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Hal Foster

Transgression & Wachsamkeit

Was kommt nach dem Ende? Dem Ende der Avantgarde, dem Ende der Kunst oder dem Ende der Wahrheit? Die Werkzeuge der Kritik scheinen machtlos gegen die neue Art Zombiekrieger, die von der politischen Maschinerie hervorgebracht werden; ihre Überschreitungen immun gegen Wahrheit und Transparenz.

Der Kunsthistoriker und Kritiker Hal Foster kommentiert den aktuellen Stand des kritischen Diskurses unter Trump, da Politiker/innen die Rolle spielen, die einmal Künstlern/Künstlerinnen und Kreativen vorbehalten war, und links und rechts unverfroren Regeln brechen.

Was soll die Linke tun, wenn die Rechte ihre Slogans stiehlt? Nicht einmal die Toten sind sicher, wie die Appropriation des alten Mottos der Wiener Secession durch die FPÖ in Österreich vor Kurzem bestätigte. „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ ist natürlich lediglich ein liberales Credo, doch das Gleiche ist auch radikaleren Positionen widerfahren. Die Entschärfung der Transgression ist inzwischen eine alte Geschichte: einerseits unschädlich gemacht als Spektakel (möglicherweise die am längsten laufende Show der Kulturindustrie), andererseits in die Institution einverleibt (wie Kafkas Leoparden, die in den Tempel einbrechen, nur um Teil der Zeremonie zu werden) oder, wieder anders, abgestumpft durch Wiederholung (bereits 1966 konnte Robert Smithson von der „Avantgarde verschwendeter Skandale“ sprechen [1] ). Doch der Gnadenstoß erfolgte erst vor Kurzem und bizarrerweise im Bereich der Politik: Die Transgression wird heute von der Rechten usurpiert, die dadurch wahrhaft radikal wurde. Als Steve Bannon, der selbst ernannte Schüler Lenins, zur Dekonstruktion der Staatsgewalt aufrief, antwortete Donald Trump mit hanebüchenen Benennungen, Verfügungen und Tweets, die mit ausnehmender Mühelosigkeit alle möglichen Gesetze und Konventionen über Bord geworfen haben, von denen einige tatsächlich eine gewisse Absicherung für viele von uns boten. Fünfzig Jahre nach der Wiederbelebung des leninistischen Aufrufs zur „Zerstörung des Staates“ zerstört der Staat sich selbst. Dass einige Amerikaner das FBI und die CIA als Erlösung sehen, ist nur ein weiteres Indiz dafür, wie sehr die Vereinigten Staaten heute auf dem Kopf stehen.

Was bleibt damit für linke Künstler/innen und Kritiker/innen übrig? Der neue Film „The Square“ bietet eine Möglichkeit zur Betrachtung des derzeitigen Dilemmas. Vor allem in zwei Szenen trifft Regisseur Ruben Östlund den Nagel auf den Kopf; zusammengenommen führen sie eine zwischen transgressiver Regellosigkeit und moralischer Wachsamkeit zerrissene Kunstwelt vor. Die erste Szene zeigt ein elegantes Dinner nach einer Vernissage, bei dem ein Mann mit freiem Oberkörper, aufgepumpt wie der Hulk mitten in der Metamorphose, eine Performance aufführt. Wie ein wildgewordener Schimpanse tobt er durch den Bankettsaal, und das Kulturvolk amüsiert sich, lässt sich anregen, sogar provozieren, kennt es doch die Regeln des Spiels – schließlich handelt es sich hier bloß um eine Performance. Bald darauf geraten die Dinge jedoch außer Kontrolle. Der Affenmann verspottet den Künstler, fordert ihn heraus und nötigt ihn dazu, fluchtartig den Raum zu verlassen. Der Kurator erklärt die Performance für beendet, doch der grunzende Mann macht einfach weiter, pöbelt die anderen Anwesenden an und fällt schließlich über eine junge Frau her. Diese Darstellung einer blindwütig gewordenen Aggressivität stellt mehr als nur die kulturelle Etikette auf den Kopf. Für einen Augenblick ist die Bestie zum Souverän geworden; auch wenn der Film vor der Wahl Trumps gedreht wurde, liest sich die Szene wie eine Allegorie auf dessen transgressive Form des Regierens. Wie darauf antworten? Niemand aus dieser Oberschicht scheint es zu wissen – bis schließlich die Männer in ihren Smokings, von Sinnen gleichermaßen, sich gegen diese Urgestalt erheben. [2]

