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Der gute Kern hat keine Nachbarn gern

23.06 - 01.08.09 / MARKUS SELG / DIE HÄUTUNG - MUSKEL DER MENSCHHEIT II / GALERIE GUIDO W. BAUDACH / BERLIN

Austellungsansicht

Aha, komisch. warum macht Markus Selg jetzt Arche Noah-Kunst? Die Überraschung ist ihm jedenfalls gelungen. Zumindest mal für eine Ausstellung. Im Prinzip nur noch Skulpturen, über die jeder Kirchentag in Verzückung geraten muss. Allesamt sehr existentielle Leiblichkeiten, die sich vor Authentizität kaum auf ihren Sockeln halten können. Die Sockel selber wiederum sind auch alle diffizil gelungene Einzelstücke. Was Markus Selg auch macht, macht er erstaunlich gut. Es geht ja nicht ums Mögen, insbesondere wenn es laut Pressetext um „die Unausweichlichkeit des Todes bei gleichzeitiger Hoffnung auf Erlösung in einem umfassenden Spektrum" aufs Korn genommen wird.

Sehr ordentlich geschundene und geschredderte Oberflächen haben diese figürlichen Restwesen. Vielleicht besorgt denkt man an Kiki Smith und Lehmbruck. Oder wer böses will, kommt fast auf Namen wie Gunter von Hagen. Hierfür sorgt eher noch der martialische Ausstellungstitel „Die Häutung - Die Muskel der Menschheit II". Allen Ausstellungsstücken wurde vermutlich nicht nur einmal die Haut vom Leib gezogen. Die Posen der knapp zehn Skulpturen verharren in geschundener Demut, und schüchterner Anrufung nach mehr Strafe. Also gut gemachte Innerlichkeitsskulptur, erstaunlich klassisch, nach dem x-ten Verlust der Mitte zurück in dieselbige Goldene? Die vermeintlich gewagte Abwegigkeit in Bezug auf Selgs sonstiger sehr interessanter Digitalmalerei wirkt dann isoliert betrachtet fast akademisch. Die neuen High-Tech-Schwimmanzüge aus Polyurethan kommen einem auch in den Sinn. Die sitzen auch so eng auf der Haut, dass sie sich fast unter der Körperoberfläche zu spannen scheinen.

20.06 - 26.07.09 / THOMAS KILPPER / STATE OF CONTROL / EHEMALIGES MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT / NORMANNENSTR. / BERLIN

Thomas Kilpper / State of Control / Ausstellungsansicht /Ehem. MfS, Normannenbstr.

Auf den ersten Blick wirkte Thomas Kilppers Show im Ex-Stasi Headquarter in der Normannenstr imposant. Man ist sowieso sehr gespannt, wie es sich anfühlt in dem ominösen Gebäude. Spüren tut man natürlich überhaupt nix, was ja wohl auch sehr stasi-typisch ist. Auch auf den zweiten Blick prima Inszenierung, insbesondere der Fußboden, der als überdimensionale Druckplatte dient bzw. „interventionistisch zweckentfremdet wurde". Thomas Kilpper hat hier neunzig aus seiner Sicht relevante Personen und Momentaufnahmen des historischen deutschen Zeitgeschehens verewigt. Hinten in der Ecke steht noch eine wuchtige Tennisrasenwalze, mit der Kilpper seine großformatigen Drucke bewerkstelligt hat. Die verschiedenen Tools u.a. auch diverses Gravur- und Zahnarzt-Equipment liegen in einer offenen Werkstattecke herum. Der Fußboden ist aus PVC, und kein Linoleum.

