Corporate Fairytales And Other Sculptural Maneuvers Stephan Dillemuth und Nils Norman in der Galerie für Landschaftskunst, Hamburg
"Everything in the future will necessarily come", heißt es auf dem aus einem barocken Stich lockend herausgereckten Wimpel auf der Einladungskarte zur Ausstellung. In der programmatischen Unterzeile werden dazu "andere skulpturale Manöver" angekündigt. Unter einem steinernen - ein Sockel ist das wohl - fließt das rote Blut in dicken Tropfen die Karte hinunter. Tatsächlich findet sich die Besucherin beim Betreten der Hamburger Galerie für Landschaftskunst inmitten einer an diesem Ort ganz ungewohnten Ansammlung, geradezu einem Irrgarten von Skulpturen wieder. In der letzten Zeit stand die Galerie für Landschaftskunst vor allen Dingen für rechercheorientiertes Arbeiten. Gerade auch im Zusammenhang mit dem Projekt "mapping a city" im Hamburger Kunstverein. Das Gewirr weiß gegipster Lattenpodeste, das Norman und Dillemuth in den Räumlichkeiten der Galerie aufgebaut haben, ist ästhetisch irgendwo zwischen klaustrophobisch geschrumpften Gartenzäunen und behelfsmäßiger Parkmöblierung zu verorten. Aneinander gelehnte, ebenfalls weiß gegipste, derbe Knüppel scheinen Baumbewuchs zu signalisieren, ein mit vertrockneten Spaghetti behängter, notdürftiger Verhau deutet auf eine Gartenlaube hin. Tatsächlich war es das Anliegen von Dillemuth und Norman, den Garten der alten Galerie für Landschaftskunst mit Baumbewuchs, der erwähnten Gartenlaube und allem Zubehör virtuell in die Räumlichkeiten der jetzigen Galerie zu manövrieren und dort, im Garten, einen thematischen, barocken Skulpturengarten zum "Corporate Rokoko", Dillemuths Begriff für die repräsentativen Funktionen der Kunst im korporierten Kapitalismus, anzulegen. Dies bot sich als Anknüpfungspunkt an, weil Dillemuth bereits einmal, im Jahr 1998, in diesem Garten, dem hauptsächlichen Ausstellungsraum der alten Galerie für Landschaftskunst, ausgestellt hatte, und weil die Quadratmeterzahl der Räumlichkeiten der neuen Landschaftsgalerie der des Gartens genau entspricht. Dem behaupteten Charakter "höfischer", feudaler Repräsentation sollte die Betrachterin aber nicht allzu weit trauen, auch wenn die Ausstellung eine passable Bühne abgab, auf der am Eröffnungsabend dann auch eine Aufführung, Stephan Dillemuth als zeitgerecht in Morgenmantel und Perücke gekleidete Figur bei der Toilette, mit Gefolge, zu sehen war. Die herumstehenden Podeste trugen einige den erwähnten Rokokoperücken nachgebildete Ungetüme, aus Dichtungshanf vom Baumarkt, Gips, falschen Perlenketten und Halbedelsteinen aus dem Esoterikbedarf gebastelt und im Stil der Zeit mit Vogelnestern und Segelschiffen verziert. Außerdem waren noch drei kleine Gipsskulpturen aufgesockelt, weitgehend vorlagengetreue Umsetzungen von Nils Normans Entwürfen, "Some New Public Sculptures for Dresden", die Themen wie Kunst und Kapital ("Dr. Krenslove in Trouble") und Künstlerideologien ("History of German Painting") aufgreifen. "History of German Painting" stellt uns zum Beispiel ein dürres Kerlchen mit Bierbauch und dick verkrusteten Schuhen vor, Scheuklappen vor den Augen, eine portable Bierabfüllstation unterm Arm und die Geschichte der deutschen Malerei als einen übergroßen Stapel Bilder auf den Schultern, eine sehr einleuchtende Darstellung. Die anderen beiden Skulpturen greifen, eng an vulgärsozialistische Stereotype aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angelehnt - der Kapitalismus personifiziert im Kapitalisten, mit Stresemann, Zylinder, Zigarre etc. -, Themen wie die Verflechtungen von Künstlern und Kunstinstituten wie dem Guggenheim Museum mit Kapitalinteressen auf, und das Thema Gentrification. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit es möglich ist, derart komplexe Themen mit den Mitteln personifizierender Karikatur angemessen darzustellen, ohne zu unzulässigen Verkürzungen zu greifen oder das Thema schlicht zu verfehlen. Gentrification muss sicherlich auch als eine Strategie in der Mitte zwischen radikalem, großräumigem Quartiersabriss und anschließender Neubebauung auf der einen Seite und einer Reaktion auf die soziokulturellen Veränderungen seit den siebziger und achtziger Jahren, wie etwa die Hausbesetzerbewegung, auf der anderen Seite gesehen werden. Eine weitere Bebilderung allzu schlichter Analysen ist letztlich wenig hilfreich. Aber es ist möglicherweise irreführend, die Skulpturen isoliert zu betrachten statt in ihrem Kontext, dem Modell des Skulpturenparks, der den Versuch einer verkleinerten, ironisch gebrochenen Wiedergabe von Strategien der Machtrepräsentation unternimmt. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass anfänglich der Wunsch nach Austausch über Studien zu utopisch inspirierten Bewegungen, mit denen sich Norman und Dillemuth seit längerem beschäftigen, Norman etwa mit der Hippie-Bewegung, Dillemuth zuletzt mit den Lebensreform-Bestrebungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, den Anlass gab, ein gemeinsames Ausstellungsprojekt anzugehen. Alle Arbeiten in der Ausstellung entstanden auch gemeinsam, vor Ort, in Zusammenarbeit mit Dorothee Brettschneider aus Hamburg. Der trashige, hintersinnige Charme dieser Inszenierung verweist wohl, wie es der absurde Zirkelschluss der Titelzeile "Everything in the future will necessarily come" nahe legt, auf das utopische Projekt der Suche nach einer Hintertür aus dem Karussell von Macht, Repräsentation und Kapital.
Stephan Dillemuth/Nils Norman, "Everything in the future will necessarily come", Galerie für Landschaftskunst, Hamburg, 27. März bis 15. Mai 2004.