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Anke Dyes & Anna Voswinckel über die Fernsehserie I love Dick

WAYS OF SEEING

In Ausgabe 103 von Texte zur Kunst (Poetry) diskutierte Chris Kraus, Mit-Herausgeber von Semiotext(e), mit der amerikanischen Dichterin Ariana Reines über Auto-Fiktion als Schlüsselmodus in der zeitgenössischen Kulturkritik.

Die TV-Adaption von Kraus’ auto-fiktionalem Roman „I love Dick“ durch die Transparent-Schöpferin Jill Soloway hat jetzt bei Amazon Premiere. TZK-Redakteurin Anke Dyes und die Berliner Kuratorin Anna Voswinckel betrachten hier, wie Soloways nuancierte Charaktere den von ihr propagierten „Female gaze“ verkörpern.

„Stop making things“ appelliert Jill Soloway bei ihrer Keynote Lecture „The female gaze“ für die Masterclass des Filmfestivals TIFF in Toronto 2016 an die anwesenden männlichen Filmemacher, Autoren und sonstigen Creators. Nur wenn die im Hollywood-Kino dominierenden Cis-Männer aufhörten, weiter zu produzieren und stattdessen alle anderen mehr das Wort oder den Screen erhielten, wäre es möglich, dem von Laura Mulvey als male gaze identifizierten männlichen Blickregime in der visuellen Kultur eine andere Sicht entgegenzusetzen, die Protagonisten/Protagonistinnen nicht objektifiziert und ausbeutet. Die visual pleasure beim Filmschauen will Soloway aber nicht verbieten. Sie soll nur statt an Frauenkörper an Sympathie für Figuren geknüpft sein. Den von ihr erfundenen female gaze definiert Soloway in ihrer Lecture als das verkörperte Sehen (feeling seeing), das Gesehen-werden-Sehen (the gazed gaze) und die Umkehrung des Blicks (returning the gaze). Wie das aussieht, zeigt sich nun in Soloways neuer Serie „I love Dick“, frei nach Chris Kraus’ gleichnamigem, genrebildendem Roman.

Dessen Form, ein Mix aus Tagebuch, Briefroman und Theorieessay, hat seit seinem Erscheinen zahlreiche feministische Projekte aus einer ähnlichen „Nicht-wirklich-ich“-Perspektive inspiriert. Aber während Kraus Fragen von Kunstschaffen, Geschlecht und Begehren behandelt, bindet „I love Dick“ als Fernsehformat letztere vor allem an die Blickrichtungen dieses Begehrens. Kunst und Kunstkritik spielen nur noch indirekt eine Rolle, auch wenn Soloway Dick, den Kulturtheoretiker des Buches, in der Serie zum Künstler macht. Als Bildhauer phallischer Skulpturen gehört er zur Gruppe derjenigen Cis-Männer, die endlich aufhören sollen, Dinge herzustellen.

So drückt es etwa die junge Kunsthistorikerin Toby aus, eine Figur, die Soloway für die Serie neu geschaffen hat. In einem Brief an Dick berichtet sie, wie sie über die Ästhetik von Hardcorepornos und darin insbesondere zu gaping forscht. Sie will nicht die Politik besprechen, nur die Form, sagt sie. Mit ihrer Untersuchung dieser ästhetischen Strategie (der Vermessung des Anus nach mehrfacher Penetration) wirft sie bei der Präsentation ihres Projekts in der Uni ihren Kunstgeschichtsprofessoren deren Sexismus vor, bis diese kotzen müssen. „Wir holen auf, Dick“, schließt die Kunsthistorikerin, indem sie sich direkt an den männlichen Kunstschaffenden wendet. Kevin Bacon spielt Dick, der Cowboystiefel trägt, ein Pferd reitet und auch aussieht, als würde er Zigaretten rauchen. Seinen nackten Körper konnten wir am Ende der ersten Folge bei einem herrschaftlich inszenierten Bad vor Wüstenkulisse beschauen. Dass aus dem britischen Kulturtheoretiker der Romanvorlage in Soloways Version ein viriler Land-Artist geworden ist, der den Typus des weißen Eroberers an der American Frontier verkörpert, soll vielleicht die Dringlichkeit des Aufholbedarfs aller Nicht-weißen-, Nicht-Cis-male-Künstler/innen deutlich machen.

Jill Soloway: I Love Dick, 2017, Filmstill

Wenn Soloway in den ersten, jetzt erhältlichen Folgen der Serie scheinbar Grundregeln des Filmischen vernachlässigt (sie zeigt nicht, sie erzählt), dann tut sie das nicht nur, weil sie Chris Kraus’ Erzähler-/innenstimme formal in mal Stand-up-, mal Improvisationstheater-artige Kurzauftritte, Voice-over und Texttafeln übersetzt. Im freundlichen Licht und mittels guter Musik sollen Distanz und Einfühlung, die gut sitzende Pointe und emotionale Momente mit Sympathie vermittelt werden. Auch das ist Teil von Soloways female gaze-Programm. Sie mache Propaganda für ihre Figuren, sagt Soloway. Damit übersetzt sie Chris Kraus’ Spiel mit den Abstraktionen der eigenen Biografie in protagonism, die Verkörperung von Konstellationen und Problemen, die zu Figuren werden, die sympathisch sind und immer nur an einer Stelle widersprüchlich. Denn aus Konflikten entstehen Motivationen. Das entspricht Soloways Vorgehen aus früheren Projekten, ist aber keine Erfindung von ihr. Auch „Sex and the City“ oder schon „Seinfeld“ haben so funktioniert. Die Aufsplittung der Figuren ermöglicht es Soloway aber, komplexere Fragestellungen im Serienformat zu behandeln. Es geht ihr, wie schon in den letzten Folgen von „Transparent“ um Intersektionalität. Paula, eine der neuen Chris-artigen-Figuren in Folge zwei wird von der schwarzen Schauspielerin Lily Mojekwu dargestellt. Diese erinnert sich an ihre kindliche Bindung zur Mutter, die durch die unerwartete Konfrontation mit deren Menstruation plötzlich von Ekel und Ablehnung geprägt ist. Soloway greift hier das für den Roman zentrale Motiv der Abwertung des weiblichen Körpers als Selbstbekenntnis dieser Figur auf.

