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Vorwort

Hartnäckig halten sich die Fantasien einer einstmals reinen Fotografie, in der sich die externe Realität und der menschliche Geist gleichsam objektiv ins Bild gebannt hätten – doch tatsächlich näherbringen konnte uns das fotografische Bild dieser sogenannten „wirklichen Welt“ niemals. Die vorliegende Ausgabe von Texte zur Kunst widmet sich dem Thema „Fotografie“, ohne deren Übergang in digitale Bildproduktion beklagen zu wollen, sondern um vielmehr angesichts dessen zu fragen, wie fotobasierte Medien heute funktionieren, was wir von ihnen erwarten und was wir ihnen zutrauen: Welche Informationen sollen sie übertragen? Welche Fakten vermitteln? Was erlauben sie uns zu sehen? Fotografie ist heute präsent wie nie, Bildapparate aller Art sind wesentlicher Bestandteil fast jeglicher Interaktion. Dass das Foto sich zu der wichtigsten Grundlage für die Konstitution von Identität und den Zusammenhalt sozialer Gruppen entwickelt hat, lässt sich kaum bestreiten; es ist in seiner materiellen Auflösung gewissermaßen selbst zum Trägermaterial geworden, zum Untergrund, auf dem sich das heutige menschliche Subjekt abzeichnet.

Das vorliegende Heft begreift Fotografie nicht als klar abgegrenzte mediale Kategorie, sondern im Wechselverhältnis zu anderen visuellen Formen. Peter Osbornes Analyse der Digital­fotografie in ihrer Doppelrolle – als Signifikant einer vergangenen technischen Form (geknüpft an eine Rhetorik der Indexikalität) einerseits und Visualisierung neuer Daten und des digitalen „Metamediums“ andererseits – ist zentral für diese Diskussion. In seinem Beitrag zieht er eine Parallele zwischen der Ontologie des Digitalbildes und der postkonzeptuellen Kunst, die beide „verteilte“ Formen seien. Auch weist Osborne darauf hin, wie Fotografien heute, womöglich vor allem anderen, Sozialität erzeugen, wodurch sich wiederum die soziale Realität des Bildes ändert.

Benjamin Buchloh und Isabelle Graw liefern in ihrem Gespräch weiterführenden theoretischen und historischen Kontext und diskutieren darüber, was gemeint ist (und war), wenn vom Verhältnis eines Fotos zur Indexikalität sowie vom Verhältnis des Index zu einer Vorstellung des „Realen“ die Rede ist – zu der Idee eines gelebten, authentischen Lebens. Man kann, wie auch Osborne andeutet, bereits in der Konzeptkunst den Wunsch erkennen, die schon immer prekären Verbindungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem funktional zu kappen. Der Verpflichtung ledig, die Wahrheit zu sagen, hat das Foto seine Bedeutung seither zu keinem geringen Teil jenseits seiner Konventionen und zugeschriebenen Orte der (Re-)Präsentation gewonnen – man denke an Stock Photography, Memes, Reposts und daran, was heute (nicht) alles ein Bild (über-)tragen kann. Und doch hat sich, wie Michael Hagner – der gemeinsam mit Buchloh die vorliegende Ausgabe beraten hat – untersucht, ausgerechnet um das analoge gedruckte Fotobuch in den letzten zehn Jahren ein riesiger (und weiter wachsender) Markt etabliert. Bei der Verbreitung, Kommodifizierung und Theoretisierung der Fotografie kam (und kommt) diesem Format eine fundamentale Rolle zu. Angesichts dieses augenscheinlichen Revivals des Fotobuchs im neuen Jahrtausend geht Hagner der Frage nach, was es bedeuten könnte, die digital befreiten Bilder einem neuen Offline-Leben anzuvertrauen.

Ein „Trans“-Zustand, ein Öffnen gegenüber Übertragungen und Übersetzungen lässt sich heute für so vieles feststellen, und auch die uneindeutige Identität wie Materialität des Fotos werden inzwischen allgemein akzeptiert. Doch nach dem Aufkommen verbraucherorientierter Digitalität in den 1980er Jahren wurde der Fotografie zunächst lange eine Krise attestiert. Clemens Jahn wirft für die vorliegende Ausgabe einen Blick auf die Ausstellung „Fotografie nach der Fotografie“ von 1995–97, die, vom Technikriesen Siemens gesponsert, die Auflösung der Fotografie in die digitale Bildproduktion thematisierte – und implizit auch die wachsende kommerzielle Kontrolle. Zwanzig Jahre später, so Jahn, ist die Frage, wie ein Bild einen Ausschnitt der Wirklichkeit repräsentieren kann, der Frage gewichen, wie ein Bild in der Wirklichkeit funktioniert und operiert.

Die Künstler/innen Loretta Fahrenholz, Anna Gaskell, Seth Price und Timur Si-Qin nähern sich dieser Diskussion in ihren Beiträgen aus der Praxis. Als Fotokünstlerin im engeren Sinne kann unter ihnen eigentlich nur Gaskell figurieren; bekannt geworden für ihre traumartigen Bilder im Stil von Sally Mann und in jüngster Zeit für ihr umfassendes filmisches Porträt der Künstlerin Sarah Morris, stellt sie nicht die Fähigkeit der Kamera zur Repräsentation infrage, sondern vielmehr die Bereitschaft, gar das Vermögen des Sujets, in irgendeinem „Naturzustand“ zu erscheinen. Gegen essentialistische Interpretationen von Bedeutung und Identität wendet sich auch Timur Si-Qin. Er nutzt in seinem Werk häufig stark manipulierte, oftmals digital konstruierte und hochgradig generische „Katalog-Fotografien“ mit dem erklärten Ziel, die Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem aufbrechen zu wollen. In seinem Text für die vorliegende Ausgabe argumentiert Si-Qin, dass bereits dem fotografischen Bild selbst Macht innewohnt und dessen Handlungsfähigkeit nicht von einem präexistenten materiellen Referenten abhängt. Diese Macht der Bilder wird auch in Seth Prices Praxis offenkundig, die sich vielleicht gerade deshalb so konsequent der endlosen Wiedervermittlung und Verbreitung öffnet. In seinem Beitrag, der Rekapitulation eines Vortrags über Magie, fasst Price die Fotografie als Glaubensstruktur. Nicht zuletzt durch allgemein anerkannte „Wahrheiten“ definiert sich schließlich eine Gemeinschaft. Das aktuelle Interesse an der Fotografie liegt dementsprechend, wie Loretta Fahrenholz schreibt, wohl weniger an deren Fähigkeit, ein exotisiertes „Anderes“ abzubilden als uns unserer eigenen mikrosozialen Sphären zu versichern. Fahrenholz, deren Filme und fotobasierte Arbeiten aktiv in solche Grenzbereiche eindringen, beschreibt hier die Gespaltenheit der Fotografie als treibende Kraft des freien Ausdrucks ebenso wie der sozialen Kontrolle.

Wir richten in dieser Ausgabe also unseren Blick auf die Fotografie als eine Form, die sich in sehr viel mehr als dem bloßen Bild manifestiert. Während sie lange ein Vehikel der Informationsverbreitung war, ist das fotografisch generierte Bild heute selbst zur Information, zum Raum der Interaktion geworden: das Foto als Realität statt als bloßer Bezeichner derselben; das Foto als Affekt-Maschinerie. Wie Robin Kelsey in seinem Essay schreibt, ist der Blick des Bildes heute allgegenwärtig, nicht nur wegen all der Kameras in unseren Telefonen und anderen technischen Geräten, sondern auch angesichts der Tatsache, dass wir unsere Sicht der Welt mittels der Fotografie geschaffen haben und diese selbst uns heute beobachtet. Netzartig durchzieht sie das soziale Feld, als Raster, als Koordinatenmenge, die uns beständig trägt, definiert, überwacht und verortet.

Caroline Busta, Isabelle Graw, Hanna Magauer

Übersetzung: Robert Schlicht