Nachbilder eines Widerstands Dirck Linck über „LOVE AIDS RIOT SEX I“ in der nGbK, Berlin
Die AIDS-Krise ging mit einer Ausgrenzung und Stigmatisierung des Anderen einher, gegen die sich u. a. das 1987 gegründete politisch-künstlerische Netzwerk ACT UP zur Wehr setzte. Repräsentationskritik wurde zu seiner dringlichsten Aufgabe, um Widerstand gegen den herrschenden Opferdiskurs zu leisten und Kranke in all ihrer Diversität, Kraft und Aktivität in der Gesellschaft sichtbar zu machen.
In der Berliner nGbK geht eine Ausstellung in zwei Teilen der Thematik von Kunst und AIDS-Aktivismus nach. Für Dirck Linck wirft der erste Teil der Reihe vor allem die Frage auf, wie präsent die Krise heute noch ist: Ohne Vermittlung ihrer Kontexte wirken die gezeigten Werke bisweilen wie die Restbestände vergangener – und von der Lebenswelt heutiger Betrachter/innen getrennter – Koalitionen.
Fünfundzwanzig Jahre nach der von ihm verantworteten Ausstellung „Vollbild AIDS“ hat Frank Wagner, wiederum für die nGbK, die Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX I“ kuratiert, deren Untertitel „Kunst AIDS Aktivismus 1987–1995“ lautet. Ein zweiter Ausstellungsteil mit späteren Arbeiten zum Thema folgte Ende Januar, den auch ein Katalog begleitet, der beide Ausstellungen kommentiert.
Der gewählte Zeitrahmen der ersten Ausstellung erklärt sich aus Marken in der Geschichte der Epidemie: 1987 gründete sich die künstlerische und nichtkünstlerische Kompetenzen vereinende AIDS Coalition to Unleash Power (ACT UP) als politische Bewegung gegen einen rassistischen, konformistischen und homophoben AIDS-Diskurs sowie gegen die mit ihm verschlungene AIDS-Politik; 1996 kam mit der Hochaktiven Antiretroviralen Therapie (HAART) erstmals eine medizinische Behandlung zum Einsatz, die bei den meisten jener HIV-Infizierten, die Zugang zur Therapie haben, den Ausbruch von AIDS zu verhindern vermag. Die Ausstellung gilt also jenen künstlerischen Reaktionen (primär von schwulen Künstlern) auf die AIDS-Krise, die aus der Prä-HAART-Ära stammen, sich aber durch ihren Bezug auf den die Gesamtgesellschaft adressierenden subkulturalistischen Aktivismus von eher individuellen und nur szeneintern kursierenden Arbeiten aus den ersten Jahren der Epidemie unterscheiden. Sie gilt Arbeiten, die an der Bildung jener Koalition mitwirkten, in der auch die Künstler vorwiegend als Mitglieder von Kollektiven, nicht als Individuen in Erscheinung traten und zu erkennen gaben, dass sie die Anrufung durch die Krise als Infragestellung ihrer bisherigen künstlerischen Praxis begriffen.
Die Ausstellung versammelt eine Reihe wichtiger Grafiken aus dem Kontext von ACT UP, die dabei ihr Potenzial erweisen, Modelle für einen aktuellen Aktivismus abzugeben. Gezeigt wird etwa eine der stärksten Arbeiten Gran Furys: eine großformatige Vinylfolie von 1988, die auf strahlend weißem Grund den von einer Doppelschlange umwundenen Hermesstab (Symbol einer alternativen Medizin) zusammen mit dem die Bedeutung des Bildes garantierenden schwarzen Schriftzug „All People With Aids Are Innocent“ präsentiert. Nach außen weist die Arbeit die Unterscheidung zwischen „schuldigen“ (homosexuellen, Heroin konsumierenden) und „unschuldigen“ (Kinder, Bluter, medizinisches Personal) Infizierten zurück, intern appelliert sie an die Zusammenarbeit aller Menschen mit AIDS in der neuen Koalition. – Der innerhalb der Community im Namen autonomer Visualität theoretisch (Lee Edelman) und sinnlich-praktisch (Mathew Jones) artikulierte Logozentrismus-Vorwurf gegen diese Arbeiten wird in der Ausstellung leider nicht thematisch und damit diskutierbar.
