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Den Gefühlen, die ich nicht kapitalisiere, werde ich nicht gerecht Chris Kraus und Ariana Reines im Gespräch über Auto-Fiction and Biografie

Chris Kraus und  Ariana Reines, Interview bei Miss St.'s Hieroglyphic Suffering, Guggenheim Museum, New York, 2009, Filmstill

Chris Kraus und Ariana Reines, Interview bei Miss St.'s Hieroglyphic Suffering, Guggenheim Museum, New York, 2009, Filmstill

Semiotext(e) kann als eine der Keimzellen für viele der hier besprochenen künstlerischen Textformen jenseits von „artistic research" gelten. Der Verlag hat wie kaum ein anderer Einfluss auf die affektive Wende in der Kulturkritik der letzten Jahre ausgeübt. Für diese Ausgabe von Texte zur Kunst baten wir die Mitherausgeberin von Semiotext(e) Chris Kraus und Ariana Reines, eine der jüngeren Autorinnen im Verlagsprogramm, über die Rolle von „auto-fiction" – einem Schreiben, das die eigene Person in den Text einbringt und zugleich stilisiert, theoretisiert und reflektiert – in ihrer jeweiligen Arbeit nachzudenken. Im folgenden Gespräch diskutieren Kraus und Reines ihre je eigenen schriftstellerisch-kritischen Praxen und skizzieren gemeinsam eine Genealogie von Vorgängerinnen in einer alternativen Geschichte amerikanischer Dichtung.

ARIANA REINES: Als ich zum ersten Mal etwas von dir las, stand in deiner Kurzvita, dass du an einer Biografie von Kathy Acker arbeitest. Später tauchte diese Information nicht mehr auf. Mich würde interessieren, was aus dieser Idee geworden ist, über die Jahre.

CHRIS KRAUS: Nach Ackers Tod 1997 wollte ich unbedingt über sie schreiben. Glücklicherweise konnte ich damals ein paar Interviews mit Leuten machen, denen sie in ihren frühen Jahren eng verbunden gewesen war. Aber ich hatte damals gerade „I Love Dick“ herausgebracht, und das war irgendwie zu nah beieinander. Die Leute meinten, meine Arbeiten wären so etwas wie die dritte Generation der Acker-Verehrung, und das wollte ich nicht auch noch bestärken! Jahre später, 2012, wurde mir klar, dass über Acker zu schreiben auch ein Gegenmittel zu der Flut schlechter Memoiren aus den verklärten Zeiten New Yorks der 70er und 80er Jahre sein könnte. Die wahre Geschichte einer Person zu erzählen kann ja ein Teil einer wahrheitsgetreueren Geschichte ihrer Ära und ihrer Zeitgenossen sein. In gewisser Weise schreibe ich das nun wie einen Roman. Der Unterschied zwischen damals und heute, zwischen mir und ihr beflügelt mich. Quellenarbeit ist dabei fast wie Alchemie: Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte jetzt auch „ich“ statt „sie“ schreiben, versetzt es mir einen kleinen Stromstoß. Sicher, da war der eine oder andere Partner, den es in unser beider Leben gab, aber die eigentliche Spannung kommt aus der Einsicht, dass wir eine Menge Einflüsse teilten. Ich sehe all diese Stränge des 20. Jahrhunderts durch Ackers Leben und Arbeit laufen.

REINES: In vielerlei Hinsicht bist du die perfekte Zeugin für Ackers Leben, und für die Bedeutung ihrer Arbeit, für die sogenannte Literatur. Du hast genau die richtige Kombination aus Nähe und Distanz, Empathie und Kritik. Das Kapitel, das ich letztes Jahr im Artist’s Space vorlesen durfte, war aufregend: Es ist zugleich verdammend und elegisch, wie eine Partyszene bei Proust.

KRAUS: Mich verblüfft, wie wenig man heute bei all den Diskursen über „Auto-Fiction“ usw. an Acker denkt. Ihre frühen Arbeiten sind Urtexte für eine Sensibilität, die Hoch- und Trivialkultur gleichermaßen umfasst und in persönlicher Präsenz ihre Grundlage hat. Es ist immer interessant, in der Vergangenheit nach Hinweisen zu suchen, wie sich Dinge herausgebildet haben.

