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DAS RUMPELDING Matthias Dell über Uwe Tellkamps „Das Atelier“

Studierende haben am 29.05.2019 aus Protest gegen die Kandidatur der Bibliotheksleiterin für die AfD die Hochschulbibliothek besetzt.

Studierende haben am 29.05.2019 aus Protest gegen die Kandidatur der Bibliotheksleiterin für die AfD die Hochschulbibliothek besetzt.

Das Kindische, Lächerliche an rechter Rhetorik ist, dass mit ein bisschen Rumgestänkere schon alles erreicht ist, weil anderswo scheinbar Unfrieden gestiftet wird. Darin besteht die lahme rechte Hybris: dass die eigene Bubble immer gleich zum Volk hochgerechnet wird, nur weil man aus diskursiver Unterbelichtung selbst am lautesten krakeelt. Ein Bild der Ödnis stellt in diesem Sinne auch Uwe Tellkamps neuer Roman „Das Atelier“ dar, dessen Gewölk aus Unbedingtheit und Soldatentum, Verbitterung und Opfergejammer Kulturjournalist Matthias Dell nachgeht.

Größer noch als der Name des bekannten Autors (Uwe Tellkamp) und der Titel des neuen Werks (Das Atelier, 2020) steht die Reihenbezeichnung auf dem Cover des Bands: EXIL. Was darunter zu verstehen ist, versucht Sigrid Wirzinger auf der Website der neurechten Zeitschrift Sezession zu erklären: „Damit sind Werke gemeint, die von ihren Autoren ‚zwischen den Zeilen‘ verfaßt worden sind, also aus einer Art geistigem Exil heraus für die Leser, die noch ausharren. So weit ist es aber noch nicht. Aus diesem Grund ist die neue Buchreihe EXIL eine Warnung und noch keine Zustandsbeschreibung: EXIL wird von Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz herausgegeben – die erste Dreierstaffel ist nun verfügbar und sorgt bereits für Gerumpel im Feuilleton.“ [1]

Es ist nicht ohne Witz, dass ausgerechnet in dem Organ, das am schmissigsten um eine intellektuelle Ausstattung tapferen Germanentums bemüht ist, die deutsche Sprache solche Niederlagen erleidet. Ein Satz dementiert den anderen und vor allem den Aplomb, mit dem die lärmende Rechte sonst an der Realitätsverdrehung arbeitet. Wenn das mit „noch keine Zustandsbeschreibung“ stimmen sollte, was bedeutet das dann für die Horrorszenarien („DDR 2.0“, „Gesinnungsdiktatur“ usw.), aus denen sich die agitatorische Rechte ihre paranoiden Wirklichkeiten zimmert – sind das dann auch nur „Warnungen“? Irgendwie ist es fast rührend, wie Wirzinger sich beim Drücken der Buzzwords vertippt, mit denen innerhalb der Community der Blutdruck hochgehalten werden soll.

So oder so ergibt das alles wenig Sinn, aber Sinn ist auch nicht das Ziel rechter Agitation. Der geht es um Landgewinne in der öffentlichen Debatte, damit sich die Gesellschaft polarisiert, und deshalb ist mit Wirzingers Werbung, dem Buhlen um Käuferinnen im hauseigenen Onlineshop eigentlich schon alles gesagt zu Tellkamps Das Atelier: Man schmückt sich stolz mit einem prominenten Autor, weil der nun in der eigens gegründeten Edition einer befreundeten, mit Pegida sympathisierenden Buchhändlerin veröffentlicht. Und freut sich über das „Gerumpel“, das dieser scheinbare Spagat zwischen den Images in den bürgerlichen Medien erzeugen wird. Und zwar so sehr, dass in der spezifischen Ankündigung des Tellkamp-Bändchens gleich noch einmal darauf verwiesen werden muss: „‚Das Atelier‘ von Uwe Tellkamp, das momentan für viel Arbeit im Feuilleton sorgt – in allen Redaktionsstuben der großen Zeitungen sitzen die Kritiker und durchstöbern das Bändchen nach skandalträchtigen Sätzen. Gibt es sie? Selber lesen!“

Das ist das Kindische, das Lächerliche an rechter Rhetorik: dass mit ein bisschen Rumgestänkere schon alles erreicht ist, weil anderswo scheinbar Unfrieden gestiftet wird. Und dass man sich, Verschwörungstheorien nicht unähnlich, vermeintlich besseren Wissens erfreuen kann: Uns Uwe wird doch nicht etwa, Zwinkersmiley, Zwinkersmiley? Doch, olle Uwe hat.

