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Isabelle Graw

Vogue

Cover der britischen Vogue, Juni 2009

In der aktuellen Ausgabe der britischen Vogue (Juni 2009) findet sich ein recht unterhaltsam geschriebener Artikel von Christa D'Souza. Wie so oft handelt es sich um ein von der Vogue-Redaktion auferlegtes Selbstexperiment, über das die Autorin uns Rechenschaft ablegt. Die Aufgabe besteht darin, nach Lust und Laune zu essen und die jahrelang internalisierten Diätvorschriften in den Wind zu schießen. Das mag nach etwas leicht zu Bewältigendem klingen, nur stellt sich die Autorin als eine Person vor, die sich seit Menschengedenken und aus freien Stücken der Tyrannei des allgemeinen Schlankheitsideals unterworfen hat. Kontrolliertes Essverhalten sei zu ihrer zweiten Natur geworden und deshalb habe sie es gleichsam automatisch unterlassen, Kohlenhydrate, Fettes oder gar Süßigkeiten zu sich zu nehmen.

Jetzt fasst sie jedoch notgedrungen den Vorsatz, all das zu essen, worauf sie Lust haben könnte, sprich, sie arbeitet daran, die jahrelang eingeübte Kontrolle über die eigenen Essgewohnheiten aufzugeben. Diese Arbeit am Kontrollverlust erweist sich als ausgesprochen schwierig, zumal sie es sehenden Auges zulassen muss, dabei zuzunehmen. An einer Stelle im Text wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Autorin mit ihrem neurotischen, hyperbewussten Essverhalten keineswegs allein dasteht. Zahlreiche Frauen - zumal Akademikerinnen - würden ihr Selbstwertgefühl nicht etwa aus ihren intellektuellen Leistungen, sondern aus dem befriedigenden Erlebnis der am morgen immer noch gut sitzenden, knallengen Jeans beziehen. Dieser Beobachtung ist ebenso zuzustimmen, wie dem Befund, dass man sich mit einem solchen obsessiv um Schlankheit kreisenden Verhalten an der Grenze zu einem „serious food eating disorder" befindet.

Es handelt sich hier um eine längst alltäglich gewordene, kollektive Pathologie, von der ich selbst nebenbei bemerkt ein Lied singen kann. Ist es angesichts dieses so generalisierten wie tief verinnerlichten Anrufungssystems, dessen Imperativ „wenig essen, um dünn zu bleiben" lautet, überhaupt möglich, das damit verbundene obsessive Kalorienzählen und jahrelang eingeübte kontrollierte Essverhalten von einem Tag auf den anderen aufzugeben? Kann man sich vorsätzlich gehen lassen und nun all das zu sich nehmen, was einem (vermeintlich) Appetit macht? Dieses „Loslassen" wird in dem Moment zu einer besonders schwer zu realisierenden Aufgabe, wo es, wie sonst nur beim Yoga, verordnet wird. Loslassen als ultimative Form der Selbstdisziplinierung.

Oft bedient sich die Autorin lustiger Mantren, die ihr dabei helfen sollen, ihre phobisch-abwehrende Reaktion, etwa auf ein eigentlich harmloses aber voller „Carbs" steckendem Baguette, in etwas positiv Genießerisches zu verwandeln. Sie bittet uns - die ebenfalls Betroffenen - ihr nachzusprechen, dass ein Baguette unser Freund und nicht etwa unser Feind sei. Akribisch wird auch Buch darüber geführt, wie sie schon mittags ihre frühere „no-go-area" betritt und jede Menge Schokolade, die berüchtigt fette Häagen-Dazs-Eiscreme, Erdnussbutter, Käse und Kekse zu sich nimmt. Schon nach wenigen Tagen teilt sie uns in dem für diesen Typus des Vogue-Berichts charakteristischen Modus der unbarmherzigen Selbstbeobachtung mit, dass ihre Hose spannt, dass sie weite Oberteile trägt, um ihren wachsenden Bauch zu kaschieren. Mit unverblümter Direktheit wird sie von ihrem kleinen Sohn gefragt, ob sie eigentlich wüsste, dass sie dicker geworden sei? Selbst Kinder haben - so wird uns auf diese Weise mitgeteilt- das Ideal des Dünn-Seins verinnerlicht, sodass sie mit schonungslosem Blick noch die kleinste körperliche Veränderung ihrer Eltern registrieren. Gen Ende des Experiments überrascht denn auch das Bekenntnis der Autorin wenig, dass sie das ihr auferlegte permanente „Snacken" wie auch das daraus unweigerlich resultierende Völlegefühl im Grunde zutiefst hassen würde. Sie gibt vor, sich nach dem prickelnden Hungergefühl und den guten alten Zeiten ihres so neurotischen wie hyperkontrollierten Essverhaltens zurückzusehen.