REINES: Ich denke neuerdings viel über die Gentrifizierung des Internets nach. Es ist jetzt wie New York, oder nicht? Alles dreht sich ums Geld, überall glänzende Fassaden, überall Mobilität nach oben und eine richtige „Grundherren“-Mentalität. Überall markieren Leute ihr Territorium und jagen ihre „Botschaften“ nach draußen. Im Internet ist Kohärenz Geld, Konsistenz ist Geld, Zeit ist natürlich Geld. Den Gefühlen, die ich nicht kapitalisiere, werde ich nicht gerecht. Und zwar nicht nur innerlich, indem ich sie nicht mit einer größeren Wahrheit in Zusammenhang bringe, also mit der „Kultur“, sondern ich werde mir selbst nicht gerecht, indem ich sie in meinem Inneren absterben lasse, wo es kein Geld gibt, um für sie zu bezahlen ...

KRAUS: Aus deinen Gefühlen Kapital schlagen, indem du über sie schreibst, meinst du das?

REINES: Ich bin wohl ein bisschen abstrakt.

KRAUS: Nein, nein, ich habe dasselbe Gefühl. Ich bekomme dauernd Anfragen, mehr oder weniger austauschbare Stücke zu schreiben. Und da frage ich mich natürlich: Oh, will ich wirklich dieses Gefühl in bare Münze umwandeln, indem ich es in einen veröffentlichten Text transformiere?

REINES: Bei mir ist es genauso.

KRAUS: Manchmal ist die Antwort nein. (lacht) Sehr selten, aber manchmal.

REINES: Ich finde es aber beeindruckend, wie produktiv du bist. Ich habe im letzten Jahr weniger veröffentlicht und war weniger öffentlich präsent als in den neun Jahren davor. Dieses Schweigen war die Konsequenz einiger hässlicher Dinge – sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, in erster Linie, aber auch anderer Sachen. Ein Bedürfnis zu reifen. Ich habe viel über Stille und den Hunger nach Stille nachgedacht, über Frausein und das Zurückhalten von Sprache (was in gewisser Weise synonym zum Zurückhalten von Sex in den alten Gedichten und Büchern ist, oder?).

KRAUS: Ja, es gibt diesen Druck, immer präsent zu sein. Das Geheime – das Unbekannte, Flüchtige – wird nicht sehr geschätzt. Du hast von diesem faszinierenden Projekt gesprochen, dich auf die Spuren von Barbara Mor zu begeben – eine wenig bekannte, zuweilen obdachlose Intellektuelle und Dichterin, die immer in der Nähe der mexikanisch-amerikanischen Grenze gearbeitet hat. Es ist eine Romanze aus dem Geist des 20. Jahrhunderts – die Suche nach dem obskuren und abwesenden Vorgänger, wie in Bolaños „Die wilden Detektive“. Und Barbara Mor war Dichterin ...

REINES: Ganz und gar Dichterin, mit einem kaleidoskopischen Wissen. Gemeinsam mit Monica Sjoo schrieb sie „The Great Cosmic Mother. Rediscovering the Religion of the Earth“ (1987), eines der kanonischen Göttinnenbücher der zweiten Welle der Frauenbewegung. Und es gibt zwei sehr dünne Bände mit ihren wild visionären Gedichten: „The Blue Rental“ und „The Victory of Sex and Metal“. Ich glaube, diese beiden und das Göttinnenbuch sind ihre einzigen Veröffentlichungen. Sie hat alle ihre Arbeiten fast ohne irgendeine Unterstützung zuwege gebracht – ein ungeheuer kluges und alarmierend lebendiges Werk. Es ist körperlich, brillant aus dem Bauch heraus geschrieben und sehr sexuell, so wie das Schreiben von David Wojnarowicz ... und wie das von Acker, natürlich. Ich glaube, Mor und Acker waren sogar zur selben Zeit an der UC San Diego. Edgar Garcia, ein Dichter und Akademiker an der University of Chicago, hat mich auf sie gebracht. Genau genommen meinte er: „Zwischen euch beiden besteht eine Verwandtschaft. Du solltest sie kennen.“

Pablo Castañeda, „Street Art, Mexicali", 2016

Pablo Castañeda, „Street Art, Mexicali", 2016

KRAUS: Edgar Garcia hat Barbara Mor entdeckt. Ein vertrauter Verlauf – ein Autor entdeckt einen anderen, gewöhnlich einen unbeachteten, älteren, und verhilft ihm oder ihr zu neuer Aufmerksamkeit. Alice Walker fand heraus, wo Zora Neale Hurstons namenloses Grab war. Warst du nicht selbst im Südwesten, als du das Werk von Barbara Mor entdeckt hast? Sie hat dort einen Teil ihres Lebens verbracht.

