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Paul Feigelfeld

Wolken über Berlin Zwei Bemerkungen zur Archäologie und Gegenwart digitaler Rechte

94-feigelfeld-2 Calla Henkel/Max Pitegoff, "Tobias's at Alexanderplatz", 2014

Die Frage nach dem geografischen Raum, dessen Definition und Abgrenzung, ist nicht zuletzt eine juristische. Und so stellt auch ein digital scheinbar grenzenloser Raum ein rechtliches Territorium dar, das kaum als heterotopisch, also als mit anderen Gesetzen ausgestattet, verstanden werden kann, sondern vielmehr als einer der, als Grauzone, sich der Anwendung bestehender Gesetze verweigert.

Berlin zum einen als Schauplatz eines Netzaktivismus, für den der hier gegründete Chaos Computer Club exemplarisch steht, zum anderen als juristischer Zufluchtsort für Aktivisten aus dem Edward-Snowden-Umfeld, ist nicht zuletzt ein Ort, an dem Kittlers Medienarchäologie in den 1990ern das Nachdenken über das Digitale maßgeblich geprägt hat. Und an einer solchen setzen Paul Feigelfelds Überlegungen zu einer bereits im 19. Jahrhundert begründeten Transformation an: von Codex zu Code.

Wir befinden uns in einer medienhistorisch und politisch einzigartigen Zeit. Zum einen haben Technologien und ihre Infrastrukturen in einem niemals zuvor dagewesenen Ausmaß jeden Bereich unseres Lebens und unserer Umwelt durchwachsen, zum anderen jedoch sind die Grenzen, Gesetze, Mechanismen und Freiheiten in dieser nach wie vor neuen Welt größtenteils ungeklärt. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich Berlin auch auf dieser Ebene zu einem Ort entwickelt, an dem politische, technologische und künstlerische Theorie und Praxis lokal, jedoch auch für globale Ausmaße relevant, permanent verhandelt werden. Berlin war bereits in den 1980ern der Entstehungsort des Chaos Computer Club, eine der ersten und weltweit wichtigsten Organisationen, die sich mit digitalen Technologien und den Definitionen ihrer machtpolitischen Dimensionen beschäftigten und dabei bis in die Legislatur eine signifikante Rolle spielten. Bis heute bietet Berlin Aktivisten und Aktivistinnen wie Jacob Appelbaum (Mitglied bei Tor, einem Netzwerk für Online-Anonymität) oder Laura Poitras, die gemeinsam mit Glenn Greenwald Edward Snowdens Enthüllungen an die Öffentlichkeit brachte, einen Ort und eine Möglichkeitsbedingung, frei und halbwegs vom Gesetz geschützt leben und arbeiten zu können. Im Land der Erfinder der Rasterfahndung zu RAF-Zeiten wurde etwa die Diskussion um Vorratsdatenspeicherung bereits früh geführt: Man entschied sich dagegen, was auch zu einer EU-weiten Politik dieses Inhalts führte. Dennoch ist weiterhin nur sehr schwer abzusehen, in welche Richtungen – und es muss an dieser Stelle definitiv von mehreren gleichzeitig die Rede sein – sich digitale Rechte entwickeln werden. Berlin als Territorium – zwischen Kaltem Krieg, Mauerfall, Dotcom Bubble und Immobilien- und Diskursspekulationismus – und das Internet als Territorium spiegeln einander auf eine politisch, juristisch, aber auch anarchis-tisch interessante Weise, deren Entstehung und Zustand hier experimentell untersucht werden sollen.

1.

„You know, the medium is not the message, Marshall … is it? I mean, it’s all in the lap of fucking gods.“ Roger Waters

In den letzten Jahren ist es gelungen, eine umfassende Zentralisierungs- und Hierarchisierungskampagne im Internet, eine Verhärtung und Verdichtung technologischer, politischer, ökonomischer und juristischer Infrastrukturen in eine Metaphorologie des Ephemeren, Himmlischen, Transzendenten zu hüllen: die Cloud. Ein vorgeblich flauschig amorphes, hübsch anzusehendes, aber nicht greifbares Daten-Jenseits auf Kumuluswolke Sieben, die jedoch – durchaus vorsätzlich – den Blick auf die ursprünglichen Bedingungen techno-kapitalistischer Akkumulation verschleiert. Der Ablass sind unsere persönlichen Daten. Die Cloud, so umfassend sie ist, bleibt dabei dennoch bis heute eine juristische Grauzone.

Wie die Wolkenkunde Luke Howards, der wir die Klassifizierung des Ungreifbaren und Vergänglichen in Cumulus, Cirrus, Stratus und Nimbus verdanken, entsteht auch der Limbus von Raum- und Rechtsideen, die bis ins Cloud Computing reichen, größtenteils im 19. Jahrhundert. Die Weltmeere sind zu dieser Zeit bereits vollständig in einen Rechtsraum übergegangen – hier war es gelungen, etwas als exterritorial zu territorialisieren: Das Seerecht internationaler Gewässer ist ein Recht jenseits des Rechts. Eine Umdefinition von Heterotopien, die als dezentralisiertes Monopol von der Britischen Ostindien-Kompanie bis Google reichen wird, deren hyperterritoriale Souveränität stets von Piraten begleitet und mitdefiniert wird.

94-feigelfeld-3 Chaos Computer Club, Hauptquartier, Berlin, Google Street View

Mit Rohstoffen wie Kohle und Öl entsteht ein techno-ökonomisches Medienkonzept von Prozedierbarkeit. Darüber hinaus ermöglicht es Friedrich August Kekulé von Stradonitz’ Ouroboros-artiger Benzolring, Hegels Synthese und Substanz in synthetische Kunststoffe zu transformieren. Jean Baptiste Joseph Fouriers mathematische Beschreibbarkeit von kontinuierlichen Prozessen erschließt die Natur schließlich der En- und Dekodierbarkeit des bis dato nicht oder schlecht Erfassbaren. Reelles wird eindeutig in Symbolisches und verlustfrei wieder zurückübersetzbar, wodurch ein neues und das 20. Jahrhundert maßgeblich definierendes Dispositiv von Code entsteht, das den juristischen Begriff des Codex in andere Umgebungen ausdehnt. Dabei wird der legalistische Anteil des Begriffs jedoch weniger verwässert, als dass vielmehr qua Kodierung alles zum Gegenstand von Recht wird.

Außerdem entsteht zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin das Konzept des Environments, der Umwelt, des Milieus, und damit ein Raumkonzept, das nicht mehr länger auf der Trennung von Natur und Kultur beharrt, sondern eine hinreichende Komplexität in der Verschränkung und Überlagerung von industriellen und nachrichtentechnischen Infrastrukturen mit Geo- und Biologie ins Zentrum rückt, die wiederum für die Medienökologien des 20. Jahrhunderts bestimmend sein wird.

Die Weltkriege des frühen 20. Jahrhunderts schließlich bomben die Welt in Form für den kybernetischen Kapitalismus, im Jenseits von dessen Utopien wir längst leben. Aufbauend auf Norbert Wieners rückgekoppelte Flugabwehrkanonen, die Turingmaschinen und Von-Neumann-Architekturen, die sowohl Geschossflugbahnen berechnen als auch deutsche Enigma-Chiffren entschlüsseln und das Manhattan Project möglich machen, konstellieren sich in den 1950er und 1960er Jahren jene medienökologischen Infrastrukturen, die keine Grauzonen haben, sondern in erster Linie Grauzonen sind. Die ersten Demarkationslinien dieser Grauzonen werden fast genau zur selben Zeit hochgezogen wie die Berliner Mauer: Beides sind Territorien des Kalten Krieges, Drehscheiben für Information und Paranoia. Ab den frühen 1960er Jahren, konkret seit dem 1963 vorgelegten Paper von J. C. R. Licklider über ein „Intergalactic Computer Network“, aus dem schließlich das ARPANET emergiert, entsteht jedoch durch die fortschreitende Vernetzung an großen Forschungszentren mittels TCP/IP Packet Switching ab den späten 1970er Jahren und in den 1980ern unter anderem am CERN, wo Tim Berners-Lee mit HTTP das semantisch umgängliche Interface des World Wide Web entwickelt, die medientechnologische Realität, die die Frage nach nationaler Rechtsprechung, Datenschutz, Privatsphäre etc. völlig neu aufwirft. Der Computer als Kopiermaschine ist, ebenso wie es die Gutenberg’schen Druckerpressen waren, bereits per se ein juristisches Problem, wenn es um Urheber- und Patentrecht geht. Die Konzepte kybernetischer Selbstregulation, Ökosysteme und die Umweltbewegung, die relativ vergleichbar mit der Etablierung einer Politik und Rechtsprechung zu kämpfen hatten, wie es heute postdigitale Kulturen haben, ergeben darüber hinaus einen Rechtsraum und ein Raumrecht, das einerseits dem Seerecht durchaus vergleichbar ist, andererseits durch Konzepte wie Cloud Computing und Storage eher einer Nebelbank gleicht, die die Orientierungsmöglichkeiten von uns Kybernetikern – schließlich „Steuermännern“ im Wortsinn – beträchtlich einschränkt. Mehr noch, digitale Rechte erfordern ein völlig neues Nachdenken darüber, wie Recht und Raum sich zueinander verhalten, wenn alles, was dem Gesetzescodex unterworfen ist, selbst Code ist.

