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HERRIN IM EIGENEN HAUS Lukas Foerster über „Kimi“ von Steven Soderbergh

Steven Soderbergh, „Kimi“, 2022, Filmstill

Steven Soderbergh, „Kimi“, 2022, Filmstill

Neben Filmen über die Pandemie boten die diversen Lockdowns auch reichlich Gelegenheit, Klassiker der Kinogeschichte erstmals oder nach langer Zeit wieder zu sehen. Für seinen jüngsten Film Kimi machte Regisseur Steven Soderbergh diesen Umstand zum formgebenden Prinzip. Mit Rekurs auf Filme wie John Hughes’ Home Alone-Reihe oder Alfred Hitchcocks Rear Window, in denen die unfreiwillig an ihr Heim gebundenen Protagonisten die Integrität der eigenen vier Wände in Gefahr sehen, kuratierte Soderbergh hierfür ausgewählte Aspekte der Corona-Gesellschaft zu einem anspielungsreichen (Post-)Pandemie-Film. Inwieweit dieser jedoch einer Normalisierung der Selbst- und Weltverhältnisse seiner Hauptfigur Vorschub leistet, zeigt der Medienwissenschaftler Lukas Foerster auf.

„Well, the pandemic didn’t help.“ Was allerdings auch heißt, dass die Angstattacken, die Angela Childs (Zoë Kravitz) daran hindern, ihre Wohnung zu verlassen, keine direkte Folge von Covid sind. Die Pandemie hat die Wunden in ihrer Psyche lediglich prägnanter, sichtbarer gemacht – und paradoxerweise gleichzeitig eine Welt hervorgebracht, in der es gar nicht mehr außergewöhnlich erscheint, dass eine junge, körperlich scheinbar gesunde Frau ihr Apartment nicht einmal für ein kurzes Date zum Mittagessen beim Foodtruck um die Ecke mit dem gutaussehenden Terry (Byron Bowers) aus dem Gebäude gegenüber verlässt.

Freilich ist nicht so leicht zu entscheiden, ob Steven Soderberghs Kimi (2022) noch ein Corona- oder schon ein Post-Corona-Film ist, ob er eine Welt zeigt, die sich in einem „new normal“ eingerichtet hat, oder eine, die wieder zurück zur alten Normalität oder jedenfalls dem Status quo ante strebt. Er erzählt zwar die Geschichte einer individualpsychologischen Reaktivierung, die mit einem Schritt hinaus/zurück in den öffentlichen Raum verbunden ist; die Frage jedoch, wie sich unser Verhältnis zu diesem öffentlichen Raum in Zukunft gestalten wird, bleibt offen.

Hinzu kommt, dass Kimi gar nicht als Kommentar zur Zeit anlegt ist. Soderbergh möchte uns nicht die Welt oder auch nur Corona erklären, sondern lediglich ein paar Überlegungen dazu anstellen, wie sich ausgewählte Aspekte der Corona-Gesellschaft fürs Kino nutzbar machen lassen könnten. Die Form, die er für seine Untersuchung wählt, ist die eines ökonomisch konstruierten, dezidiert kleinformatigen Genrefilms, dessen zentrale dramaturgische Motive in der Tradition des klassischen bzw. klassisch-modernistischen Spannungskinos, konkreter des Paranoia-Thrillers, verankert sind.

Hitchcocks Rear Window (1954) ist die nächstliegende Referenz: Wie einst James Stewarts Jeff ist Angela in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt und kompensiert das durch intensiviertes Beobachtungshandeln – bis sie, ebenfalls wie Jeff, ein zunächst nicht eindeutig lesbares Störsignal empfängt, das sie in der Folge zum konventionellen Bewegungshandeln übergehen lässt. Die Form des Störsignals verweist auf einen weiteren Klassiker des Thrillergenres: In Francis Ford Coppolas The Conversation (1974) nimmt ein Überwachungsexperte ein harmlos anmutendes Gespräch auf, das nach näherer Untersuchung Hinweise auf ein Mordkomplott enthält. Angela wiederum gerät im Zuge ihrer Tätigkeit als voice interpreter für ein Smart-Speaker-System namens Kimi an ein Soundfile, in dem sich Hinweise auf eine Vergewaltigung verbergen.

Mindestens genauso interessant sind die Differenzen zu diesen Vorgängern. Was ­Soderbergh wegstreicht, ist, kurz gesagt, die Ambivalenz des epistemologischen Prinzips. Bei Hitchcock ist Jeffs neugieriges Abscannen der Hinterhoffassaden untrennbar verbunden mit einem intrusiven Voyeurismus – einem Blick, der in seiner grundlegenden Übergriffigkeit sein skandalöses Objekt erst hervorzubringen scheint. Bei Coppola wiederum läuft die Ermittlung ins Leere bzw. erweist sich als ein (auto-)destruktiver Impuls. Anders ausgedrückt: Im klassischen Paranoia-­Kino stehen sowohl die epistemologische Intention als auch die detektivischen Mittel unter dem Verdacht, von Anfang an mit der Verschwörung, der sie auf der Spur sind, unter einer Decke zu stecken.

Nichts davon bei Soderbergh. Wenn ­Angela dem Geheimnis des Soundfiles auf die Spur zu kommen versucht, sind ihre Motive über alle Zweifel erhaben, insbesondere auch, weil die Entdeckung, die sie macht, an eine eigene Missbrauchserfahrung andockt. In gewisser Weise ersetzt die folgende Thrillerhandlung die konventionelle psychologische Aufarbeitung des Traumas (in der Tat sehen wir früh im Film, wie Angela einen Videochat mit ihrer Therapeutin frustriert beendet). Das funktioniert, weil sowohl Soderbergh als auch seine Hauptfigur den Zugriff auf psychologische Innerlichkeit (die eigene inklusive) strikt funktionalistisch denken.

Als ähnlich pragmatisch erweist sich der Technikdiskurs. Anders als in The Conversation, wo der von Gene Hackman gespielte Protagonist auf der Suche nach verborgener Abhörtechnologie die eigene Wohnung zerstört, bleibt Angela insbesondere im Umgang mit Technik Herrin im eigenen Haus. Tatsächlich kommt, in einer vielleicht bewussten Invertierung des Coppola-Films und gleichzeitig in Analogie zum modernen My-­home-is-my-castle-Klassiker Home Alone (1990), im Showdown ein Bolzenschussgerät zum Einsatz – Angela mutiert zur wehrhaften Heimwerkerin, die für die Integrität der eigenen vier Wände über Leichen geht.

Steven Soderbergh, „Kimi“, 2022, Filmstill

Steven Soderbergh, „Kimi“, 2022, Filmstill

Wenn der Film in seinem Finale auf analoge Baumarkttechnologie setzt, dann fällt er freilich sowohl hinter seine Gegenwart als auch hinter seine eigenen Prämissen zurück, und zwar gleichzeitig in narrativer und in technologischer Hinsicht. Tatsächlich ist zu Beginn beides eins: Der Technikdiskurs wird unmittelbar Erzähltechnik. Darin schließt Kimi an eine andere, deutlich jüngere Genrefilmtradition an: an die sogenannten Screenlife-Filme, deren Handlung komplett auf Bildschirmen ausagiert wird, über Videokonferenzen, Chatprogramme, Internetrecherchen und so weiter. Die bekanntesten Vertreter sind die Horror-Thriller Unfriended (2014) und Unfriended: Dark Web (2018), in denen sich jeweils eine Gruppe von Freunden eines Eindringlings erwehren muss, der sich zunächst in ihrer Onlinegemeinschaft einnistet, bald jedoch, in Analogie zur dramaturgischen Struktur von Kimi, auch die physischen Offlinekörper gefährdet.

