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DIMENSION UND REPETITION Stephan Geene über Rosa Barba in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

Rosa Barba, „From Source to Poem“, 2016, Filmstill

Rosa Barba, „From Source to Poem“, 2016, Filmstill

Immerwährende Jetztzeit. Rosa Barbas Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie umfasst 15 filmische und skulpturale Werke, die von einer raumgreifenden Stahlkonstruktion eingefasst sind. Mit diesem Display nimmt die Künstlerin Bezug auf Mies van der Rohes 1924 entworfenes, jedoch nie umgesetztes „Landhaus aus Backstein“, für das die Idee des offenen Grundrisses maßgeblich war. Bei Barba, die vor allem eine Künstlerin des analogen Kinos ist, des Zelluloids und der Projektoren, folgt die Architektur dem Prinzip der filmischen Montage, genauer: der äußeren und inneren Gestaltung einer Ganzheit. Damit ist die Installation, wie Stephan Geene einräumt, zugleich eine Rekonstruktion dessen, was abgelegt, aber nicht durchgearbeitet ist: der Zusammenhang von Arbeit, Zeit, Maschine und Welt.

Jeder Ausstellungsort rahmt seine Ausstellung, aber im Falle des neu eröffneten und jahrelang renovierten Inbegriffs heroischer Durchsichtsmoderne, der Neuen Nationalgalerie, gilt das besonders. Erreicht man Rosa Barbas Installation im Untergeschoss, so bleibt dieser Rahmen deutlich als Nachbild präsent. Es ist unumgänglich, auf dem Weg dorthin einen Blick in die nun wieder eröffnete Haupthalle zu werfen, diesen riesigen Raum, der das reine Sehen-Können verkörpert, und auf die darin leger platzierten Mobiles von Alexander Calder. Auch das ist, wenn auch weniger heroisch, ein Rückgriff mehr auf die Schaffensphase des Architekten Mies van der Rohe als auf die Entstehungszeit des Gebäudes selbst, das erst spät, 1968, fertiggestellt wurde. Calder verstärkt aber durchaus die Retro-­Aureole von Mies’ Hochphase der frühen und nun retroaktiv eher nicht mehr infrage gestellten, weil rekonstruierten Moderne.

An einer Austreibung des „ghost of Mies“, wie sie Beatriz Colomina einmal unternahm, ihrem „out-Miesing Mies“ [1] , wird bei Barba offenbar nicht gearbeitet, im Gegenteil greift die Ausstellung den historischen Faden des Architekten offensiv auf, ohne ihn durchtrennen zu wollen. Das massive, konstruktive Ausstellungsdisplay nimmt sogar Bezug auf eine unrealisierte, 1924 von Mies konzipierte Arbeit. Und doch täuscht der Eindruck, Barba habe hier vor allem site-­specific gearbeitet. Funktionale Gestelle, Maschinen, Kinoprojektoren, Bilder von riesigen Fabrikanlagen aus der Hochzeit des Industrialismus sind auch sonst Barba-typische Ausstellungsmittel und -themen; sowohl, was den Rückgriff auf die Moderne insgesamt angeht, als auch in Hinblick auf die konkreten Installationselemente und filmischen Gegenstände. Hier hat also eher ein Ort zu seiner Künstlerin gefunden als umgekehrt.