2.

„The process is not simply a legal one and the overlaps go in both directions. Scan the -science pages and see articles about the possibility of using DNA sequences as incredibly powerful parallel processing ,computers.‘ Think of the software designers who create electronic ecologies and then use those strings of computer code which have proved themselves as survivors – harnessing a form of ,natural selection‘ that Darwin would have recognised but could never have imagined. Put it all together and then compare this ,reality‘ to the way that we thought about computers on the one hand and biology on the other, just twenty years ago. In the international information economy, the medium is not the message. The medium is irrelevant.“ James Boyle

|94-feigelfeld-1| Calla Henkel/Max Pitegoff, "Team Europe", 2013

Dass Digital Rights erst nach den Enthüllungen von Wikileaks und Edward Snowden langsam beginnen, in ein öffentlicheres Bewusstsein zu dringen, zeugt von einem strukturellen Problem, von Technologie-Kommodifizierung und einem Rechtsverständnis, das offene Quellen in Black Boxes versickern lässt. Empörung darüber, dass Nachrichtendienste – die die Architektur unserer Informationssysteme maßgeblich mitentwickelt haben – Daten sammeln und verwerten, zeugt von einer Unmündigkeit, die in einer Zeit, in der digitale Medien permanent jeden Bereich unserer Existenz mitbestimmen und das in Zukunft in noch größerem Ausmaß tun werden, zu einem der zentralen gesellschaftlichen Probleme überhaupt werden kann. Digitales Recht heißt dabei nicht nur, dass Privatsphäre oder informationelle Selbstbestimmung sowie das Urheberrecht von Produzenten und Unternehmen geschützt werden; es müssen also nicht nur die Grenzen des Rechts eingehalten werden, sondern auch und vor allem dessen Öffnungen. Wenn ein kommerzielles Produkt wie etwa ein Router Open-Source-Software-Komponenten enthält, müssen diese auch weiterhin als offenes Produkt zur Verfügung gestellt werden. Es muss sichergestellt werden, dass diejenigen, die mit diesem Material arbeiten wollen, nicht wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen belangt werden können. Signifikant ist dabei, dass sich das Begehren des Gesetzes vom Artefakt auf den Prozess verlagert und der Prozess, der Algorithmus, der Code wiederum selbst nichts anderes ist, als Gesetz und Schaltung – was dazu führt, dass ein paar Zeilen Code genauso patentierbar werden können wie eine DNA-Sequenz.

Regierungen werden zu Unternehmen und Unternehmen zu Regierungen, die effektiv Legislaturen implementieren oder es, wie im Falle von SOPA (Stop Online Piracy Act), PIPA (Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act) und ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), versuchen. Aktivisten kostet das Vorgehen dagegen ihre (Bewegungs-)Freiheit oder, wie im Falle von Aaron Swartz, Verfasser des „Guerilla Open Access Manifesto“ und Speerspitze der Digital-Rights-Bewegung rund um Creative Commons, der SOPA zu Fall brachte, mit 26 das Leben. Wie sich Nationalstaat und supranationale Informationsarchitektur zueinander verhalten, ist weit davon entfernt, geklärt zu sein. Werden einerseits zwar Regulierungen zur Vorratsdatenspeicherung etwa in Deutschland für verfassungswidrig erklärt – weswegen Aktivisten wie Laura Poitras und Jacob Appelbaum oder der Chaos Computer Club von Berlin aus freier als sonst wo agieren können –, um anschließend von der EU ebenfalls stillgelegt zu werden, zeigt doch andererseits die Schamlosigkeit im Vorgehen von Abmahnanwälten bis hin zum Umgang von sgroßen Geheimdiensten aller Länder mit Privatsphäre, Datenschutz, Copyright etc. – bzw. deren vollständiges Ignorieren jedweder digitaler Grundrechte – mehr als deutlich, dass wir uns hier in einem Raum bewegen, der noch weit davon entfernt ist, fundamentale Sicher- und Freiheiten über nationale Grenzen hinaus zu garantieren. Sicherheit bedeutet hier mehr als irgendwo anders eben Freiheit von Regulation. Die Frage ist, ob das Internet jemals jener Raum sein wird, den der Cyberpunk der 1990er Jahre imaginiert hat. Diese Medienökologie erfordert eine radikal andere ökonomische und politische Praxis, um einer Kolonialisierung des Internets, das eben schon lange nicht mehr außerhalb oder jenseits unserer Welt stattfindet, entgegenzuwirken.

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