REINES: Sie hat viel im Burger King in Tucson geschrieben, die Stadt war damals so etwas wie ein Epizentrum des Second-Wave-Feminismus. Am Ende ihres Lebens hatte es sie, glaube ich, nach Oregon verschlagen. An dem Göttinnenbuch arbeitete sie in New Mexico auf dem Land. Sie zog zwei Kinder groß, war mit James Dean befreundet und hatte eine lange, üble Liebesbeziehung mit einem charismatischen, obdachlosen Mann – in ihren Gedichten ist die Landschaft so gegenwärtig und die ganze „verlorene Zeit“, die der Südwesten einfach ist. Sie sind auch voller Sprachen – Spanisch, Altgriechisch, eine Dichte von Sprachen, die den Körper einer Frau durchziehen. Es ist Wanderpoesie, wie dein Schreiben auch – Autofahrten, Zeitreisen, Seelenreisen ...

KRAUS: Letztes Jahr um diese Zeit holte ich dich in Tucson ab, erinnerst du dich? Ich musste nach Albuquerque, und du warst in Tucson, und irgendwie haben wir uns das nicht auf MapQuest angesehen oder haben die Karte falsch gelesen, jedenfalls dachten wir, das läge nahe beisammen.

REINES: Oh ja. (Gelächter)

REINES: Ich konnte es gar nicht fassen und meinte nur: „Wirklich? Bist du sicher, dass das auf dem Weg liegt?"

KRAUS: Ich bin also nach Tucson gefahren und nach deiner Lesung angekommen, als du mit den Studenten in einer Bar warst. Ich stieg in einem dieser 30-Dollar-Motels am Freeway ab, und wir verabredeten uns am nächsten Tag zum Kaffee. Wir wollten uns nur kurz treffen. Und dann hast du festgestellt, dass du eigentlich alles erledigt hattest und ebenso gut fahren kannst. Und schon hast du deine Tasche ins Auto geworfen, und los ging’s. Wir fuhren von Tucson nach Albuquerque an diesem Tag, dann weiter nach Santa Fe. Es war eine schöne, acht- oder neunstündige Fahrt …

REINES: Es war traumhaft.

KRAUS: Nördliche Route durch Arizona und New Mexico, in den Bergen in der Wüste, und dann der Donner über den Bergen, als es dunkel wurde. Das war eine wunderbare Erfahrung.

REINES: Das war schön. Und ich schenkte dir eine Jeansjacke.

KRAUS: Aus Frankreich. Ich habe sie noch. Aber ich frage mich: Wenn du Gedichte schreibst, sammelst du da zuerst bewusst? Oder ist das Material mehr eine Anhäufung, die du in den Rahmen des Gedichts bringst?

REINES: Beides. Bei manchen Gedichten, nämlich bei denen, die mir mehr wie Bomben erscheinen und in denen jede Menge explosiver Energie steckt, sammelt sich allmählich etwas an, und ich halte mich bewusst mit dem Schreiben zurück, denn ich will, dass sich zuerst eine Art Beklemmung bildet, eine Sehnsucht, fast so etwas wie sexuelles Verlangen. Und dann gibt es diese anderen Gedichte, die ich kontinuierlich schreibe, weißt du, was ich meine? Wenn man im Notebook einfach so vor sich hin tippt. Wobei ich von dir vermute, dass du sehr rasch komponierst.