Im vorderen Teil des schmalen Ausstellungsraums verbinden die zueinander ins Verhältnis gesetzten Arbeiten sich zum Rätselbild einer verschütteten historischen Konstellation, die von der Ausstellung zwar vergegenwärtigt, in ihr aber an keiner Stelle für die Betrachter/innen sachhaltig erläutert wird. Auf einem gegen die Laufrichtung platzierten Screen (wer die Ausstellung verlässt, wird noch einmal mit dem konfrontiert, was verloren ging) erinnert Doug Ishars Slideshow „Marginal Waters“ (DVD, 1985/2013) mit digitalisierten Fotos in sommerwarmen Farben an die mit der Jugendkultur verbündete Gay Culture, die von der in den Bildern unsichtbar bleibenden, vom Titel der Arbeit aber als Latenz evozierten AIDS-Krise beendet wurde. In den Sommern 1984 und 1985 bei den Belmont Rocks, einem Schwulentreffpunkt am Chicago Beach, aufgenommene Bilder rücken mit dem Motiv attraktiver, einander berührender Männerkörper, den in Szene gesetzten Bikes, Glanzshorts, Kofferradios und als Strandlektüre mitgeführten Verlaine- oder Arbus-Bänden Zeichen jener sexuellen Kultur in den Fokus der Aufmerksamkeit, die vom die Krankheit AIDS instrumentalisierenden Diskurs der Reagan-Jahre unter Generalverdacht gestellt wurden.
In direkter Nachbarschaft zu dieser Arbeit wird eine schroff mit ihr kontrastierende Serie von kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotos Koni Nordmanns präsentiert, „Ich kann nicht mehr leben wie ihr Negativen“ (1988–1990), die auf einer Reise nach Rom entstanden, zu der Menschen mit AIDS in Begleitung des (so die erläuternde Texttafel) „Aidspfarrers“ Heiko Sobel aufgebrochen waren. Ausgezehrte, mit den Stigmata der Krankheit versehene Körper, medizinische Gerätschaften, Hilfebedürftige auf dem Weg in die Heilige Stadt. Die Fotos zeigen verschiedene Kranke und immer denselben fitten „Aidspfarrer“. Sie etablieren damit eine Hierarchie in der fotografischen Repräsentation, die Betreuungskörper von AIDS-Körpern trennt, starke und schwache Positionen in der Ordnung der Bilder produziert.
Ishars und Nordmanns Arbeiten werden nun zwischen Wänden gezeigt, die an dieser Stelle der Ausstellung mit den Wallpapers von Gran Fury und General Idea bedeckt sind, die sich auf je spezifische Weise Robert Indianas emblematisches LOVE-Zeichenbild aneigneten. Während General Idea in einem eher analytischen Akt das lettristische Emblem LOVE zu AIDS transformiert und in Serie reiht, benutzt Gran Fury eine auf die Stonewall Riots verweisende appellative Geste und verwandelt das Emblem in die Wiederholung des Wortbildes RIOT. Man kann das wie die der Arbeit von Gran Fury beigefügte Texttafel als „Kriegserklärung“ an General Idea erläutern; instruktiver aber scheint es mir, beide Arbeiten als unterschiedliche Akzentuierungen derselben Problemlage zu beschreiben: General Idea markiert präzise die Erkenntnis des sich im Zeichen von AIDS diskursiv und faktisch ereignenden Endes jener im Zeichen von LOVE entstandenen sexuellen Kulturen, an die Ishars Arbeit erinnert. Erfasst sind im Austausch der Zeichen das Ende der von Ishar aufgerufenen „Welt“, das Ereignis der Transformation des attraktiven queeren Körpers in einen kranken Leib, des exzessiven Experiments in das Konzept des Risikokalküls. Gran Fury hingegen interveniert in zweifacher Weise in den Moment: Zum einen widerspricht die Gruppe der Denunziation des hedonistischen Schwulen und der Subkultur, indem sie in einer handlungseröffnenden Perspektive vorführt, dass Genuss und Solidarität in der Community koexistieren und ein Bündnis gegen die neokonservative AIDS-Politik zu begründen vermögen; zum anderen wendet die Gruppe sich mit dem Emblem RIOT gegen Diskurse und Repräsentationen, die den Menschen mit AIDS als passives, beschämtes und entsexualisiertes Opfer, als Patient, Hilfebedürftigen, Sterbenden definieren, und propagiert stattdessen im Sinne des AIDS-Aktivismus die Selbstermächtigung und die Repräsentation des aktiven, unbeschämten, politisch handelnden, lebendigen Infizierten. Gran Fury hält sozusagen gegen die Bilder Nordmanns in der Krise jener sexuellen Kultur, auf die Ishars Arbeit verweist, als einer politischen Kultur die Treue. ACT UP betrachtete Repräsentationskritik als eine ihrer wesentlichen Aufgaben: „We demand the visibility of PWAs [People With Aids, DL] who are vibrant, angry, sexy, beautiful, acting up and fighting back.“ [1]
Die gezeigten Arbeiten in diesem oder überhaupt einem substanziellen Zusammenhang zu erfahren, wird den Ausstellungsbesuchern nicht leicht gemacht. 1988, zum Zeitpunkt von „Vollbild AIDS“, standen die Exponate mitten im Ereignis; sie waren „heiß“, weil ihre Verbindungen untereinander und zur Krise draußen offensichtlich waren. Ihre Kontexte waren allen bekannt, die AIDS als politische Krise begriffen. Die Objekte schienen darauf zu warten, rasch aufgegriffen zu werden, um wieder in den politischen Raum zurückkehren zu können, aus dem sie für die Dauer der Ausstellung herausgenommen worden waren. 2013 erscheinen die Exponate, so wie sie präsentiert sind, ihrer spezifischen Kontexte beraubt nämlich, als kommentarbedürftige „Reste“ eines sich dem Betrachter weitgehend entziehenden historischen Ereignisses.
