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Politische Angelegenheiten. Gesine Tosin über Richard Hamilton in der Serpentine Gallery, London

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Richard Hamilton, "Modern Moral Matters", Serpentine Gallery London, 2010, Ausstellungsansicht

 

 

“Political or moral motivation is hard to handle for an artist.”[1] Mit diesem Satz benennt Richard Hamilton bereits 1982 ein Dilemma, das sich  angesichts staatlicher Willkür und Gewalt, institutionell sanktionierter Übergriffe und politisch motivierter Exzesse manifestiert: “It was too terrible (…) to submit to arty treatment.”[2] Die Arbeiten, mit denen sich Hamilton dieser Herausforderung seit den späten 60er Jahren stellt, waren im Frühling dieses Jahres in der Serpentine Gallery zu sehen, Hamiltons erster großer Ausstellung in London seit seiner Retrospektive in der Tate Gallery 1992.

Vor mehr als 30 Jahren zeigte Hamilton in den gleichen Räumen im Hyde Park eine Werkgruppe, die aufgrund ihrer skatologischen Ikonographie kontrovers diskutiert wurde und der Institution einen Skandal lieferte. Nun hingegen scheint die provokative Geste und die politische Brisanz seiner neuen ‘Protest works’ mit der allseits bekundeten Anerkennung des ‘Father of Pop’ zu verpuffen. Dabei ist der raubeinige Cowboy Tony Blair durchaus herausfordernd überlebensgroß vor einem Feuer flammenden Inferno postiert („Shock and Awe“, 2007-08), und auch die in einer Vitrine gezeigte „Medal of Dishonour“ (2008) mit dem Konterfei feixender Staatsmänner hätte einigen Stoff für (tages-)politische Häme abgeben können.

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Richard Hamilton, "Modern Moral Matters", Serpentine Gallery London, 2010, Ausstellungsansicht

Die Ausstellung empfing den Besucher eingangs mit „Treatment Room“ (1984), der bedrückenden Rauminstallation eines Krankenzimmers, beherrscht von Mrs. Thatcher, die aus einem Monitor herablassend zu einem imaginären Opfer des ‘National Health Service’ spricht. Ikonisch ist auch die im zentralen Raum der Ausstellung gehängte Triologie über den Nordirland -Konflikt – „The State“, dem Bild eines marschierenden Vertreters des protestantischen Oranier-Ordens, „The Citizen“, dem verstörenden Anblick eines politischen Gefangenen in seiner kot-verschmierten Zelle während des Protests im Hochsicherheitsgefängniss ‚Long Kesh’, und „The Subject“, dem Bild eines mit dem Maschinengewehr im Anschlag patrulierenden britischen Soldaten– , allesamt Darstellungen einer beängstigend physischen Präsenz von staatlicher Autorität und deren absurder Perversion (1981-93). Dass die Kuratoren diesen großformatigen Bildern jeweils ihre entsprechende Edition in der Technik des Dye-Transfers beigefügt hatten, veranschaulichte, die zentrale Bedeutung der Druckgraphik, die für Hamiltons Werk von Anfang an konstitutiv war. Auch in den beiden weiteren Räumen bezeugten  die Vielzahl von ‘prints’ und deren verschiedene Versionen die Prozesshaftigkeit als seine zentrale künstlerische Strategie. So wurden alle 12 „stage proofs“ von „Kent State“ (1970) gezeigt, jene druckgraphischen Bearbeitungen des Filmstills einer TV-Berichterstattung über den beinahe tödlichen Angriff eines Wachmanns auf einen Anti-Vietnam-Demonstranten.

