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DENKEN AUF PAPIER Astrid Wege über Monica Bonvicini im Museum Abteiberg, Mönchengladbach

dont_miss_a_sec Monica Bonvicini, „Don’t miss a sec’“, 1998

„Certainly drawings are different from sculptures. I’m constantly drawing“, äußerte Monica Bonvicini in einem Interview 2011 und fuhr fort: „The drawings are indeed much closer to me. Most of my sculptures I don’t build myself.“ [1] Persönlicher und intimer als die Realisierung von Skulpturen, deren Fertigung sie häufig an andere delegiert, ist die Zeichnung ein Instrument, Konzepte zu entwickeln, Themen durchzuspielen und formale Umsetzungen für Skulpturen bzw. Installationen und Videos zu konzipieren. Da zu jedem installativen und filmischen Werk vorausgehend oder begleitend eine Gruppe von Zeichnungen entsteht, hat Bonvicini im Laufe der Jahre ein riesiges Konvolut an Papierarbeiten geschaffen: manche „chaotisch“, andere detailliert und „perfekt“.

Tatsächlich sind die über 300 Blätter aus den Jahren 1986 bis 2012, die Bonvicini für ihre Ausstellung im Museum Abteiberg Mönchengladbach zusammengestellt hat und die nun in einer zweiten Station in der Sammlung Falckenberg zu sehen sind, in ihrem Charakter sehr unterschiedlich. Serien geometrisch exakter Zeichnungen auf Millimeterpapier oder Entwurfsskizzen mit Maßangaben für die spätere räumliche Umsetzung finden sich neben Papierarbeiten mit nervös geskribbelten cartoonartigen Elementen, Collagen mit fotografischen Cut-Outs, großformatigen Blättern mit ausdrucksstark wuchtigen Temperazeichnungen oder filigranen Papierarbeiten mit Stickerei oder Büroklammern. Auch wenn der Grad der Eigenständigkeit im Verhältnis zu Bonvicinis Skulpturen und Installationen variiert, ist allen Zeichnungen eine großes Maß an Freiheit eigen. Sie sind das Testfeld, auf dem Bonvicini ihre Ideen entwickelt, auf dem Gedanken formuliert und wieder verworfen werden, eine Art Thinktank, der Einblick in den Entstehungsprozess ihrer monumentalen Installationen und skulpturalen Gesten gewährt, häufig jedoch auch Blätter hervorbringt, die für sich stehen, ohne direkte Entsprechung zu einem später im Raum realisierten Werk.

