindheitssentimentalität „Jetzt trinke ich die letzte Capri-Sonne allein. Viel zu süß ohne dich“, wie es im Song „Beifahrersitz“ heißt. Und bei der Erinnerung ans Kiffen: sich noch mal umdrehen im Bett, zugedröhnter Kopf – und trotzdem High Life.

Oder anders gesagt, das einzige was Trap-Sängerinnen wie Elif oder Wa22ermann von den Halbstarken vergangener Jahrzehnte trennt: Die Frauen dieser Generation würden niemals per Anhalter durch die Galaxis fahren, denn sie sind mehr als nur gewarnt vor Männergewalt. Und am liebsten bleiben sie eh im Bett oder in Berlin. Aber sie nehmen dich mit, wenn sie zum Späti am Maybachufer stolpern. Kaugummi-Ritt. Die Hi-Hats auf den Zweiundreißigstelnoten, die Artikel der Worte verschluckt. Vielleicht auch einfach, weil es im Türkischen keine Artikel gibt und das in der deutschen Sprache ganz klar nachmodelliert werden will. (Was auch für Rapperinnen gilt, deren Eltern nicht in der Türkei geboren sind.) Philosophisch werden beim Umfallen: Nach jedem Tiefpunkt fängt etwas Neues an. Wissen wir doch alle, jaja. Die Umgebung wie unter einem Brennglas wahrnehmen, weil man eigentlich mit den Gefühlen ganz woanders ist, wie in Elifs Single-Hit „Bomberjacke“: „Der Boden bebt, wenn die Straßenbahn rollt / Die Tauben fliegen, ich bin ohne dich / Hab das Gefühl, dass mich ein Schatten verfolgt. / Seh’ in die Gassen, frag’ mich, wo du bist.“

Elif, „Endlich tut es wieder weh“, 2023, Albumcover

Elif, „Endlich tut es wieder weh“, 2023, Albumcover

Elif hat keine Angst vor dem Schmerz. Wenn es wehtut, dann gerät etwas in Bewegung, und das ist gut! Sie ist ja Trapperin mit Affinität zur Gitarre, und da muss man irgendwie beides: sich nicht triggern lassen wollen und durchdrehen können. Bei Rockmusik geht es ja seit jeher darum, wie in einer Katharsis auch den traumatischen Schmerz auszuhalten, statt eine Triggerwarnung auszurufen. Der Albumtitel Endlich tut es wieder weh kann somit auch als subtile Kampfansage an ihre Generation Y verstanden werden. Zwar ist das Zulassen von Emotionen für die Gen Y zentral, aber das Bedürfnis, den Schmerz unkontrolliert auszuagieren, eher nicht. Sie sei Metal- und Rock-Fan, weil sie es mag, „dass man die Wut der Artists in ihrer Musik heraushören kann“, gab Elif denn auch im Interview mit der Schweizer Hip-Hop-Plattform Lyrics Magazin zu Protokoll. [1] Auf dem Vorgängeralbum Nacht von 2020, auf dem sie ihre Verwandlung von der eher spießigen Deutschpop-Sängerin zur empowernden Credibility-Rapperin vollzog, gibt es den Song „Gitarre“, in dem sie das Gitarrespielen zu ihrer Geheimwaffe erklärt.

Der Emo-Touch von Grunge ist als Weltschmerz in ihre Neuerfindung von Deutschrap meets Trap-Sound eingegangen. Bei Elif ist noch Identitätsschmerz dabei. Hin- und hergerissen zwischen Glaube und sexpositivem Leben, was sie im mitreißenden Song „Himmel“ thematisiert. Elif sagt, sie habe viele Jahre lang ihre türkische Seite ignoriert. Und auch über Konflikte mit dem konservativen Elternhaus habe sie nicht geredet. Kann man Party machen, rauchen, trinken, lieben, wen man will, offensiv leben und gleichzeitig gläubig sein? Ja, das geht, war die Antwort, nachdem sie eine längere Krise überwunden hatte, Therapie included. Die Offenheit, mit der sie heute über diese Identitätskrisen spricht, verbindet sich in ihrem Auftreten mit einem neuen Hang zu Gothic, zu schwarzer Kleidung, zum Düsteren, zum Rock, wenn sie im Song „Himmel“, der sinnigerweise in der Mitte der neuen Platte platziert ist, eine Meditation über den Tod mit Fragen darüber, welche Lebensweise denn nun die richtige sei, verbindet. Stellvertretend für die Welt fragt sie gleich mal bei Gott nach, ob sie sie selbst sein darf. „Ist der Himmel für mich da? / Ist da irgendwo ein Platz für mich? / Ist meine Seele wirklich schwarz? / Oder bin ich einfach ich? / Denn was andres kann ich nicht …“ Man kann das ein bisschen klischeemäßig finden, wie sie in dem Song durchgängig die Himmelsmetapher verwendet. Aber Elif bringt in ihrer Stimme, die aus Nachhall und Nachdruck besteht, glaubhaft ein beklemmendes Gefühl rüber, wenn sie singt: „Weißt du, nach diesem Leben. Will ich dahin, wo Mama jetzt ist.“ Das sorgt für Gänsehaut, wie sie die Trauer, den Glauben und den Wunsch, es den Eltern recht zu machen und sich selber treu zu bleiben, in so einen Song packt, mittenrein in diese big Liebeskummer-Platte.

Hildegard Knef funkt aus dem Himmel zurück, als müssten die spießigen 50er Jahre immer wieder neu überwunden werden. Die gelegentlichen Flatterbewegungen, mit denen die auch gesanglich eloquente Elif die Buchstaben „e“ und „a“ zu einer Pulsation verzieht wie ein Fragezeichen, verbinden sich mit dem Sound des Klaviers – sehr stark auch, wenn sie türkische Gebetszeilen einfließen lässt.

Bevor der Song „Himmel“ als siebter Track um Erbarmen fleht, ist man mit Elif schon durch die Gassen Berlins gelaufen, hat die Phasen von Traurigkeit und Trauer mit denen durchlitten, die von der großen Liebe verlassen wurden. Wie erstarrt zum Beispiel in „Bomberjacke“, dem ersten Song nach dem Opener: „Ich glaube, dass dein Geist gestern wieder in der Gegend war, / Straßenlichter färben Asphalt wieder Sepia“ – dieser Track offenbart Elifs Songwriting-Talent. Dichte Beschreibungen, übermütige Metaphern, Dreier- und Vierer-Reimketten, Binnenreime. Die Erzählerin läuft „alleine durch die Stadt in der / Bomberjacke / es ist November, doch nicht kalt in der / Bomberjacke / Wenn ich sie trag, sind wir zusammen, fehlen nur 21 Gramm / Früher war da deine Hand, in der / Bomberjacke“. Die Bomberjacke hält warm. In Watte gepackter Schmerz. Der Song funktioniert auch als moderne Berlin-Hymne. Berlin, schon längst nicht mehr die Stadt der Slacker und Tagediebe, kann es heute in punkto Leistungsdruck locker mit New York City aufnehmen. „Die Stadt, die niemals schläft, jeder unter Leistungsdruck / Das Patch am Arm ist fast kaputt, so wie mein Reißverschluss.“ Das beobachtete Leben nur eine Variation des großen Schmerzes von Verlust und Vermissen. „Türkische Mädchen setzen nach der Party Kopftuch auf / Den Schmerz erträgt man nur, wenn man noch an die Hoffnung glaubt.“

Es geht weiter mit „Beifahrersitz“. Gitarrenlicks wie lässige Hände an Lenkrädern. Vielleicht fühlt sich das Unterwegssein im Auto besser an als zu Fuß – aber von wegen: „Egal wohin ich fahr, jeder Teil dieser Stadt tut noch weh.“ Die Erstarrung von „Bomberjacke“ geht über in einen inneren Zustand, in dem sie nur dann noch etwas fühlt, wenn sie in Erinnerungen schwelgen kann: „Und im Radio läuft wieder unser Lied / fühlt sich für drei Minuten an als wenn’s uns gibt / greife kurz nach links / doch fühle wieder nichts.“ Schließlich „Mein Babe“: endlich Rage-Revenge. Alles umdrehen. „Mein Babe“ enthält die besten Metaphern des Albums und ist musikalisch am weitesten weg von Deutschrap. „Ich drück nur noch ein Auge zu“ heißt es in der abgründigen, aber sweet-chilligen Gitarrenballade. Was sie damit sagen will: Das offene Auge braucht sie, um genau zu zielen, mit der Pistole. Schön ist auch ihr Umgang mit Binnenreimen, wenn sich beispielsweise „Details“ subtil auf „heißt“ reimt. Was beim Hören kickt! Man versteht jetzt, was Elif meinte, als sie sagte, das Neue an ihrem Album sei, dass ihre Songs jetzt viel humorvoller sind. „Mein Babe“ erinnert in seiner Radikalität an Schwester S aka Sabrina Setlur und deren Rap-Pionierleistung „Du liebst mich nicht“ aus dem Jahr 1997. Dieser fulminante Song über eine toxische Beziehung hob damals das Genre des Männerbeschimpfungs-Raps auch in Deutschland aus der Taufe und könnte Pate stehen für diesen Aufstand der Trap-Girls, die momentan dem Mainstream-Pop einheizen.

„Wenn ich sterbe“ schließlich spielt jenseits von Traurigkeit, Revenge oder Wut. Elif ist jetzt darüber erhaben und kann schon beinahe über den Ex lachen. Das ist der Funpunk-Song unter den Trennungssongs. Im lustigen Video sitzt jetzt ein Dalmatiner auf dem Beifahrersitz des Autos. Und Elif singt: „Ich hab dich geliebt und weiß nicht mal warum? / Ich hasse alles an dir außer Dein’ Hund.“

Gekrönt wird dieser Triumph über den Schmerz dann nur noch durch die Selbstermächtigungshymne schlechthin. In „Weil du mich nicht geliebt hast“ bedankt sie sich beim Ex-Lover für so viel Inspiration: „Saug’ dich aus wie eine Zecke, asch’ dich ab wie Zigarette“. Und rein in den Refrain mit großer Geste: „Ich reiße mir mein Herz raus und werf es in die Menge / Sie kommen zum Konzert, wären gern an meiner Stelle / Sie sing’n meine Lieder / Weil du mich nicht geliebt hast.“

Aber nicht alle Songs auf dem Album sind so powerful. Gegen Ende gibt es auch ein paar Lieder, die den Bogen im Benennen toxischer Männlichkeit so überziehen, dass sie bei devoter Befindlichkeitslyrik landen. Wenn Elif etwa in „Warum lügst Du mich an“ singt: „Warum lügst Du mich an / Wenn ich dich frag’, wie es Dir geht? / Warum gehst Du nicht ran / Wenn ich Dich anruf’ nachts um zehn?“ Usw. usf. Die Klage über das ewige Drama – „Warum ist es normal, dass wir nicht reden / Dass du nicht fragst, wann wir uns sehen?“ – kann beim Hören schon mal nerven, ist aber angesichts der ersten zehn, zwölf superstarken Songs zu verkraften.

Stell dir vor, es ist Feminismus, sogar in Deutschland! Auf den Schulhöfen, die noch vor Kurzem von patriarchalischen Sounds des Dummpunks, Deutschraps und Gröhl-Stadion­rocks geprägt waren. Und die Mädchen schreiben endlich ihre eigenen Hits.

Und endlich tut es nicht mehr weh, eine Musikerin aus Grrrlmany zu sein …

Elif, Endlich tut es wieder weh, Jive Germany, 2023.

Sandra Grether ist Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin bei The Doctorella. Sie ist außerdem Musikjournalistin (Madonna und wir. Bekenntnisse, Suhrkamp, hg. mit Kerstin Grether), Kuratorin und Moderatorin (Ich brauche eine Genie, Krawalle und Liebe) und Aktivistin. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen des Pop-Feminismus im deutschsprachigen Raum. 2024 erscheint das dritte Doctorella-Album; es trägt den trap-verliebten Titel Mondscheinpsychose, Bordsteinrose.

Image credit: 1. © Morten Hinrichsen; 2. Courtesy of Jive Germany