Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

30 Jahre Gender Trouble. Sabine Harks einleitende Worte zum Jubiläumsvortrag von Judith Butler am 31.1.2020 an der TU Berlin

Erste Ausgabe von „Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity", 1990.

Erste Ausgabe von „Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity", 1990.

In diesem Jahr stehen mehrere Jubiläen an. Wir feiern nicht nur 30 Jahre Texte zur Kunst sondern auch 30 Jahre „Gender Trouble“ und 10 Jahre Fachgesellschaft für Geschlechterstudien/Gender Studies Association der TU Berlin. Aus letzteren Anlässen fand am 31. Januar 2020 eine Jubiläumsrede von Judith Butler im überfüllten Hörsaal der TU Berlin statt. Wir möchten hier zunächst die einleitenden Worte der Leiterin des ZIFGs, Professor_in Sabine Hark, veröffentlichen, worauf eine kritische Analyse von Butlers Rede folgen wird.

Es gibt Bücher und es gibt gewichtige Bücher. Zu denen von Gewicht gehört ohne jeden Zweifel Judith Butlers Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, erstmals erschienen 1990. Ein schmaler Band, kaum 170 Seiten im englischen Original. Bis heute erinnere ich den Moment, als ich es im Frühjahr 1990 im Universitätsbuchladen der San Francisco State University aus dem Regal zog. Der Name der Autorin, Judith Butler, sagte mir nichts. In meinen Women’s Studies-Seminaren an der State University im Jahr zuvor hatte Butler noch nicht zum Lesekanon gehört. Gender Trouble war in diesem Frühling ein noch kaum gelesenes, geschweige denn besprochenes, diskutiertes, verworfenes, verteidigtes Buch – aber für mich persönlich in dieser Sekunde schon ein troublemaker. Ich hatte begonnen, über mein Dissertationsthema nachzudenken. Es sollte um Identitätskritik gehen, um eine Kritik lesbisch-feministischer Identitätspolitik im (west-)deutschen Kontext, um genau zu sein. Ein Thema, von dem viele mir sagten, dass das doch kein Thema sei. Identitätsfragen seien theoretisch unergiebig und politisch irrelevant. Und hier war nun ein Buch, das genau diese Frage schon bearbeitet hatte. Feminism and the Subversion of Identity. Meine Dissertation schien am Ende, noch bevor sie tatsächlich begonnen worden war. Leicht beunruhigt verließ ich den Buchladen mit Gender Trouble im Rucksack.

Vom Cover des Buches blickten mich aus einer gealterten, sepiafarbenen Fotografie zwei ernst dreinschauende Augenpaare an. Zwei Kinder, noch keine Teenager. Geschwister vielleicht. Auf den ersten Blick unentscheidbar, ob desselben oder verschiedenen Geschlechts. Die Hand des kleineren Kindes auf der Schulter des großen. Durch diese Geste verbunden, doch durch einen unregelmäßig verlaufenden Falz in der Mitte des Fotos nachträglich getrennt. Beide Kinder in langärmliger, üppig mit Rüschen besetzter Kleidung. In Hosen das eine, im Kleid das andere. Das jüngere mit einem zeitlos wirkenden Kurzhaarschnitt, das ältere Kind trägt die Haare lang, im Stil von Emily Dickinson: in der Mitte gescheitelt, im Nacken zusammengebunden. Beide wirken auf berührende Art verletzlich und strahlen zugleich starke Entschlossenheit aus. Besonders das ältere Kind im Rüschenkleid scheint den Moment herbeizusehnen, an dem es sich dieses Kleid vom Leib würde reißen können. Kurz erinnerte ich mich an das letzte Mal in meinem Leben, dass ich ein Kleid getragen hatte. Es war lange her. Ich meinte zu wissen, was das Kind auf diesem Foto, von dem mich mehr als nur die Jahrzehnte trennten, im Moment des Fotografiert-werdens empfunden hatte. Ein einsamer Moment.

Die Buchrückseite dieser Ausgabe von Butlers Gender Trouble liefert spärliche Hinweise zum Foto. „Agnes und Inez Albright“ heißt es dort. Schwestern also. Aber wird das Foto dadurch eindeutig lesbar? Wissen wir nun mehr als zuvor? Verkörpern die Schwestern Inez und Agnes in einer seltsam anmutenden repräsentationalen Treue gegenüber dem Butler’schen Text die intime Verquickung von Rebellion und Unterdrückung, über die Butler gleich auf der ersten Seite des Buches spricht? Sollen wir das Foto mithin als Illustration der Theorie verstehen oder gar, im Sinne Butlers, als performative Iteration von gender lesen? Spiegelt hier schlicht Performanz Perfomativität? Im Text selbst spielt das Foto freilich keine Rolle. Es bleibt ein ungelesener Paratext zum trouble, den gender verursachen kann, zur Kraft der Subversion, der jede Identitätsbehauptung ausgesetzt ist.

Die Buchrückseite hält indes noch eine weitere Information bereit. Das Foto sei freundlicherweise von Catherine Nicholson zur Verfügung gestellt worden und zuerst erschienen auf dem Cover der 21. Ausgabe von Sinister Wisdom – einem seit 1976 bis heute verlegtem Multicultural Lesbian Literary & Art Journal. Eine Spur, die mich damals weit zurück ins feministisch-lesbische Archiv führte. Catherine Nicholson war eine der Gründerinnen von Sinister Wisdom, und die Ausgabe 21, herausgegeben von keinen Geringeren als Michelle Cliff und Adrienne Rich, widmete sich der Frage, wie lesbisches Leben überhaupt repräsentiert werden kann. Meiner Dissertation stand nichts mehr im Wege.

Ich freue mich, dass Judith Butler im Januar 2020 einen Vortrag zum zehnjährigen Jubiläum der Fachgesellschaft für Geschlechterstudien der TU Berlin gehalten hat, um zu erläutern, wie sich der trouble, den Gender noch immer verursacht, heute darstellt.

Sabine Hark ist Professor_in und Leiter_in des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin.