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Magnus Schäfer

Bitte Lächeln Magnus Schäfer über Michaela Meise in der Galerie Johann König, Berlin

Michaela Meise, „Lachende Steine“, Galerie Johann König, Berlin, 2010, Ausstellungsansicht Michaela Meise, „Lachende Steine“, Galerie Johann König, Berlin, 2010, Ausstellungsansicht

Mit vier zu einem lockeren Carré angeordneten, turmartigen Aufbauten sowie zwei Aquarellen im Hauptraum der Berliner Galerie Johann König und einer Videoarbeit in dem rechts hinten anschließenden, kleineren Kabinett gliedert sich Michaela Meises Ausstellung „Lachende Steine“ räumlich und formal in zwei klar voneinander getrennte Teile. Diese fügen sich jedoch als Ganzes zu einem thematischen Ensemble, in dem das geometrische Formenvokabular von Meises neuen Arbeiten mit kulturell geprägten Körperbildern und Referenzen auf die Skulpturengeschichte rückgekoppelt wird. Der Ausstellungstitel verweist auf bildhauerische Darstellungen lachender Figuren, die im 19. Jahr-hundert vorübergehend populär wurden, davor aber ambivalent bis negativ – etwa im Sinne einer Vanitas-Symbolik – besetzt waren. Um Abbildungen solcher Skulpturen herum gruppiert Meise Bilder, Texte, Bücher und kleine Objekte, für die die vier lose thematisch angelegten und entsprechend betitelten Skulpturen „Tour de Cri“, „Tour de Lecture“, „Tour de Corps“ und „Tour de Rire“ im wörtlichen Sinn als Präsentationsflächen fungieren. Das sich daraus ergebende Changieren zwischen „autonomer“ Skulptur und funktionaler Displayfläche, das für viele Arbeiten von Meise kennzeichnend ist, wird bei den vier, je ein gleichbleibendes Konstruktionsprinzip variierenden, Türmen mit besonderem Nachdruck ausgespielt, insofern ihr Aussehen an Möbelstücke denken lässt, wie man sie etwa mit Messesituationen verbindet. Drei bis vier modulare Elemente aus farbig lasierten, im rechten Winkel ineinandergesteckten Tischlerplatten sind leicht versetzt und sich nach oben hin verjüngend aufeinandergestapelt, jeweils getrennt und stabilisiert durch eine runde Plexiglasscheibe, die zugleich als Ablagefläche fungiert, und optisch zusätzlich durch eine lose, durch Öffnungen in dem Plexiglas geführte Stange zusammengehalten. Figuren wie auf dem Aquarell „Smiling Marble 2“ oder die sowohl in Abbildungen auf den Türmen als auch in der Videoarbeit erscheinenden Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert suchen die Betrachter/innen über ihre Mimik direkt zu adressieren. Meises eher architektonisch als anthropomorph konnotierte Skulpturen zielen jedoch nicht auf eine Aktualisierung dieser Wirkung. Anders als bei den „Liegende 1–8“ betitelten Skulpturen aus ihrer letzten Ausstellung bei Johann König (2007) wird das an minimalistische Traditionen anknüpfende Formenvokabular hier nicht mit einem Moment der Körperlichkeit aufgeladen, sondern der Bezug zum menschlichen Körper auf der Ebene des Displays hergestellt. Die präsentierten Bilder, Texte und Objekte fächern sich zu einer lose durch die Titel der vier „Türme“ strukturierten Materialsammlung auf, die jedoch keine durchgängige visuelle Argumentation entwickelt, sondern in sich oft disparat bleibt. So bringt der „Tour de Cri“ Fotografien eines Pantomimen, die von dem darübergeklebten Bild einer Kinderstatue zum Teil verdeckt werden, mit François Rudes Skulptur der „Jeanne d’Arc“ und einem Fragebogen zur Zufriedenheit von Kunden einer Kaffeehauskette zusammen; mit diesem Spektrum zwischen kodifizierter Körpersprache, historischer Ikonografie und kommerzieller Massenkultur ist das Feld markiert, in dem Meises Referenzen sich bewegen. Fast schon dokumentarisch verfährt „Tour de Corps“, der anhand von antiken Baubo-Statuetten – weiblichen Figuren mir erotischer Bedeutung, die keinen Oberkörper haben und ein lachendes Gesicht an Stelle der Scham aufweisen – und dem spätgotischen Vanitas-Bild eines lachenden, doch unübersehbar von körperlichem Verfall gezeichneten Paares Beispiele für die unterschiedlichen Konnotationen, die das Lachen kulturgeschichtlich transportiert, anführt. Zugleich bieten aber die mit weichem Material gefüllten Leinenbeutel, die an der vertikalen Stange dieses „Turms“ hängen, auch eine Körpermetapher an.

