Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

146

Future not Present Helmut Draxler, Susanne von Falkenhausen, Amy Sillman und Hong Zeiss über die 56. Venedig-Biennale

Susanne von Falkenhausen

All the World’s Futures auf den schwachen Schultern der Kunst

Simon Denny, „Secret Power“, Neuseeländischer Pavillon, La Biennale di Venezia, 2015, Ausstellungsansicht

Wieder einmal wirft ein Kurator die globale Deutungsmaschine an. „Alle Zukünfte der Welt“ ist ein Titel, der nebulös genug klingt, um den Dichter-Kurator in der Rolle eines (Kunst-)Papstes auftreten zu lassen, der den Titel seiner neuesten Enzyklika verkündet, um Kritiker in Nöte zu bringen und die Kunst außer Atem hinterherrennen zu lassen. Nach Carolyn Christov-Bakargiev, die den Katalog der documenta 13 „Buch der Bücher“ betitelt hatte, beglaubigt auch Enwezor die Hypertrophie im Rollenverständnis des Kurators. Aber: Bei Entfernung des auslösenden Stimulus kann sich die Hypertrophie, die krankhafte Größenzunahme eines Organs, weitgehend zurück­bilden und ist insofern reversibel, sagt Wikipedia. Besteht also noch Hoffnung? Wohl erst, wenn sich die Hypertrophierung der Ausstellungs­formate von Biennalen etc. zurückgebildet haben wird.

Und die Künstler/innen müssen(?) darauf reagieren: Groß, bunt, viel ist die Devise. Wer erklärt den jungen Künstlerinnen und Künstlern, und von denen gibt es hier lobenswert viele, dass das nichts bringt? Naja, vielleicht bringt’s ja doch was: einen Augenblick länger in der Aufmerksamkeits­ökonomie von Publikum und Presse; angesichts der Enge, in der die Arbeiten aufeinanderstoßen, umso wichtiger. Aufrüstung allerorten, die mit der Abwertung der Währung Aufmerksamkeit einhergeht. Das gilt meines Erachtens auch für den Kurator. Seine Aufmerksamkeit scheint sich in jenen Räumen erschöpft zu haben, mit denen die Besuche im Zentralpavillon und im Arsenale beginnen: inszenatorische Fanfarenstöße, vor allem im Arsenale. Ein kirchenschiffartiger Raum, den man vorn seitlich betritt, sich zwischen Bruce Naumans Neonwörtern („dEATh“) und den bedrohlich scharfen Machetensträußen von Adel Abdessemed hindurchschlängelnd. Dann öffnet sich der Blick in das Kirchenschiff, dramatisch von Philippe Parreno ausgeleuchtet, am Ende apsidenartig gekrönt von Pino Pascalis Kanonen­imitat „Cannone semovente (Gun)“ [1] von 1965 in geheimnisvollem Halbdunkel. Gewaltig, gewaltsam, wagnerisch, absolut humorlos (darf ja auch nicht sein bei dem Thema). Der arme Pascali. Sein (selbst-)ironisches Machospielzeug, dessen Bedrohlichkeit zur Entstehungszeit angesichts seiner Dysfunktionalität eher satirisch ins Spiel kam, muss hier in einem sehr anderen Film mitspielen. Ansonsten geht es kuratorisch eher achtlos zu. Aber wer sucht, der findet. Allerdings muss er auch wissen, was er sucht. Und so suchte ich zum Beispiel Chris Marker, eine weitere jener Positionen aus den 1960/70er Jahren, die wohl der Zurschaustellung des Politischen in der heutigen Kunst, einschließlich Lesung von Marx’ „Das Kapital“, als Anker dienen sollte. Das gehört ja inzwischen, seitdem Catherine David es in der documenta 10 mustergültig und mit großer kuratorischer Aufmerksamkeit vorgeführt hat, zum guten Ton. Ich fand den Film „L’Ambassade“ von 1973, 20 Minuten lang, ursprünglich auf Super-8 gedreht, in einer kleinen Seitennische und habe ihn mir von Anfang bis Ende angeschaut – eine Zeitökonomie, die frau sich in diesem Ausstellungsformat eigentlich nicht erlauben kann. Er wurde mein intensivstes Erlebnis auf dieser Biennale; am Ende erschien mir dieser Film inmitten des audiovisuellen Lärms als exemplarisches Zeugnis politischer Ästhetik: So geht es auch! Ein konstruiertes Stück cinéma vérité, das skizzenhafte Notate eines kameraführenden Augenzeugen zeigt; die Vérité, die hier gezeigt wird, ist die nach dem Putsch von Pinochet in Chile. Flüchtlinge werden in einem Botschaftsgebäude aufgenommen; die Notate zeigen den Alltag der Flüchtlinge bis hin zu Streitereien um die „richtige“ linke Strategie. Sie verzeichnen auch die Enttäuschung des Augenzeugen über die Spaltungen in der Linken, die sich in diesen Diskussionen zeigen und beim Betrachten noch nachträglich ein unerträgliches Gefühl der Ohnmacht erzeugen. Kein Heroismus, keine offensichtliche Anklage, keine Rhetorik, keine linke Romantik. Marker wollte, wie er im Filmkommentar sagt, die Möglichkeiten von Super-8 als Medium politischer Ästhetik zeigen: unauffällig, beweglich, klandestin.

