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Der Traumzauberbaum Inka Meißner über Amy Lien & Enzo Camacho im Kunstverein Freiburg

Amy Lien & Enzo Camacho, „260 South Street, NYC, NY 10002“, 2018

Amy Lien & Enzo Camacho, „260 South Street, NYC, NY 10002“, 2018

Der Protest der Marderhunde gegen die Rodung des Waldes zum Zwecke der Neubebauung am Rande von Tokio in „Pom Poko“, ein Studio-­Ghibli-Anime aus dem Japan der 90er Jahre, ist eine der vielen Referenzen, die in „Shady ­Mansion“ − Amy Liens und Enzo Camachos Ausstellung im Freiburger Kunstverein − im Sinne einer, wie es im Saaltext heißt, „Transkontextualisierung und Schichtung von Bezugssystemen und Diskursen“ [1] zusammengefügt wurden und mich an die Besetzung des Hambacher Forsts erinnerte.

Während Europa hinsichtlich der Narrativierung von Öko-Aktivismus noch mit der Erfahrung einer atomaren Katastrophe beschäftigt war, die final frontier in der Weite des Himmels bestand, von wo aus sich der radioaktive Wind jederzeit unsichtbar anschleichen konnte, gab es in Japan bereits ziemlich avancierte Erzählungen über den Kampf gegen die Zerstörung von Lebensraum durch zunehmende Urbanisierung bzw. das Überleben im Anthropozän. Tief verwurzelt in den regionalen Mythologien kreist dieser Film um eine zwar verschüttete, aber reaktivierbare Fähigkeit der wilden Hunde, das shapeshifting. In unterschiedlicher Gestalt arbeiten sie daran, die Menschen dermaßen zu erschrecken, dass die Bebauung der ehemaligen Waldfläche aus Respekt vor den ansässigen Naturgeistern wieder aufgegeben wird. Am Ende werden die Tiere keinen Erfolg haben, und das wilde Leben der Natur diffundiert entweder in das menschengemachte hinein, stirbt oder zieht sich zurück. Davor wird aber noch ein ziemliches Spektakel abgefeiert.

Man muss sich die Ausstellung so vorstellen (sie ist sehr suggestiv): Der Eintritt in den Kunstverein ist der Eintritt in eine komplett verdunkelte Halle, in der sich nur langsam eine unklare Anzahl in die Höhe ragender Objekte abzeichnet. Beim Näherkommen lassen sich Baumstrukturen erkennen, Metallstangen, an denen Äste befestigt sind. Sie erinnern an die Skelette vertrockneter Weihnachtsbäume. Steht man direkt davor, wird klar, dass die Stangen in den Köpfen von bezaubernden, fein getöpferten Marderhund-Anime-Figuren fixiert wurden und zwischen den Ästen filigrane Objektkonstruktionen aufgespannt sind, denen auf kleinen weißen Zetteln je eine konkrete Szene zugeordnet wird. Diese Assemblagen funktionieren wie Suchbilder oder Hieroglyphen; sie erinnern ganz entfernt an Duchamps „Großes Glas“ und dann an Kunstwerke aus dem Waldkindergarten, neben Tonmünzen sind darin billige Dekorationsmaterialen, Steine und sonstige Fundstücke verarbeitet. Die weißen Papiere mit den Beschreibungen haben etwas von Zetteln aus Glückskeksen. Aber es geht nicht um Voraussagungen, das Geschehen hier muss bereits in der Vergangenheit liegen. Es ist der Blick zurück auf ein Leben auf der Erde. Handgemachte Hologramme, die meistens vom Elend erzählen, das der Vertreibung der kleinen und dem Bau immer größerer Häuser vorausgeht (Eine ältere Frau erwägt einen Stein gegen die seidige Glasfassade eines Gebäudes zu werfen.“) [2] Der Aufbau dieser Objekte entspricht der des Geldbaumes, einer alten chinesischen Grabbeigabe.

„Amy Lien & Enzo Camacho: Shady Mansion“, Kunstverein Freiburg, 2018, Ausstellungsansicht

„Amy Lien & Enzo Camacho: Shady Mansion“, Kunstverein Freiburg, 2018, Ausstellungsansicht

Das wenige vorhandene Licht dringt durch Röhren, die aus einer eingezogenen Decke kommen und mit einem Parasolschirm jeweils über den Baumskulpturen platziert sind. Es ist mühsam, in der Dunkelheit die Details zu erkennen, aber einen Lichtschalter gibt es nicht, und gleich erfährt man auch warum.

Von der Balustrade aus, die den Ausstellungsraum − ein ehemaliges Schwimmbad − umschließt, kann auf diese Kulisse geblickt werden. Hier oben wird das vom verkleideten Dachfenster reflektierende Licht mit alten Regenschirmen eingefangen und durch die Röhren in der neu eingezogenen Decke hinuntergeleitet. In einer hinteren Ecke stehen Kartons mit übrig gebliebenen Verpackungen und ein paar selbst gemachte Deko-Poké-Bowls aus Pappmaché, eine davon ist ein Vogelnest. Spätestens hier verdichtet sich ein Gefühl von Sinnlosigkeit. Während unten noch die Verzauberung überwog, macht sich jetzt Verzweiflung breit. Nie sah Verlorenheit so corporate aus. Shady Mansion ist nicht umsonst ein chinesischer Begriff für Hölle.