Es ist folglich diese Sucht, die Sucht wenig und vor allem „bewusst", sprich alles Dickmachende meidend, zu essen, der eine identitätsbildende Funktion zukommt. Ohne ihr protomagersüchtiges Verhalten hat die Autorin das Gefühl, die letzten Reste ihres ohnehin längst brüchig gewordenen Selbst zu verlieren. Nun ist das Schlankheitsideal mitsamt des Terrors, gut aussehen zu müssen, aber auch die Voraussetzung für den Konsum eines anderen „identity goods", dem sich Modezeitschriften naturgemäß verschreiben - der Mode. Während mehr essen das eigene Budget auch in Krisenzeiten nicht unbedingt übersteigen muss, verlangt es der Modekonsum, dass man über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt, die in „Crunch Times" versiegen. Wie reagiert jedoch eine Modezeitschrift darauf, wenn sich selbst wohlhabende Leserinnen krisenbedingt einen Fashionstop auferlegen, wenn also überall der Sparzwang regiert?

Dass die vielbeschworene Krise in der britischen Vogue angekommen ist, konnte man schon vor einigen Monaten an der Tatsache ablesen, dass die Serie „more Dash than Cash" mit Beispielen für erschwinglichere Fashionitems wieder eingeführt wurde. In der aktuellen Ausgabe, wie auch in der Mai-Ausgabe der Us-amerikanischen Vogue wird die Krise jedoch noch beherzter angegangen. Jeweils ein Bericht kreist um die Frage, wie sich der am eigenen Leib erfahrende Jobverlust auf Selbstwertgefühl und Shoppingverhalten auswirken. Schmerzhaft an der Arbeitslosigkeit scheint für die darüber berichtenden Frauen vor allem zu sein, dass sie sich die sonst regelmäßig gekauften Designerklamotten, wie auch teure Kosmetikprodukte etc. nicht mehr leisten können. Klar, dass daraus kein Ausstieg aus dem Konsum resultieren darf - jedenfalls nicht in der Vogue. Die betroffenen Frauen machen Kassensturz, stellen ein Budget auf und freuen sich an billigeren Produkten. Sie geben teure Ringe zurück, um sich stattdessen etwas Nettes aus der Second Hand-Boutique zu leisten. Die Krise wird zu einer Art besonderen Herausforderung für das Fashion-Victim stilisiert, das seine Konsumbegeisterung keineswegs aufgeben, sondern nur mit mehr Bedacht auswählt und verstärkt auf den Preis achten muss. Zudem wird suggeriert, dass es sich bei dieser Krise ohnehin um ein zeitlich begrenztes Phänomen handelt, dass es letztlich nur zu überstehen gilt.

Dass der Jobverlust dauerhaft sein und ein andauerndes Leben am Existenzminimum bedeuten kann, ist eine Perspektive, die hier selbstredend unterschlagen wird. Der ehemaligen Kolumnistin der Village Voice, die in der Us-amerikanischen Vogue über den Verlust ihres Arbeitsplatzes und dessen Konsequenzen für ihre Shoppingbegeisterung berichtet, flattert deshalb schon am Ende ihres Artikels ein neuer Auftrag ins Haus - es ist der Vogue-Auftrag, dessen Ergebnis uns nun vorliegt. Man muss nur etwas machen aus seiner Misere - so lautet die Botschaft. Es wird uns zudem eingebläut, dass weniger Geld und Existenzangst noch lange kein Grund sein müssen, um mit dem Shoppen aufzuhören. Stolz berichtet die ehemalige Village-Voice-Kolumnistin denn auch darüber, ihr erstes Vogue-Honorar mit Einkaufsexzessen verprasst zu haben. Einmal Fashion-Victim, immer Fashion Victim - so lautet das Fazit dieser Geschichten, die der Mode eine sämtliche konjunkturelle Einbrüche überstehende Zähigkeit bescheinigen. Das sind letztlich natürlich nur Durchhalteparolen, die von interessierter Seite (der Modeindustrie) ausgegeben werden. Man reagiert hier zwar notgedrungen auf die aktuelle Krisenstimmung, negiert jedoch umso beherzter den Zusammenbruch des Konsumkapitalismus samt der Erschütterung seines Wertesystems. The show must go on.