Die zweite Szene zeigt eine Pressekonferenz, bei der der Künstler von einer Kuratorin interviewt wird. Ein Mann im Publikum unterbricht aus dem Off die Unterhaltung mit verbalen Beschimpfungen, die sich vor allem gegen die Frau richten. Angesichts der beharrlichen Belästigungen schreien einige der Anwesenden ihn an, er solle entweder den Mund halten oder den Raum verlassen. Wenn seine Unterbrechungen auch obszön sind, so sind sie ebenso zwanghaft, und bald darauf folgt die Erklärung, dass der Mann am Tourette-Syndrom leidet. Plötzlich kehrt sich die Situation um: Jetzt ist er das Opfer, und es erklingen Aufrufe zur Toleranz, während diejenigen, die ihn angegriffen haben, im Gegenzug Verachtung erfahren. Eine weitere angespannte Situation, eine weitere kulturell-politische Allegorie, doch dieselbe Frage – wie reagieren? Die Affenperformance ist überschreitend. Manchmal verweist das Kreatürliche auf eine Krise der sozialen Ordnung, und oftmals bricht die Gewalt aus, wenn das Recht aufgehoben wird, wie auch in diesem Falle. [3] Die Aufgabe besteht dann nicht darin, lediglich das Recht wiederherzustellen, wie es die Transgression üblicherweise mittels des Tabus tut, sondern es auf andere Weise neu einzuschreiben; nicht einfach gegenüber der Unordnung hart durchzugreifen, sondern die Störung in eine neue Konfiguration der Gemeinschaft umzuwenden. Darin liegt unsere Chance in der gegenwärtigen Periode des politischen Chaos – den Notstand in strukturelle Veränderung zu verwandeln.

Rirkrit Tiravanija „Untitled 1992 (free)“, 303 Gallery, New York, 1992

Die Pressekonferenz ist ein Lehrstück über moralische Ästhetik. Vor nicht allzu langer Zeit erschien die relationale Ästhetik auf der Bühne, die letztlich behauptete, dass, wenn das Soziale im Neoliberalismus zerstört werde („so etwas wie Gesellschaft gibt es nicht“), sich zum Ausgleich ein Refugium in kulturellen Räumen schaffen ließe: Dort könne man immer noch Beziehungen zu anderen aufbauen. Der heutige Fall einer moralischen Ästhetik ist ähnlich gelagert. Während die Verhaltensnormen für einen Beruf nach dem anderen eingerissen wurden, oblag es den kulturellen Institutionen, auf ihnen zu beharren – sogar ein Vorbild zu sein. Doch auch hier stellt sich ein Problem: Ebenso wie das Soziale teilweise an die Kultur ausgegliedert wurde, wird nun das Moralische teilweise ebenfalls dorthin ausgelagert. Aber die Institutionen können nicht auf diese Weise als kompensatorisch behandelt werden. Wie wir nur allzu gut wissen, hat die Kulturindustrie durchaus ihren Anteil an den stets ins eigene Horn blasenden Affen und ist mit der politischen Ökonomie der Marke Trump aufs Engste verstrickt. Und dies bot neuen Formen der feministischen und institutionellen Kritik einigen Schwung – von weitreichenden Bewegungen wie #MeToo bis hin zu konzentrierten Gruppen wie etwa Occupy Museums. Gleichzeitig sollten wir nicht zulassen, dass schlechte Akteure dort einen Freipass erhalten, wo sie gerade am schärfsten zur Rechenschaft gezogen werden sollten – im Bereich des Politischen. Die Aufgabe besteht darin, dies auch dort einzufordern, vor allem dort.

Ich schreibe diese Zeilen ein Jahr nach dem Amtsantritt von Donald Trump und zitiere im Folgenden einen Absatz aus der „J-20 Proclamation“ von 2017, die auch heute noch gültig ist: „Trotz ihrer Widersprüche verfügt die Kunstwelt über beträchtliches – materielles, soziales und kulturelles – Kapital. Die Zeit ist gekommen, Möglichkeiten zur Umleitung dieser Mittel in Solidarität mit breiteren sozialen Bewegungen zu entwickeln und umzusetzen, die im Kampf gegen den Trumpismus voranschreiten.“ [4]

Übersetzung: Robert Schlicht

Titelbild: Szene aus "The Square“, Regie Ruben Östlund, 2017

Anmerkungen

[1]Robert Smithson, „Antwort auf eine Umfrage von Irving Sandler“ (1966), in: ders., Gesammelte Schriften, Köln 2000, S. 50f.
[2]Über Trump als Urvater vgl. meinen Text „Père Trump“, in: October , 59, 2017.
[3]Vgl. Eric Santner, On Creaturely Life. Rilke/Benjamin/Sebald, Chicago 2006.
[4]Die vollständige Proklamation ist abgedruckt in October , 59, 2017. Ich danke Yates McKee und Andrew Weiner für die kritische Lektüre des vorliegenden Texts.