Die nach einer Zeichnung Bonvicinis benannte Ausstellung im Museum Abteiberg bot dem Besucher unterschiedliche Lesarten zu Form und Bedeutung dieses Mediums für die Praxis der Künstlerin. Zum einen fungierte die Präsentation als eine Art Index zu ihrem Werk, in dem über die Zeichnungen zentrale raumgreifende Arbeiten der vergangenen 25 Jahre vertreten waren: „Wallfuckin’“ (1995) oder „I Believe in the Skin of Things as in that of Women“ z. B., Bonvicinis mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneter Beitrag zur Venedig Biennale 1999, in dem sie sexistische Zitate berühmter Architekten wie Le Corbusier oder Adolf Loos eulenspiegelhaft wörtlich nahm und durch cartoonartige Zeichnungen pointiert kommentierte. Entwürfe zu „Turning Walls“ (2000) und zu ihrer Reihe von Installationen mit dem Titel „Stonewall“ (2001), einem Korridor oder Raumteiler aus Stahlgittern und Glasscheiben aus Sicherheitsglas, die Bonvicini teils mit einem Hammer zertrümmerte, Skizzen zu „Mies Corner“ (2002) ebenso wie zu ihrer raumgreifenden Installation „15 Steps to the Virgin“ im Arsenale zur Venedig Biennale 2011 geben Einblick, wie Bonvicini räumliche Konstellationen und Anordnungen auf der Fläche testet und Details plant und diese weniger in dreidimensionalen Modellen erprobt. So nutzte sie für „Anxiety attack“ im Modern Art Oxford (2003) vorhandene Raumpläne und richtete die Ausstellung in einer Serie von Collagen und Zeichnungen gewissermaßen auf dem Papier ein. Für ihre Installation „Never Again“, für die sie 2005 den Preis der Nationalgalerie erhielt, entwickelte Bonvicini in mehreren Zeichnungen verschiedene Modelle ihrer Doppel-Liebesschaukeln aus Leder, wobei sie sich bei den verschiedenen Ausführungen und Designs offensichtlich durch bekannte Architekten der Moderne und der Gegenwart inspirieren ließ – „Mies, Le Corbu, Behrendt, Johnson, Eisenman, Gehry, Zaha Hadid“ ist in die Ecke eines Blatts dieser Serie gekritzelt, „some french“ und Rossi hingegen wurden als Referenzen wieder verworfen. Meist mit Bleistift und Wasserfarbe ausgeführt, erscheinen diese Zeichnungen erstaunlich zart, verletzlich, vergleicht man sie mit der unterkühlten und doch aufgeladenen Wirkung der Schaukeln in der Installation, die deutlich auf schwule Ästhetik und SM-Kultur anspielen und diese zugleich in ein Szenario des Beobachtens und Beobachtetwerdens im Ausstellungsraum bzw. Kunstkontext übertragen. Dieser für Bonvicini zentrale Topos des Verhältnisses zwischen Betrachter/in und Werk, die Frage von Anziehung, Abweisung oder Involvierung, das Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden, dem Blickregime der Macht, ist dabei ein wiederholtes Motiv auch ihrer Zeichnungen, beginnend mit einer geradezu anekdotischen Serie zu „Don’t miss a Sec“ (1998). Hier schildert sie verschiedene Szenarien einseitiger Beobachtung aus einer öffentlichen Toilette in einem Kubus aus halb verspiegeltem Glas, der natürlich auf Dan Graham anspielt: Von außen opak, kann der Nutzer von innen das Geschehen um ihn herum betrachten.

Der imaginäre Abgleich zwischen Bonvicinis skulpturalen Arbeiten und ihren Zeichnungen lässt Zwischentöne erkennbar werden, eröffnet verschiedene Zugänge zu ihrem Werk. Die Ausstellung ermöglicht dadurch eine – auch für die Betrachter/innen – persönlichere Annäherung an ein Werk, das in der Rezeption gerne als „aggressiv“ [2] bezeichnet oder als allzu „thematisch“ schnell auf die Schlagworte Architektur, Gender, Sexualität, Dominanz etc. reduziert wird [3] – Begriffe, die fraglos eine wichtige Rolle in Bonvicinis Werk spielen, das sich darin aber keineswegs erschöpft. Interessant ist, wie Zeichnung und Installation jeweils ihren eigenen Raum behaupten und dennoch aufeinander bezogen sind. Die meterhohen, rhythmisch aufleuchtenden Leuchtbuchstaben NOT FOR YOU in Bonvicinis gleichnamiger Installation von 2006 drängen sich den Betrachter/innen geradezu auf und weisen sie zugleich buchstäblich zurück – die Installation wurde in ihrer Monumentalität und Slickness wiederholt als ebenso streitbare wie konzeptuell subtile Kritik an der aggressiven Exklusivität von Kunst als Statussymbol Weniger bezeichnet, die den institutionell-demokratischen Anspruch einer allgemein zugänglichen Kunst empfindlich stört. [4] Der Duktus der gleichnamigen kleinformatigen Zeichnung (2003) wirkt dagegen zurückhaltender. Die Buchstaben in Schablonenschrift, zu einem Dreierblock verdichtet, sind nicht ganz präzise, haben kleine Ausreißer in der Kontur, stehen etwas schief auf dem Blatt. Doch auch die Zeichnung ist durch eine starke räumliche Spannung charakterisiert: Die gemalten Lettern beherrschen den ansonsten leeren Bildraum der Zeichnung, so wie die blinkende Skulptur in den umgebenden Ausstellungsraum ausstrahlt und alles andere auszublenden scheint. Ähnlich komplex ist auch das Verhältnis zwischen der großformatigen Zeichnung „Desire“ (2006) und der im selben Jahr entstandenen Installation mit dem gleichen Titel. Kontrastreich gibt die Schwarz-Weiß-Zeichnung den Blick aus einem Fenster auf eine Stadtlandschaft wieder, der Schriftzug „desire“ legt sich davor, wird durch einen mit offensichtlich großer Wucht auf das Blatt geschleuderten Pinselstrich betont und verschmilzt optisch doch mit dem Stadtraum dahinter – ähnlich wie bei der Skulptur die riesigen Buchstaben aus poliertem Stahl auf einem frei stehenden Aluminiumgerüst die Umgebung aufnehmen und widerspiegeln. Unverändert steht das „Begehren“ da, behauptet seinen Platz, seine Beziehung zum Umraum hingegen verändert sich, ist schillernd. „Desire, if it exists, is unalterable, infinite, absolute and destructive“ [5], zitiert Bonvicini Julia Kristeva und ergänzt an anderer Stelle: „There is no revolution without architecture and no revolution without desire. Desire is a state of mind.“ [6]