Soderbergh kopiert die ästhetischen Strategien der Screenlife-Filme nicht eins zu eins, aber auch in Kimi setzt sich vieles, insbesondere zu Beginn, vermittels innerdiegetischer Bildschirme in Bewegung. Ein Zahnarzttermin über Skype sowie Videochats mit der Mutter, der Therapeutin und einem dauerbetrunkenen, vorsichtig gesagt, nicht ganz stereotypenfern gezeichneten rumänischen Kollegen sorgen für die sozial-lebensweltliche Verortung, und ihr Geld verdient Angela damit, dass sie das erwähnte Smart-­Speaker-System Kimi verbessert, das heißt konkret: sich Aufzeichnungen von misslungenen Gesprächen zwischen Kimi und User*innen anhört und der Kimi zugrunde liegenden Datenbank neue Redewendungen hinzufügt.

Gleichzeitig ist Angela selbst eine Kimi-Userin. Wie die realen Sprachassistent*innen, denen sie nachgebildet ist, fungiert die fiktionale Technik als eine Erweiterung und Entgrenzung des Displayprinzips, mehr noch als dessen Überwindung: Das displaylose Interface Kimi manifestiert sich physisch lediglich als kreisrunder, weißer Lautsprecher und wird durch Ansprache aktiviert. Wichtig scheint mir jedoch ein anderer Punkt zu sein: Solange Angela nicht in der Lage ist, ihre Wohnung zu verlassen, ist Kimi für sie allgegenwärtig, was zur Folge hat, dass für sie Interface und Welt faktisch ununterscheidbar werden.

So verwandelt sich auch das große, hohe Fenster ihres Apartments in ein De-facto-Display; das allerdings gerade nicht so funktioniert, wie ihre Mutter meint, wenn sie Angela im Videochat vorhält, sie exponiere sich in ihrem Fenster wie „a hooker in Amsterdam“. Tatsächlich ist es Angela, die ihr erwähntes love bzw. vorläufig eher lust interest Terry erst über zwei Fenster hinweg auscheckt, und ihn dann zum Sex in ihre Wohnung beordert. Am Filmende werden die Dinge allerdings auch in dieser Hinsicht wieder ins vermeintlich rechte Lot gerückt: Angela überwindet sich doch noch zum Foodtruck-Date und ist plötzlich wieder die junge Frau an Terrys Arm. Eine vielleicht gar nicht so paradoxe Wendung: In dem Maße, in dem sie ihre Bewegungsfreiheit und konventionelle Handlungsmacht wiedererlangt, ‚normalisieren‘ sich Angelas Weltverhältnisse und Genderperformances – sie reintegriert sich, mit anderen Worten, in die Welt, wie sie gerade auch in der jungsdominierten IT-Branche immer noch allzu oft ist.

Was bleibt noch von Kimi? Eine Außenperspektive, die den ganzen Film über präsent ist, aber nie wirklich in den Fokus rückt, uninte­grierbar bleibt. Gekoppelt ist sie an einen anderen Mann, Kevin (Devin Ratray), der ebenfalls im Loft gegenüber von Angelas Apartment wohnt. Er scheint die junge Frau zu beobachten, und der Film übernimmt gelegentlich, freilich immer nur für einzelne, kurze Einstellungen, seinen Blick. Narratologisch sind diese Inserts eine Finte, da sich das Bedrohungsszenario, das sie evozieren, im weiteren Verlauf nicht realisiert.

Kevin ist nicht Teil der Verschwörung; ein Stalker ist er zwar schon, aber ein (wie auch immer vorläufig) harmloser, und am Ende hilft er Angela sogar bei der Verteidigung ihres Apartments. Im Laufe des Gefechts bekommt er ein Messer in den Unterleib gerammt, und da sitzt er dann auf ihrem Sofa, und die Wunde in seinem Bauch will einfach nicht aufhören zu bluten, ganz egal wie viel Stoff Angela und Kevin gegen die Wunde pressen. Das sprudelnde Blut einer „überschüssigen“, weder diskursiv noch erzählerisch notwendigen Figur ist die einzige nichtschließbare Wunde in einem Film, der ansonsten die rückstandslose Verwertbarkeit seines diskursiven und narrativen Materials zum Programm hat.

Kimi, Spielfilm, USA, 2022, 90 Min., Regie: Steven Soderbergh.

Lukas Foerster ist freier Journalist und Medienwissenschaftler und lebt in Köln.

Image credit: © Warner Bros. Home Entertainment