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Luciana Moherdaui

#PROTESTEMOS

Projetemos, São Paulo, 2021

Projetemos, São Paulo, 2021

Protest als oftmals kollektive Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit ist für Demokratien elementar. In den letzten Jahren bewiesen zahlreiche Beispiele auf der ganzen Welt – von Hongkong über Santiago bis Minneapolis – die außerordentliche gesellschaftliche und politische Wirkmächtigkeit von Protesten. Die Pandemie hat die Mobilisierung großer Gruppen im physischen Raum erschwert; gleichzeitig war angesichts sowohl der Täuschung der Bürger*innen, mit denen manche Staaten auf die Situation reagierten, als auch korrupter Entscheidungsträger*innen kollektives Handeln dringend geboten. In Brasilien trat eine Protestbewegung auf den Plan, die nicht nur eine wirksame Strategie entwickelte, um die logistischen Einschränkungen durch die Pandemie zu umgehen, sondern auch eine robuste basisdemokratische Plattform für kollektives Handeln in den Städten des Landes etablierte: Projektionen, mit denen politische Botschaften im öffentlichen Raum verbreitet werden können. Die Journalistin Luciana Moherdaui berichtet über die Entstehung dieser Bewegung und diskutiert die juristischen Hindernisse, die ihre Dynamik ausbremsen könnten.

Die Kuratorin Marília Pasculli hat die beispiellose Bewegung, die sich in Brasilien zu Beginn der Covid-Pandemie formierte, am besten beschrieben: „Wenn die Wände Stimmen bekommen“, so der Titel eines Artikels von Pasculli, der im Juni vergangenen Jahres erschien. [1]

Im Gefolge der sozialen Distanzierungsmaßnahmen ersetzten Projektionist*innen den Protest auf der Straße mit Protest aus dem Fenster. Anstelle der riesenhaften Konstruktionen, die üblicherweise zum Einsatz kommen, um Video-Mappings auf Gebäude, Fassaden und Mauern zu werfen, genügen heute ein Projektor und ein Computer mit Internetanschluss, was Projektionen zugänglicher und ihre Verbreitung einfacher gemacht hat. Vormals auf Kunst und Aktivismus beschränkt, haben Projektionen den brasilianischen Stadtraum neu konfiguriert, indem sie diverse Themen (Nachrichten, Politik, Menschenrechte, infrastrukturelle Dienstleistungen und Unterhaltung) aufgreifen und als Live-streams übertragen – vom parlamentarischen Untersuchungsausschuss (CPI), der das Vorgehen der Bundesregierung während der Covid-Pandemie untersuchte, bis zur Modenschau auf der São Paulo Fashion Week (SPFW). [2]

Im brasilianischen Stadtbild erscheinen nun täglich Deklarationen: „Respektiert alle Formen von Liebe“; „Wie lange noch werden wir sterben?“; „SUS [Sistema Único de Saúde, das brasilianische Gesundheitssystem] ist ein Mythos“; „Verirrte Kugeln finden immer einen Schwarzen Körper“; „Liebe kultivieren lindert den Schmerz“; „Was wirst du tun, wenn du geimpft bist?“; „Jeder Tag ist Tag der Erde“; „Freiheit“; „Stoppt den Mord an den Ureinwohner*innen Südamerikas“; „Wir laufen den Covid-CPI-Marathon“; „Trauern um Brasilien“. Diese Popularisierung verdankt sich Projetemos (Lasst uns projizieren), einer kollektiven Aktionsgemeinschaft, die für die Entstehung eines landesweiten Netzwerks von Projektionist*innen verantwortlich ist, mit Teilnehmer*innen aus fünf brasilianischen Regionen – unter reger Beteiligung des südöstlichen Bundesstaates Minas Gerais – sowie aus Argentinien, Chile, Italien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Kolumbien, neben anderen Ländern. Der Hashtag #PROJETEMOS zirkulierte in den sozialen Medien, ausgehend zunächst von der Gruppe Movimento Nacional (Nationale Bewegung), die erstmals am 21. März 2020 in Erscheinung trat.

