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Vorwort

Spekulation ist, so viel ist klar, das Losungswort der Stunde, ob in Philosophie, Kunst/-markt, Literatur oder Finanzgeschehen. Doch was genau heißt es zu spekulieren? Mit welchen Operationen haben wir es zu tun, wenn wir von Spekulation sprechen?

Spekulation ist ein Ausgriff ins Nicht-Gegebene. Das Zukünftige kontrollierbar zu machen: Darum geht es etwa der Spekulation als Finanz­operation. Aufgrund von Erfahrungswerten werden hier mögliche Preisentwicklungen durch Algorithmen berechnet. Damit ist Spekulation einer der elementaren Schrittmacher des gegenwärtigen Kapitalismus und spielt auch für die Wertgeneration im Kunstfeld eine zentrale Rolle. Sie verändert dort massiv den Charakter der Sammlungen: Spekulatives Sammeln denkt die spätere Wiederveräußerung mit Gewinnmaximierung gleich mit. Auch das Mögliche ist damit Teil des ökonomisch Verwertbaren geworden.

Im Unterschied zu dieser Vorstellung einer Berechenbarkeit des Möglichen avisiert die theoretische Spekulation, etwa in Form des Spekulativen Realismus, grundlegend Ungewisses. Das Spekulative dieser ontologisch ausgerichteten Philosophie, die in letzter Zeit verstärkt auch zur Diskursivierung künstlerischen Handelns bemüht wird, besteht in ihrer Forderung, das Nicht-Menschliche, vom Subjekt Unabhängige und doch z. B. naturwissenschaftlich Belegbare zu denken oder gar mit möglichem Sinn zu versehen. Spekulation wird hier häufig einerseits gegen das Programm der Kritik positioniert, deren Urteilsbildung über das Bestehende und die Möglichkeiten dieses Urteilens. Andererseits richtet sie sich oft gegen die Ästhetik als eine Tradition des Nachdenkens über Wahrnehmung, Erfahrung und jene Bedingungen, in denen Subjekt und Objekt der Kunsterfahrung korrelieren. Mit einer derartigen Ablehnung von Kritik und Ästhetik ist – aus deren Perspektive gesprochen – das Risiko eines unreflektierten Sprungs hin zu den „Sachen selbst“ verbunden. Die Frage lautet also, ob eine solche Gefahr einer Re-Essenzialisierung von Objekten nicht wiederum einer kritischen Untersuchung bedarf; doch ebenso, worin die Chancen spekulativer Modelle liegen.

Deren Attraktivität könnte etwa darin bestehen, ein Denken vom Objekt her einzuläuten, das nun – anders als z. B. bei Bruno Latour – möglichkeitspolitische Ansätze eröffnet. Auch die Dimension der Zeit (in Gestalt des Zukünftigen) wird vom Spekulativen Realismus neu gedacht. Spekulation birgt in diesem Sinne das Versprechen, sich nicht nur dem bereits Gegebenen kritisch zu widmen, sondern ein mögliches Anderes zu denken, das Hypothetische einzuholen. So verstanden, wären Spekulation und Kritik in ihrer Ablehnung einer bloßen Hinnahme des Status quo komplementär.

Die im Folgenden versammelten Beiträge nähern sich den Versprechen und Gefahren spekulativer Modelle aus verschiedenen Richtungen. Steven Shaviro gibt zunächst eine Einführung in den Spekulativen Realismus und die Arbeiten von dessen Protagonisten der ersten Stunde. Er analysiert die philosophische Ausgangslage, die vor allem eine Kritik an der seit Kant in der Philosophie vorherrschenden Präferenz der Epistemologie gegenüber der Ontologie übt. Armen Avanessian, ein wichtiger Vermittler des Spekulativen Realismus bzw. einer Spekulativen Poetik sowie deren umliegenden politischen Strömungen wie dem Akzelerationismus für den deutschsprachigen Raum, hat das vorliegende Heft mit uns konzipiert und damit eine Insider-Position beigesteuert. In seinem programmatischen Text sammelt er Indizien dafür, dass das Ende des ästhetischen Regimes der Kunst und Literatur sowie des Nachdenkens über diese bereits eingeläutet ist, und sucht nach möglichen Alternativen.

