Einst galt die Diva aufgrund ihres Talents oder ihres Charismas als die „Göttliche“, wie etwa die unnahbare Schauspielerin Greta Garbo genannt wurde. War der Begriff damit also positiv besetzt, wird er heute eher mit Launenhaftigkeit und Hochmut assoziiert. Auch seine Verwendung ist inzwischen inflationär. Beinahe jede halbwegs extravagante Frau im Rampenlicht wird mit diesem Attribut inzwischen charakterisiert oder als solche inszeniert.
In einer Epoche permanenter Anspannung und Erreichbarkeit ist es jedoch an der Zeit, neu über das Prinzip DIVA nachzudenken. Dann zeigt sich nämlich, dass ihre Überreiztheit ein Modell zur Selbstermächtigung liefern kann: ein literarisch-essayistisches Statement gegen die herrschende Kooperations- und Verfügbarkeitsökonomie, die sich auf perfide Weise mit einer Art Scheinemanzipation verschränkt.
DIVA nenne ich ein Prinzip, das der geistesgegenwärtigen Ablehnung von falschen Kooperationsangeboten zugrunde liegt. Es geht darum, dem Gegenteil von Verführung eine Form zu geben, das heißt, gegen die inhaltsleere Grundhysterie der Anfragen eine kluge und womöglich sogar lustvolle Form des Entzugs zu setzen. Darauf darf nicht unverzüglich Bestrafung folgen. Das Nicht-Eintreten von Strafe bei abgelehnter Kooperation ist dort, wo die Kooperation meistens der Strafe selbst gleichkommt, neu zu erlernen. Gemeint sind z.B. Kooperationen mit dummen Fragen, ungerechten Ausgangslagen, Provisorien, Zwängen, unmöglichen Fristen, falschen Selbstverständlichkeiten.
Sicherlich befinden wir uns mit dem Titel der DIVA in einem hoch angesiedelten Projektionsraum, aber wann hätten wir den zuletzt verlassen? Die DIVA gewinnt mit der Verfeinerung ihrer Talente – klassischerweise Körpertechniken wie Tanz und Gesang – an Transzendenz und verliert in gleichem Maße an Menschlichkeit, um dann in der Haraway’schen Schnittmenge des Nichthumanen auf Primaten, Cyborgs, Geister und Götter zu treffen, bis am schwarzen Nachthimmel der Star auftauchen wird, der ihren Begriff verdrängt. In der Dehumanisierung via Virtuosität wird die Logik des Tausches aufgesprengt – ihre Reaktionen sind unangemessen, sie sind überspannt, sie lassen sich nicht mehr berechnen. Insofern kann die DIVA mich lehren, Verweigerung als Geschenk zu betrachten, als ein Versprechen auf eine künftige Perfektion, zu deren Erlangung sich ein nur momentan schwer begreifliches Verhalten später als unabdingbar erwiesen haben wird. Die DIVA verweigert die Zurückhaltung, Erfahrungen und Gefühle nur für sich selbst gelten zu lassen – in einer Dialektik von Unbeherrschtheit und Körperbeherrschung. Beides sind große Talente, so man über das richtige Timing verfügt.
Soll hier mit der Wiedererrichtung des Schreckensregiments der Launen den Anforderungen einer entfesselten High-Performance-Kultur der Riegel vorgeschoben werden? Ja und nein. Die Scheinemanzipierte, so Klaus Heinrich, habe lernen müssen, auf den „Luxus verspielten Reagierens, der großen Gefühle und Flausen“ zu verzichten, da Launenhaftigkeit vormals das Argument für den Ausschluss von Herrschaft und Kontrolle geliefert habe. Damit seien auch die „Reservate der Menschlichkeit, die man als ungefährliche Spezialität genießen konnte“ , der Rationalisierung übereignet worden – doch der gleichberechtigende Gegenwert scheint nach wie vor Verhandlungssache zu sein.
Es hat eine eigentümliche Umwertung von Affekten stattgefunden, wenn das ehemals gegenkulturelle Motto „It’s better to burn out than to fade away“ uns nun kapitalistisch gewendet als Anspruch auf dem ersten Arbeitsmarkt wiederbegegnet oder, wie Paolo Virno zeigt, negative Gefühle wie Unsicherheit, Panik und Furcht, die einmal über eine Entfremdung vom System der Lohnarbeit Auskunft gaben, nun in ihrer Neuübersetzung als „Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft zum Selbstumbau“ Anwendung finden.
Die Lösung kann nun freilich nicht sein, nostalgisch emotionale Patterns wiederzubeleben, die schon bei ihrer Erstaufführung artifizieller und projektiver Natur gewesen sind und nicht zuletzt der Entmachtung dienten. Es gilt vielmehr, sich in einer Form affektpolitischer Geistesgegenwart zu schulen. Und dies gerade angesichts der Tendenz, negativen Affekten dort ihre politische Wirksamkeit abzusprechen, wo das von ihnen befallene Subjekt weiblich ist.