Der Aufruf von Movimento Nacional führte zu Protesten, die fast zeitgleich überall im Land stattfanden und sich gegen die Covid-Verleugnung von Präsident Jair Bolsonaro und seine zahlreichen Versuche richteten, die Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu sabotieren, mit denen Bürgermeister*innen und Landeshauptleute die Ausbreitung des Virus zu verhindern suchten. Dazu gehören sowohl Bolsonaros Unterstützung für den Einsatz unwirksamer Medikamente gegen Covid-19 als auch seine Ermunterung zu sozialen Zusammenkünften und zur Nichtverwendung von Masken, was den Tod unzähliger Brasilianer*innen nach sich zog und unermesslichen Schaden angerichtet hat. Bei der dritten großen Mobilisierung gegen Bolsonaro im Juli 2021 erstrahlte der Planalto-Palast – der offizielle Arbeitsplatz des Präsidenten im Regierungsviertel von Brasilía – mit Projektionen, die Bolsonaro anprangerten. Nachdem Folha de São Paulo, eine der wichtigsten Zeitungen des Landes, Anschuldigungen erhob, wonach ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums Bestechungsgelder angenommen habe, um den Ankauf tausender AstraZeneca-Impfdosen zu genehmigen, gingen rund 800.000 Brasilianer*innen in allen Landeshauptstädten auf die Straße und übertrafen damit die vorherigen Demonstrationen vom 29. Mai und 19. Juni. Proteste, die auf die Situation in Brasilien reagierten, ereigneten sich auch in England, Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Belgien, Irland und Portugal.

Ciro Gomes, „Bolsonaro traidor: Mais atual do que nunca!“, 2021, Filmstill

Ciro Gomes, „Bolsonaro traidor: Mais atual do que nunca!“, 2021, Filmstill

Es war nicht das erste Mal, dass am Planalto-Palast eine derartige Aktion stattfand. Am 20. Juni, dem Tag nach der zweiten Demonstration gegen den Präsidenten, projizierte eine von Bruno Camori aka Boca, einem Mitglied von Projetemos, organisierte Gruppe von Künstler*innen für acht Minuten die Botschaft „500.000 Opfer“ auf die Mauern der Nationalbibliothek von Brasilía und auf den Busbahnhof der Bundeshauptstadt, die beide nur ein paar Kilometer vom Sitz der Bundesregierung entfernt liegen. Und es war nicht das erste Mal, dass eine Präsident*in zum Gegenstand einer solchen Prüfung wurde. Die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff war ebenfalls das Ziel von Protesten gegen ihre Regierung: Am 21. März 2016, fast zwei Monate nachdem Rousseffs Amtsenthebungsverfahren vom Senat eingeleitet worden war, projizierten Aktivist*innen der Oppositionsparteien das Wort „Amtsenthebung“ auf die Mauern des Planalto-Palastes.

National Network

Unter dem Motto „Mit der richtigen Organisation kann jede*r projizieren!“ („Se organizar direitinho, todo mundo projeta!“) bietet das nationale Netzwerk der freien Projektionist*innen neben dem Reiz des Neuen auch eine aufklärerische Funktion in der Gesellschaft. Die von den VJs Mozart und Felipe Spencer und der Politikwissenschaftlerin Bruna Rosa koordinierte Gruppe hält Workshops ab, in denen Menschen das Projizieren lernen können, und stellt unter www.projetemos.org eine Vorlage zur Verfügung, wo jede*r Vorschläge einbringen kann, welche Botschaften auf der Fassade eines Gebäudes abgebildet werden sollen. Wie Lucas Pacífico es in seinem 2020 erschienenen Buch Onde nos encontramos (Wo wir uns begegnen) beschrieb: „Die wahre Revolution auf der Straße findet jetzt zu Hause statt.“ [3]

Neben Projetemos haben sich noch andere Gruppen wie Projeção Consolação, Cine Janela, Cine Minhocão, Fortuny.DJ, Rede Quarentena und VisualFarm zum Zweck der Projektion zusammengeschlossen. Projeção Consolação wurde 2019 mit dem Ziel gegründet, täglich Projektionen durchzuführen, das letzte Instagram-Update der Gruppe jedoch wurde am 18. März 2020 gepostet. Die verbleibenden Gruppierungen sind nach wie vor aktiv, auch wenn sie nicht so häufig Aktionen organisieren wie Projetemos.

