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Cosima Rainer

Gespenstische Lichtblicke Über Judith Hopf in der Secession, Wien

Die aktuelle Ausstellung der Berliner Künstlerin Judith Hopf in der Wiener Secession ist Teil eines aus Performances, Installationen und Filmen bestehenden Werkzusammenhangs, in dem sich die Künstlerin auf surreale und humorvolle Weise mit symptomatischen Phänomenen und Auswirkungen aktueller Tendenzen hin zu einer "Kontrollgesellschaft" beschäftigt. Die längst schon nicht mehr nur im Kultur- und Medienbetrieb vorherrschende Ideologie freiwilliger Flexibilisierung, körperlicher Fitness und Selbstdisziplinierung, die soziale Deregulierung und ökonomische Aktivierung und selbstständige Abschöpfung aller "persönlichen" verwertbaren Ressourcen hat Judith Hopf schon vorher in unterschiedlichen Inszenierungen, etwa in den Videos "Bartleby" (1989), "Hey Produktion" (2001) oder auch "The Uninvited" (2005) aufgegriffen. Um die Beschädigungen und das Unbehagen, das aus solchen Verhältnissen resultiert, überhaupt benennen zu können, arbeitet Hopf oftmals mit der Figur des Gespensts. Es taucht, allerdings nicht als "Special Effect", sondern als Rolle, als Metapher für die Wiederkehr des Verdrängten und Ausgeschlossenen jener bürgerlichen Gesellschaft auf, deren einst vielleicht abgesichert scheinendes Weltbild schon lange bröckelt. Mit dem Gespenst als gleichberechtigtem, ja nur verkleideten Mitbewohner von Berufswirklichkeiten hat sie eine paradoxe Figur für die verdrängten Potenziale und unbewussten ängste eines Gesellschaftskörpers geschaffen, dessen Verwandlungsprozesse zu ebenso hysterischen, dabei aber merkwürdig perfektionierten Zuckungen führen.

Als Einstieg in die Wiener Ausstellung, wie eine museumspädadgogische Beigabe am Treppenabgang zwischen den Ausstellungsplakaten der umgebenden Kunstwelt platziert, fungierte das Video "Elevator Curator", das 2005 in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Deborah Schamoni entstand. Es ist eine ironisch-bissige, slapstickartige Reflexion über die hektisch-globale Kunstwelt, am Beispiel ihrer Protagonist/innen: Kurator/innen und Künstler/innen. Judith Hopf parodiert darin eine von Businessreisen gestresste "Jet Set"-Kuratorin, die vom Istanbuler Flughafen zum "European Art Center" gelangen möchte. Das Video ist gespickt mit Seitenhieben auf die strukturell neurotischen Aspekte des Kunstbetriebs, wie sie beispielsweise im Biotop speziell "hochgezüchteter" kultureller Austauschprogramme zum Vorschein kommen, aber auch in der weit verbreiteten Selbstausbeutung für das "Schöne", "Wahre" und "Gute", das mitunter gespenstisch auftaucht und mit den Ketten rasselt. Dabei werden en passant latent chauvinistische und kolonialistische Aspekte eines westlich dominierten Kunstsystems bloßgelegt (genervt durch die schwierige Kommunikation und die lange Taxifahrt zischt die Kuratorin: "They will never make it into the EU"), deutlicher aber noch der damit verbundene psychische Produktionsdruck.

In den Galerieräumen im Untergeschoss stieß man zunächst auf einen Stapel Poster sowie auf ein Arrangement aus Gläsern und grünen Papier-"Blättern", das erstaunlich überzeugend an einen kleinen Bambuswald erinnerte. Die Gläser waren als genialische Mischung der Prinzipien aus Brancusis Säulen, Picassos Fahrradsattel und den Equilibre-Assemblagen von Fischli und Weiss scheinbar genau zwischen Boden und Decke des Raums eingepasst. Wer genau hinsah, konnte an der Decke einen Stabilität gewährenden weißen Halteblock ausmachen. Die Poster zeigten so etwas wie bunte Luftschlangen - es handelte sich dabei um die vergrößerte Wiederholung von Hopfs Einladungskarte für eine frühere Einzelausstellung in Braunschweig. Schräg gegenüber diesem Setting hing das Bild eines Essigbaums in Regenbogenfarben - ein Motiv, das im Werk von Judith Hopf bereits öfter aufgetaucht ist und laut Künstlerin als Pionierpflanze für eine "subversive", anarchistische Form der Ausbreitung steht, so wie auch der Bambus eine rhizomatisch wuchernde Pflanze ist. Ob der Einsatz der Regenbogenfarben darüber hinaus als Code auch einen Bezug zur schwullesbischen Community herstellte, muss nicht erörtert werden. Mit dem Posterstapel jedenfalls bezog Hopf sich ganz explizit auf Felix Gonzales-Torres' "stacks", Stapel von Plakatdrucken, die von Ausstellungsbesucher/innen kostenlos mitzunehmen sind; das wurde auch durch den Titel deutlich: "o.T. (Einladung)". Besonders Gonzales-Torres' aus nebeneinander liegenden Stapeln kleiner mit Himmel, Wolken und Vögeln bedruckter Hefte ("Untitled (Passport # II)", 1993) ist hier als Referenz der Arbeit Hopfs anzuführen. Gonzalez-Torres adressierte darin, wie wir durch unseren Reisepass identifiziert und durch unsere Kultur und ihre Normen definiert werden. Durch die Mitwirkung des Publikums löst sich dann ein Stapel-Kunstwerk als "Pass in die Freiheit", oder im Fall von Hopf als "Einladung des Uneingeladenen", langsam auf. Hopf bezieht sich bewusst auf Gonzalez-Torres' Vokabular, mit dem er komplexe gesellschaftliche Sachverhalte in unspektakuläre Formen bzw. "einfache" poetische Bilder übersetzte, ebenso wie auf seine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtsidentität und den damit verbundenen soziopolitischen Reglementierungen.