Isaac Julien, „Das Kapital Oratorio“, La Biennale di Venezia, 2015, Ausstellungsansicht

Aber auch hier: Armer Marker! Kaum jemand fand in diese Nische. Eine zweite Arbeit Markers, „Passengers“, Fotoporträts von Passagieren einer Untergrundbahn bei Nacht, entstanden 2008 bis 2010, musste sich den Raum mit Kutluğ Atamans Arbeit „The Portrait of Sakip Sabanci“ teilen, bestehend aus 10 000 LCD-Panels in der Größe von Handys, die zusammen eine Art bewegliche Zeltdecke bildeten, ein Auftrag der Unternehmerfamilie Sabanci zum zehnjährigen Todestag des Unternehmers (welches kapitalismuskritische Zeichen setzt nun diese Arbeit?). Die Panels zeigen laut Website des Künstlers die Menschen, die Sabanci unterstützt, denen er Arbeit ­gegeben hatte. Das Publikum seinerseits war vollauf damit beschäftigt, diese sensationell kunstvolle, glitzernde Bilderdecke mit seinen Handys zu fotografieren; Markers ziemlich unheimliche Porträts führten daneben eine Randexistenz. So ging das mit allen „historischen“ Positionen. Eine Auswahl aus Walker Evans’ „Let Us Now Praise Famous Men“ teilt sich den Raum mit den Arbeiten von Isa Genzken, eine Nachbarschaft, deren Sinn sich nicht erschließt. Harun Farockis Filme werden auf mehreren Kanälen gleichzeitig in einem Raum gezeigt; hören kann man sie, aber eben nicht verstehen. Hauptsache, scheint’s, sie sind da. Die Biennale als dysfunktionales Archiv.

Dann die Privilegierten, jene Künstler/innen, denen eigene Weiheräume eingeräumt werden, darunter Chris Ofili, Katharina Grosse (ich müsste ja zufrieden sein, dass nun auch Frauen in solche Positionen aufrücken, aber irgendwie gelingt mir das nicht), Georg Baselitz. Wie kommt so viel deutsche Großmalerei in die zentrale Ausstellung der Biennale? Wohl eine naive Frage angesichts der involvierten Galerien, aber in diese bereits ritualisierte Kuratorenschelte wollte ich eigentlich nicht einsteigen, ebenso wenig wie in die Klage, dass der Kurator seine hochgesteckten Ziele wieder einmal nicht erreiche – das haben solche Ziele so an sich. Aber die Ausstellung zeigt in bisher nicht überbotener Deutlichkeit, dass jener Kapitalismus, der hier der Kritik unter­worfen werden soll, just diese Kritik inzwischen als willkommenes Element in seine Strategien der Legitimation durch Kunst einbezogen hat. Sie, die noch vor zehn Jahren der Sponsorenzensur zum Opfer fiel, gehört nun zum guten Ton mäzenatischer Selbstrepräsentation. Zu meinen persönlichen Entdeckungen, mühsam dem Druck von Zeit und Enge abgerungen, gehören die Zeichnungen und Collagen von Teresa Burga (Jahrgang 1935), klaustrophobisch eng gehängt, aber immerhin. Dann die Zeichnungen von Olga Chernysheva, die „realistische“ Feinzeichnung mit sehr schwarzhumorigem Textkommentar verbindet; die Kurzfilme von Samson Kambalu, in einem kleinen Raum versammelt, satirische Kabinettstückchen auf die Heroen westlichen Geistes; ein Video von Adel Abdessemed, „Also sprach Allah“, das es tatsächlich schafft, eine witzige Schneise in die Gesetze der Korantreue zu schlagen und mich stärker beeindruckte als seine eingangs erwähnten Machetensträuße. Verbindendes Element meiner hochselektiven Auswahl ist wohl der Humor, auch jener der Vergeblichkeit, der seine politischen Dimensionen zeigen darf.

Danh Vo, „Judas“, Dänischer Pavillon, La Biennale di Venezia, 2015, Ausstellungsansicht

Apropos Archiv: Das eindrücklichste Beispiel politischer Kunst ist die Arbeit von Simon Denny für den neuseeländischen Pavillon, „Secret Power“. Denny hat seine Forschungen zur Ästhetik der NSA in ein Buch und eine brachial inszenierte Installation in der Biblioteca Marciana am Markusplatz transformiert und so ein anachronistisch gewordenes und ein aktuelles Wissenssystem einschließlich ihrer Implikationen von Macht miteinander verschränkt. Gruselig ist die Korrespondenz von kalkuliertem ästhetischem Schwachsinn mit absoluter Funktionalität auf verschiedensten Ebenen der Machtausübung, inklusive der psychologischen, die in den Geheimdiensten gepflegt wird. Gruselig deutlich wird auch, dass die Entwerfer heutiger Zukünfte die Scifi-Leser von gestern sind.

Ansonsten wird Kunst vor allem außerhalb der zentralen Ausstellung so gezeigt, dass man sie auch wirklich anschauen kann: zum Beispiel im dänischen Pavillon mit einer diskret ausgebufften und anspielungsreichen, ästhetisch ausgefeilten Ausstellung, die Danh Vo mit eigenen und anderen Arbeiten sowie leicht angegrauten Objekten des klassischen Designs kuratiert hat – ein bourgeois-perverses, hochintelligentes Vergnügen. Muss frau sich dieses Vergnügens nun schämen?

Übrigens: Warum nicht aus der eh unterfinanzierten Biennale eine Dezennale machen? Besser finanziert und deshalb unabhängiger von Galerien und Sammlern, mit langem Atem und aufmerksam kuratiert? Das könnte selbst der documenta das Wasser abgraben. Ein naiver Vorschlag?

Anmerkung

[1]„Selbstfahrende Kanone“