Die Struktur für diese Installation liefern zwei konkrete Projekte, die Lien und Camacho aus der Lower East Side und damit von den Schauplätzen der Kämpfe gegen die Übernahme einer der letzten noch nicht komplett durchgentrifizierten Ecken Manhattans nach Freiburg importiert haben, in die „Green City“ − die sonnenreichste Stadt Deutschlands und bundesweit führend in der nachhaltigen Stadtentwicklung, deswegen aber nicht weniger in der Spirale steigender Mieten verfangen.

Eines der beiden Projekte ist die Lowline [3] , ein als Pendant zur High Line im Südwesten Manhattans geplanter unterirdischer Park in einem stillgelegten U-Bahnhof in Chinatown, in den mit Lichtkollektoren das auf der Erdoberfläche gesammelte Sonnenlicht durch Glasfaserkabel nach unten geleitet werden soll, um dort das Wachstum von Pflanzen zu ermöglichen.

Das zweite Projekt, weitaus näher an seiner realen Umsetzung und weniger Steampunk, ist ein Bauvorhaben auf dem Areal zwischen der Brooklyn und der Manhattan Bridge, in einer Gegend, in der früher überwiegend Familien aus Puerto Rico lebten. Fünf Hochhäuser mit mindestens zu zwei Dritteln Luxuswohnungen sollen dort entstehen. Ihre zukünftigen Adressen liefern die Titel für die fünf Baumskulpturen im Untergeschoss, während einige der in den Bäumen abgebildeten Szenerien Bilder aus dem Promo-Trailer der Investitionsfirma wiedergeben: „Eine Frau in Abendgarderobe schaut aus einem Fenster ihres Penthouse Apartment nach Westen über das Finanzviertel von New York City dem Sonnenuntergang entgegen.“ Diese Informationen sind im Saalheft sehr umfassend aufgeführt und zum Teil mit Originaldokumenten bebildert, sie stellen damit der fast romantischen neuen Kontur des Freiburger Kunstvereins einen unmissverständlich realen Part gegenüber, genauso wie Lien und Camachos eigene Partizipation in Gruppen wie „Art Against Displacement“ [4] an Konflikte um die Rolle von Künstler*innen und Galerien im Prozess der zunehmenden Gentrifizierung dieser Gegend erinnert, die man im vergangenen Sommer auch außerhalb von New York in Form von instawars mitverfolgen konnte.

Was mich aber am meisten an dieser Installation erstaunt, ist die Möglichkeit, ein Double-­bind, das systemische Bild, dessen Analyse sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der beiden Künstler*innen zieht, als räumliche Erfahrung zu beobachten. Während sie den realen Energieverlust einer als visionär beworbenen Konstruktion wie der Lowline nachzeichnen und damit die Kollision von „Nachhaltigkeit und Entwicklung als konkurrierende Ansprüche auf eine imaginierte Zukunft“ [5] vorführen, offenbart das wenige Restlicht, das die analog verschlüsselten Suchbilder nur noch unzureichend ausleuchten kann, auch ein anderes Verhältnis, was meiner Ansicht nach vor allem beim Thema Gentrifizierung relevant wird, gerade weil es um die Kontrollierbarkeit, Dichte und Zusammensetzung von Information geht.

Begriffe und Verhältnisse aus unterschiedlichen Systematiken kongruent zu setzen, funktioniert nur bedingt. Ein Beispiel dafür ist der Entropiebegriff in der Informationstheorie. Er leitet sich aus der Physik ab, beschreibt aber nicht eins zu eins das Gleiche, also den Verlust oder Gewinn von Energie durch Unordnung. Die direkte Übersetzung für Entropie hier ist Informationsgehalt. Er wird in Bits bemessen.

Letztlich können und sollen die heterogenen Quellen und vielschichtigen Erzählformen, die Lien und Camacho hier auffahren, genauso wenig über den Verlust von subjektiver Agency und damit komplexer Information hinwegtäuschen, der bei jeder weiteren Gentrifizierungswelle als Kollateralschaden entsteht, wie sich Diskursästhetik immer noch schwer als Kunst verschlüsseln lässt. Vielleicht braucht es dafür mehr als gefundene Blätter und Zweige aus Freiburger Gärten und Straßen, mehr Noise und weniger Klartext-Bites, um den Angleichungsbewegungen einer globalen Kulturwissenschaft etwas entgegenzusetzen.

Amy Lien & Enzo Camacho: Shady Mansion“, Kunstverein Freiburg, 14. September bis 28. Oktober 2018.

Anmerkungen

[1]Vgl. Saalheft.
[2]Ebd.
[3]http://thelowline.org.
[4]https://www.aad.nyc.
[5]Vgl. Saalheft.