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Die Rückkehr der Mumie Ben Carlson über Daniel McDonald bei Broadway 1602, New York

Daniel McDonald, "Bohemian Monsters", Broadway 1602, New York, 2008, Ausstellungsansicht Daniel McDonald, „Bohemian Monsters“, Broadway 1602, New York, 2008, Ausstellungsansicht

Der Sinn stiftende Zusammenschluss zweier recht unterschiedlicher Phänomene erfolgt im Werk des US-amerikanischen Künstlers Daniel McDonald scheinbar reibungslos. Was genau aber Hollywood- Monsterfiguren mit dem ausschweifenden Leben von Künstlerstars zu tun haben, wird erst deutlich, wenn man sich den detailverliebten Arbeiten des Künstlers mit der Lupe nähert.

Mit seinen skulpturalen Miniatur-Szenarien entwirft der aus dem engen Umfeld des legendären New Yorker Galeristen Colin de Land und der Galerie American Fine Arts, Co. stammende McDonald skurrile Geschichten, die einen auch dann noch zum Lachen bringen, wenn es eigentlich schon nicht mehr lustig ist.

Das Lustigste an Daniel McDonalds tragikomischen Tableaus – Readymade-Actionfiguren, die in peinlich genau konstruierte puppenhausartige Interieurs gestellt sind – ist, wie wortwörtlich sie die allzu typischen Kämpfe mit der Gentrifizierung illustrieren, die in ihren Titeln benannt sind. Durch überraschende Details – etwa die kleine „Versorgung gesperrt“-Notiz in „Rising Cost of Utilities Limits New Media Practices (The Salem Witch)“ („Steigende Betriebskosten schränken Tätigkeit der Neuen Medien ein (Die Hexe von Salem)“) – bleibt das Werk merkwürdig unvollständig, wie eine falsche Pointe bei einem schlechten Scherz. Wenn man mit höheren Ansprüchen herangeht, findet man amüsante Verschiebungen zwischen McDonalds klassischen Horrorfilmsammlerstücken und den neuen Rollen, für die sie vorgesehen sind. Die Hexe von Salem spielt den Part einer Videokünstlerin, die knapp bei Kasse ist, perfekt; wenn sie bei Kerzenlicht die Stromrechnung liest, erscheint ihr böses Lachen eher wie eine skurril übertriebene, überraschte Miene.

Indem sie die Reibungen zwischen der performativen Rolle des Künstlers und der profaneren Realität des „Über-die-Runden- Kommens“ verschärfen, zielen McDonalds akribisch konstruierte Dioramen auf unsere nostalgische Sehnsucht nach etwas anderem als dem Post-Meisterschüler-Profi. „Inadequate Studio Space (Frankenstein’s Monster)“ („Unzureichende Atelierräumlichkeiten (Frankensteins Monster)“) zeigt einen riesenhaften grünen Maler in einem derart kleinen Atelier, dass er darin nicht einmal aufrecht stehen kann, und verbindet Schauerromantik mit den banalen Beschränkungen der ökonomischen Marginalisierung. Wenn Künstlerpersönlichkeiten ebenso verkäuflich wie ihr Werk werden, worin bestehen dann die Folgen der Verweigerung, einen schlüssigen, attraktiven Markennamen aufzubauen? Boris Karloffs Anstrengungen, einer Festschreibung auf eine Rolle zu entgehen, scheinen davon nicht allzu weit entfernt. Das in eine Schublade gesteckte und wörtlich in Fesseln gelegte Monster Frankensteins hat gerade ein sehr komisches neues Gemälde vollendet – das einzige, für das in seinem schuhkartongroßen Arbeitsraum Platz ist. Es heißt „Stop Arresting Artists“.

