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Isabelle Graw

Reconsidering Prince Isabelle Graw über Richard Prince im Solomon R. Guggenheim Museum. New York

Das Prince-Universum ist derzeit omnipräsent: Man brauc ht nur in einer Ausgabe der Vanity Fair zu blättern, schon stößt man auf euphorische Berichte über die Kooperation zwischen Prince und Marc Jacobs für Louis Vuitton. Es sind ausgerechnet die malerisch ambitioniertesten und darin eben auch fragwürdigsten so genannten „Nurse-Paintings“ von Prince, die Jacobs in seiner naiven Begeisterung für Figuratives als Vorlage für die Inszenierung seiner Models nutzte. Diese trugen in Anlehnung an die Bildvorlage schwarze Spitzenschleier vor dem Gesicht und waren in modisch gewendete Krankenschwestern mit durchsichtigem Kittel und obligatorischer „It-Bag“ verwandelt worden. Nach Murakami kommt nun auch Prince das Privileg zu, eine Must-Have-Handtasche für Vuitton entwerfen zu dürfen. Dass er seine ohnehin vollständig überstrapazierten, weil gezielt bis zum Überdruss recycelten Witze auf das Vuitton-Monogramm applizierte (inklusive gesprühter und teilweise verblassender, sich gleichsam entziehender malerischer Zonen), mutet angesichts der Tatsache, dass diese absichtlich schlechten Jokes längst Labelcharakter angenommen haben, nur mehr redundant an. Es ist aber nicht nur die etablierte Modewelt, in der Prince gleichsam angekommen ist, was, nebenbei bemerkt, angesichts des Einflusses seiner „White Trash“-Ästhetik auf die Modefotografie, etwa in Zeitschriften wie Purple, nur konsequent erscheint. An Prince kommt man derzeit auch in einem New Yorker Taxi sitzend kaum vorbei – seine Retrospektive im Guggenheim Museum wird dort unablässig beworben, mit kurzen Features auf dem taxieigenen Monitor. Es ist so, als würde einem von allen Seiten eingehämmert, dass er der derzeit einzig legitime Anwärter auf die Position des us-amerikanischen Künstlers par excellence ist. Er allein (und nicht etwa Koons) soll die Nachfolge von Warhol (oder ­Pollock) anzutreten in der Lage sein. Diese Botschaft ist es auch, die die Ausstellung im Guggenheim Museum aussendet: Prince wird hier als ein im Grunde genommen traditio­neller Künstler präsentiert, weit entfernt davon, ein gesellschaftskritisches Projekt zu verfolgen. Symptomatisch für diesen Eindruck ist das gleich zu Beginn platzierte monumentale Witzbild „Cézanne’s Shoe“ (2001), das eine an Monet erinnernde atmosphärische Oberfläche und jede Menge Tropfen und Schlieren aufweist, die mit dem Erbe der New York School kommunizieren. Ein mit Farbe bekleckerter prototypischer Malerschuh ist an diesem Bild befestigt worden, genauer gesagt ragt er aus ihm in der Manier von Rauschenbergs „Combines“ heraus, um seinerseits auf einem flachen Sockel platziert worden zu sein. Dieser Schuh steht für Princes (durch den Titel natürlich ironisch gebrochenes) erkennbares Bemühen, sich in die Genealogie van Gogh/Cézanne/Rauschenberg einzuschreiben. Dieses Bemühen gibt sich zwar deutlich in seiner Lächerlichkeit preis, vermag dadurch aber erst recht den Anspruch auf Nachfolgerschaft zu erheben. Man verstehe mich nicht falsch – diese Retrospektive ist sehr gut gemacht und ausgesprochen originell installiert. Statt z. B. für ein chronologisches Format zu optieren, stellt Prince sein bereits in seinen Galerieausstellungen oder in „Second House“ (einem von Prince erworbenen und künstlerisch eingerichteten Haus) erprobtes kuratorisches Geschick unter Beweis. Arbeiten aus unterschiedlichen Phasen gehen überraschende Konstellationen miteinander ein, wodurch