Nicht nur weil es im Untergeschoss dunkel ist, einer Höhle gleich, steht das Basement in starkem Kontrast zum hellen Erdgeschoss. Auch wird Sehen in Barbas Konstruktion weniger eröffnet als mit hoher Systematik verschoben, wenn nicht gar verstellt. Sperrige Stahlrahmen, Filmprojektoren, Lichter, die an und aus gehen und die mal Filmbilder werfen, mal erhellen oder blenden, dazwischen Dunkelheit. Aber auch etwas, das die Sicht versperrt, wie hier auf den Raum, ist selbst wiederum sichtbar: Das Gestell ist der Kern von Barbas Skulpturbegriff. Blind Volumes nennt sie ihr Display – wie schon eine ähnliche Arbeit 2016 in der Frankfurter Schirn, die die Künstlerin in einem Kommentar als „soziale Skulptur“ bezeichnete. Die Besucher*innen konnten damals wie jetzt kein Ausstellungsobjekt in den Blick nehmen, ohne selbst Teil der Apparatur zu sein, im Inneren einer Produktion, die nicht Bild werden will. 59 Stahlrahmen blockieren den Raum, machen den Zugang zu den Projektionen schwierig, es gilt, sich hindurchzumanövrieren, eigene Wege zu finden, keinem fixen Parcours zu folgen. Einige der hier versammelten Elemente werden zeitweise still gestellt, im Turnus gehen sie dann wieder an – wie auf einer Baustelle. Oder einem Rangierbahnhof. Dass all dies in einem White Cube geschieht, gerät buchstäblich in den Hintergrund.

Barba ist vor allem eine Künstlerin des analogen Kinos, des Zelluloids, der Projektoren, der mühsamen Herstellbarkeit der Bilder, des Krachs im Projektionsraum, des propellernden Knatterns der Rotoren. Das durchkreuzt alle demateriellen Annahmen kommunikativer Produktion in der Postmoderne, die sich in den letzten 30 Jahren mit den auch das Kino tiefgreifend verändernden digitalen Bildern verbunden haben. Eine heute aber ohnehin delegitimierte Perspektive, da die Materialität der zur Software gehörenden Hardware aus der Verdrängung zurück ist: Nicht nur Kryptowährungen müssen, wie man weiß, buchstäblich „geschürft“ werden, wenn schon nicht in der Erde, so doch mittels Erde als Strom, den sie fressen; Rechenleistung insgesamt ist nicht zu haben ohne Raubbau an kostbaren Elementen, letztendlich der Erde.

„Rosa Barba. In a Perpetual Now“, Neue Nationalgalerie, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

„Rosa Barba. In a Perpetual Now“, Neue Nationalgalerie, Berlin, 2021, Ausstellungsansicht

Der Retro-Fordismus Barbas ist insofern nicht so unzeitgemäß, wie man denken könnte, und zudem auch eine Rekonstruktion dessen, was abgelegt, aber nicht durchgearbeitet ist, nämlich des Zusammenhangs von Arbeit, Zeit, Maschine und Welt/Erde. Es ist interessant, dass diese Erdschwere in ihren Installationen und Filmen zwar symbolisiert wird als meist industrielle Arbeit und als Bilder von Erdölfeldern, dass sie selbst aber außen vor bleibt – Erde, Natur, Stoff sind in ihren Ausstellungen nicht ungefiltert zu erwarten. Barbas System ist an diesem Punkt streng: Erde muss Bild bleiben.

Dieses Bild, das keine Landschaft ist, ist bei Barba industrielle Großanlage – oder eine Wüste. Oder eine Großanlage in der Wüste. Dimension und Repetition. Dabei an ein „Perpetual Now“ zu denken, wie der Ausstellungstitel nahelegt, ist erstaunlich: Jede Erdölpumpe vermittelt statt Repetition und Stillstand eher ein Gefühl schwindender Ressourcen und drohenden Erdendes; die gleichen Bewegungsabläufe einer Öl oder Gas aus der Erde pumpenden Maschine stehen nämlich für eine rasante Zunahme von Entleerung, von Bewegung auf ein Ende hin. Gerade an diesem Punkt ist jedes Bild von Maschinenarbeit ein Zeit-Bild: War die Erde lange noch ein Garant für unendliche Größe, so verbindet sich mit ihr jetzt in erster Linie Knappheit. Unendlichkeit ist so verstanden nur noch am Rand des Universums zu finden und an der Wahrnehmbarkeitsgrenze zum Subatomaren.

