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Vorwort

Das Thema dieser Ausgabe von Texte zur Kunst, „Poesie/Poetry“, bezieht sich auf die verstärkte Sichtbarkeit einer poetischen Sprache in Kunst und Kunstkritik. Auch in Theorie, Protest – und der digitalen Sphäre insgesamt – lässt sich ein Trend zu einer Sprache des Affekts und der persönlichen Erfahrung beobachten. Dahinter, so unsere Hypothese, steht ein zunehmendes Bedürfnis, politische Fragen von einem Standpunkt individueller Unmittelbarkeit aus zu adressieren. Wie kommt es dazu? Warum gilt poetische Subjektivität (ehedem eine marginale und ein wenig peinliche Identität) heute als gangbarer Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung und Erfolg? Wir nähern uns dieser Figur der/des artist-poet (ihrem Klang und ihrer Aktualität) aus verschiedenen Perspektiven, um herauszufinden, wie sie als Subjekt ein so zentraler Ort für das Wechselspiel zwischen Politik, Affekt und Digitalität werden konnte.

Die Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Autor John Kelsey und Isabelle Graw geplant wurde, untersucht populistische und anarchistische Poesie, Post-Jahrtausendwende-Netzpoesie, die Poesie als sprachlichen Mehrwert und die Sprache der sozialen Medien. Zudem betrachtet sie die Objektwerdung kunsthistorischer Poetik (und die der historischen Poeten) und die Schattierungen des verblassenden Lyrikbegriffs. Dabei geht sie dem Zusammenhang zwischen der scheinbaren Unmittelbarkeit von #poetry und der Anmutung einer hyperpersönlichen Stimme mit dem derzeitigen ökonomischen Imperativ, vor allem Sichtbarkeit zu erlangen, nach.

Ausschlaggebend für unser Interesse am hier in Augenschein genommenen poetic turn ist die Beobachtung, dass die für ihn kennzeichnende persönliche Zeugenschaft mehr und mehr als Ersatz für etablierte Formen kritischen Denkens in Stellung gebracht wird. Vielen Lesern und Leserinnen dieser Zeitschrift, die sich an das Aufkommen der Identitätspolitik in den 1990er Jahren erinnern, mag das merkwürdig vorkommen; zielte doch jenes Modell darauf, in die Sphäre der begründeten (und dadurch diskutierbaren) Werturteile einzudringen, um auf der Grundlage, sei es einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung, sei es einer sexuellen Präferenz, das eigene situierte Wissen im kritischen Diskurs einsetzen zu können. Doch der einstige Zwang der Positionierung gibt nun antidiskursiven Ansprüchen den Raum, die ausschließlich auf der Grundlage dessen, was man fühlt, erhoben werden können. Damit ist das Recht zu sprechen nicht mehr an eine Perspektive der (eigenen) Unterdrückung gebunden, sondern wird zur aufmerksamkeits-ökonomisch wichtigen Strategie für mehr Sichtbarkeit.

Zugleich wächst die Unzufriedenheit mit den heute üblichen theoretischen methodologischen Optionen und Schreibweisen kritischer Sprache, weil sie die Entwicklung neuer Kommunikationsformen nicht wirklich anerkennen und wenig Raum für hybride oder auf die eine oder andere Weise unvollständige Subjekte lassen. Auch scheinen sie schlicht nicht in der Lage, die große Anzahl von Sprecher/innen-Positionen jenseits spezifischer Kategorien zuzulassen. In einer Zeit, in der jede und jeder, auf der Grundlage je individueller Erfahrungen, Augenzeuge und Berichterstatter/in in eigener Sache ist, ist es wenig überraschend, wenn die institutionellen Instanzen, deren Autorität früher für Objektivität im Urteil stand, geschwächt erscheinen. Ist, wie die New Yorker Autorin Ada O’Higgins in ihrem Beitrag zu diesem Heft schreibt, „objektive“ Kritik in einer Welt „post-Fakt“ mittlerweile selbst ein poetischer Gegenstand? Man könnte einwenden, dass angesichts solch schrankenlosen Zugangs zur Artikulation der eigenen Meinung die Filterfunktion von Institutionen wie Texte zur Kunst mehr denn je gefordert ist. Aber gerade deshalb widmen wir uns hier der „poetischen Sprache“, mit der wir derzeit überflutet werden, wie es scheint, und die heute auch als kritisches Denken gilt.

Bereits Marcel Broodthaers erkannte die transitiven Eigenschaften des Poetischen und erscheint heute als provokanter Vorläufer der in dieser Ausgabe verhandelten Figur des artist-poet. Isabelle Graw fasst die Aktualität des belgischen Künstlers in sechs Thesen, die herausarbeiten, dass Broodthaers nicht nur in seinem berühmt gewordenen Konversionsakt von der Poesie zur Kunst wechselte. Indem er seinen Gedichtband in Gips eingoss und dadurch in Kunst verwandelte, brachte er ihn wieder als Ware ins Spiel und bot ihn zugleich der Kunstkritik dar. Für unsere Diskussion poetischer Sprache ist entscheidend, dass Broodthaers, so Graw, die Bedeutung des Sprachlichen in seiner Arbeit betonend, immer auch die Inszenierung seiner Subjektivität – als Bohemien und Dichter, als Kurator und Kunstunternehmer, als künstlerischer Produzent von Luxusgütern – mitbedachte.