Wie soll man also der Forderung nach einer überzeugenden Biografie begegnen? Bereits in früheren Projekten hat McDonald mit einigen widerständigen Möglichkeiten experimentiert. Im Art Club 2000 erprobte er zusammen mit sechs anderen Kunststudenten sowie dem Galeristen Colin de Land die Option einer kollektiven Nicht- Identität. Ihr ironisches „Night of the Living Dead Author“ verballhornte vollkommen zu Recht jene Tendenz, nach der Kunstwerke unser phantasmagorisches, falsches Bild ihres Schöpfers formen. Die boshaft-absurde Modeschmucklinie Mended Veil, die McDonald seit 1995 bequem von seinem Haus aus herstellt, hat ihre eigene fiktive Schöpferin: „Mindy Vale wurde in einer Höhle geboren […] halb Frau, halb Wolf. Ihr erstes Schmuckstück stellte sie aus einem abgebrochenen Zahn ihrer Mama her.“ Nicht zuletzt präsentiert der Doppelgänger-Schmuck seine eigene Reihe von Gegenstücken – konzeptuell vs. dekorativ, Kostüm vs. Luxus, handgemacht vs. massenproduziert.

Doch in der Ausstellung „Bohemian Monsters“ wurde auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass diese parodistische Vorstellung in zynische Lifestyle-Gestaltung abrutschen kann. Der Wolfsmensch sieht mit seiner Lederjacke im Boho-Chic und zottiger Gesichtsbehaarung wie ein echter Downtown-Künstler aus. Seine theatralischen Grimassen bieten wie die Handlung eines Monsterfilms eine Fläche, auf die das Publikum sich versucht sehen könnte, seine eigenen transgressiven Fantasien zu projizieren. Manche Galerien haben ihre Marketingstrategien bereits angepasst, um sich die Klientel derjenigen zu erschließen, die auf der Suche nach solchen Ersatzvergnügungen sind. Die Pressemappen sind mit Lifestyle-Profilen und Modeporträts gefüllt, enthalten jedoch kaum eine Diskussion des Werks selbst. Im Fall von „Bohemian Monsters“ ging der Scherz auf unsere Kosten – als Betrachter oder als mögliche Käufer. McDonalds comicartige Erzählungen, unter anderem „Low Light and Lack of Cross- Ventilation (The Wolfsman)“ („Schwaches Licht und mangelnde Durchlüftung (Der Wolfsmensch)“), verschränken die Fantasie des geliebten Außenseiters auf so groteske Weise mit den Sorgen des prekären Lebens, dass einem nichts anderes mehr bleibt als zu lachen. „Forced to Sell Works from a Private Collection in Order to Offset Living Expenses (Wicked Witch of the West)“(„Notgedrungener Verkauf von Werken aus privater Sammlung, um für Lebenshaltungskosten aufzukommen (Böse Hexe des Westens)“) zeigt jedoch, dass es nicht mehr so lustig ist, wenn das Blatt sich einmal gewendet hat; die Böse Hexe blickt verstohlen über ihre Schulter, bevor sie die „Resale Gallery“ betritt, um ihr eigenes Celebrity-Porträt von Warhol zu verpfänden. Wenn eine Künstlerin ihr eigenes Bild in Zahlung gibt (und welche andere Wahl hat sie?), besteht immer das Risiko, sich unter Wert zu verkaufen.

