Vorwort
Diese Ausgabe von Texte zur Kunst nimmt den diesjährigen Ausstellungssommer zum Anlass, um der Kunstwelt (d. h. uns und Ihnen) „aufs Maul zu schauen“. Wie spricht man derzeit über/von Kunst? Das Format eines „Kurzführers“ ist dabei ganz wörtlich zu nehmen: Es wird tatsächlich kurz eingeführt, und zwar in einige der derzeit in Kunstkritik, Theorie(jargon), Pressetexten und Small Talk gängigsten Begriffe und Ausdrücke. Das vorliegende Heft will aber auch eine Art Lexikon abgeben, das fern jeden enzyklopädischen Anspruchs unterschiedliche Begriffstypen auf den Prüfstand stellt – es erscheint deswegen in zwei voneinander getrennten Teilen: dem Glossar mit kunstkritischem Vokabular einerseits und ausgewählten Besprechungen andererseits.
„Bespielen“, „Einsatz“, „Event“, „einschreiben“, „Black Box“ und „verhandeln“ sind nur einige Beispiele für inflationär eingesetzte Begriffe, die eine spezifische Kontur, Bestimmung oder Funktion eingebüßt zu haben scheinen. Ohne sie auszukommen scheint dennoch unmöglich, und so haben wir es uns mit dieser Ausgabe von Texte zur Kunst zur Aufgabe gemacht, sowohl eine Neubestimmung dieser Ausdrücke vorzunehmen, als auch ihre Funktionsweise im sozialen und theoretischen Feld der zeitgenössischen Kunst zu analysieren. Begriffe wie „weird“, „interessant“ und „amazing“, die als Begeisterung ausdrückende Leerformeln auf zahlreichen Eröffnungen und Messekojen den Raum füllen, werden dabei ebenso einer eingehenden Betrachtung unterzogen wie die für die Kunstwelt typischen Verschwendungsrituale (siehe den Eintrag zu „Dinner“) oder der Hang zur Personalisierung (Martin Kippenberger, Yves Saint Laurent oder Andy Warhol). Darüber hinaus werden ebenso grundlegende wie allgegenwärtige Konzepte der kritischen Theorie und Ästhetik auf ihre heutige Relevanz hin befragt, so etwa „Autonomie“, „Spektakel“, „Wahrheit“, „Dispositiv“, „Multitude“, „Kontrollgesellschaft“ oder „Gemeinschaft“.
Den eingeladenen Autor/innen selbst blieb überlassen, welchen Begriffs sie sich vor dem Hintergrund ihrer eigenen Interessen annehmen würden. Die Auswahl ist demnach subjektiv und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Sie ist ebenso symptomatisch für unsere Zeit und den Zustand des Kunstfelds (hier sei nur auf die Einträge zu „Dubai“, „Projekt“, „shape shifter“, „Wissensproduktion“ und „Hedge Fund“ verwiesen) als auch für den Stand des Denkens unserer Autor/innen. Es sind dabei unterschiedliche Schreibweisen und Texttypen, die in dieser Ausgabe zusammenkommen – neben dem die Rhetorik des Lexikons mimetisch aneignenden Eintrag finden sich ebenso erzählerisch-literarische Abhandlungen oder manifestartige Statements.
Den Zeitpunkt für einen solchen „Kurzführer“ haben wir bewusst gewählt – wir stellen uns vor, dass man mit ihm gut gewappnet sein würde für den vielbeschworenen Kunstsommer, der dank zahlreicher Großausstellungen der dichteste seit langem zu werden verspricht. Gerade die bevorstehende „documenta 12“ hat Begriffe wie „nacktes Leben“ (dem ebenfalls ein Eintrag gewidmet ist) oder neuerdings die „Migration der Form“ (Roger M. Buergel in einem gleichnamigen Essay für die FAZ am 21. 4. 2007) vehement auf die Tagesordnung gesetzt. Eine Neubestimmung und Einsortierung solcher Begriffe scheint uns vor diesem Hintergrund unerlässlich, auch um die Angemessenheit jeder sprachlichen Legitimierung, jedes Plausibilität verheißenden Erklärungsversuchs besser einschätzen zu können. Mit diesem Unternehmen haben wir es jedoch keineswegs darauf angelegt, uns von unserem eigenen Rüstzeug – einer bestimmten theoretischen Begrifflichkeit oder kollektiven Sprachspielen – ein für allemal zu verabschieden. Vielmehr ist uns an einer Neujustierung gelegen, da uns bei der Benutzung einiger Wörter gelegentlich das Gefühl beschleicht, sie eigentlich nicht mehr unhinterfragt stehen lassen zu können. Letztlich geht es also auch darum, die eigene Rhetorik und das mit ihr Behauptete zu überprüfen. Denn zahlreiche dieser Begriffe dienen dazu, über die eigentliche Unsicherheit, die die Konfrontation mit Kunst auslöst, prinzipiell hinwegzutäuschen. Statt sich der Tatsache zu stellen, dass sich künstlerische Arbeiten nicht mithilfe von „präzise“, „spezifisch“ oder „wunderbar“ (diese Ausgabe, so schien es uns bisweilen, hätte ad infinitum um solche lieb gewonnenen Begriffe erweitert werden können) plausibel machen lassen, hält man sich allzu oft an bestimmten Formeln fest, die „Sinn“ oder „Kritik“ oder „Reflektiertheit“ signalisieren. Ebendiese Formeln gilt es einer Überprüfung zu unterziehen. Die Auseinandersetzung mit ihnen läuft auf eine kritische Bestandsaufnahme hinaus, die erkenntnistheoretische Einsichten ebenso verschafft, wie sie unterhaltsam ist.