Auch die Institutionen, die stets auf ein hohes theoretisch-kritisches Niveau bestanden, meint Künstler und Autor Felix Bernstein, fordern heute affektiv-kritische Subjektivität ein. Bernsteins Beitrag, der sich selbst die von ihm beschriebene schizoid-paranoide Tonlage zu eigen macht, untersucht den Aufstieg der hybriden Figur des Dichter-Künstler-Kritikers von Frankensteins Monster über Frank O’Hara und Broodthaers bis hin zu Bernsteins eigener Generation und darüber hinaus. Auch Chris Kraus und Ariana Reines sind mit dieser poetisch-künstlerischen Sprecherposition nur allzu vertraut. Kraus, Mitherausgeberin von Semiotext[e] und Autorin eines umfangreichen kritischen und literarischen Werks, und Reines, Autorin zahlreicher Gedichtbände, Künstlerin und Übersetzerin der englischen Ausgabe von Tiqquns „Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens“, entwickeln in ihrem Gespräch eine gemeinsame Genealogie ihrer Vorbilder. Sie zeigen so, dass die literarische Welt die privaten und öffentlichen Verwendungsweisen des „Ich“ seit Langem verhandelt. Mit dem wachsenden Druck, sich auszustellen und die eigene Innerlichkeit in Umlauf zu bringen, so Kraus und Reines, entsteht auch eine neue Verwundbarkeit – ist der Marktwert des Selbst an seine Gefühle geknüpft, gerät es unter Zwang, seine innere Stimme zu verkaufen.

Diese Sorge teilt die deutsche Dichterin Daniela Seel. Die Gründerin des Berliner Verlags Kookbooks spricht über die notwendige Distanz zwischen „Person“ und öffentlicher „Persona“ und darüber, wie das Englische (die von vielen der in dieser Ausgabe erwähnten artist-poets verwendete Sprache) für Nicht-Muttersprachler willkommene Unstimmigkeiten produzieren mag, aber zugleich die Denkmuster einer ohnehin dominanten Sprachform verstärkt. Dies schmälert die Möglichkeiten dessen, was überhaupt denkbar ist. Zugespitzt ließe sich sagen: Es passt die eigenen Gedanken an die Regeln des globalen Kapitals an. Andererseits haben, wie Tim Griffin in seinem Beitrag schreibt, eben die Geräte, die unsere Globalisierung beschleunigen sollen – allen voran das mit Autokorrektur- und Sofortübersetzungsfunktion ausgestattete Smartphone –, auch einen neuartigen öffentlichen Raum für poetisches -Denken eröffnet; einen zugleich intimen (nämlich von Förmlichkeiten entlasteten) und entkörperlichten (nämlich technologisch vermittelten) Raum, in dem, so Griffin, eine Form semiotischer Abstraktion entsteht, die es erst gemeinsam zu verhandeln gilt.

Liz Kotz vertieft die Frage nach Räumen semiotischer Unbestimmtheit und der Rolle, die Poesie darin spielt, aus kunsthistorischer Perspektive. In poetischer Sprache lag für viele Künstler/innen (beiderseits des Atlantiks) um 1960 eine Möglichkeit für das Erforschen von Intermedialität und Intersubjektivität. Diese Befragung der Grenzen des Kunstwerks, „das von sich selbst handelt“, stieß einen tief greifenden Wandel im Kunstfeld an. Andererseits – daran erinnert der marxistische Dichter Joshua Clover – ändert „Subjektivität“ in einem Gedicht nichts an der Verdinglichung des Dichters: „Das Subjekt des Kapitals ist das Kapital.“ In diesem Licht lässt sich auch der Beitrag der deutschen Dichterin Monika Rinck lesen, wenn auch in einem anderen theoretisch-kritischen Set-up. Sie beschreibt die Dichterin als „Sprach-Lieferantin“. Die Einführung eines „Ich“ und eines (vertrauten) „Du“ können in diesem Zusammenhang falsche Intimität bedeuten, indem sie dich, den Leser, dem Text als das pseudovertraute Subjekt (neoliberalen Konsumdenkens) einschreibt. Der Berliner Künstlerin und Autorin Karolin Meunier geht es nicht um Individuation, sondern um die Gemeinschaft von Leser/innen und Empfänger/innen, die sich zum Austausch poetischer Texte heute bildet; sie betrachtet die Räume und sozialen Körper, in denen und durch die Poesie zur Aufführung kommt. Die New Yorker Künstlerin (und Leiterin des Verlags Badlands Unlimited) Micaela Durand, als mögliche neokritische Stimme, protokolliert in ihrem Bericht zwischen Poesie und Prosa die Formate von Cyberplattformen, der Syntax von Twitter und von Textnachrichten, Schlagwortsuchen, Aggregatoren und von Medialisierungen. Die von Durand präsentierte linguistische Umgebung untersucht auch der Beitrag von Dena Yago, Autorin u.a. als Teil von K-Hole, für die #poetry unausweichlich ein Nebenprodukt von Arbeit ist, eine spezielle Art sprachlicher Mehrwert, verfertigt aus dem, was sich, vom Kapitalismus als unbrauchbar verworfen, als durchaus wertvoll erweist.

CAROLINE BUSTA / ANKE DYES

Übersetzung: Gerrit Jackson