KRAUS: Gar nicht! Vielleicht dann, wenn das Sammeln zu Ende ist. Die vier Romane, die ich veröffentlicht habe, beruhten auf eigenen Erfahrungen, und das geht nicht schnell. Ich glaube nicht, dass ich so etwas noch einmal machen werde. Seltsamerweise habe ich aber nun, da ich diese Acker-Biografie schreibe, das Gefühl, dass ich diesen Prozess auf die Arbeit mit den Archiven übertrage. Lang genug mit dem Material zu leben, sodass ich es in der gleichen Weise verinnerliche wie meine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen.

REINES: Wie schön das ist! Dieses Gefühl einer Alchemie des Schreibens, wie ein Hexenzauber. Die Erfahrung durchläuft einen geheimnisvollen Prozess im Inneren des Körpers und der Seele und wird schließlich zu echtem Stil. Für Proust hatte dieser Prozess mit Zeit und Metapher zu tun: Er nannte ihn „den Firnis der Meister“.

KRAUS: Ja, absolut ... das ist der Hexenzauber. (lacht)

REINES: Aber dein Stil ist trotzdem irgendwie extrem schnell. Er hat die Geschwindigkeit von Poesie, und er hat auch den Dreh und die Weltsicht einer dichterischen Sensibilität, verbunden mit dem Vergnügen an journalistischer Information. Nichts wird auf die Goldwaage gelegt oder angestrengt betont. Dein Schreiben ist immer in Bewegung und schnell, ein bisschen wie bei der New York School of Poetry.

KRAUS: Ich habe lange gebraucht, um zum Schreiben zu finden. Als ich schließlich so weit war, dachte ich mir, okay, ich kann vielleicht nicht die „große Schriftstellerin“ sein, aber ich bin immerhin imstande, genau zu sein. Und hoffentlich gleichzeitig amüsant – das ist für mich, was die New York School ausmacht. Ich wollte komplizierte Ideen so rüberbringen wie in einer charmanten Konversation. Du sprichst neuerdings viel von stärker journalistischem, nicht-fiktionalem Schreiben ...

REINES: Ich möchte die Übergänge zwischen Anthropologie, visionärem Dichten und Gonzo-Journalismus erforschen. Ich finde das wirklich faszinierend, wie der Motor der Anthropologie Fahrt aufnimmt, wenn du eine unsichtbare oder unterdrückte Einheit oder Quantität bist, kulturell gesehen, meine ich. Und wie diese Explosion schließlich sowohl zu einem Motiv für ­Recherche als auch zu einem Stimulans für visionäre Zustände wird. Es gibt da diese komplizierte Fragmentierung im Bewusstsein, die für mich damit zu tun hat, wie Frauen bisher dazu genötigt wurden zu sprechen. Eine Frau muss dazu in der Lage sein, aus ihrer eigenen Erfahrung heraus zu sprechen, und zugleich so, als könnte sie sich von außen sehen. Ich sehe das in Maya Derens Arbeit als Filmemacherin wie auch in ihrer Anthropologie. Und bei Zora Neale Hurston, ihre Anthropologie ist so künstlerisch, es ist die Anthropologie einer praktizierenden Künstlerin, nicht von jemandem, die sich „außerhalb“ der Kultur positioniert oder außerhalb ihrer eigenen Geschichte und Erfahrung. Es ist die Anthropologie einer Frau, eines unverschämten Lästermauls, auch einer kosmopolitischen Hipsterperson mit Ivy League-Hintergrund, einer gebildeten Folk­loristin aus einem Ort in Florida, den niemand kennt. Und sie ist eine unvergleichliche Künstlerin und erfahrene Zauberin … Obwohl sie bei Margaret Mead und Franz Boas an der Columbia studiert hat, also im Schmelztiegel der akademischen Anthropologie, hat sie nichts von diesem offiziellen Blick. Sie ist auf eine großartige Weise niemals zimperlich.

Maya Deren, „At Land", 1944, Filmstill

Maya Deren, „At Land", 1944, Filmstill

KRAUS: Zora fand in der Anthropologie eine Möglichkeit, voranzukommen, eine Möglichkeit, in einem volleren Sinn sie selbst zu werden. Mithilfe eines methodologischen Rahmens verfügte sie über ihre Kultur. Für Deren hingegen ging es mehr um eine Flucht: Sie ging bis an die Ränder der Welt, und dann sprang sie. Aber wie ist das bei Barbara Mor?