Ich möchte gegen die allgemeine Anspannung, die sich als bloßes Funktionieren begreift und damit gleichsam verleugnet, Überspanntheit als Konstitution setzen. Da, wo mit fetischisierten Kreativitätswerten, auf die ein Verlass sein soll, eine marktkonforme Verwertungslogik ausstaffiert wird, bleibt der eigenen Anspannung weder Raum noch Würde. Schließlich macht man bei einer künstlerischen Tätigkeit idealerweise etwas, das man so zuvor noch nicht getan hat, so dass das Unerprobte das Misslingen immer mit sich führt. (Es sei denn, wir gingen in Serie, eh klar.) Erst das Ausblenden der Situation schafft eine seltsame Selbstsicherheit, der ich misstrauen möchte, ebenso wie ich deren Produkten oder Artefakten misstraue.
Man vergisst: „Zu jeder Lust gehört eine Spur der Angst, deren Überwindung zu ihr führte.“ Das ist ihre Verbindung zur Realität, die in sich einen Zeitkern trägt sowie die Verbindlichkeit eines bestimmten Raumes. Die Idee der generellen und endlosen Verfügbarkeit, wie sie für Inhalte im Internet bedenkenlos gefordert wird, ist Anti-DIVA. Insofern ist auch die Einsparung des Lektorats, die Pornografie, das Vorlaufen in weibliche Selbstvertierung als ein Mittel des Spannungsabbaus, die Identifikation mit dem Aggressor in hohem Maße Anti-DIVA. Entmischung und Abspaltung sind Anti-DIVA. DIVA bedeutet, den Verlockungen der Spaltung nicht nachzugeben, sondern die Gegensätze in eine zu haltende Spannung zu bringen – weil das Leben in jedem Moment das Ganze ist. Die Idee der unaufhaltsamen Beschleunigung ist Anti-DIVA, weil darin das Nacheinander zugunsten einer panischen und marktmystischen Gleichzeitigkeit aufgegeben wird. Die DIVA erinnert an die Verbindlichkeiten des Raumes und seiner Gegenwart.
Kollision ist richtig. Nicht, dass es mir leichtfiele, sie auszuhalten, doch gerade deswegen habe ich ein sehr gutes Sensorium für sie. Wo mir ein Kundenprofil angepasst wird und das Angebot an Information, an Ware, letztlich an Welt auf Grundlage einer mir zugewiesenen fiktionalen Identität personalisiert (das heißt: reduziert) wird, geht es gerade um die Vermeidung dieser Kollision. So werde ich in eine konsumierbare Umgebung versetzt, in der sich nichts mehr befindet, das ich nicht erwarte, etwa im Sinne der medialen Aussortierung von allem „Anderen“ aus dem Programm eines Spartenradios. Freilich sind Spezialisierungen nicht grundweg abzulehnen, ich spreche hier allerdings von einer vorgespiegelten Eingrenzung meiner möglichen Interessen zugunsten ihrer Konsumierbarkeit. In dieser Art der Personalisierung meiner Umgebung verdampft die Kontrastdimension des Anderen. Teilnahme findet nur noch an sich selbst statt.
Ich beobachte vielerorts eine nicht ressentimentfreie Leidensmystik – oder nennen wir es: einen gewohnheitsmäßigen gesellschaftsfähigen Masochismus, der auf dem Anspruch beruht, dass einem für das ertragene Leiden auf der anderen Seite etwas gutgeschrieben werden müsse, wobei auf Enttäuschung dieser Logik unweigerlich Verbitterung folgt. Und dies, anstatt sich von Anfang an gegen das Leiden und den blödsinnigen Versuch seiner gewinnlerischen Indienstnahme zu wehren.
Ich möchte in diesem Zusammenhang von lebenserhaltenden Überspanntheiten sprechen. Das Gehirn reagiert dumpf auf Angebote, die es als zerstörend begreift und aus finanziellen oder anderen Gründen nicht ablehnen kann. Unter der Bedingung der Empfindlichkeit ist das kaum zu ertragen. Ich brauche aber die Empfindlichkeit noch, ich lebe ja von ihr. Routinebildung oder Unterwerfung? Ich muss mich daran gewöhnen, um es zu ertragen. Doch wenn ich mich daran gewöhnt habe, was dann? Ist nicht der innere Protest als ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines baldigen Abbruchs zu lesen? Oder sind das nur die Beschwerden des Übergangs? Könnte ich „Können“ auch als eine Form der Verrohung betrachten? Das Ziel der inneren Überwindung wäre ein Nachlassen der Symptome. Aber die Symptome sind ja Antrag auf Beseitigung der Situation, die sie hervorbringt und damit Beweis der gesunden Funktionsleistung eines Bewusstseins, das sich bedroht sieht. Freud hat darauf hingewiesen, dass Unlust Realität verbürgt. Denn das Realitätsprinzip beginnt ursprünglich erst da, wo Reizflucht misslingt. Insofern wäre Überspanntheit im Dienste der Realität ein durchaus denkbares Konzept. Protest. Gegen die Depression.
Nachtrag: Champagner für Alle
Weil Marylin Monroe nur aus frisch geöffneten Champagnerflaschen nur das erste Glas trank, gab es Champagner für alle – immer. Den Rest eben. Und das war schon viel. Verweigerung und Fülle.
Zuletzt bleibt noch zu sagen: „Die vollkommene Verkörperung einer Gattung sprengt diese von innen.“
Image Credits: Allan Warren, unknown
Anmerkungen