Mit Suhail Malik kommt ein weiterer Protagonist aus dem Umfeld des Spekulativen Realismus hinzu, der wiederholt auf die Unvereinbarkeit von ökonomischer und theoretischer Spekulation hingewiesen hat. Hier widmet er sich jenen Abteilungen der zeitgenössischen Kunst, die auf der Basis einer allgemeinen Distribuierbarkeit von künstlerischem Wert ein System stützen, das allem und jedem einen Preis zuweisen kann. Spekulationsbasierte Entwicklungen des Kunstmarkts betrachtet auch der Soziologe Michael Hutter in seinen Ausführungen zum Sammeln als Investment und zur Rolle von Kunst in den Portfolios von Finanzfonds. Er beschreibt die Mechanismen eines florierenden Teilsegments der Kunstwelt, das Kunst zunehmend als Vermögensanlage betrachtet. Während es sich hier einerseits um die komplexen Ausprägungen von schon immer dem Kapitalismus inhärenten Operationen des Handelns mit zukünftigen Preisentwicklungen handelt, demonstriert Sophie Cras, dass spezifische Kunstfonds eine Erfindung des 20. Jahrhunderts sind, indem sie eine Urszene spekulativen Kunsthandels rekonstruiert: die Sammlervereinigung La Peau de l’Ours, die 1904–1914 in Paris bestand und Werke junger Künstler wie Picasso, Redon oder Matisse unter der Prämisse kaufte, sie nach zehn Jahren per Auktion wieder zu veräußern.

In einem Gespräch gehen Joseph Vogl und Philipp Ekardt den Zeitverträgen nach, die durch Operationen des Spekulierens geschlossen werden. Während durch digitale Technologien ermöglichte ökonomische Spekulation den „Angriff der Zukunft auf die übrige Zeit“ eröffnet, stellt sich die Frage nach der generellen Darstellbarkeit und Mediatisierbarkeit von Spekulation. Vor diesem Hintergrund erscheinen einige Figuren des neueren spekulativen Denkens wiederum als aggressive Abwehrgesten einer sich neu gründenden Humanismus-Variante.

Dass Spekulation der Frage nach dem Menschen erneute Virulenz verleiht, legt auch Rainald Goetz’ Text nahe, in dem er einen Bogen schlägt von Luhmanns menschenfreier Systemtheorie zur Sterblichkeit der menschlichen Körper. Verwoben mit dieser Auseinandersetzung beschäftigt ihn die Frage, ob literarisches Schreiben im Roman als realistisches nur dann vertretbar ist, wenn es auch das Mögliche mit abbildet, mithin zum spekulativen Realismus wird. In den fünf Geschichten von Alexander Kluge wiederum wird Spekulation im ökonomischen Sinne – und darüber hinaus – inhaltliches Thema. Es geht hier aber ebenso um das Spekulieren als literarische und künstlerische Methode, die bei Kluge im Zeichen einer teils kontrafaktischen Poetik steht, die für das Unverwirklichte im Vergangenen eintritt und die selbstbewusst fragt: Kann Dialektik träumen?

Dem bereits genannten, zurzeit hoch im Kurs stehenden kuratorischen Rekurs auf spekulative Philosophie geht Kerstin Stakemeier am Beispiel der Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ in Kassel nach. Auch sie betrachtet die digitalen Medien, die mit der aktuellen Ausformung des Kapitalismus und damit der aktuellen Krise untrennbar verknüpft sind; eine Krise, für die im Fridericianum die Werke ihr zufolge ein sensibleres Bewusstsein zeigen als die sie kontextualisierende Philosophie.

Nach Einschätzungen – künstlerischer, kuratorischer oder theoretischer Art – zur aktuellen Konjunktur spekulativer Modelle fragen wir schließlich in einer Umfrage, auf die Diedrich Diederichsen, Jenny Jaskey, Karin Harrasser, Jutta Koether und Sam Lewitt geantwortet haben.

Bleibt nur noch zu bemerken: Im Kontext der unter dem Zeichen des Spekulativen erörterten Poetiken des Möglichen glänzt ein Begriff durch Abwesenheit – die Utopie.

ARMEN AVANESSIAN / PHILIPP EKARDT / ISABELLE GRAW / HANNA MAGAUER