Mit dem „Tour de Lecture“ wird Meises rechercheorientiertes Vorgehen über die ausgestellten Bücher und Literaturverweise zur Geschichte des Lachens und der französischen Skulptur des 19. Jahrhunderts als solches thematisch. Dort erscheinen aber auch exzerpierte Textstellen zum Einfluss und zur zeitgenössischen Bewertung von Rudes Skulpturen; dieser Blick auf Produktion und Rezeption der Skulptur des 19. Jahrhunderts setzt sich mit zwei Abbildungen auf dem „Tour de Rire“ fort – einer historischen Atelieraufnahme, die eine Gruppe von Bildhauerassistenten zeigt, und einer Fotografie von Rudes „Fischerjungen“, dessen lachendes Gesicht an anderer Stelle des Turms in einer Detailaufnahme zu sehen ist, zwischen zahlreichen anderen Skulpturen im Lager eines Museums. Diese Perspektive prägt auch die Videoarbeit „Lettre to the Eltern“, die um Jean Baptiste Carpeaux’ Figur des „Lachenden Fischerjungen“ kreist. In einer digitalen Diashow lässt der knapp 20-minütige Film Katalogabbildungen und Fotografien der in einer ersten Fassung 1857 entstandenen und seit den 1870er Jahren in hoher Stückzahl produzierten Figur an ihren heutigen Standorten aufeinander folgen. Begleitet werden diese mit wechselnden Effekten animierten Bilder von einem melodramatisch – vergleichbbar mit einem mehrsprachigen Katalog – auf Französisch, Deutsch und Englisch vorgetragenen Brief Carpeaux’ an seine Eltern, in dem er eine Erkrankung während eines Italienaufenthalts schildert. Wie man zu Beginn des Films aus dem einleitenden Gespräch zwischen Meise und Dirk von Lowtzow erfährt, bildet diese Zeit in Italien den biografischen Rahmen für das Motiv der auch als „Neapolitanischer Fischerjunge“ bekannten Figur. Die ausgewählten Stellen des Briefs sprechen allerdings nicht von der Skulptur, sondern entwickeln sich in ihrer Tragikomik zu einer eigenständigen Erzählung, während die Bilder auf die von kommerzieller Vervielfältigung bestimmte Werkgeschichte der Figur verweisen. Sie habe sich, sagt Meise in dem Gespräch, bei ihrer Recherche vor allem für Originalquellen von Carpeaux interessiert; dann gehen von Lowtzow und sie dazu über, unter lautem Lachen eine, so wörtlich, „köstliche“ Stelle aus dem im Anschluss von Dirk von Lowtzow vorgelesenen Brief zu kommentieren. Die Zusammenstellung der Referenzen in „Lachende Steine“ ist deutlich von solchen Momenten einer subjektiv-arbiträren Sensibilität gekennzeichnet, die sich auf formaler Ebene etwa in den Variationen im Aufbau und der Farbgestaltung der Skulpturen niederschlägt und auch dem verschmitzten Pathos ihrer an Denkmale erinnernde Titel eigen ist. Im Carré der Türme ist es nur ein kleiner Schritt von der Sachlichkeit zur arbiträren Entscheidung; ein Schritt aber, den Meise für das Vokabular ihrer Arbeiten produktiv zu machen versteht.

„Michaela Meise – Lachende Steine“, Galerie Johann König, Berlin, 12. März bis 24. April 2010.