Die neuere, englischsprachige Ausgabe des Romans ziert das merkwürdig überschwängliche Lob des Guardian „Das wichtigste Buch über Männer und Frauen, das im letzten Jahrhundert geschrieben wurde“, zu sein (eine Bewertung, die aktuell, anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung des Buches viel zitiert wird). Wie um diese heteronormative Lesart gleich zu Beginn aufzubrechen, treffen Chris (in diesem Fall Kathryn Hahn, die tatsächlich Chris Kraus spielt) und Sylvère (Griffin Dunne), in Marfa angekommen, wo Sylvère was am Marfa Art Institut macht, als Erstes auf Devon, gespielt von Roberta Colindrez. Die coole Transperson lebt in einem benachbarten Wohnwagen und ist so etwas wie die Hausmeisterin der New Yorker Gäste. Die Figur stellt eine weitere der Verschiebungen dar, die wie Land-Art-Dick die Grenzen und möglichen Konflikte immer ein bisschen schärfer nachzeichnet bei der Übertragung ins Serienformat. Da auch Chris’ Beziehung zu Sylvère der Logik des einen Konflikts folgen muss, wird sie aufgeteilt: in ein konventionelles Hetero-Ehepaar mit blödem Sex und eine unkonventionelle, nicht normative, queere Trailer-Bewohnerin, die Schriftstellerin sein will. Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen diese Strategie der Narration schade ist, denn die Komplizenschaft zwischen Sylvère und Chris bleibt in der Serienerzählung so nicht erhalten, auch die geteilte Lust am Verfassen der Briefe an Dick geht hier im Vergleich zum Roman verloren.

Wenn die Serie vor allem Motive verstärkt, wenn es um Chris’ erfolglose Bewerbung beim Filmfest in Venedig (anstelle der Berlinale) geht und um Marfa als Land-Art-Hinterland (anstelle von San Bernadino), zeigt das zum einen die Schwierigkeiten, das Subtile, Glamouröse und manchmal auch Problematische des Buches zu übertragen. Andererseits kann die Serie auch das Spiel mit der eigenen Perspektive perfektionieren, und die Selbstreflexion des Buches findet in gewisser Weise zu sich selbst, wenn verschiedene Aspekte von Chris sich als verschiedene Figuren in der Serie begegnen.

Jill Soloway: I Love Dick, 2017, Filmstill

Der „konzeptuelle“ Look der ersten Folgen scheint dabei durchaus Anleihen an Kraus’ eigene Filmproduktionen zu nehmen. Die den Briefwechsel bzw. das Buch selbst suggerierenden Texttafeln etwa und andere theatralische Elemente erinnern an Momente aus „Gravity and Grace“, Chris Kraus’ erfolglos für die Berlinale eingereichtes Langfilmdebüt von 1996, in dem Kraus selbst als Kuratorin der Figur Gravity Karrieretipps gibt. Die tolle Musikauswahl von „Gravity und Grace“ und anderen Kurzfilmen von Kraus setzt sich ebenfalls in der Serie fort. Dass Kraus’ Filme meist vor allem durch ihren Soundtrack beeindrucken, wird als Running Gag von der Serie aufgegriffen: Auch den fiktiven Filmkuratoren in Venedig bleibt einzig die Musik ihrer Einreichung in Erinnerung.

Die gängige Rezeptionsgeschichte des Romans, bei der viele Beschreibungen mit der eigenen Beziehung zum Buch beginnen – etwa warum man es wann gelesen hat, wieso nicht schon früher usw. –, scheint vor allem die Autorinnenstimme des Buches selbst zu verdoppeln. Dass die autofiction als Selbstfindungsratgeber gelesen wird, verhalf dem Buch „I Love Dick“ vielleicht erst zu seinem langsamen Durchbruch. Was Soloways Vorgehensweise – zwar auch auf ein Nischenpublikum hin ausgerichtet, aber im weniger intimen Format – von Chris Kraus’ Videokunst und Schreiben unterscheidet, ist, dass Soloway in ihrer Programmatik ihre audiovisuelle Arbeit weniger als Frage und vielmehr als Beweis funktionieren lässt. Motivationen müssen vor allem nachvollziehbar sein, und statt um die Attraktivität einer Figur, mit der man nie ganz fertig wird, die man nie ganz greifen kann, egal wieviel sie von sich preisgibt, geht es hier darum, eine Situation zu verstehen. Soloways female gaze-Ansatz weitet die Beziehungen des Romans aus: auf mehr Figuren, mehrere Chris und einen ganz allgemeinen Dick. Von tollen Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert, sollen wir sie genüsslich anschauen und dabei in ihrer Verwobenheit verstehen lernen. Wie, als würde uns – mit Witzen, gutem Licht und cooler Musik – Verständnis, auch im Sinne von Verstanden-Haben, untergejubelt, als wäre „I love Dick“ „Ways of Seeing“ mit einem Sitcom-Plot.

Jill Soloway, „I Love Dick“, Amazon Studios, ab 12.05. 2017

Anke Dyes ist Redakteurin bei Texte zur Kunst. Anna Voswinckel ist Künstlerin und Kuratorin und lebt in Berlin.