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Esther Buss über Ben Rivers' Film „The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“

Ben Rivers, „The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“, 2015, Filmstill

Das Atlasgebirge und die Wüste der Sahara in Marokko, Schauplatz von Ben Rivers' „The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“ (2015), ist von den ersten Bildern des Films an Illusionsraum, Kulisse, bereits verwertete Landschaft, Second-Hand. Ein von Literatur und Dreharbeiten beackerter Schauplatz, behaftet mit Mythen, Projektionen und Imagination.

Die filmische Exposition ist eine zwar lineare – es geht vom Tag in die Abenddämmerung und dann in die Nacht – , aber filmsyntaktisch eher loopartige, sich in zirkulären Bewegungen variierende hypnotische Montage: Drei Taxis fahren wie in einer vorgegebenen Choreographie in einigem Abstand durch eine Wüstenlandschaft, Sandwolken werden aufgewirbelt, auf der Tonspur erklingt ein minimalistischer, leicht droniger Sound. Auch ein subtiler Horrorfilm könnte so beginnen. Ins nächste Bild aber kommt ein bemannter Kamerawagen, der das Geschehen filmt und der Szene eine überraschende Making-Of-Ebene hinzufügt. Was folgt sind Jump-Cuts auf andere Kameraperspektiven, andere Lichtverhältnisse. Irgendwann, jetzt schon bei Scheinwerferlicht, kommt die Fahrzeugkolonne zum Stehen.

Für den Film ist der Anfang programmatisch, werden hier doch verschiedene generische Ansätze, Realitäts- und Größenverhältnisse miteinander vermixt: reflexive Momente und atmosphärische Aufladungen, „intime“ Beobachtung und Erhabenheitsgeste, Illusions- und Wirklichkeitsraum, Fiktion und Dokumentation.

Ben Rivers am Set von „The Sky Trembles ...“, Production Still, Credit: Yuki Yamamoto

Ben Rivers, der sich seit jeher zwischen dem Kunstfeld und dem Bereich des experimentellen Kinos bewegt – Teile von „The Sky Trembles ...“ waren unlängst unter dem Titel „The Two Eyes Are Not Brothers“ in einer Ausstellung im ehemaligen Drama Block des Television Centre in London zu sehen – ist dafür bekannt, die Standards des Generischen zu missachten und dabei die affektiven Kräfte des Films zu mobilisieren. In seinen Filmen verschaltet er Porträt- und Landschaftsfilm, Science Fiction, Ethnografie und Travelogue, Fabuliertes und Reales. Und er dreht konsequent auf 16mm und entwickelt das Material von Hand.

Verkürzt gesagt, ist „The Sky Trembles ...“ eine Erforschung der filmischen Illusion. Marokko, Mitte des vergangenen Jahrhunderts legendärer Fluchtort für Schriftsteller und Künstler aus dem Westen, zudem beliebter Schauplatz für kinematografische Orientfantasien bietet sich hierfür als ein geradezu idealtypisches Setting an: Schon 1897 filmte Louis Lumière dort „Le chevrier Marocain“ und initiierte damit unzählige Folgeproduktionen, von Josef von Sternbergs „Marokko“ (1930) bis hin zu David Leans „Lawrence of Arabia“ (1962). Rivers Referenzen sind indes nicht im klassischen Erzählfilm zu finden, sondern in einem hybriden, experimentell ausgerichteten Kino.

Der Film setzt sich aus zwei Teilen zusammen, die jeweils auf den anderen zurückwirken: Der erste entstand tatsächlich als Making-Of während der Dreharbeiten zu einem anderen Film – „Las Mimosas“ von Oliver Laxe, einem spanischen Regisseur. Der zweite ist die Adaption einer Kurzgeschichte des US-amerikanischen Schriftsteller Paul Bowles, Kultfigur der Beat Generation und Tanger-Expat, in der Oliver Laxe nun die Hauptfigur spielt.

