Vorwort
Die vorliegende Ausgabe von Texte zur Kunst ist dem Phänomen „Künstler-Künstler“ gewidmet. Unter diesem Begriff werden weitgehend unbekannte Künstler/innen subsumiert, die als „Insidertipps“ von Kolleg/innen an Galeristen oder Kuratoren weitergegeben oder in Form von Zitaten und Verweisen in Werkentwürfe integriert werden. Schon dem Begriff nach verweist der „Künstler-Künstler“ auf die Bedeutung gesellschaftlicher Anerkennungsprozesse. „Künstler-Künstlern“ haftet die Aura derjenigen an, die Kenner empfehlen, die der Markt und etablierte Kunstinstitutionen jedoch bis dato übersehen haben (siehe dazu die Umfrage unter Künstler/innen in diesem Heft). Betont wird so die Wertschätzung durch andere Künstler/innen, während Markterfolg und institutionelle Anerkennung gemeinhin erst posthum einsetzen. Gleichwohl werden „artists’ artists“ in letzter Zeit verstärkt vermarktet.
Aus dieser Warte betrachtet sind die „artists’ artists“ grundsätzlich von einem Paradox gekennzeichnet, handelt es sich bei ihnen doch einerseits um Künstler/innen, deren Arbeiten – aber auch Haltungen, etwa des angekündigten Rückzugs oder der performativen Verweigerung von Produktivität – deswegen als Bezugsgrößen für zeitgenössische künstlerische Produktion fungieren, weil sie in den Institutionen und auf dem Markt gerade keine sichtbare Rolle spielen. Andererseits kann der Status des „Künstler-Künstlers“ diesen Positionen nur um den Preis zugeschrieben werden, dass sie öffentlich „wiederentdeckt“ werden (siehe den Beitrag von Diedrich Diederichsen). Prominente Beispiele für „Künstler-Künstler/innen“, die in den vergangenen Jahren entweder als Referenzgröße in Arbeiten zeitgenössischer Künstler/innen oder auch in durch „Künstlerwissen“ vermittelten Einzelpräsentationen einem größeren Publikum bis zu dem Punkt bekannt wurden, an dem sie schließlich in den Kanon der Nachkriegskunst eingeführt wurden, sind etwa Lee Lozano oder Charlotte Posenenske, aber auch Paul Thek, der durch Mike Kelleys Interesse gleichsam nobilitiert wurde, oder Bas Jan Ader, André Cadere und Poul Gernes, die allesamt in Ausstellungen von Cosima von Bonin auftauchten.
Heute sehen wir uns mit einer Situation konfrontiert, in der vormals als „Künstler-Künstler“ erachtete Künstler nun auch ihrerseits vom Kunstboom profitieren. Der Markt hat sich dergestalt ausdifferenziert, dass es bestimmte Marktsegmente gibt, die sich auf komplexere, widerständige Praktiken geradezu spezialisiert haben. Gibt es also überhaupt noch viel zu entdecken? Angesichts dieser Vereinnahmung ist das Interesse am „Künstler-Künstler“ aus kunstkritischer Sicht jedoch keineswegs obsolet. Mit ihm eröffnet sich vielmehr ein potenziell idiosynkratischer Produktions- und Interpretationsraum. Im Modell des „Künstler-Künstlers“ steckt offenkundig beides – das Potenzial zu einer Abschottung gegenüber dem Marktgeschehen wie auch die Voraussetzung für einen „Hype“.
