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Das Große Alte, abgefilmt. Esther Buss über „Museum Hours“ von Jem Cohen

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Jem Cohen, "Museum Hours", 2012, Filmstill

Das Kunsthistorische Museum Wien ließ sich erst unlängst als Schauplatz und Hauptfigur einer filmischen Betrachtung studieren. Johannes Holzhausens „Das große Museum“ (Österreich 2014), zu sehen im Forum-Programm der diesjährigen Berlinale, erkundet im Stil des amerikanischen Dokumentarfilmers und Institutionschronisten Frederik Wiseman (allerdings nicht ganz so konsistent) die verschiedenen institutionellen Ebenen des Museums, von der Marketingabteilung über Kuratorenteams bis hin zu den wissenschaftlichen Abteilungen und Restauratorenwerkstätten. Da die Museumsleitung natürlich bemüht ist, ihr Haus im vorteilhaftesten Licht darzustellen – der Film entstand in der Endphase des mehr als zehnjährigen Neugestaltungs- und Sanierungsprozesses, der Wiedereröffnung der „Kunstkammer Wien“ – steht in Holzhausens Film zwangsläufig die Repräsentationspolitik des Museums (als unter Druck stehender Kulturdienstleistungsapparat) im Vordergrund, die Kunst wird hier lediglich durch Räume geschoben, aus Magazinen gekarrt, an Wände gehängt, in Vitrinen platziert oder auf Schädlingsbefall untersucht. Mitunter zeugt der Umgang der Restauratoren mit Ölgemälden, kaiserlichen Kronen und Eisbärenköpfen auch von einem „liebevollen“ Verhältnis, die Kunst aber bleibt immer ein Objekt des potenziellen Verfalls, der Pflege – mit dem Leben außerhalb der Institution hat sie rein gar nichts zu tun.

„The big old one“ heißt es auch einmal in Jem Cohens „Museum Hours“ (Österreich/USA 2012) über das Wiener Kunsthistorische Museum. Der New Yorker Filmemacher, bekannt vor allem durch seine Kollaborationen mit Musikkünstlern (darunter Patti Smith, Terry Riley und Vic Chesnutt), stellt gleich im establishing shot das Museum als einen vor Geschichtsträchtigkeit nur so ächzenden Ort vor. Die Raumtotale zeigt einen Museumsaufseher, der in einem der imposanten Gemäldesäle hinter einer roten Kordel sitzt – eine winzige Figur, die von ihrer Umgebung nahezu verschluckt wird. Von dieser Prämisse ausgehend befragt Cohen das Museum und seine Kunstwerke, vor allem die Gemälde Pieter Bruegels des Älteren, auf ihr Verhältnis zur Gegenwart – zur gesellschaftlichen Realität, zur Alltagswelt und speziell zum urbanen Raum. Die Kunst bleibt also nicht innerhalb der institutionellen Rahmung, sondern tritt in ein produktives Verhältnis zur Straße, zum „Leben“ und sie infiziert und verändert die Wahrnehmung. Man könnte „Museum Hours“, selbst wenn der Film von jeglicher akademischer, aber auch sonstiger Programmatik weit entfernt ist, als eine Gegendarstellung zu Adornos Klage über die Morbidität des Museums lesen (in seinem Text „Valérie Proust Museum“[1] ist die Rede von „Erbbegräbnissen von Kunstwerken“ und von „Gegenstände(n), zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben“). Bei Cohen ist die Kunst eben genau das: etwas, zu das der Betrachter lebendig sich verhält.

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Jem Cohen am Set von "Museum Hours"

Erzählt wird der Film aus der Perspektive des Museumswärters Johann Leitner, ein schon etwas älterer Mann, Einzelgänger und Liebhaber von Heavy Metal. Aus dem Off spricht er über seine Arbeit im Museum – etwa im Vergleich zu seiner früheren Tätigkeit als Roadie einer Rockband – über das unvermeidlich eintretende Gefühl der Langeweile, aber auch über angenehme Formen des Zeitvertreibs (etwa das Suchen von Eiern auf Bruegel-Gemälden). Beobachtungen von Besuchern beim Beobachten von Kunst reihen sich an Beobachtungen von Gemälden. Die Begegnung mit der Kanadierin Anne, die wegen ihrer im Koma liegenden Cousine ins winterlich graue Wien kommt, setzt schließlich so etwas wie eine lose Narration in Gang, ist aber eher Anlass für das Ineinandergreifen von Bildbetrachtung und Bildbeschreibung, von Museums- und Stadtporträt.

