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Ashna Ali

GRENZGEBIET MITTELMEER

Wie kann es sein, dass das SOS-Signal eines Bootes in Seenot über Tage von allen Schiffen in der Region empfangen und dennoch ignoriert wird? Wie schaffen es rechtsgerichtete europäische Politiker*innen, mit breiter parlamentarischer Rückendeckung die Missachtung humanitärer Mindeststandards zu rationalisieren und durchzusetzen?

Die Literaturwissenschaftlerin Ashna Ali beschreibt das Mittelmeer als fluide, tödlich effiziente Grenze, zu deren Aufrechterhaltung eine Vielzahl von Akteur*innen beiträgt. Jenseits romantischer Projektionen einer mystischen Opazität des Meeres offenbaren sich Strukturen, die sich nach 2017 bei nachlassender öffentlicher Aufmerksamkeit sogar noch verschärft haben.

Mit dem scharfen Rechtsruck in der politischen Landschaft nicht nur des Globalen Nordens wird der weltweite politische Diskurs von Debatten über Migration und Ethnonationalismus dominiert. Die zunehmende Militarisierung der Grenzen in den USA und der EU erfordert eine Neubewertung der Frage, durch welche Arten von Räumen und durch welche Materialität "Grenzgebiete“ konstituiert werden. Denkt man Grenzen als Teilungslinien des Landes, verdeckt dies die Realität des Mittelmeers als eines der tödlichsten und am stärksten überwachten Grenzgebiete der Welt und als Ort, der wohl mitverantwortlich für den Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und ethnonationalistischem Eifer in Europa war. 2015 wandte sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dem Mittelmeer zu, als Tausende Migrant*innen [1] aus Afrika und dem Nahen Osten zwischen der libyschen und italienischen, der maltesischen und der griechischen Küste ihr Leben verloren. Zwei Jahre lang waren die globalen Nachrichtenmedien mit Bildern von atemberaubend blauem Wasser überflutet, vor dem sich grellorange, mit Passagier*innen überladene Schlauchboote abzeichneten. Die Empörung darüber, dass den Asylsuchenden keine angemessene medizinische Versorgung und politischer Schutz geboten wurde, fand ihren Höhepunkt mit den massenhaft zirkulierten Fotos eines kurdisch-syrischen Kindes. Aylan Kurdis Körper wurde mit dem Gesicht nach unten an den türkischen Strand gespült, nachdem er mit vielen anderen aus seinem Boot bei dem Versuch, Griechenland zu erreichen, ertrunken war. Dieses Bild machte Kurdi zum Inbegriff dessen, was als die europäische Flüchtlingskrise bekannt wurde.

Die europäische Flüchtlingskrise und ihr angebliches "Ende“ im Jahr 2017 fordert zur Reflexion über einige entscheidende Fragen auf: Wen machen wir für die toten Flüchtlinge im Meer verantwortlich? Wenn die "Krise“ tatsächlich vorbei sein sollte, was ist dann mit den Millionen Menschen geschehen, die vor Bürgerkrieg, Verfolgung, Armut und der Klimakatastrophe fliehen, die weiterhin ihre Heimat zerstören und ihr Leben bedrohen? Hakim Abderrezak bezeichnet das Mittelmeer als "Seegrabstätte“ (seametery), um auf die regionale Spezifizität des Sterbens von Migrant*innen aus vornehmlich muslimischen Ländern aufmerksam zu machen und zu betonen, dass "das Meer mit dem assoziierten Begriff des Flüssigen nicht als Verbindungs(naht [seam])-System zwischen Ländern, Kontinenten und Kulturen mit einer dauerhaft konfliktreichen Geschichte wirken konnte“. [2] Wie lange diese Spannungen bereits anhalten, wird aus der Medienberichterstattung über die Krise ausgeklammert. Auch wenn die Migration nach Europa über Italien und das Sterben im zentralen Mittelmeer nicht neu sind, sind die irregulären Überquerungen des Meeres erst 2015 auf den Schirm der Welt gerückt, im tödlichsten Jahr bislang mit schätzungsweise mehr als 5350 Toten auf See. [3] Vor 2015 war die Operation Mare Nostrum in Kraft, eine italienische Marine- und Luftwaffenoperation zur Seenotrettung, der zugeschrieben wird, Tausende Migrant*innen vor dem Tod im Mittelmeer gerettet zu haben. Doch dieser humanitäre Aufwand war für einen einzelnen EU-Staat ungemein kostspielig und in einer Zeit zunehmender Fremdenfeindlichkeit politisch unpopulär. Mare Nostrum wurde von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) durch die Operation Triton abgelöst. Der Schwerpunkt von Triton lag weniger auf der Suche und Rettung als vielmehr auf dem Grenzschutz – darin, zu verhindern, dass Boote von den Küsten Afrikas in See stechen. Zur Eindämmung der Migration zahlt Italien Dutzende Millionen Euros an Machthaber in Libyen und im Sudan, denen schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, und arbeitet heute mit bewaffneten Milizen zusammen, die sich früher als Schleuser betätigt haben und die nun mit italienischer Unterstützung die Migrant*innen davon abhalten, von der Küste abzulegen. Die Bereitwilligkeit der EU, Geld für die Zusammenarbeit mit bewaffneten Milizen und korrupten Regierungen "anderswo“ aufzuwenden und wissentlich zuzulassen, dass Migrant*innen festgehalten werden oder im Meer ertrinken, ist eine klare Verweigerung von Verantwortlichkeit gegenüber den Menschenrechten.