Tatsächlich könnte man auch die Ausstellung als eine große Maschine des Begehrens lesen. Anders als ihre Skulpturen und Installationen, die die Betrachter/innen in ihrer physischen Präsenz und kalkulierten Respektlosigkeit häufig überwältigen, wirken die Zeichnungen offener, durchlässiger, gewähren sie Zugang zu dem Prozess eines fortgesetzten Experimentierens, Suchens, sich selbst Befragens. Auch wenn Bonvicini in dem eingangs erwähnten Interview feststellte, dass sie ihre Recherchen nie allen ganz einsichtig macht, gibt sie mit der Verdichtung und Ausstellung ihrer Zeichnungen einen umfassenden Einblick in ihr künstlerisches Denken und offenbart dabei ganz unterschiedliche Geisteszustände. Subtil, gewitzt, rotzig und differenziert lässt die Ausstellung zudem erkennen, was für eine fantastische Zeichnerin Bonvicini ist – und weckt den Wunsch, mehr davon zu sehen.

„Monica Bonvicini. Desire Desiese Devise. Zeichnungen 1986–2012“, Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 4. März bis 20. Mai 2012; Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg, Phoenix-Hallen, Hamburg-Harburg, 7. September bis 18. November 2012.

Anmerkungen

[1]„Erect as Sin“, Monica Bonvicini im Interview mit Andrew Maerkle, in: Artit, 30. 9. 2011, online unter: http://www.art-it.asia/u/admin_ed_feature_e/fs5uoLYMajPntzrchENQ/?lang=en.
[2]„Destroy She Says“, Monica Bonvicini im Interview mit Massimiliano Gioni, in: Flash Art, 253, 2007, http://www.flashartonline.com/interno.php?pagina=articolo_det&id_art=32&det=ok&title=MONICA-BONVICINI.
[3]Vgl. Diedrich Diederichsens Kritik an dieser Lesart in: Diederichsen, „En anglais, concret signifie béton“, in: Monica Bonvicini. Scream & Shake, Ausst.-Kat., hg. von Lionel Bovier, Le Magasin, Grenoble, 2001.
[4]U.a. Jan Verwoert, „laut ist klar“, in: Monica Bonvicini, Ausst.-Kat., hg. von Matthias Mühling/Nicola Dietrich, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München/Kunstmuseum Basel, Museum der Gegenwart, 2009, S. 34.
[5]Kate Green, „Monica Bonvicini“, online unter: http://neoaztlan.com/issue-five/art/monica-bonvicini.
[6]Bonvicini, „Destroy She Says“, a. a. O.