REINES: Eine der Geschichten, die ich von Edgar gehört habe, besagt, dass sie vom Erfolg ihres Buches nicht viel hatte. Das Göttinnenbuch wurde damals ja in zahlreichen Seminaren besprochen, Barbara Mor aber war obdachlos. Über eine solche Dynamik weiß ich auch das eine oder andere zu berichten ...

KRAUS: Weißt du, während der Recherchen für mein Buch erschien mir Kathy Acker zunehmend als Künstlerin und nicht als Schriftstellerin. Siehst du das auch so? Der Unterschied ist für mich der: Eine Künstlerin ist bestimmt durch einen inneren Prozess, der schließlich zur Erschaffung bestimmter Artefakte führt. Ein Buch hingegen ist eine so bewusste Konstruktion, die ein stärkeres Eigen­leben hat und über den eigenen Prozess des Autors hinausgeht.

REINES: Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Künstler verkaufen in gewisser Weise die Wiederholungen einer Art Subjektposition, die sie repräsentieren. Und dann können sie eine größere Anzahl von dem machen, was ihr Produkt ist, Kauknochen oder was auch immer sie verkaufen. Es ist, als würde man einen Teil des Bewusstseinszustandes kaufen, den sie repräsentieren.

KRAUS: Genau.

REINES: Für mich ist jedes Buch wie eine Zeit­maschine. Es verändert in jedem Fall die Substanz meiner Existenz. Die erste Person, die es verändert, bist du selbst. Und wenn es dann einmal durch die Welt geht und gelesen wird, fängt diese andere Form der Transformation an. Ich habe zum Beispiel vor Kurzem mit Jim Fletcher gemeinsam an Performanceprojekten gearbeitet, und dann mit dem Bildhauer Oscar Tuazon an einer Ausstellung mit dem Titel „PUBIC SPACE“. Schon seit vielen Jahren wollte ich mit Oscar eine Serie von Grenzmarkierungen, von „Hermen“ machen. Nun gab es endlich die Gelegenheit. Dabei wurde mir aber klar, dass ich nichts anderes sein möchte als eine Autorin – oder unter Umständen eine Musikerin, denn es gibt nichts Intimeres. Und etwas von dieser Intimität ist auch im Spiel, wenn man es mit deiner Arbeit zu tun hat, und mit dem Ausmaß von Intimität, die sie braucht. Man findet sie nirgendwo sonst ...

KRAUS: Ich glaube, das stimmt.

REINES: Und so fühle ich manchmal ein wenig Verachtung für Künstler, die verkaufen. Wie sie ihr Bewusstsein in kleinen Portionen servieren. Es verlangt ihnen nichts von dem ab, was eine Schriftstellerin die ganze Zeit aufbringen muss.

KRAUS: Stimmt, sie müssen nur einmal im Jahr eine Idee haben, und der Rest ist Ausführung. Eine Dichterin oder eine Autorin muss an jedem Tag, an dem sie schreibt, eine Idee haben.

REINES: Genau! Das finde ich das aufregendste daran, ein Maximum an Ideen auf kleinstmöglichem Raum zu haben. Von wegen: „Gebt’s mir! Bombardiert mich!“ Wie bekomme ich eine größtmögliche Dosis, für mich selbst oder von irgendwas, verstehst du? Wie ökologisch kann ich sein? Darum geht es mir. Und das ist etwas, das es auch so lohnend macht, dich zu lesen. (Lachen)

KRAUS: Danke schön. Aber mir geht es eigentlich um das Banale. Als ich „Kelly Lake Store“ schrieb, war der beste Moment der, als ich mit dem „Stadtgeschichtsschreiber“ sprach, der zwei Häuser weiter lebte und mir erzählte, warum der Store hatte schließen müssen. Der erste Eigentümer, Terz, ließ die Leute gratis Treibstoff zapfen, und er verkaufte immer noch genug im Laden, um über die Runden zu kommen. Die neuen Eigentümer ließen digitale Pumpen einbauen und stellten eine Cappuccinomaschine auf, und die Kundschaft blieb aus. Die Textur der Zeit liegt immer in den banalsten Details.

Übersetzung: Bert Rebhandl