Was aber sind die Gründe für das derzeitige Interesse an „artists’ artists“? Lässt es sich allein mit dem Begehren des globalisierten Marktes nach immer neu zu reaktivierenden Positionen aus allen möglichen Regionen der Welt erklären, die gleichsam aus der Versenkung auftauchen und deren Arbeiten eine immense Preissteigerung versprechen – und das noch vermittelt durch das arkane Wissen von anderen Künstler/innen als ultimativem Zeichen von Relevanz und Legitimität? Ist die Figur des „Künstler-Künstlers“ in diesem Sinne ein Symptom der wissensbasierten Ökonomie im Kunstfeld, in der eben das Wissen um das Abgelegene und Dissidente selbst zu Ware und Währung avanciert? Handelt es sich lediglich um den Effekt neuer Anforderungsprofile, zu denen in Zeiten von „artistic research“ eben auch die historische Recherche gehört? Wie ließe sich mithin eine Typologie und Historisierung dieses Phänomens entwerfen?
Die aktuelle Ausgabe setzt es sich vor diesem Hintergrund einerseits zum Ziel, eine Genealogie des „Künstler-Künstler“tums zu entwickeln (siehe dazu die Beiträge von Mitchell Algus & Jay Sanders und Stefanie Kleefeld) und sie vor dem Hintergrund aktueller institutioneller und marktspezifischer Entwicklungen zu diskutieren (siehe dazu die Interviews mit Sabine Breitwieser und Daniel Birnbaum). Kunstgeschichte und Kunstkritik spielen für die Etablierung des „Künstler-Künstlers“ eine entscheidende Rolle. Mit unserem Schwerpunkt möchten wir diese Tradition der „revisionistischen Kunstgeschichte“ fortsetzen, allerdings im Wissen darum, dass sie dem Markt ggf. zuspielt. Aus diesem Grund verzichtet diese Ausgabe bewusst darauf, monografische Studien zu bisher vermeintlich unbekannten Künstler/innen zu liefern und legt den Schwerpunkt auf die Analyse des Phänomens „Künstler-Künstler“ im Zusammenspiel von Künstler/innen, Kurator/innen, Kritiker/innen und Akteur/innen des Marktes.
Gleichermaßen erscheint es uns unerlässlich, den Bezug auf „Künstler-Künstler“ als einen Spezialfall des laut Helmut Draxler derzeit dominanten „Kommunikationscodes“ in der zeitgenössischen Kunst zu verhandeln, in der fortwährend Anspielungen, Zitate und Bezugnahmen auf kunsthistorische Vorläufer, ein weites Spektrum historischer Episoden (bevorzugt solche aus der Geschichte des Modernismus) sowie auf theoretische Schriften und ästhetische Codes ins Werk gesetzt werden (siehe dazu das Roundtable-Gespräch „Mit den besten Empfehlungen“). Nach dem Ende der modernistischen Vorstellung der selbstgenügsamen Präsenz des autonomen Kunstwerks ist es unbestreitbar, dass keine künstlerische Arbeit außerhalb des Modus des Verweisens operieren könnte und avancierte künstlerische Praktiken immer auch eine kritische Reflexion auf ihre historischen Voraussetzungen unternehmen. Gerade in den kontextbezogenen und neokonzeptuellen Arbeiten der neunziger Jahre, die explizit eine Re-Interpretation von Verfahren und Prämissen der Kunst der späten sechziger und frühen siebziger Jahre vornahmen, um Methodologien der Institutionskritik zu aktualisieren, kam Referenzen auf eben solche Vorläufer eine entscheidende Bedeutung zu – nicht umsonst stammt Draxlers Beobachtung zur aktuellen Bedeutung von Referenzen aus seiner Diskussion der frühen Arbeiten von Fareed Armaly. „Referenzialismus“ könnte demgegenüber aktuelle Formen der Bezugnahme bezeichnen, die selbst zum Movens und formgebenden Verfahren künstlerischer Arbeiten avancieren (siehe den Beitrag von André Rottmann). Die vorliegende Ausgabe möchte somit nicht zuletzt den Versuch unternehmen, eine Differenzierung zwischen einem formelhaften bis formalistischen und einem reflexiven Mobilisieren von Verweissystemen vorzuschlagen – und dies nicht zuletzt dann, wenn wieder mal ein „Künstler-Künstler“ Pate steht oder stehen muss.