Projektionen im urbanen Raum sind gleichwohl kein Novum. Bereits im 18. Jahrhundert wurde mit Projektionstechniken experimentiert. Der Pionier der Projektionstechnik und -ästhetik war der Physiker und Zauberkünstler Étienne-Gaspard Robert, dessen „Phantasmagorie“ genannte Aufführungstechnik „das Ergebnis einer Verdichtung mehrerer optischer Illusionserfahrungen war, basierend auf einer auf Schienen montierten Laterna magica, mit der Charaktere und Figuren von unterschiedlicher Größe auf Rauchwolken projiziert wurden“. [4] Der moderne Gebrauch von Projektionen im brasilianischen Stadtraum und darüber hinaus wird seit mindestens zwei Jahrzehnten praktiziert.

In seinem Buch Mappingfesto: Projection Mapping Manifesto aus dem Jahr 2017 schildert der VJ Alexis Anastasiou, wie diese Technologie im brasilianischen Kontext ursprünglich verwendet wurde: „Brasilianische VJs wurden als Echtzeit-Videomixer tätig, indem sie dem Rhythmus der Beats elektronischer Tanzmusik folgten, wie sie in den späten 1990er Jahren auf Partys, in Clubs und auf Raves gespielt wurde. Damals war der Zugang zu digitalen Videoproduktionstools extrem eingeschränkt und schwierig.“ Über die Technologie, die diese VJs verwendeten, bemerkt Anastasiou, dass „eine digitale Workstation, die Videos und einfache Animationen produzieren kann, damals ein kleines Vermögen kostete. Die am häufigsten verwendeten Hilfsmittel waren VHS-Kassetten, die Analogvideos in sehr fragwürdiger Qualität übertrugen, sowie primitive Computer (die nicht in der Lage waren, Videos abzuspielen).“ [5] Obwohl Projektionen in Brasilien schon seit etwa drei Jahrzehnten in Verwendung waren, gilt Anastasious Projekt Video Guerillha, das die öffentliche Funktion der Straße neu zu imaginieren trachtete, als die erste große Video-Mapping-Aktion.

Étienne-Gaspard Robert, „Fantasmagoria de Robertson dans la Cour des Capucines en 1797“, 1831

Étienne-Gaspard Robert, „Fantasmagoria de Robertson dans la Cour des Capucines en 1797“, 1831

Es ist wichtig, Anastasious Buch heute wieder zu lesen, weil seine Schilderung den täglichen Projektionen vom März 2020 vorgreift – nicht ästhetisch, aber in ihrer Verfahrensweise, also in der Art, wie sie produziert wurden, und in ihrer hochgradigen Produktivität und Zugänglichkeit. Heute können sich alle, die über einen Projektor, einen Computer und Internetzugang verfügen, an kollektiven Aktionen beteiligen. Zugleich jedoch unterliegt der politische Einsatz von Projektionen, anders als die traditionelle Straßendemonstration, in manchen brasilianischen Städten rechtlichen Einschränkungen. In São Paulo verbietet das Gesetz für eine saubere Stadt, das seit 2007 in Kraft ist, politische Demonstrationen qua Projektion. Laut einem 2011 erlassenen Beschluss, „muss die kurzzeitige Projektion von Filmen, Karikaturen, Fotografien und Bildern im Allgemeinen auf dauerhafte oder vorübergehende, öffentliche oder private Gebäudefassaden, Denkmäler, öffentliche Infrastruktur und andere derartige Konstruktionen, sofern sie von öffentlichen Straßen aus einsehbar sind, im Voraus von der Leitung des Ausschusses zur Stadtbildbewahrung genehmigt werden.“ In anderen brasilianischen Bundesstaaten, darunter Rio de Janeiro und Bahia, gelten keine derartigen Bestimmungen. Aber wenn in São Paulo ansässige Künstler*innen und Aktivist*innen mit ihren Projektionen gegen das Gesetz verstoßen, können sie mit einer Geldbuße von 10.000 R$ belegt werden. Ungeachtet des Risikos einer Geldstrafe haben Projektionist*innen neue Wege gefunden, das Gesetz zu umgehen, oftmals indem sie den Ort ihrer Aktionen auf Instagram (dem sozialen Netzwerk, das am häufigsten zur Bekanntmachung ihrer Aktionen genutzt wird) ändern.

