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Vorwort

Die Septemberausgabe von Texte zur Kunst ist dem „Streit“ gewidmet und reflektiert den derzeitigen Stand der (Kunst-)Kritik. Schon seit einiger Zeit wird das Ende der Kunstkritik heraufbeschworen, und manche der zugrunde liegenden Beobachtungen scheinen zunächst nicht einmal völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Tatsächlich tragen sowohl die ökonomischen Bedingungen als auch der Imperativ zur Vernetzung in der realen und virtuellen Welt dazu bei, dass heute nur noch selten wirkliche Kritik an künstlerischen Praktiken geäußert wird. Kommt es dennoch zu negativen Urteilen, werden diese häufig sofort wieder affirmativ zu Werbezwecken eingesetzt, sodass jeder kritische Gehalt bereits im Ansatz verpufft. Auch dass es angesichts der Globalisierung des Kunstbetriebs und der Ausdifferenzierungsprozesse innerhalb des Feldes kompliziert erscheint, den Standpunkt zu bestimmen, von dem aus Kritik formuliert werden kann, lässt sich nachvollziehen.

Die Konsequenz dieser negativen Bilanz kann jedoch aus unserer Sicht nicht die Verabschiedung von Kunstkritik generell sein. Im Gegenteil: Gerade in dieser Situation ist sie vielleicht wichtiger als je zuvor. Das eigentliche Dilemma liegt unserer Beobachtung nach jedoch nicht darin, dass keine Kritik mehr möglich wäre bzw. artikuliert würde, sondern dass der Wille zur Auseinandersetzung innerhalb der Kunstkritik selbst fehlt. Doch für wen sollte Kunstkritik verfasst werden, wenn nicht zunächst einmal für den eigenen Diskurs? Im besten Falle ist Kunstkritik ein unabgeschlossener Prozess, in dem unter Beteiligung widerstreitender Stimmen fortwährend die Möglichkeiten, Prinzipien und Fragwürdigkeiten künstlerischer Produktion verhandelt werden. Mit diesem Ideal vor Augen plädieren wir dafür, den Streit wieder ins Medium der Kunstkritik zu tragen, um sie auf diese Weise zu schärfen.

Schon der Blick zurück in die Geschichte macht deutlich, dass die Situation einmal eine ganz andere war. Johannes Grave und Beate Söntgen erörtern in ihrem Essay die Anfänge der modernen Kunstkritik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der französische Philosoph und Schriftsteller Denis Diderot verfasste seine Besprechungen der „Salon“-Ausstellungen als Streitgespräche, als fingierte Debatten mit seinem Verleger, mit Künstlern und sogar mit den Figuren der besprochenen Gemälde. Zwar waren diese Auseinandersetzungen von Diderot als Autor gelenkt und inszeniert, doch erst das Nebeneinander divergierender Meinungen ließ das Für und Wider der von ihm verhandelten Praktiken hervortreten. Diesen Ansatz haben wir in unserem Gespräch über die dOCUMENTA (13) aktualisiert, deren Kunstbegriff und kuratorisches Konzept wir mit Christoph Menke, Susanne Leeb und Sven Beckstette diskutiert haben. Peter Geimer zeigt dagegen auf, dass das Ausbleiben der Urteile in der Kunstkritik unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass sich die universitäre Kunstgeschichte zunehmend auch für die Gegenwart zu interessieren beginnt und sich so beide Disziplinen einander annähern. Indem sich aber ihre Kategorien, Methoden und Protagonisten/Protagonistinnen vermischen, überträgt sich die kunsthistorische Verurteilung jeglichen Bewertens nur allzu leicht auf das kunstkritische Schreiben. Dass eine kunsthistorisch-hermeneutische Perspektive keine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk eines Künstlers/einer Künstlerin erlaubt, macht Geimer anhand der Rezeption von Thomas Hirschhorn deutlich.

Natürlich wird Kunstkritik nicht nur von Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen betrieben, sondern ist auch entscheidend durch die Diskurse der Künstler/innen geprägt worden, wie schon das Beispiel der Minimal Art zeigt, deren Grundsätze maßgeblich durch die Kunstkritiken und theoretischen Betrachtungen etwa von Donald Judd, Robert Morris oder Yvonne Rainer beeinflusst wurden. Heute hingegen vermeiden es Künstler/innen eher, sich an Debatten um Kunst zu beteiligen, weil sie – einer recht verbreiteten Vorstellung entsprechend – meinen, die Werke sollten besser „für sich selbst“ sprechen. Gegen diese Tendenz eines Verstummens des Künstlersubjekts, die mit der Beschwörung vermeintlich handelnder, lebendiger Kunstwerke einherzugehen scheint, wendet sich Nairy Baghramian. Sie fordert, dass Künstler/innen aktiv in Diskurse und Diskussionen eingreifen, um die Deutungshoheit nicht vollständig Kuratoren/Kuratorinnen, Kritikern/Kritikerinnen und dem Markt zu überlassen. Inwieweit das Austragen von Konflikten auch innerhalb der eigenen künstlerischen Praxis, ja sogar innerhalb der Figur des Künstlers oder der Künstlerin selbst stattfinden kann, diskutierte Gareth James mit der durchaus umstrittenen Künstlerin Georgia Sagri.

Dass die Vernetzung, die gerne für das Ausbleiben von Streit verantwortlich gemacht wird, auch im Digitalen stattfindet, wirft für uns zudem die Frage auf, wie sich Kunstkritik verändert, wenn Abbildungen von Kunstwerken in Onlinenewslettern und sozialen Netzwerken zirkulieren, in denen allein Zustimmung über „Gefällt mir“-Funktionen zugelassen ist. Anhand der Webplattform e-flux führt Tim Griffin vor, was aus dem Anspruch auf Kritik wird, wenn Internetgeschäftsmodell, künstlerisches Projekt und die Distribution kapitalismuskritischer Theorie zusammenfallen: ein Kommentar über die art-Domain und darüber, was sie für die Zukunft der Kunstwahrnehmung bedeutet.

Die sechs Beiträge dieses Heftes sollen deutlich machen, dass Dissens in der Kunstkritik und überhaupt in der Auseinandersetzung mit Kunst absolut notwendig ist, um deren Bedingungen sowie die Kriterien des eigenen Urteilens immer wieder aufs Neue zu bestimmen. Zugleich sind wir an streitbaren Positionierungen und Spielräumen für kunstkritische und künstlerische Praktiken interessiert, in denen sich vor allem eines zeigt: Kritik und, damit verbunden, Streit sind wesentlich – und machbar.

SVEN BECKSTETTE / SABETH BUCHMANN / ISABELLE GRAW / OONA LOCHNER