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Vorwort

In dieser Ausgabe geht es um die Rolle, die eine als "Gossip" bezeichnete, allgegenwärtige Form der informellen Kommunikation in der Kunstwelt spielt. Dabei gilt es ganz besonders jenem Anteil Rechnung zu tragen, den Klatsch an den Wert- und Urteilsbildungsprozessen eines verstärkt von den Gesetzen der "Celebrity Culture" bestimmten Markts hat – und zwar keineswegs mehr in einer klandestinen Schmuddelecke, sondern durchaus mit einer deutlichen Tendenz dazu, öffentlich und alltäglich wirksam zu werden. Die Aktualität des Phänomens ist Leser/innen von Kunstzeitschriften nach den zahllosen Bestenlisten und Jahres-Rankings noch gut vor Augen. Aber auch jenseits der einschlägigen Fachpresse zeigt sich, dass das Geschehen auf dem Kunstmarkt für eine "heavy rotation"-Öffentlichkeit interessant geworden ist, die zwischen den endlosen Celebrity-Features der Musik-tv-Sender und den klatschförmig reformierten "letzten Seiten" der großen Tageszeitungen auf einen noch in besonderer Weise kulturell kodierten Bereich anspricht. Die "Berichterstattung" über ansonsten kaum eines publizistischen Blickes gewürdigte Kunstmarkt-Ereignisse wie die Art Fairs in Miami Beach und London führt drastisch vor Augen, dass zumindest zurzeit, wo sich das neue Wahrnehmungsraster erst durchzusetzen beginnt, die "candid shots" ertappter "It Persons" in Messekojen und bei koksgestützten Poolpartys eine gewisse Frische ausstrahlen, die noch jedes neue Segment des visuellen Markts kennzeichnete – der in letzter Zeit vornehmlich in Internet-Blogs eine eigene Sphäre von kunstweltlicher Öffentlichkeit herausbildet (siehe den Beitrag von Martin Conrads).

In "Die Regeln der Kunst" beschreibt Pierre Bourdieu, es habe bereits im späten 19. Jahrhundert eine Expansion von Formen des Gossip gegeben: Vermischtes, Klatschmeldungen, Fortsetzungsromane griffen um sich – und vermeintlich autonome Künstler begannen für diesen neuen Markt zu produzieren. Gerade im Kunstbetrieb, wo die Moderne mitsamt ihren diversen Kritiken für einen wohlbegründeten Zweifel an Beurteilungskriterien des Künstlerischen stehen konnte, haben sich die Verteilungskämpfe von der ästhetischen Autonomie auf eine seit einigen Jahrzehnten in Club- und Galerieszenen erprobte Form der Sozialität ausgewirkt, so dass sich eigene Komplexe von Beurteilungsschemata ausbilden konnten. Nach der Desavou-ierung des Werkbegriffs und des obsessiv auf seine eigene Produktion fixierten Künstlers kommt die "andere" Seite dieser Vernunft zum Tragen und versucht, zum Teil unter Rückgriff auf halb verstandene Milieutheorien, eine Konzentration auf die "Haltung" des Ex-Autors in den Vordergrund zu stellen: Ist dessen Haltung und nicht etwa dessen Werk authentisch? Wer hat ihm oder ihr diesen Auftritt verschafft, diese Referenzlücke im Angebotsspektrum offen gehalten? Die Fokussierung auf einen schwierig zu bestimmenden Begriff wie "Haltung" hat verschiedene Korrelate in anderen Bereichen – die alle mit der Absenz realer Macht und dem Streben nach deren Realisierung in der Logik eines Karriereskripts zu tun haben. Haltung ist ein positionaler Begriff, nicht zwangsläufig auch ein relationaler. Insofern stellen die notorischen Rankings – in denen die "Positionen" unerbittlich fremd aufeinander treffen, nur durch die objektivierenden Kriterien des Sale verbunden – einen der Ausläufer einer verlagerten Individualisierungsbewegung dar, die nur noch an wenigen Stellen ein taktisch-strategisches Auftreten in Gruppenzusammenhängen angezeigt erscheinen lässt.

Die viel beschworene "kommunikative Kompetenz" wird besonders auf dem Markt zu einer Distinktionstechnik umformuliert, bei der die eigene Position in der Platzierung von Gossip-Inhalten genauso wichtig ist wie die Nachrichten selbst. Dass das Informationsformat des Gossips materielle Effekte in der Kunstwelt zu generieren in der Lage ist, kann auch an dem neuen Typus des "dealer/collector" deutlich werden, der sein (wohlplatzier-tes) Wissen dazu nutzt, sich sowohl auf dem Primär- als auch auf dem Sekundärmarkt zu bewegen, ohne dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung den Nimbus des kunsthistorisch beschlagenen Philanthropen und Mäzens zwangsläufig einzubüßen (siehe den Text von Nicolás Guagnini zu Tim Nye).