ungeahnte Kontinuitäten – etwa zwischen seiner Behandlung von Bildoberflächen und Kotflügeln (den so genannten „Hoods“) sichtbar werden. Für die legendäre Arbeit „Spiritual America“ (1983) – ein Foto von Brooke Shields als Kindfrau mit glänzendem Körper in schwüler, dampfender Atmosphäre, das Prince einen Urheberrechtsstreit mit dem Fotografen eintrug – wurde passend zu ihrer ursprünglich eher klandestinen Präsentation in einem Off-Space eine Art Kabinettsituation geschaffen. Gekonnt platziert wurden auch seine neuen de Kooning-Bilder, die entsprechend ihrem Collageprinzip in einem Studienraum präsentiert wurden, wo man sie eingehend (inklusive der von Prince benutzten Vorlagen) in Augenschein nehmen kann. Die Suggestion einer fortschreitenden Entwicklung, mit der ja die aufsteigende Rampe des Guggenheim arbeitet, wird durch Zeitsprünge, Querverweise und die zyklische Wiederkehr etwa von „Tireplanter“-Skulpturen (Blumentöpfe, die aus Autoreifen bestehen) erfolgreich gestört. Gleichwohl wirft die Retrospektive zahlreiche Probleme auf, die wechselseitig aufeinander verweisen. So hat Prince z. B. von seinen frühen konzeptuellen Fotoarbeiten, die üblicherweise mit der historischen Formation der Appropria­tion Art in Verbindung gebracht werden, für diese Ausstellung neue Abzüge machen lassen, so genannte „Exhibition Prints“. Die Implikationen dieser scheinbar rein technischen Maßnahme sind enorm. Zunächst einmal zielt sie ganz offensichtlich darauf, sich vom Markt – genauer gesagt von der Bereitschaft der Sammler, Leihgaben zu stellen – unabhängig zu machen. Doch was auf den ersten Blick wie ein Streben nach Autonomie vom Markt aussieht, erweist sich auf den zweiten Blick als marktreflexive Geste. Denn diese „Exhibition Prints“ könnten ihrerseits eines Tages auf dem Markt zirkulieren und wären dazu dann noch museal nobilitiert. Bezeichnend ist außerdem, dass Prince diese Abzüge, etwa seiner großartigen Serie „Living Rooms“ (1977), in einem größeren Format produzierte. Dadurch tritt ihr konzeptueller Charakter zugunsten ihrer malerischen Anmutung zurück. Man könnte es auch so formulieren: Der konzeptuelle Prince, der sich in seinem Frühwerk noch mit den gesellschaftlichen Bedingungen des Konsumkapitalismus (Luxusgüter, Mode, Lifestyle) auseinandersetzte, wird auf dem Altar des traditionellen Prince, dessen Arbeiten nur noch um sein eigenes Geschmacks­universum kreisen (Autos, vollbusige Mädchen), geopfert. An seinen frühen Arbeiten schätzte ich immer besonders, dass sie die Spannung zwischen diesen beiden Polen aufrechtzuerhalten verstehen. Denn während sie um die heute wieder erstark­te Sehnsucht nach Sicherheit qua Luxusgütern kreisen („watches“, „pens“, „necklaces“), wird in ihnen zugleich der fetischisierende Zugriff von Prince deutlich sichtbar. Sorgte er doch für noch glänzendere, wie gelackt wirkende und lichtdurchflutetere Oberflächen, so als suche er seine Bildvorlagen qua Aneignung zu optimieren. Wenn er dann noch das Klischee einer Ikonografie des männlichen Fetischisten ausspielte (mit Bildern von Handschuhen oder weiblichen Dutts), dann ließ ihn dies in den Augen der maßgeblichen Apologeten der Appropriation Art (Craig Owens, Douglas Crimp und Hal Foster) erst recht suspekt erscheinen. In ihren Texten und Ausstellungen haben diese Kritiker Prince entweder mit Schweigen übergangen oder nur am Rande erwähnt. Man denke nur an Douglas Crimps legendäre „Pictures“-Ausstellung von 1977, an der Prince nicht beteiligt war. Sein Scheitern als Appropria­tion Artist im traditionellen Sinne ist es jedoch nach meinem Dafürhalten, was sein Frühwerk auch heute wieder interessant macht. Zu Beginn der 80er Jahre war ja die Vorstellung verbreitet, dass die bloße Geste der Aneignung schon einer kritischen Intervention gleichkäme. Ein solch funktionales Verständnis von Appropriation als Kritik ließ sich auch beim besten Willen nicht auf die Arbeiten von Prince projizieren. Zu deutlich war ihnen sein fetischistisches Begehren eingeschrieben. Als Beispiel wäre auf seine berühmte „Girlfriend“-Serie zu verweisen – aus Biker-Magazinen entnommene Fotos, die männliche Biker von ihren Trophäen (neben ihren Bikes freizügig posierende Freundinnen) gemacht hatten. Schnell stand der Vorwurf im Raum, dass sich Prince auf dieses Material nur gestürzt habe, um am ausbeuterisch-sexistischen Gestus der männlichen Biker ungestraft partizipieren zu können. Die Dinge liegen jedoch komplizierter. Denn diese Bilder widerlegen die damals gängige Vorstellung, dass Aneignung nur eine unilaterale Handlung im Sinne einer Besitzergreifung sei. Es ist das angeeignete Material, das in ihnen gleichsam unverhofft zurückschlägt und eine Eigendynamik entfaltet. Ganz offensichtlich haben sich diese Mädchen als Bikerchicks inszeniert – sie spielen diese Rolle, um zugleich eine ironische Distanz zu ihr einzunehmen. Von dieser performativen Dimension zeugen z. B. ihre wissenden Blicke. Sie sind nicht etwa die Opfer der sexistischen Fantasien ihrer Boyfriends (oder übrigens von Prince for that matter), sondern agieren als handlungsmächtige Akteurinnen, die bestimmten Fantasievorstellungen bereitwillig zuspielen. Die Stärke dieser Bilder liegt meines Erachtens darin, dass sie die Grenzen eines bis heute dominierenden voluntaristischen Aneignungsbegriffs aufzeigen. Statt davon auszugehen, dass der aneignende Künstler die Dinge unter Kontrolle habe und sich sein Material unterwerfe, muss Aneignung hier als ein Wechselverhältnis zwischen Besitzergreifung und Enteignet-Werden bezeichnet werden. Der frühe Prince macht es möglich – und darin würde ich seine historische Leistung sehen wollen –, einen solchen Aneignungsbegriff zu entfalten, in dem Aneignung und Enteignung zusammengezogen werden. Der Schwerpunkt der Guggenheim-Retrospektive liegt jedoch auf den seit 1987 produzierten „Joke-Paintings“. Während die ersten monochromen Witzbilder noch eine überzogene Unterkomplexität und Kühle aufweisen, die zudem unterhaltsam sind, weil sie gegen das damalige Malereiverbot innerhalb der Appropriation-Orthodoxie verstoßen, tendieren die späteren Witzbilder dazu, malerisch immer ambitionierter und monumentaler zu werden. Mal sind sie von Tropfen, Spritzern und Schlieren durchwoben, dann wieder weisen sie eher atmosphärische Oberflächen auf, so als wollten sie es mit Rothko und Monet aufnehmen. Schon die Siebdruck-Witzbilder (die „White Paintings“) machten keinen Hehl aus ihrer Faszination für Warhol oder Rauschenberg. Wie lässt sich dieser unter us-amerikanischen Künstlern (von Brice Marden bis Christopher Wool) so verbreitete Zwang erklären, mit dem Erbe der New York School zu ringen? Weist einen erst die Auseinandersetzung mit dieser Tradition als seriösen Maler aus? Geht an dieser Ausstellung von „Einflussangst“ (Harold Bloom) demnach kein Weg vorbei? Man könnte Prince zugute halten, dass seine Malerei doch eine Malerei zweiter Ordnung ist. Im Stil des „Bad painting“ werden unterschiedliche malerische Rhetoriken im Wissen um ihren historischen Stellenwert ausgespielt. Nur ist die anti-authentische Geste spätestens seit der posthumen Heiligsprechung von Martin Kippenberger vollständig akzeptiert. „Bad“ wird schon lange als gut erachtet und „painting as a joke“ ist genau das, wonach der Markt lechzt, wovon die jüngsten Auktionsrekorde von Princes Bildern beredtes Zeugnis abgeben. Das Problem beim späten Prince ist, dass er als „Bad painter“ einfach zu ambitioniert ist. Es wirkt so, als würde er seiner früheren Distanz nicht mehr trauen, als habe er sich jetzt tatsächlich in die Bewältigung unterschiedlicher malerischer Semantiken involviert. Während es der Vorzug seiner frühen Arbeiten war, dass ihnen mit dem gängigen Verständnis von Appropriation nicht beizukommen war, gelingt es seinen immer monumentaler werdenden „Joke-Paintings“ leider nur zu gut, mit malerischen Konventionen nach Kippenberger zu kommunizieren. Was ist jedoch mit seinen „check-paintings“, einer weitere Variante der Gattung „joke-paintings“, die auf ihrem Bildgrund Schecks aufweisen, mal mehr und mal weniger „heftig“ übermalt? Um was für einen Typus der marktreflexiven Geste handelt es sich hier? Schon seine frühen Fotografien hatte Prince auf zwei Exemplare begrenzt, als wolle er dem Originalstatus der Malerei so nahe wie möglich kommen. Jetzt pflastern Schecks den Bildgrund – geplatzte oder eingelöste, fingierte oder reale Schecks, die auf den Namen Prince oder von Prince selbst ausgestellt wurden. Sie erinnern uns an die banale Wahrheit, dass Geld und Kunst viel miteinander gemein haben. Beide fungieren als Tauschmittel, beide sind Abstraktionsleistungen. Es ist jedoch vor allem das Universum seiner eigenen finanziellen Transaktionen, das Prince auf diese Weise in seine Bilder hineinholt. Der Kreis schließt sich – Prince scheint immer selbstbezüglicher zu werden. Während es der große Vorzug seiner frühen Arbeiten ist, dass gesellschaftliche Zwänge in ihnen aufscheinen – etwa der Zwang, bestimmten Wohn- oder Schönheitsidealen nachzukommen –, kreist sein Spätwerk nur noch um einen Kosmos, der den Namen Prince trägt. Diese verstärkte Tendenz zur Selbstbezüglichkeit lässt sich auch an seinen Künstlerbüchern ablesen, in denen sich zunehmend Atelieraufnahmen oder Bilder der von Prince gesammelten Bücher finden. Alles, was Prince betrifft – seine Interessen, Lebensumstände, Vorlieben –, wird uns in diesen Büchern als per se von Interesse vorgeführt. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Arbeiten von Prince ihr gesellschaftsdiagnostisches Potenzial dabei weitgehend eingebüßt haben. Für diesen Eindruck, dass alles nur noch um Prince und seine persönlichen Vorlieben kreist, ist der Markt ebenso verantwortlich wie Prince selbst, der ihm beständig zugearbeitet hat. So hat er z. B. dem Verkauf des von ihm selbst renovierten und nach seinem Geschmack künstlerisch eingerichteten „Second House“ an das Guggenheim Museum zugestimmt. „Second House“ will es mit renommierten Künstleruniversen wie Judds Marfa oder Schwitters’ Merz-Bau aufnehmen. Es ist der Traum eines jeden Gesamtkunstwerks, dass sich die Welt dem ästhetischen Programm des Künstlers fügen möge. Interessant wird es immer dann, wenn der Künstler dabei auf Widerstand stößt. Nun ist „Second House“ bekanntlich abgebrannt, was bedauerlich sein mag, uns jedoch die Frage zu stellen erlaubt, warum die subjektiven Vorlieben und persönlichen Obsessionen eines Künstlers per se von Interesse und wertvoll sein sollen. Sind sie doch meines Erachtens erst in dem Moment der Rede wert, da sich die Bedingungen des aktuellen Marktimperialismus in ihnen mittransportieren. ISABELLE GRAW

Richard Prince, „Spiritual America“, Salomon R. Guggenheim Museum, New York, 28. September 2007 bis 9. Januar 2008.