Hamiltons künstlerische Auseinandersetzung mit politischen Themen und Ereignissen ist wie sein gesamtes Werk bestimmt durch das Interesse an einer uns allgegenwärtig umgebenden medialen Bilderwelt. “In the 50s we became aware of the possibility of seeing the whole world, at once, through the great visual matrix that surrounds us; a synthetic ‘instant’ view.”[3] Seine Faszination für die Bedingtheit unserer Wahrnehmung durch unterschiedliche Bildsprachen und visuelle Darstellungspraktiken ist vitaler Ausgangspunkt seiner technisch höchst komplexen Arbeiten, die er wiederum oftmals an kunsthistorisch tradierte Bildgattungen anbindet. So dekliniert sich sein Werk durch die verschiedenen Bildgenres wie Landschaftsmalerei, Porträts, Interieurs und Stilleben hindurch, deren obsolet gewordene Parameter neu besetzt werden. Bleibt zu fragen, inwieweit die in der Serpentine Gallery gezeigten „Modern Moral Matters“ in ihrem Bezug auf gesellschaftspolitische Ereignisse den Referenzrahmen der Gattung „Historienmalerei“ in Anspruch nehmen, bzw. den Versuch darstellen, öffentlich verhandelte und geschichtlich geprägte Erfahrungen ästhetisch zu fassen.[4]

Auch wenn sich Hamilton die Ereignisse, die er mit den gezeigten Arbeiten thematisiert, einerseits durch verschiedene Medien vermittelt darstellen, sind andererseits die Bearbeitungen wiederum nicht selten ausgelöst durch persönliche Konfrontation mit politischer Realität und einer sehr unvermittelten Reaktion darauf. So ist die Serie „Swinging London“ (1968-69) ein bissiger Kommentar auf die Verhaftung Mick Jaggers und Hamiltons Galeristen Robert Fraser aufgrund des Vorwurfs illegalen Drogenbesitzes 1967. Ausgangsmaterial der Werkgruppe ist ein Zeitungsphoto, das den Blick durch das Fenster des Polizeiautos auf die beiden Delinquenten freigibt. Hamiltons Wortspiel, das die Aussage des Richters: “There are times when a swingeing sentence can act as a deterrent“ in das böse „Swingeing London“ verkehrt, ist ein Kommentar auf die willkürliche richterliche Maßregelung und zugleich Angriff auf die scheinheilige Moral einer ganzen Ära.

Als deutliche Artikulation des Protests[5] versteht sich zweifellos eine von Hamiltons letzten Arbeiten: „Maps of Palestine“ (2009-10) Auf zwei nebeneinander gefügten großformatigen Landkarten sind die israelischen und die palästinensischen Territorien von 1947 und 2010 unterschiedlich farbig markiert. Im schlichten Vergleich der beiden Karten wird nicht nur die unfassbare Verdrängung der Palästinenser augenblicklich deutlich, sondern auch das Trauma, das sich mit der Besetzung der Gebiete von 1947 bis heute der politischen Geschichte der Palästinenser eingeschrieben hat. Auch wenn Hamilton nichts als kartographische Tatsachen zeigt, könnte er seine eingangs zitierte ‚politcal motivation’ kaum schärfer artikulieren. Einige von ihm in Umlauf gebrachte Pins mit der Flagge der Palästinensischen Autonomiegebiete kursierten am Abend der Ausstellungseröffnung.

 

Richard Hamilton, “Modern Moral Matters”, Serpentine Gallery, London, 3. März – 25. April 2010

 

 

Anmerkungen:

[1] R.Hamilton, “Collected Words”, London 1982, S. 104

[2] ebd. S. 94

[3] ebd., S. 64

[4] vgl. dazu: Benjamin H.D.Buchloh, “Die Malerei am Ende des Sujets, in: “Gerhard Richter”, Band II, Essays von Benjamin H.D. Buchloh, Peter Gidal, Birgit Pelzer, Ausstellungskat. Paris, Bonn, Stockholm, Madrid, 1993/4, S. 47- 53. Im Zusammenhang mit Gerhard Richters Bildgruppe “18.Oktober 1977” verhandelt Benjamin H.D. Buchloh ausführlich die Darstellbarkeit von Geschichte in der zeitgenössischen Malerei und die Kategorie des Historienbildes in der Moderne.

[5] Unter dem Titel “Richard Hamilton: Protest pictures” zeigte das Inverleith House in Edinburg 2008 eine Auswahl politischer Arbeiten Hamiltons, die für die Ausstellung in der Serpentine Gallery mit weiteren Werken ergänzt wurde.