Für eine zwangsläufig auf die Restrukturierungen des Markts und seine publicityträchtigen Medienformate bezogene Kunstkritik zeichnet sich dem-entsprechend die Tendenz ab, dass "sachbezogene" oder materialistische Kunstdiskurse wie Social (Art) History oder ökonomiekritische Ansätze immer mehr ins Hintertreffen geraten, weil sie den Objekt- und Warencha-rakter zu stark betonen bzw. vor dem Hintergrund von markttauglichen Zei-chenökonomien zu "buchstäblich" verstehen. Welche Handlungsräume aber könnten sich wiederum durch die zunehmende Ablösung kunsthistorischen Faktenwissens durch situative und offen auf Hörensagen basierende Kriterien für eine Kunstkritik eröffnen, die sich angesichts der neuen Definitionsmacht des Marktes nicht ihres eigenen Gewichts berauben will? Und inwiefern basieren die eigenen Werturteile und Aufmerksamkeitsökonomien nicht selbst partiell ebenfalls auf Gossip, der die Rezensent/innen bereits im Vorfeld auf Wohlwollen oder Abwehr einstellt? In ihrem Beitrag unternimmt Isabelle Graw den Versuch, die zunehmend offensichtliche Bedeutung von Gossip für den Kunstmarkt zu analysieren. Und sie schlägt vor, aus diesem Befund heraus nicht in defätistischer Manier einen generellen Einflussverlust der Kunstkritik zu beklagen, sondern vielmehr die Notwendigkeit zu formulieren, die eigene Involviertheit in Gossip-Verhältnisse transparent zu machen – nicht zuletzt eben auch deshalb, weil unter den Bedingungen eines postfordistisch organisierten Kapitalismus gerade sprachlich-kommunikative Kompetenz zum entscheidenden "Rohstoff" der immateriellen Arbeitskraft avanciert ist.

Auf theoretischer Ebene müsste Klatsch, so eine der Ausgangsthesen des Textes von Brigitte Weingart, eigentlich ein interessantes Korrelat zum Übertragungsparadigma der Psychoanalyse abgeben können. Die dreigliedrige Grundstruktur des Gossip: Sender/in, Empfänger/in, Besprochene/r, ist nicht nur im Zusammenhang einfacher Informationsvermittlung wirkungsvoll, sondern erlaubt eine Fülle von Nuancen, die sich ideal den innerhalb der Kunstwelt zentralen Wertbildungsprozessen und Urteilsstrukturen anschmiegen. Das Vorhandensein von Gossip suggeriert Zugänglichkeit, stellt auf der anderen Seite auch wieder internalisierende Gruppenzusammenhänge mit eigenen Ausschlussmechanismen und Feingesetzgebungen her. Ob nun aus diesen abgeleitet, entlehnt oder nur zu Teilen angeeignet – viele der aufstiegslogischen Verwendungen des Gossip beziehen sich auf Erfolgsrezepte illegitimer Formen der Kommunikation und der Aushandlung einer gesellschaftsgruppeninternen Rangverteilung.

Die "queeren" Beispiele überwiegen im Gossip-Feld vielleicht deswegen, weil sich in der durch gesellschaftliche Ausschlüsse herausgebildeten Rhetorik des Closet – man könnte auch an andere Formen der Marginalisierung denken – insofern höchst ausgefeilte kommunikative Techniken entwickelt haben, als sie in der Lage sind, minimale Differenzen in einer orientierenden Gesprächssituation zu einem sofortigen Umschwung – von der Öffnung zur Schließung und umgekehrt – umzusetzen. Das ist nicht nur eine Verfeinerung der Kriterien des Gossip, sondern auch eine Erweiterung gesellschaftlicher "Mobilität". In diesem Zusammenhang setzt sich Marc Siegel anhand des Beispiels der Performances, Vorträge und Fanzines von Vaginal Davis mit den queeren Implikationen von Gossip auseinander und kommt zu dem Schluss, dass Gossip für uns alle das Potenzial bereithält, in Selbstentwurf und Fremdwahrnehmung einfach nur fabelhaft zu sein.

In Fortentwicklung unseres vor einem Vierteljahr begonnenen Versuchs, auch ein nicht deutschsprachiges Leser/innenpublikum stärker anzusprechen, haben wir uns entschlossen, ab dieser Ausgabe einen beigehefteten Extrateil mit englischen Übersetzungen sämtlicher Haupttexte einzuführen. Außerdem finden Sie ab sofort auch alle nicht in deutscher Originalsprache verfassten Besprechungen in englischen Fassungen auf unserer Website http://www.textezurkunst.de/.

Wir freuen uns über Ihr Echo!

Isabelle Graw, Clemens Krümmel, André Rottmann