Eine Stelle in Tellkamps Das Atelier, die für Besprechung gesorgt hat, stammt aus dem Redeschwall vom durch Weißburgunder angetankten Maler Vogelstrom, im Anschluss an das Referat eines Florian-Illies-Aufsatzes zum Vulkanischen in der Kunst („Der Vesuv als Zentralmassiv der deutschen Romantik“, 2017): „Er überlege, ob der Vesuv in anderer als rein geologischer Form ein Dresdner Vulkan sei und auch sein Herculaneum und Pompeji unter sich begraben habe; im Jahr Fünfzehn habe es gerumst, das Dunkelding sei ausgebrochen mit Folgen für die ganze Republik, vielleicht der Vesuv von Dresden nur ein gerade offener Schlot, einer von vielen im ganzen scheinbar so beruhigten Land, doch anderswo womöglich das Deckgebirge über den Schloten stärker, der Unmut als Magma weniger druckvoll, wer wisse das schon.“

Eben, wer will schon wissen, wenn Raunen so viel leichter fällt. Ja, man kann die Stelle als Pegida-Auftritt lesen – aber dann doch auch als die lahme rechte Hybris, dass die eigene Bubble immer gleich zum Volk hochgerechnet wird, nur weil man aus diskursiver Unterbelichtung selbst am lautesten krakeelt. Was sich hier daran zeigt, wie das – nicht geologisch – Eruptive sich an Vielleichts und Womöglichs festhalten muss, um seine Hammerwirkung anzudeuten. Am meisten leidet man eh mit dem „sei“, das – so ungläubig oft kann man die zweite Hälfte der Stelle gar nicht lesen – hier als einziges Hilfsverb die Drecksarbeit des Prädikats erledigen soll. Wie kann man als Schriftsteller seiner Sprache so was antun?

Sich darüber (oder über andere verklemmt-verschwurbelte ‚Sätze‘) zu mokieren, wie das ein Artikel in der Zeit gemacht hat, [2] erscheint aber schon deshalb zu viel der Liebesmüh, weil Tellkamp sprachlich mehr verschüttet als entbirgt. Und das spricht dann auch dagegen, dem Satz, wie ein anderer Artikel in der Zeit das gemacht hat, den Status „vergangene[r] Ereignisse“ zuzubilligen. [3] Für irgendwas mit Nachrichten oder echtem Leben ist es des Gerölls und Gewolls zu viel.

Das Lustigste an der Passage ist sowieso der Anfang, wenn der Vesuv mal kurz als „Dresdner Vulkan“ etikettiert wird. Das nämlich ist der stärkste Move von Das Atelier – die Verdresdenisierung von praktisch allem. Die vielen Malernamen, die Tellkamp beflissen referiert, erwecken den Eindruck, dass die deutsche Großkultur ihren Erstwohnsitz in Dresden haben muss. Dresden ist hier das heimliche Deutschland, so wie auch schon in Tellkamps Der Turm (2008) Dresden die DDR war, genauer gesagt: ein Dresdner Villenviertel, das großkotzig imperial (wie man das von der DDR halt kannte) in zwei Teile aufgeteilt war, die unter ihren Bewohnern auf die Nicknames „Ost-“ und „Westrom“ hörten.

Aus dem Turm weht ein wenig Personal hinein ins Atelier, diesbezüglich achtet Tellkamp aufs Corporate Design seines Werks, nachdem er im Debüt (Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café, 2000) gar noch mit nachnamenlosen Sophies, Johannessens und Florians arbeitete. Der Ich-Erzähler Fabian soll der Cousin von Christian Hoffmann sein, den Sebastian Urzendowsky in der Fernsehverfilmung vom Turm spielte und der auch erwähnt wird, weil der sympathische Arztsohn natürlich kein Unbekannter ist für den Stargaleristen Carl Bunke.