Ein ähnliches Gesetz, das Graffiti jedoch entkriminalisiert, wurde 2011 unter der ehemaligen Präsidentin Dilma Rousseff verabschiedet. Dieses Gesetz unterscheidet zwei Arten von Haftbarkeit: Graffiti auf staatlichem Eigentum müssen von der Regierung genehmigt werden, während Graffiti auf Privateigentum von den Eigentümer*innen und/oder Mieter*innen autorisiert werden müssen. Selbst wenn neue Gesetze zur Reglementierung von Projektionen erwogen werden, die sich an der Dekriminalisierung von Graffiti ein Beispiel nehmen, stehen wir immer noch vor einem Problem: den politischen Interessen privater Grundeigentümer*innen.

Aus diesem Grund prüfen die Gerichte derzeit, ob die Durchsetzung des Gesetzes für eine saubere Stadt im Zusammenhang mit diesen politischen Protesten nicht einen Verstoß gegen die brasilianische Verfassung darstellt, deren Artikel V Redefreiheit garantiert. Ein weiteres, sehr wichtiges Problem in diesem Zusammenhang: Es ist die örtliche Regierung, die entscheidet, ob eine Genehmigung erteilt wird oder nicht, was zur Folge hat, dass Anträge auf Projektionen mit politischem Charakter häufig abgelehnt werden, besonders wenn diese sich gegen politische Verbündete der örtlichen Regierung richten. [6] Dies führt uns zu folgender Frage: Wenn Demonstrationen und Proteste heute auf Fassaden, Mauern und auf den leeren Seiten von Gebäuden – im öffentlichen Raum – ausgetragen werden, warum soll es der Regierung obliegen, über die Inhalte zu entscheiden, die in diesen Projektionen gezeigt werden dürfen?

Schwebende Projektionsflächen

Neben den politisch intendierten Projektionen finden sich auch pädagogische Aktionen darunter, wie jene der Gruppe Não Bata, Eduque (Nicht prügeln, erziehen). Mittels Videos hat die Gruppe der Bevölkerung gezeigt, wie mithilfe der Taschenlampenfunktion auf Smartphones hausgemachte Projektionen erzeugt werden können, die Einzelne motivieren sollen, von zu Hause aus am politischen Messaging der Gruppe mitzuwirken. Eine solche Aktion fand am 26. Juni 2021 anlässlich einer Demonstration gegen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung statt.

Projetemos und Não Bata, Eduque sind dem Graduiertenprogramm der Schule für Architektur und Urbanismus an der Universität von São Paulo (FAUUSP), an dem ich von April 2018 bis Januar 2021 teilgenommen habe, eng verbunden. Es ist #PROJETEMOS zu verdanken, dass ich die Hypothese meiner Abschlussarbeit beweisen konnte: dass ephemere Projektionsflächen in naher Zukunft auf der ganzen Welt massenhaft für politische Zwecke zum Einsatz kommen würden.

Die Idee, mich in meinem Forschungsprojekt mit Projektionen zu befassen, geht auf den Kurzfilm Lost Memories zurück, den der französische Regisseur François Ferraci 2012 veröffentlichte. Die Handlung des Films spielt auf dem Place du Trocadéro in Paris, hier dargestellt als ein von Daten förmlich überfluteter Ort, wo Verbindungen allgegenwärtig sind und digitale Interfaces aus Smartphone-Bildschirmen herausragen. Die Stadtlandschaft ist infolgedessen von schwebenden und temporären Projektionsflächen umgeben, die eine erweiterte Realität schaffen. Obwohl das Hauptanliegen von Lost Memories darin besteht, auf die Risiken einer vollständig von digitalen Daten abhängigen Gesellschaft hinzuweisen, gilt das Hauptaugenmerk bei der tatsächlichen Umsetzung dieser Entwicklung den ästhetischen, ethischen und politischen Implikationen eines durch Projektionsflächen neu konfigurierten Stadtraums.

Projetemos, São Paulo, 2021

Projetemos, São Paulo, 2021

Damals bezog sich meine Vermutung, dass diese Technologie schon bald allgegenwärtig sein würde, allerdings auf Smartphones, nicht auf Projektoren, die im März 2020 zum Einsatz kamen. [7] Ich war der Überzeugung, dass Augmented-Reality-Anwendungen diese Interfaces in den urbanen Raum verlagern würden. Nachdem ich mehrere Umfragen durchgeführt hatte, um herauszufinden, wie solche mobilen Geräte zu diesem Zweck eingesetzt werden könnten, tauchten überall im Land einfachere Möglichkeiten zur Erweiterung des städtischen Raums auf – entgegen meinen früheren Vorstellungen.