„Museum Hours“ ist ein im weitesten Sinn „essayistischer“ Film und erzähl-, genre- und bildtechnisch disparat (die Innenaufnahmen im Museum sind in klarem, scharfen HD gedreht, die Außenaufnahmen auf verwaschen anmutenden 16-mm), wirkt dabei aber durchgehend organisch. Cohen montiert dokumentarische mit inszenierten Szenen, die aber meist ebenso dokumentarisch und beiläufig daherkommen. Dazwischen passen sich Einstellungen von Gemälden ein, meist Ausschnitte oder zur Nahaufnahme vergrößerte Details, deren Kontext meist nicht ausgewiesen wird und die teilweise nahtlos in Einstellungen vom Außenraum übergehen. Einmal beschreibt Johann aus dem Off einige Gegenständen auf einem Bild (abgelegte Spielkarten, ein Knochen, ein zerbrochenes Ei) und geht dabei fließend in die Beschreibung einer urbanen Momentaufnahme über (ein verlorener Handschuh, ein Zigarettenstummel, eine Bierdose). In einer anderen Szene sieht sich Anne angesichts von Lucas Cranachs „Adam und Eva“ an eine Episode aus ihrem vergangenen Liebesleben erinnert, die mit körperlicher Scham zu tun hat. Die Montage von Gemälden und Stadt ist frei assoziativ, gelegentlich ergeben sich visuelle Analogien (Krähen auf einem Gemälde, Krähen auf dem Dach eines Gebäudes), doch kaum sind diese beiden Ebenen momenthaft zur Deckung gekommen, driften sie auch schon wieder auseinander.

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Jem Cohen, "Museum Hours", 2012, Filmstill

Die Gleichwertigkeit qua Dezentralisierung in Bruegels Bildern – in einer sehr langen, etwas gestelzt anmutenden Museumsführungsszene geht es ganz dezidiert um die Zerstreuung des visuellen Zentrums auf Bruegels Gemälden und seine Rolle als Dokumentarist des „einfachen“ Lebens – macht „Museum Hours“ auch im Stadtraum ausfindig. Alles, was in den Fokus des Blicks – und der Kamera – gerät, kann somit „interessant“ sein, der Betrachtung wert. Der Schauseite des Museums stellt Cohen immer wieder die unrepräsentative Rückseite der Stadt gegenüber: abgeranzte Bars, Imbissbuden, gesichtslose Straßen sowie das, was in die Repräsentation des Museums nicht eigentlich hineinpasst: ein Blick auf den Hinterhof, wo gerade Reinigungsleute mit Müllsäcken hantieren, der Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter, die Umkleide. Vor allem der Flohmarkt am Naschmarkt findet wiederholtes Interesse: Gerade hier, in all den scheinbar wertlosen Dingen, den halbkaputten Laptops, vom Regen durchweichten Bücherkisten, ollen VHS-Kassetten und billigen Ölbildern entdeckt Cohen eine versteckte Schönheit; in lapidaren, knappen Einstellungen werden sie zu Objekten der ästhetischen Betrachtung, den Kunstgegenständen im Museum gleichwertig.

Bei aller Sensibilisierung für ein aufmerksames, offenes und voraussetzungsloses Schauen, geht es Cohen mit Sicherheit nicht um eine Dekontextualisierung von Kunst. Das Museum bleibt immer als Rahmen sichtbar und ist Anlass für Johanns selbstdenkerischen Reflexionen zu Wert und Besitz, zu Eintrittspreisen, zur Rezeption von Kunst, zu Machtfragen (die von einem kapitalismuskritischen Arbeitskollegen ausgelöst werden). Und im Ausgreifen der Kunst auf die soziale Wirklichkeit gewinnt „Museum Hours“ auch eine politische Dimension. Selbst wenn der Film ästhetisch mitunter aus der Zeit gefallen und nebelverhangen old school anmutet, wächst sich das Eigenbrötlerische nie zur Weltferne aus, im Gegenteil: Museumskunst und Alltag waren wohl selten in so enger Nachbarschaft zu sehen.

„Museum Hours“ ist ab 10. April im Kino zu sehen (arsenal distribution).

 


[1] Theodor W. Adorno, „Valéry Proust Museum“, in: Ders., Kulturkritik und Gesellschaft I, Frankfurt/M. 1971, S. 181.