Der 18-minütige Filmessay Liquid Traces: The Left-to-Die Boat Case (2015) der Mitbegründer des Projekts "Watch the Med“ (einer partizipatorischen Onlinekarte, auf der Todesfälle und Verletzungen der Rechte von Migrant*innen auf dem Meer dokumentiert werden), Charles Heller und Lorenzo Pezzani, entmystifiziert die Intransparenz des Mittelmeers als Mörder in flüssiger Gestalt und offenbart ein selektives und militarisiertes Mobilitätsregime, an dem vielfältige Akteur*innen beteiligt sind, die sich der Verantwortung entziehen, in Seenot geratenen Flüchtlingsbooten zu helfen, und dadurch vielfach Flüchtlinge vor aller Augen sterben lassen. [4]

Das Video zeigt eine digitale Karte des Mittelmeers, dessen Wasseroberfläche entsprechend dem Muster seiner Strömungen wogt. Der schwarze Hintergrund, von dem es sich abhebt, repräsentiert das Land, wodurch das Wasser als Territorium – als positiver Raum – in den Vordergrund gerückt wird, anstatt als mysteriöse Weite jenseits der Küsten zu gelten. Indem der Film Digitaldaten von verschiedenen Überwachungstechnologien zusammenfügt und sie mit den Zeugnissen von Überlebenden abgleicht, rekonstruiert er den Kurs eines Flüchtlingsbootes, dessen Schicksal bekannt wurde, als es 2011 13 Tage lang hilflos im Meer trieb. Um den Kontext nachzuzeichnen, beginnt der Film mit dem Bürgerkrieg in Tunesien. Frontex antwortete auf die tunesischen Unruhen mit einer Verstärkung der Präsenz in dem Gebiet und setzte Schiffe und Flugzeuge ein, um eine "mobile und deterritorialisierte Grenze“ zu schaffen. Bald darauf brach in Libyen der Bürgerkrieg aus, und innerhalb weniger Wochen eröffnete eine internationale Koalition eine Militärintervention "mit dem erklärten Ziel der Verhütung des Verlusts von Zivilisten“. Die NATO setzte das Waffenembargo um und stellte das Seegebiet vor den Küsten Tunesiens und Libyens unter ihre Kontrolle. Sie brachte eine Flotte von Kriegsschiffen und Seeaufklärungsflugzeuge zum Einsatz sowie, wie im Kommentar erläutert wird, "einen komplexen Apparat von Fernerfassungstechniken, um versteckte Bedrohungen im Seeverkehr aufzuspüren. Dazu zählten AIS-Schiffsverfolgungssysteme, die Signale an Radarstationen an der Küste aussenden und über Identität, Geschwindigkeit und Position großer Handelsschiffe Auskunft geben. Während die Abdeckung durch AIS auf das Gebiet vor der libyschen Küste begrenzt war, stützte sich die NATO auch auf Radarbilder mit synthetischer Apertur, wobei Radarsignale von Satelliten ausgesendet werden, die auf ihrer Umlaufbahn die Erdoberfläche erfassen. Die Echos großer Schiffe erscheinen als helle Pixel auf der dunklen Oberfläche des Meeres. Durch diese Techniken werden die flüssigen Wellen des Meeres ständig um ein pulsierendes Meer aus elektromagnetischen Wellen ergänzt.“ [5]

Thomas Kilpper, „A Lighthouse for Lampedusa!“, 2010

Thomas Kilpper, „A Lighthouse for Lampedusa!“, 2010

Die Migration nahm zu, als sich die Gewalt in beiden Ländern und an deren Grenzen verschärfte, was eine Höchstzahl an Todesfällen auf dem Meer unter dem digitalen Blick der NATO zur Folge hatte. Am 27. März 2011 stach ein zehn Meter langes Boot von der libyschen Küste aus in See. Liquid Traces zeichnet den Kurs dieses Bootes mit einer weißen Linie auf dem blauen Wasser nach, die von einem sich bewegenden Gebilde aus hellen Pixeln umgeben ist, die die Schiffe im Umkreis darstellen.