Während sich hinter dem nicht so gefragten Maler Thomas Vogelstrom Johannes Heisig, AfD-Axel-Krause oder eine Mischung aus beiden verbergen soll, eröffnet Martin Rahe als Neo Rauch noch mal ganz andere Felder von Prominenz. Denn genau darum geht es bei dieser bereits mit dem Turm erfolgreich etablierten Verbuntung der Literatur: Homestorys mit bekannten Nasen, und die Literaturkritik freut sich wie beim Pilzesuchen, wenn sie unter fetzigen Namen jemand Echten entdecken kann. Was einem das im Fall von Das Atelier bringt, wäre die eine Frage; die andere, warum die ganzen anderen Maler aus der glorreichen sächsischen Geschichte (nur an Otto Dix gibt’s konstant was zu nörgeln, der Rest so: Bombe) dann aber nicht mit fiktionalen, sondern mit richtigen Namen an den Start gehen – bzw. warum Neo Rauch nicht einfach Neo Rauch sein kann, sondern als Martin Rahe verkleidet werden muss.

Aber die Antworten darauf wären auch dann erst interessant, wenn Martin Rahe, also Neo Rauch, ein bisschen mehr performen würde. „Unterhaltung über Politisches, in dem er gut bewandert ist“, heißt es vielversprechend, aber dann kommt nix außer dem Gewölk von Unbedingtheit und Soldatentum, Verbitterung und Opfergejammer, das das ganze Büchlein durchzieht. Auffällig ist, dass die Passagen mit Rahe eckiger und gestelzter ausfallen als die mit Vogelstrom; letztere erinnern in den besten Momenten an etwas Thomas-Bernhard-Haftes, freilich ohne die schöne Verzweiflung und den Sinn für Musik – ganz so, als kriegte Tellkamp seine Bewunderung für Rauch nicht weg. Die Beschreibung des Rahe-Hauses klingt nach mittelgut durchtextetem Einrichtungskatalog („gehoben, aber nicht abgehoben“), und in die Zubereitung von Essen hinein fragt Rahe: „Du bist doch nicht etwa Vegetarier? …“ Ein Satz von so erbarmungswürdiger Schlichtheit, dass man kurz damit rechnet, im nächsten Absatz könnten Roland Tichy und Peter Hahne highfivend mit am Tisch sitzen oder Dieter Nuhr mit einem Greta-‚Witz‘ um die Ecke kommen. Oder wie es im Text selbstkritisch heißt: „… dem Prosaschreiber wird Sprache zur Magd darstellerischer Absichten.“

In diesem Sinne ist Das Atelier ein Dokument der Ödnis, zu der Literatur wird, wenn sie nur Vorwand für die Produktion von Diskurseffekten sein soll. Es geht einem dann wie mit dem allermeisten Zeugs (u.a. dass Rechte angeblich nicht reden dürfen): Wenn man den Quark wirklich liest, wird einem schnell fad.

Matthias Dell ist freier Kulturjournalist und bespricht jeden Sonntag den ARD-Sonntagabendkrimi auf https://www.zeit.de/serie/der-obduktionsbericht.

Image credit: 1. Deutschlandradio/Bastian Brandau, 2. Verlag Antaios, Steigra.

Anmerkungen

[1]Sigrid Wirzinger: „Wonach Leser fragen (3)“, 12.03.2020, https://sezession.de/62287/wonach-leser-fragen-3.
[2]Vgl. Thomas Assheuer: „Der Vulkan brodelt, das Magma des Unmuts steigt auf“, 21.03.2020, https://www.zeit.de/2020/13/uwe-tellkamp-ddr-autoren-kritische-oeffentlichkeit.
[3]Martin Machowecz: „Was in Dresden brodelt“, 06.04.2020, https://www.zeit.de/2020/15/uwe-tellkamp-das-atelier-kritik-rechtspopulismus/komplettansicht.