Entbehrung ist keine Tugend. Zu McDonalds besten Skulpturen gehören die Werke mit einem gesunden Sinn für Humor gegenüber ihrer eigenen Haltung. Wieder liegt das Kunststück in der Art, wie sich die aus McDonalds eigener Sammlung stammenden Spielzeugfiguren auf verquere Weise in die Geschichten, die er erzählt, einfügen. Das melodramatische Stirnrunzeln eines vor der Obdachlosigkeit stehenden Autors in „In Demolition of Affordable Housing (Phantom of the Opera)“ („Abriss erschwinglicher Wohnungen (Phantom der Oper)“) ist auf vergnügliche Weise übertrieben und wird der Situation dennoch nicht einmal ansatzweise gerecht. Das verknitterte Bündel Papier, das der Autor in seiner kleinen Hand hält, ist ein bemitleidenswertes Zeichen der Resignation. Einen noch befremdlicheren Eindruck hinterlässt die (scheinbar) unbeabsichtigte Übereinstimmung der gelblichen Haut des Phantoms mit den baufälligen Wänden seines Ateliers. In einem ähnlichen Sinn buchstabieren die verschiedenen Untoten aus „Restricted Access to Medical Care (The Mummies)“ („Eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung (Die Mumien)“), die darin geeint sind, dass sie alle von Kopf bis Fuß bandagiert sind, auf dras-tische Weise die Fährnisse der Selbstständigkeit aus – auch wenn es nicht so scheint, als könne die moderne Medizin zu diesem Zeitpunkt noch viel für sie tun. Als Wortspiel ist es fast genauso dumm wie das privatisierte, profitorientierte Pflegesystem, auf das es abzielt – allerdings sehr viel amüsanter.

Selbst angesichts grauenvoller Situationen finden die Witzeleien kein Ende. In „An Experiment in Self-Medication (Doctor Jekyll as Mr. Hyde)“ („Ein Selbstmedikationsexperiment (Doktor Jekyll als Mr. Hyde)“) wird das Klischee des Künstler-Alkoholikers nachgezeichnet. Man füge dem Laborkittel des verrückten Wissenschaftlers, während er eine Flasche billigen Weins herunterkippt, einige Farbkleckser hinzu, und schon ist er ein Maler. Auch zerbrochene Beziehungen erfordern einen Sinn für (schwarzen) Humor. Der Wolfsmensch in „Not Yet Titled (The Wolfsman and Frankenstein)“ („Noch ohne Titel (Der Wolfsmensch und Frankenstein)“) tritt mit Rosen in der Hand die Eingangstür ein, während der Geliebte im Begriff ist, sich kopfüber auf die Straße zu werfen. Der Abschiedsbrief besteht aus einem schlichten „GOOD-BYE“, das im Stile von Jack Pierson aus vorgefundenen Buchstaben zusammengesetzt ist. Doch für Künstler gibt es viele Formen der Selbstzerstörung. Das im Büro von Broadway 1602 installierte „Artists Under Consideration“ („Zur Diskussion stehende Künstler“) zeigte einen weiteren Ort, an dem sich Karrieristen selbst begraben. In den Schubfächern dieses Miniatur- Aktenschranks findet sich ein Dämon, der verzweifelt eine Bilder-CD beschriftet, ein Zombie, der eine 35-mm-Installationsansicht in der Hand hält, und ein Skelett, das sein Portfolio umklammert.

Die gegenwärtige Vertrauenskrise wird höchstwahrscheinlich nicht ohne Einfluss auf die Spekulationsgewohnheiten der Sammler sowie im weiteren Sinne auf die Wahrnehmung „aufstrebender“ Künstler bleiben. Als eine Ausstellung, die inmitten des derzeitigen Zusammenbruchs der Wirtschaft gezeigt wurde, persiflierte „Bohemian Monsters“ die Klischees des Avantgarde-Künstlers, die sich weit länger, als es zweckmäßig gewesen wäre, gehalten haben, auch wenn diese überholte Rolle zumindest im Augenblick in den Hintergrund getreten sein mag. Da der Druck, (für den Markt) zu funktionieren, kurzzeitig vermindert ist, können wir nur hoffen, dass manche dies als eine Gelegenheit für Experimente mit ihren Geschichten nehmen. Wichtiger noch, wir hoffen, dass sie dies mit ebenso viel Witz tun werden, wie ihn Daniel McDonald hier gezeigt hat.

(Übersetzung: Robert Schlicht)

Daniel McDonald, „Bohemian Monsters“, Broadway 1602, New York, 13. September bis 25. Oktober 2008.