Weitere Ausstellungsrequisiten im Keller der Secession waren zwei Meter hohe Spiegelelemente, die großflächig in die Architektur eingefügt wurden. Sie erzeugten eine verzerrende Wahrnehmung der Raumordnung und teilweise jahrmarktartig deformierte Spiegelbilder der Besucher/innen. Die Anordnung der Spiegel ermöglichte einen vorauseilenden Blick in den jeweils nächsten Raum und evozierte dadurch auch ungewisse ängste und deren neurotische Kontrollversuche. In der Installation ergab sich so ein Spannungsfeld aus Motiven von rhizomatischer Unterwanderung und von Kontrollverlust (Bambus, Essigbaum, Regenbogenfarben, Luftschlangen) im Zusammenhang mit Elementen, die für eine steigende Sicherheits- und Kontrollobsession einstehen können. Hopfs Installationen bestehen meist aus "billigen" Requisiten mit niedrigen "production values"- es sind Improvisationen, die aus einem mehrdeutigen Fundus aus Literatur, Pop- und Alltagskultur schöpfen.

Im letzten Raum war die neue, vorher bereits in den Berliner Kunst-Werken gezeigte Videoarbeit "Hospital Bone Dance" (2006) zu sehen, die ebenfalls gemeinsam mit (der Musikclip-Regisseurin) Deborah Schamoni produziert wurde. Das Video war als Teil einer Installation in ein Setting aus theatralisch anmutenden Versatzstücken integriert: Hinter einer provisorischen Bühne oder Tanzfläche, die auch als Sitzmöglichkeit diente, befand sich ein weiß gestrichenes Holzgestänge, aus dem zwei schwarze Knochenhandschuhe herausragten, die auch im Video bei dem titelgebenden Knochentanz zu sehen waren. Das Video spielt im Wesentlichen in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Szenerie ist surreal, dabei bewusst "unfilmisch", die Handlung ist nicht linear, permanent werden die Perspektiven gewechselt: Da wäre zum Beispiel eine Verwundete, die sich mit "Hallo, hallo mir tut's hier weh. Ich muss zum Arzt" bei der von Judith Hopf gespielten Krankenschwester meldet. Doch die Antwort ist spitz: "Zu dem Arzt würde ich auch gerne gehen. Wir behandeln das alles nicht." Und auf die Frage nach dem "Wieso?" kommt emotionslos: "Zum Beispiel Fortschritt, der lässt wenigstens nicht auf sich warten." In diesem "Hospital der Geister" ist es schwer zu entscheiden, wer Gespenst und wer Patient ist. Wie angeschlagene Fortschrittsverlierer sitzen sie verbittert und angespannt in der Wartezone. Diese triste Szenerie wird immer wieder unterbrochen durch kleine musikalische und tänzerische Interventionen. So ertönt von draußen verheißungsvoll der Song "Like a Rolling Stone", während sich drinnen kleine Versehrtenkollektive selbstständig machen und mit ihren Krücken, Bandagen oder Knochenkostümen tanzen. Judith Hopf nutzt in ihrem Video auf virtuose und ironische Weise den Topos und die Atmosphäre des Krankenhauses: Es fungiert ebenso als Ort, wo Beschädigungen, Dysfunktionalität und fragile körperliche Verfassungen sichtbar werden, wie als nicht mehr zuständiges "Auffanglager" in einer neoliberalen Konkurrenzgesellschaft, in der soziale Absicherung an den Einzelnen zurückdelegiert wird.

Musik, Tanz und kollektive Aktivitäten leuchten in Hopfs Kosmos als Potenziale auf, die Individuen zusammen nutzen können, um gemeinsame Prozesse in Gang zu setzen. Dies scheint wie ein Lichtblick in einer Gesellschaft, die zunehmend von Apathie, Konkurrenzdruck und Vereinzelung dominiert ist. Diese neuen "Normen", die der Fortschritt und das "Business" diktiert, konterkariert Judith Hopf mit der Figur des Gespensts, die uneingeladen als Störfaktor im System auftaucht und in dieser Funktion auch durch die Kellergewölbe der Secession spukte.

COSIMA RAINER

Judith Hopf, Secession Wien, 24. 11. 2006 - 28. 1. 2007