Es gelang den Passagieren auf dem Boot, der italienischen Küstenwache ihre Position mitzuteilen. Die italienische ebenso wie die maltesische Küstenwache, die NATO und sämtliche Handelsschiffe und Fischerboote in der Straße von Sizilien empfingen tagelang alle vier Stunden ein Signal, und dennoch reagierte im Laufe von zehn Tagen nicht einer der Akteure. Ohne Treibstoff trieb das Boot im Seeüberwachungsgebiet der NATO, kurz vor den Grenzen des Bereichs, in dem Italien und Malta für Suche und Rettung verantwortlich sind. Zwei Mal in 13 Tagen begegnete das Flüchtlingsboot mutmaßlich einem NATO-Hubschrauber. Das erste Mal fotografierte dieser das Boot und drehte dann ab; ein Verhalten, das im Einklang mit der Politik der NATO steht, Schiffe zu identifizieren und im Fall von Seenot der Flüchtlinge die geringstmögliche Hilfe zu leisten. Tage später flog wohl derselbe Hubschrauber über das Boot und warf acht Flaschen Wasser und einige Kekse ab. Da sie nicht riskieren wollten, sich Vorwürfen illegaler Handlungen stellen zu müssen, ließen die Fischerboote das dahintreibende Schiff im Stich, wobei sie häufig so schnell abdrehten, dass sie das Boot beinahe zum Kentern brachten. Von einem tunesischen Fischerboot erfuhren die Flüchtlinge, dass sie vier Stunden von Lampedusa entfernt seien, ohne dass ihnen jedoch weitere Hilfe gewährt worden wäre. Keines der vom AIS erfassten Handels-schiffe änderte seinen Kurs, um Reisende in Seenot zu retten, wie es ihre Pflicht gewesen wäre. Die in der Nähe registrierten Schiffe, darunter mehrere des Militärs, befanden sich im Umkreis von zwei Stunden um das Flüchtlingsboot. Als die Hälfte der Passagiere bereits gestorben war und der Rest Meerwasser und den eigenen Urin trank, trafen sie auf ein Militärschiff. Obwohl dessen Besatzung das Leiden sah, ließ sie ihr Schiff einmal um das Flüchtlingsboot kreisen, schoss einige Fotos, um dann ohne Hilfeleistung abzudrehen. "Damit brachten sie sie um, ohne ihre Körper zu berühren“, erklärt der Kommentar. "Während diese Fernerfassungstechniken üblicherweise zur Überwachung eingesetzt werden, erhalten sie hier einen neuen Zweck und werden zu einem Schuldbeweis.“ Als das Boot im libyschen Zliten an Land geschwemmt wurde, waren nur noch elf Passagiere am Leben. Eine Frau starb am Strand, ein weiterer Mann im Gefängnis, in das die Überlebenden, nachdem sie die libysche Küste erreicht hatten, für fünf Tage eingesperrt wurden. Trotz diverser Bemühungen musste keiner der Akteure rechtliche Konsequenzen wegen unterlassener Hilfeleistung oder Mord tragen. [6]