Die Auswirkungen der Projektionen vom März 2020 gleichen jenen, die Anastasiou in seinem Buch aus dem Jahr 2017 in Bezug auf digitale Fassaden beschreibt: „Die Gebäudefassaden einer Stadt werden zu dynamischen Systemen, die in Echtzeit mit der Straße interagieren und dabei Interferenzen mit den Stadtbewohner*innen verursachen und von ihnen empfangen.“ Anastasiou schrieb, dass der anhaltende Einsatz dieser Techniken auf großer Stufenleiter es möglich machen würde, das Erscheinungsbild von Gebäuden genauso einfach zu verändern, wie wir heute den Bildschirmhintergrund unserer Desktops und Smartphones ändern können. [8]

An einigen Orten jedoch, wie zum Beispiel in der Stadt São Paulo, wo das Gesetz für eine saubere Stadt in Kraft ist, benötigen diese dynamischen Systeme eine Genehmigung, es sei denn, es besteht ein thematischer Bezug zu Covid-19 oder sie sind von einer öffentlichen Behörde organisiert. Mit den Projektionen vom März 2020 aber stellte sich für viele die Frage, ob es eines spezifischen Bundesgesetzes bedarf, um die örtlichen Vorschriften zu ersetzen. Es scheint angebracht, die Schaffung eines bundesweiten Gesetzes zu diesem Thema in Betracht zu ziehen. Die Lösung könnte in einem allgemeinen Gesetz für digitale Kultur bestehen, wie ich es im Abschlussbericht meines Forschungsprojekts vorschlage. Ein solches Gesetz könnte Rahmenbedingungen für die Nutzung dieser ephemeren Projektionsflächen etablieren, basierend auf einer breiten Diskussion, die von einer Gruppe qualifizierter Personen zu führen ist, um relevante Kriterien für die Bewertung solcher Projektionen vorzulegen. Es ist dringend nötig, die Verbesserung der bestehenden Gesetzgebung und die Schaffung neuer Gesetze zu erwägen, die sich mit der Frage der Projektion befassen, da diese Bewegungen so bald nicht verschwinden werden. Sie sind bereits Teil des Stadtbilds und haben die Art und Weise, wie Menschen im urbanen Raum interagieren und protestieren, tatsächlich verändert.

Das Nachwirken der Projektionen im März 2020 zeigt sich in dem landesweiten Netzwerk, das Projetemos in den folgenden zwei Jahren der sozialen Distanzierung geschaffen hat. Heute gibt es, verstreut über ganz Brasilien, um die 200 Projektionist*innen. Diese Bewegung ist gekommen, um zu bleiben – nicht allein aufgrund der politischen Dimension, die sie angenommen hat, sondern auch, weil sie die Kultur Brasiliens komplett umgestaltet hat: Die Menschen rezipieren so Fernsehprogramme, Filme und Live-Übertragungen von Modeschauen und politischen Nachrichten, nehmen an politischen Aktionen teil, die zeitgleich in mehreren Ländern stattfinden, und erhalten Gesundheitsinformationen. Die Arbeit dieser verschiedenen Kollektive hat die demokratische Besetzung der Stadtlandschaft als tägliche Praxis konsolidiert und eine Debatte über veraltete Gesetze in Bezug auf diesen neuen gegenwärtigen Kontext und zur Verteidigung der Meinungsfreiheit erzwungen.

Übersetzung: Nikolaus Perneczky

Anmerkungen

[1]Marília Pasculli, „When the Walls Get Voices“, in: Volume, 21. Juni 2021.
[2]Fabio Victor, „Luzes na cidade. Ativismo num paredão paulistano“, in piauí, März 2020.
[3]Lucas Pacífico, Onde nos encontramos, São Paulo 2020.
[4]André Parente, „Do quase ao pós-cinema: o cinema como efeito“, in: Novas formas do audiovisual, hg. von Lucia Santaella, São Paulo 2016, S. 125.
[5]Alexis Anastasiou, Mappingfesto: Projection Mapping Manifesto, São Paulo 2017, S. 71.
[6]Die vollständige Version des abschließenden Berichts ist verfügbar auf: https://bit.ly/3wtmH2J.
[7]Luciana Moherdaui, „Telas urbanas: do neón às projeções efêmeras“, in: Galáxia, 45, 2020, S. 179–93.
[8]Anastasiou, S. 45.