Mehr als alle Ausstellungstexte befördert das Verständnis des Ereignisses ein im Zentrum der Ausstellung gezeigtes Video, „The Feeling of Power“ (1990), von Robert Beck, dem Mitbegründer von Damned Interference Video Activist Television (DIVA.TV). In die Montage einer Reihe von dokumentierten ACT-UP-Aktionen hat Beck Inserts wie „Empowerment“ oder „Seize Power“ eingefügt. Die Arbeit übernimmt die Aufgabe der historischen Information, und zugleich verweist sie auf die Aktion als eine unmarkierte politisch-ästhetische Form sowie auf das Video als Medium eines demokratischen Aktivismus. Die vom Video ausgestellten Farbschäden und das filmische Material zunehmend entstellende Alterungsspuren akzentuieren zugleich den zeitlichen Abstand zum AIDS-Aktivismus und erinnern mit ihm an das Fehlen des Publikums, an das die Aufnahmen ursprünglich adressiert waren.
Die überzeugendsten Arbeiten der Ausstellung reagieren auf einen Diskussionsprozess innerhalb des Aktivismus, der die Ethik der bildlichen Repräsentation betraf. Sie führen an sich selbst Möglichkeiten der Darstellung vor, die eine Stärkung der innerbildlichen Position des Abgebildeten intendieren. Uwe Boeks Diashow „Leben mit AIDS“ (1988), die in einem abgedunkelten Kabinett gezeigt wird, dokumentiert den Alltag von zwei Männern und einer Frau, die in der Mannigfaltigkeit ihrer familiären, beruflichen, sozialen Lebensvollzüge gezeigt werden. – AA Bronsons berührendes Foto-Triptychon „Jorge, February 3, 1994“ zeigt in lebensgroßem Format den extrem abgemagerten Jorge Zontal, den die Bilder zugleich aber als einen Handelnden inszenieren, der als Mitglied von General Idea seinen Körper für den Prozess der Bildherstellung als Objekt zur Verfügung stellte, um – als Sohn eines Auschwitz-Überlebenden – eine Familienähnlichkeit der Auszehrung anschaulich zu machen, die nicht als Zeichen der Erkrankung, sondern als Verweis auf jene politische Untätigkeit ins Bild gesetzt ist, die ganze Communities in den Kollaps trieb. – Neil Goldbergs großartiger Video-Loop „She’s a talker“ (1993) zeigt 80 mit HIV infizierte Männer, die beim Striegeln ihrer Katze den Satz „She’s a talker“ sprechen. Verweisen das vervielfältigte Motiv und die Serialität der Äußerung auf gemeinsame Erfahrungen von Rückzug und Vereinsamung, macht das Video mit der Vielzahl von Settings, Stimmfarben und Personen unterschiedlichen Alters und ethnischer Zugehörigkeit zugleich die Individualität und je spezifische gesellschaftliche Situiertheit der Menschen, die mit AIDS leben, extrem erfahrbar. – Zuletzt folgt auch Aron Neuberts Foto-Zyklus „Wärme, die nur Feuer uns geben kann“ (1991–93) dem Konzept eines ethisierten Dokumentarismus. Auf Grundlage eines Kontraktes machte Neubert bis zum Tod von Jürgen Baldiga monatlich ein Foto des Freundes. Die Fotos dokumentieren einen Verfall, zeigen Baldiga zugleich aber als aktives, attraktives und sexuelles Subjekt in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Kontrakt, Freundschaft und Darstellungsweise definieren hier den Kontext und rechtfertigen das Bild. Als überaus glücklich erweist sich die Entscheidung, Neuberts Fotos zusammen mit den subkulturalistischen Fotografien von Baldiga zu zeigen, diesen also zugleich als Objekt und Subjekt der Fotografie zu präsentieren. Sowohl in seinen Kiez-Dokumentationen wie in den schamlosen Selbstporträts, die Chiffren der sexuellen und sozialen Praxis so offensiv ausstellen wie die Kaposi-Sarkome als Zeichen der eigenen Erkrankung, repräsentiert Baldiga mit seiner anti-akademischen Position eben jene Widerständigkeit gegen den Opfer-Diskurs, die den Aktivismus, der Gegenstand der Ausstellung ist, insgesamt motivierte.
„LOVE AIDS RIOT SEX 1 – Kunst Aids Aktivismus 1967–1995“, neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin, 16. November 2013 bis 5. Januar 2014.
Anmerkung
[1] | Flugblatt von ACT UP (1987), zit. nach Douglas Crimp, Melancholia and Moralism. Essays on AIDS and Queer Politics, Cambridge/London 2002, S. 87. |