So eine Art gesamtdeutsche Ahnengalerie der letzten Jahrzehnte inklusive Nazizeit hängt  flaggenartig - dicht gestaffelt - von der Decke. Also sehr viel historische Konterfeis. Mit beflissener Mainstreambildung sind auf Anhieb circa 20 Prozent erkennbar. Gute und böse, aber eher die guten. Man kennt natürlich mehr die guten. Das eine solche eindeutige Zuordnung möglich ist, wirkt in sich auch schon sehr historisch. Wer wären z.B. die letzten wirklich besten zehn Gerechten der Nuller Jahre? Dies überdimensionale Album deutsch-deutscher Zeitgeschichte will eine andere Lesart der verbockten historischen Vorgänge aufzeigen: „Kilpper wird mit dieser Arbeit im ehemaligen MfS zum Chronisten beider deutscher Staaten und den Ereignissen um 1989/90 bis heute ... geschichtliche Rückschau auf verschiedene staatliche Konzepte von Überwachung und Repression - vom Nationalsozialismus bis zur digitalen Gegenwart" (Pressetext)  Die Auswahl, wenn auch natürlich sympathisierend tendenziös, wirkt irgendwie zu breit gestreut, warum sich auch der erste gute Eindruck dann ins Eindimensionale verflüchtigt. Hinzu kommen klassische Realismusmankos. Die Drucke duplizieren zu gekonnt ihre fotografische Vorlagen. Stellt man sich all diese Gesichter als klein gerahmte Foto-Show vor ... Gesichter sind immer Betroffenheitsakkus. Ihre Befindlichkeiten erzählen aber keine Geschichte, bzw. funktioniert Kilppers Geschichtsausleuchtung nur bedingt, wie es hier möglicherweise impliziert war. Eine speziellere Auswahl und Setzung wie sie Hans-Peter Feldmann mal mit den Toten der politischen Bewegungen in der BRD inszeniert hat, war da trotz größerer ´Hilflosigkeit´ deutlich prägnanter. Eigentlich trotzdem ein prima Vorschlag für das avancierte Einheitsdenkmal.

SCHEINKOMPLEXITÄTEN
25.04 -
30.08.09 / CECILY BROWN / DEICHTORHALLEN HAMBURG

Cecily Brown / Crapolette /  2003 / Oil on canvas / 183 x 244 cm

Stern und Spiegel fanden´s prima und bestätigten den selbst eingeredeten Hype um Cecily Brown. Die ehemaligen Leitmedien tun sich zunehmend schwer mit zielsicheren Setzungen. Tja, und die Fachpresse, falls sie denn existiert, kann dem nicht ganz folgen, wobei ich mich gern anschließe. Frisch angestaubte Salonpeinture begegnet einem gerade immer öfter. Was im nachhinein vor zehn Jahren als eine Art abwegig lustig-dekadenter Trend, - New Yorker Erotikmalerei mit John Currin, Richard Phillips und Lisa Yuskavage - noch einen gewissen Kitzel besaß, bekommt hier den Muff von abgetakelter Postkoitustristesse, wenn man denn unbedingt auf einen vermeintlichen Lustfaktor in ihren Malerei eingehen will. Ein junge Frau malt Beischlafszenen in eher ruppig hingebürstetem Manier. Ja nun, ist Adenauer oder Helmut Schmidt immer noch Kanzler? Manchmal auch nicht unbedingt leicht zu erkennen. Schwer nachvollziehbar, was hier den Trubel ausgelöst haben mag oder soll, wenn es denn nicht die Künstlerin selbst bzw. ihr Erscheinungsbild war. Die britische Künstlerin aus New York - Tochter des renommierten Kunstkritikers David Sylvester - zeigt zum ersten Mal eine umfassende Übersichtsshow in Europa. In der recht lieblos hingehängten Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen sind besagte Pärchenaktionen und abstraktere anverwandte Bildwelten zu sehen. Ein vermeintlich interessanter Wimmelfaktor kennzeichnet fast alle Bilder. Meistens ist das Bildgeschehen der neueren Bilder auch outdoor angesiedelt, löst sich jedoch zunehmend in kleinteilige abstrakte Fleckenwelten auf. Hier und da sind noch Gegenstandsreste zu erahnen, was aber mehr auf kontemplative Ostereisuche hinausläuft. Formal ist Brown kompositorische Versuchsanordnung durchaus nicht uninteressant. Maximalismus, gesteigerte Bildkomplexität, visuelle Informationskomprimierung oder Blickverdichtung sind Stichworte, die immer noch auf eine erhellende Entsprechung und Materialisierung nicht nur im Malereiformat warten.

Bei Brown ist das Versprechen eines komplex angereicherten Bildraumes lediglich geschickt angetäuscht. Es bleibt letztlich in der Regel bei einer additiv vollgestrickten Bildfläche. Bei näherer Betrachtung stellen sich keine changierenden Umkippmomente oder gehen andere Türen im Bildraum auf, die denselbigen als gesamtes neu definieren. Die besseren Bilder sind die früheren und profitieren von beherzt durchgefurchten malerische Oberflächen.