Aber die Gegenwart – now – nur zu begreifen als den Moment vor einer Entladung, dem Kollaps der Erde, wäre im Fall von Barba zu kurz gegriffen. Und in der Erde nur ihre Endlichkeit zu erkennen, hieße vielleicht doch nur wieder, sie auszublenden, zu negieren. Barba erschließt sich Zeit komplizierter, wie in der Erfahrung der Wüste, wo die Zeit aus Gründen still steht, die nichts mit Bewusstsein oder Wahrnehmung im engeren Sinne zu tun haben, nichts mit Subjektivität, sondern mit Raum. Die Größe der Wüste erzeugt ein eigenes Recht auf Bestand, eine eigene Resilienz, unempfindlich gegen Veränderung. In der Wüste gelingt es Barba, sich an diesen Zustand anzuschließen, ihm „nahe zu kommen“, sich damit zu „synchronisieren“, allerdings nur als Element ihrer selbst mit der Kamera als ihrem Auge: „… especially when I film in wide open spaces where time seems to exist endlessly in every direction. Looking through the camera, I often feel that the process of capturing time requires a specific perspective.“ [2] Diese Perspektive äußert sich in der Ausstellung in Barbas Umgang mit Zelluloid: In Spacelength Thought (2012) läuft Filmmaterial durch eine Schreibmaschine, frame by frame wird ein Buchstabe eingehackt, um dann frei ins Leere zu laufen, als ein Zuviel an Material rollt es sich auf dem Boden auf. In One Way Out (2009) wird Zelluloid grob in ein Blechrohr gezogen, die dabei entstehenden Kratzer auf dem Film werden das Filmbild.

In ihrer schönen, das Idyll des Calder’schen Ateliers sensibel aufnehmenden Arbeit Enigmatic Whisper von 2017 ist Barbas Herumtasten in der Zeit buchstäblich Retromanie: Das von ihr gefilmte, seit Calders Tod unverändert gebliebene Atelier ist wie das Auflegen einer Schallplatte – ein Zurückversetzen, ein Bestehen darauf, dass ein Bild „fast dreidimensional ist“ [3] , wie Barba sagt. Zeit hänge nicht nur an einer Linie, sondern sei „geologisch“ geschichtet. Das ist auch eine Spur esoterisch, wie Zeitphilosophie eigentlich immer, wird aber nüchterner unter der Voraussetzung, dass man Gegenstände nicht mit der Wahrnehmung von ihnen verwechselt, dass sie also auf ihrer eigenen Präsenz bestehen – und mögen sie, wie bei Calder, noch so ungegenständlich leicht in der Luft schweben. Calders Werk in seiner merkwürdigen Dedimensionierung zwischen Spielzeug und Erdanziehung wird in Barbas Film in fast fernseh-feuilletonistischer Einfachheit nachgegangen. Das erzeugt eine eigene Idylle innerhalb der sonst so eng vernetzten Ausstellungselemente; eine Idylle am Nicht-Bedeutungsende der Gegenstände, zu denen für Barba auch Zelluloid gehören kann.

Diese künstlerische Praxis lebt aber weniger von Analytik, Transparenz und Reflexion als von einem nomadischen Umgang mit den Ausstellungsparametern. Die Künstlerin hat sich darin eingerichtet und eine eigene, keineswegs universalistische Formensprache angelegt. Als wäre man in das große Gebäude der Moderne eingezogen und hätte alles so recycelt, dass es nur bedingt wiederzuerkennen ist. Von hier ist es dann auch nicht mehr weit zu Colominas Geistervertreibung.

„Rosa Barba. In a Perpetual Now“, Neue Nationalgalerie, Berlin, 22. August 2021 bis 16. Januar 2022.

Stephan Geene ist Künstler, gerade ist sein Buch Freiheit 71. Ricky Shayne, Musik und die Materialität des Nachkriegs bei b_books erschienen.

Image credit: 1. © Rosa Barba / VG Bild-Kunst, Bonn 2021; 2. Courtesy of Esther Schipper, Berlin, © Rosa Barba / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, photo: Andrea Rossetti

Anmerkungen

[1]Vgl. Beatriz Colomina, Manifesto Architecture, The Ghost of Mies, Berlin 2014, S. 29.
[2]Rosa Barba im Gespräch mit Mirjam Varadini und Solveig Oesteboe, in: Time as Perspective, Ostfildern 2013, S. 9.
[3]Ebd.