Ben Rivers, „The Sky Trembles ...“, 2015, Filmstill

Zunächst begegnet man in „The Sky Trembles ...“ einer losen Aneinanderreihung von Beobachtungen oder vielmehr „Impressionen“: Eine Karawane zieht auf Eseln und Pferden durch die Landschaft; zwei Männer steigen einen schneebedeckten Berg hinauf, jemand ruft etwas, sie lassen sich plötzlich fallen, einer von ihnen winkt; ein nackter, regungsloser Körper wird an einem Fluss gewaschen, eine Stoffpuppe wird auf eine Bahre geschnallt, ein störrischer Esel will nicht so wie er soll. Dazwischen finden sich eher bühnenhafte, direkt in die Kamera gerichtete Szenen – Oliver Laxe liest aus einem Buch von Bowles vor, in dem auch der lange, verschlungene Titel von Rivers Film fällt; ein Mann, den man später als Darsteller wiedererkennt, führt, offensichtlich in einer Drehpause, Zaubertricks vor – und explizit dokumentarische Aufnahmen der Filmproduktion: Tonangeln werden in die Luft gehalten, Klappen geschlagen, man hört Walkie-Talkie-Durchsagen, der Regisseur bittet herumstehende Leute aus dem Bild, erteilt Regieanweisungen, lokale Darsteller hocken auf Felsen, warten, einer schläft. Zeit verstreicht.

Mit den formalen Freiheiten des Experimentalkinos ausgestattet, betreibt Rivers eine ganz eigene „Schule“ des Film-im-Film-Genres. Er schaut nicht einfach hinter die Fiktion und auf den Prozess des Filmens (auch Les Blank hat in „Burden of Dreams“, der Dokumentation über die Dreharbeiten von Werner Herzogs „Fitzcarraldo“, fiktionalisiert und mythologisiert, es blieb aber immer noch ein Film über Herzogs Film). Vielmehr eignet er sich das Material zu einem anderen Film an und lässt es zu seinem eigenen werden. Wie Rivers in einem Interview erzählte, war die initiale filmische Referenz „Vampir-Cuadecuc“ (1970), ein experimentelles Werk des katalanischen Filmemachers Pere Portabella, das während der Dreharbeiten zu Jess Francos „El Conde Drácula“ (Nachts, wenn Dracula erwacht) entstand. Die von Carles Santos komponierte Filmmusik für „Vampir-Cuadecuc“ hat Rivers wiederum über seinen eigenen Film gelegt.

Ben Rivers, „The Sky Trembles ...“, 2015, Filmstill

„The Sky Trembles ...“ ist sicherlich von Portabellas radikaler Inkorporation weit entfernt – der erste Teil des Film ist immer noch als Making-Of erkennbar – doch auch Rivers arbeitet auf seine Weise an Fiktionalisierung und Überformung. So wird das Register der Beobachtung immer wieder suspendiert und das Gefilmte transformiert sich in rätselhafte, fast surreale Miniaturen innerhalb eines eigenen Erzählrahmens. So scheint das Spiel der Darsteller seltsam ins Leere zu gehen, oft lässt sich zwischen Spiel- und Off-Camera-Szene nicht unterscheiden. Mitunter mischen sich auch ethnografische bzw. ethnopoetische Perspektiven in die Dokumentation oder Rivers widmet sich dem Landschaftsfilm, lässt die Kamera über Wüstensteppen und Bergketten streifen. Andere Szenen folgen hingegen dem Script einer Behind the Scenes-Doku. Einmal sieht man Männer in der gebirgigen Landschaft beim Aufeinandertürmen unzähliger Pappkartons. In einer anderen Szene stürzt ein Mann rückwärts von einem hohen Felsen ins Nichts, erst die anschließende Sequenz zeigt, wie der Mann auf dem zuvor fabrizierten Kartonberg landet.

Was der Gegenwarts- und Unmittelbarkeitsbehauptung des Making-Of jedoch am entschiedensten widerspricht – und ebenso dem Purismus der Settings und Einstellungen, ihrer entschiedenen Schmucklosigkeit – ist das Filmmaterial selbst. Die Bilder sind uneben, sie weisen Spuren des Handgemachten auf, Kratzer, Flecken, Lichtunregelmäßigkeiten. Auch die Farben sind nicht konstant, sie wechseln vom Grün- ins Blaustichige bis hin zu Sepiatönen. Rivers Bilder bewegen sich im Spannungsfeld zwischen historischem Dokument und artifiziellem Produkt, sind mitnichten das einfache Abbild einer wie auch immer gestalteten Wirklichkeit.

Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil ist nur schwach konturiert. Der Regisseur entfernt sich vom Set, im Anschluss ist eine lange, durch die verdreckte Windschutzscheibe eines Jeeps gefilmte Fahrt zu sehen, begleitet von Metal-Musik aus dem Autoradio. Rückblickend erweist sich diese Fahrt als eine Art Passage in die Fiktion. Auch wenn der Modus der Dokumentation zunächst noch aufrechterhalten wird – Oliver Laxe macht Halt in einem Café, unweit spielen Kinder Fußball, es passiert wenig – wird der Regisseur buchstäblich in einen fiktionalen Plot gelotst: Ein unbekannter Mann gibt Handzeichen, ihm zu folgen.

Ben Rivers, „The Sky Trembles ...“, 2015, Filmstill

Der fiktionale Part von „The Sky Trembles ...“ ist eine annähernd werkgetreue Verfilmung von Paul Bowles drastischer Kurzgeschichte „A Distant Episode“ von 1947, eine eng am Horrorgenre angelehnte Erzählung (was dem Horrorfilm der dumme Städter ist, ist Bowles der überhebliche Westler. In beiden Fällen führt der wrong turn ins Verderben). Bowles Geschichte handelt von einem westlichen Linguistik-Professor, der Ende der 1940er-Jahre eine nicht näher benannte Region bereist, um Dialektforschung zu betreiben. Auf einem seiner nächtlichen Streifzüge wird er von unbekannten Männern eines Stammes gefangen genommen, sie schneiden ihm die Zunge ab und stecken ihn in ein Kostüm aus Blechdosendeckeln. Interessant ist die Geschichte nicht nur durch die Beschreibung kultureller Asymmetrien (westliche Überlegenheitsgefühle, Fremdheitsangst, Sprachbarrieren), sondern auch durch den Perspektivwechsel innerhalb der Narration. Während man anfangs mit den Augen des Professors auf die fremde Kultur blickt und auch seine Gefangennahme durch seine Innensicht erlebt, geht die Geschichte mit dem Freiheits- und Selbstverlust des Professors – er wird zum Tanzbär abgerichtet – in eine eher neutrale Erzählhaltung über. Rivers inszeniert diese Geschichte als rätselhafte und visuell betörende Film-im-Film-Episode. Die unter der Erzähloberfläche liegenden kulturellen Spannungen – hier der Regisseur, der seinen filmischen Orientalismus-Projektionen nachgeht, da das „Objekt“ seines Blicks, das sich ermächtigt und ihn seiner Freiheit beraubt – lässt der Film jedoch weitgehend ungenutzt liegen.

Rivers scheint es eher darum zu gehen, die Mechanismen und Funktionsweisen der Illusion und die Illusion als in sich intakte, „funktionierende“ Erfahrung miteinander in Beziehung zu setzen. Denn alles, was man im zweiten Teil sieht, scheint im ersten vorbereitet worden zu sein. Doch selbst wenn man sich kaum dagegen wehren kann, mit dem seiner Würde beraubten Regisseur zu leiden und seine Befreiung herbeizuwünschen, schließt die Fiktion in ihrer für Rivers bisheriges Schaffen sicherlich ungewöhnlichen Abgeschlossenheit auf etwas unbefriedigende Weise an den ersten Teil an, ohne ihn wirklich zu durchdringen. Sie bleibt eine „distant episode“, rätselhaft, fremd und solitär.

ESTHER BUSS

„The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“, Großbritannien 2015, 98 Minuten, 68° Festival del film Locarno, 5. bis 15. August 2015. Arbeiten von Ben Rivers sind außerdem vom 25. September bis zum 29. November 2015 unter dem Titel „The World Needs More Magicians“ im Camden Arts Centre in London zu sehen.