Dies ist die unsichtbare Hand des Grenzregimes, die in den vorherrschenden Mediennarrativen über die Flüchtlingskrise nicht vorkommt. Berichte wie diese sind zum alltäglichen Material für Diskussionen über die südeuropäische Politik und die Zukunft der EU geworden. Wir brauchen nur den kontroversen Fall der U. Diciotti betrachten, der während der gesamten Amtszeit von Matteo Salvini, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, den politischen Diskurs Italiens prägte, um zu sehen, wie illegale Menschenrechtsverletzungen schnell zur politischen Norm werden. Am 16. August 2018 verwehrte Salvini einem Schiff der italienischen Küstenwache, der Diciotti, die Einfahrt in italienische Häfen, nachdem es in internationalen Gewässern vor Malta 177 Flüchtlinge − die meisten von ihnen aus Eritrea − gerettet hatte. Da sich Malta weigerte, Verantwortung zu übernehmen, und nicht autorisiert ist, Schiffe der italienischen Küstenwache aufzunehmen, steuerte die Diciotti den Hafen von Catania an. Sie musste Anker werfen und mit all ihren Passagieren auf offenem Meer ausharren, da Salvini untersagt hatte, die Flüchtlinge an Land gehen zu lassen, bevor sich nicht andere Staaten für ihre Asylverfahren zuständig erklärt hätten. Das Schiff lag fünf Tage vor Anker, bis die Passagiere schließlich von Bord gehen durften. Salvinis Anweisung stellte eine Verletzung internationaler Menschenrechtsnormen sowie der italienischen Verfassung dar, die das Recht auf persönliche Freiheit gewährleistet. [7] Daraufhin wurden Forderungen laut, ein Verfahren gegen Salvini wegen Freiheitsberaubung einzuleiten. Als der Senat jedoch über die Möglichkeit eines Gerichtsverfahrens entscheiden sollte, votierten 232 Senator*innen gegen die Aufhebung von Salvinis parlamentarischer Immunität und behaupteten, dass jede seiner Entscheidungen stellvertretend für die gesamte Regierung im Interesse des italienischen Volkes getroffen worden sei. Seitdem hat Salvini die Gewässer für NGO-Rettungsschiffe geschlossen und zahlreiche Boote auf dem Meer festsetzen lassen, was verschiedene Nachbar-länder veranlasste, seinem Beispiel zu folgen. [8]

Thomas Kilpper, Britisches Kriegsschiff im Hafen von Mytilini auf Lesbos als Antwort auf die Migrationsbewegungen von Afrika nach Europa / British warship in the harbor of Mytilini on Lesbos. in response the migratory movements from Africa to Europe, 2017

Thomas Kilpper, Britisches Kriegsschiff im Hafen von Mytilini auf Lesbos als Antwort auf die Migrationsbewegungen von Afrika nach Europa / British warship in the harbor of Mytilini on Lesbos. in response the migratory movements from Africa to Europe, 2017

Italienische, maltesische und griechische Behörden haben strafrechtliche Ermittlungen gegen kleine karitative Verbände eingeleitet, die Rettungsmissionen im Mittelmeer unternehmen, und in vielen Fällen ihre Schiffe behindert. Im Januar 2019 wurde die Sea Watch 3, ein Rettungsschiff, das von einer kleinen deutschen gemeinnützigen Initiative betrieben wird, zwei Wochen lang ignoriert oder abgewiesen, bis sich Malta schließlich bereit erklärte, es anlegen zu lassen. Nachrichten, die einst erschütternd waren, sind inzwischen als übliche Praxis normalisiert worden. Dies sind nur einige der Strategien, die die Migration auf zehn Prozent im Verhältnis zum Stand von 2015 reduziert haben und somit die Behauptung rechtfertigen, die Flüchtlingskrise sei "bewältigt“. [9] Damit gehen vielfältige Konsequenzen einher, die beiden offensichtlichsten aber sind, dass zahllose Menschen, die vor Bürgerkrieg, Verfolgung, Klimawandel und Armut fliehen, unter erbärmlichen Bedingungen interniert werden oder im Mittelmeer ertrinken. Menschenschmugglerringe und Internierungszentren auf beiden Seiten des Mittelmeers bedeuten fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen, die unbemerkt bleiben und nicht dokumentiert werden. Die Ursachen für Bürgerkrieg und Unruhen, die die Welle der Migration seit 2014 ausgelöst hatten, sind nicht geringer geworden, doch die Berichte aus europäischer Perspektive feiern den starken Rückgang der Zahlen ankommender Flüchtlinge und befeuern die Popularität von Salvini und anderen Anti-Flüchtlings-Staatsführern.

In den ersten Jahren der Flüchtlingskrise haben einige europäische Länder, insbesondere Deutschland, viele Flüchtlinge aufgenommen, Bestimmungen für Asylsuchende, die illegal in diese Länder eingereist waren, gelockert und sich teilweise geweigert, die Asylsuchenden zurück nach Italien oder Griechenland zu schicken, wo die Aufnahmebedingungen mutmaßlich gegen die Menschenrechte verstießen. Seitdem haben sie, durch die Folgen genötigt, die Logik Berlusconis angewandt, um die Migration in Europa zu reduzieren. Die italienische Küstenwache bildet die libysche Küstenwache aus. Libysche bewaffnete Milizen kollaborieren mit dem italienischen Staat, um Migrant*innen an Land zu halten und sie festzusetzen, statt Schiffe auf dem Wasser zuzulassen; für "Fahrzeuge, Schiffe und Gehälter im Austausch gegen Kooperation“. [10] Die New York Times berichtet: "Doch die Minister vereinbarten auch die Bereitstellung neuer Gelder für Programme der Vereinten Nationen, um den geschätzt 400.000 in Libyen gestrandeten Flüchtlingen zu helfen, von denen viele in verwahrlosten Internierungszentren festgehalten werden, wo Missbrauch und Ausbeutung an der Tagesordnung sind. Die Internationale Flüchtlingsorganisation hat an einigen Orten Fälle von Sklaverei dokumentiert, während die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief jüngst die schrecklichen Bedingungen in den Lagern angeprangert hat.“ [11] Kurz, Europa ist damit zufrieden, das Problem – und die Kritik daran – mit Geld zuzuschütten. Die Augen vor fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen und der Not der Asylsuchenden zu verschließen, ist eine bessere Lösung, als auf Zusammenarbeit beruhende Strukturen für den Umgang mit Flüchtlingen zu suchen. Die Maßnahmen suggerieren, dass die Flüchtlinge, sobald sie aus den Augen – jenseits des Horizonts des Mittelmeers – sind, auch aus dem Sinn sind und das blaue Wasser wieder zur neutralen Flüssigkeit werden kann, bereinigt von politischen Trennlinien auf der Oberfläche und der Grabstätte auf dem Meeresgrund.

Übersetzung: Robert Schlicht

Titelbild: Bildschirmfoto von marinetraffic.com

Ankerkungen

[1]Anm. d. Red.: im folgenden Text bleiben wir mit dem Begriff Migrant*innen so nah wie möglich an der Originalversion der Autor*in und beschreiben damit im allgemeinsten Sinne Menschen, die ihre Heimat freiwillig verlassen haben als auch Flüchtende, die ihre Heimat aufgrund der politisch- rechtlichen Situation verlassen mussten. Da der Umgang mit den Begrifflichkeiten (Migrant*innen, Flüchtlinge, Geflüchtete) sich stets im Wandel befindet, möchten wir betonen, dass wir uns von jeglichem Ge- bzw. Missbrauch dieses Vokabulars vonseiten rechter Parteien distanzieren.
[2]Hakim Abderrezak, „The Mediterranean Seametery and Cementery in Leïla Kilani’s and Tariqu Teguia’s Filmic Works“, in: Yasser Elhariry/Edwige Tamalet Talbayev (Hg.), Critically Mediterranean. Temporalities, Aesthetics, and Deployments of a Sea in Crisis, New York 2018, S. 152.
[3]„IOM Counts 3,771 Migrant Fatalities in Mediterranean in 2015“, IOM UN Migration, 5. Januar 2016, https://www.iom.int/news/iom-counts-3771-migrant-fatalities-mediterranean-2015.
[4]Anna Momigliano, „Italian forces ignored a sinking ship full of Syrian refugees and let more than 250 drown, says leaked audio“, in: The Washington Post, 9. Mai 2017, https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2017/05/09/italian-forces-ignored-a-sinking-ship-full-of-syrian-refugees-and-let-more-than-250-drown-says-leaked-audio/.
[5]Charles Heller, Liquid Traces. The Left-to-Die Boat Case.
[6]Ebd.
[7]Massimo Frigo, „The Kafkaesque ,Diciotti‘ Case in Italy. Does Keeping 177 People on a Boat Amount to an Arbitrary Deprivation of Liberty?“, in: OpinioJuris, 28. August 2018, http://opiniojuris.org/2018/08/28/the-kafkaesque-diciotti-case-in-italy-does-keeping-177-people-on-a-boat-amount-to-an-arbitrary-deprivation-of-liberty/.
[8]Lorenzo Tondo, „Italian senate blocks criminal case against Matteo Salvini“, in: The Guardian, 20. März 2019, https://www.theguardian.com/world/2019/mar/20/italian-senate-blocks-criminal-case-against-matteo-salvini.
[9]Pressemitteilung der Europäischen Kommission: „Europäische Migrationsagenda: EU muss Fortschritte der letzten vier Jahre ausbauen“, 6. März 2019, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1496_de.htm.
[10]Declan Walsh/Jason Horowitz, „Italy, Going It Alone, Stalls the Flow of Migrants. But at What Cost?“, in: The New York Times, 17. September 2017, https://www.nytimes.com/2017/09/17/world/europe/italy-libya-migrant-crisis.html.
[11]Ebd.