„Wie lange willst du's noch machen?“, Esther Buss über Isa Genzkens Film „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“
Isa Genzken, „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“, 2012, Filmstill, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
„Es gibt keinen schöneren Beruf... man lernt immer jemand kennen und es ist irgendwie immer hochinteressant, was so passiert“, resümiert Isa Genzken in der Rolle einer Prostituierten im schleppenden, an Lakonie kaum zu übertreffenden Tonfall. Die von Kai Althoff gespielte „Kollegin“, deren konvulsivische Körperbewegungen den eng kadrierten Bildausschnitt aus Sofa, Spiegel, Tisch und Stuhl fast zu sprengen drohen, lamentiert dagegen kehlkopfakrobatisch-krächzend über die Zumutungen ihrer Profession (schlagende Freier, absonderliche sexuelle Wünsche), die ihr aber, wie sie freimütig eingesteht, auch gelegentliche Genusserlebnisse verschaffe. In der Folge kreist das Gespräch der sichtbar erschöpften Arbeiterinnen, beide in Unterwäsche und Perücke und ganz offensichtlich verkatert, um Liebe, Anerkennung, Verwerfung und den Marktwert des eigenen Ichs. Auf „Althoffs“ Frage, wie lange sie diesen Beruf denn eigentlich noch auszuüben gedenke, antwortet „Genzken“ trocken: „Bis mich keiner mehr nimmt“.
Isa Genzken, „Hallelujah“, Ausstellungsansicht, Schinkel Pavillon, Berlin 2012, Courtesy of Galerie Buchholz Berlin
Die Anordnung aus hemmungslos um sich selbst zirkulierendem Gespräch, ramponiertem Glamour und statischer Kamera erinnert ganz unmittelbar an Andy Warhols „Chelsea Girls“, wobei Genzken der historischen Vorlage ihre ganz spezifische Handschrift einprägt. Gefilmt wird etwa in den Spiegel oder durch die Rückenlehne eines gelben Plexiglasstuhls, ähnlich den Designermodellen von Kartell, die Genzken für ihre Ausstellung „Hallelujah“ im Berliner Schinkel Pavillon verwendete, in deren Rahmen der Film „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“ im Kino Arsenal zu sehen war. Der Stuhl, der das Bild in ein weichgezeichnetes Gelb-Orange taucht und dem Setting etwas Entrückt-Poetisches verleiht, hat ebenso wie das Rollenspiel eine verfremdende Funktion; allerdings wird das Geschehen von der Realität distanziert, um dann umso heftiger wieder auf sie zurückzufallen. So lässt sich die erste „Episode“ des Films trotz Komik, psychotischer Energie und Verstellungskunst unschwer als eine Allegorie auf die eigene Künstlerexistenz lesen. Denn nicht zuletzt wird mit der Figur der Prostituierten, die ihren eigenen Körper zu Markte trägt und der Ausbeutung preisgibt, auf ein für die postfordistischen Verhältnisse typisches Künstlerbild angespielt, in der die Ökonomisierung sich nicht mehr auf die Produktion von Objekten beschränkt, sondern längst auf das Leben selbst zugegriffen hat.
Isa Genzken, „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“, 2012, Filmstill, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
„Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“ ist ein rund 70-minütiger „Episodenfilm“, den Genzken zusammen mit ihrem Künstlerfreund Kai Althoff zwischen 2007 und 2010 gedreht hat, zu Hause und auf Reisen, in Berlin, Köln und New York. Visuell ist der mit einer einfachen Digitalkamera aufgenommene Film absolut low key, das Bild ist oft überbelichtet und fahl, die Kamera wackelig. Von den Konventionen zeitgenössischer Videokunst ist „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“ so weit entfernt wie es nur eben geht; eher finden sich Anklänge an Buster Keaton, Sitcom, Improvisationstheater, Avantgarde- und Undergroundfilm und amateurhafte home movies. Tatsächlich fungiert das filmische Medium hauptsächlich als Aufzeichnungsmedium, eine Art „Notizblock“ für spontane Einfälle oder grob Skizziertes, das sich ohne ökonomischen oder arbeitstechnischen Aufwand umsetzen lässt und konsequent richtungsoffen bleibt, mit losen Anfängen und Enden. In ihrem jeweils eigenen Performancestil – Genzken: knapp und schmucklos, Althoff: mit dem Einsatz des ganzen Körpers, verausgabend – spielen die beiden Künstler verschiedene Rollen durch, etwa zwei bemützte Säuglinge, die im Bettchen liegend die „Welt“ entdecken (eine über ihren Köpfen kreisende Ananas und eine Packung eingeschweißter Wurst), aber vor allem Paarkonstellationen, die dialogisch bis antagonistisch angelegt sind, wie Gast und Kellner, Kommissar und Polizistin, Ärztin und Patient, Künstlerin und Fan, Kettenraucherin und Asthmatiker, Knastinsassin und Seelsorger.
Isa Genzken, „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“, 2012, Filmstill, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
Dabei sind die Beziehungen, Subjektivitäten und Stimmungen ebenso vielfältig, assoziationsgetrieben und beweglich, wie man es von Genzkens Skulpturen her kennt, etwa ihre Arrangements aus Designermöbeln, Pflanzen und massenkulturellen Objekten, die sie im Schinkel Pavillon auf beweglichen Sockeln präsentierte. So wechselt „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“ zwischen gewichtigen Themen und trivialen Dingen des Lebens, zwischen statementhaften Reden, Jargon und selbstvergessenem Dahingequassel; es geht um Liebe, Arbeit und Sex, Krankheit, Geld und Kunst und die Unzuverlässigkeit des Wetterberichts in Deutschland. Vor allem im Feld der Kunst scheinen Verwirrung und Instabilität zu herrschen. So genannte politische Künstler versuchten, die Miserabilität der Welt aufzudecken, täten es aber in einer ästhetischen Weise, die selbst miserabel sei, findet Genzken in einem Kneipengespräch, das unauflösbar zwischen authentischem Dialog und einer Aufführung typischer Kunst-und-Politik-Argumentationen schwebt. Althoff kommentiert die Verstrickung von Kunst und Geld mit einem resoluten „Ich mag Geld“.
Isa Genzken, „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“, 2012, Filmstill, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
Wiederholt finden auch kleinere skulpturale Interventionen Eingang in den Film. Eine Bushaltestelle aus transparenten Glasflächen, in der Genzken sich gegen Althoffs penetrante Annäherungen zur Wehr setzen muss, ist mit einem blauen Tuch drapiert und improvisiert auf diese Weise eine Genzken-Skulptur. In einer anderen Szene stürmen Genzken und Althoff als „Fernsehkommissare“ Renate und Manni eine Wohnung und entdecken dort eine verweste Kinderleiche – ein merkwürdig modriges Arrangement aus einer Wolldecke, Holzstücken und einer Plastikplane. Die Spurensicherung wird verlangt.
In einer der schönsten Szenen geht es um den öffentlichen Auftritt der Künstlerpersönlichkeit, um ihre Funktion als Produktivkraft. Genzken weigert sich stur, ihr Hotelbett zu verlassen und auf ihrer eigenen Eröffnung zu erscheinen („I don’t want to see these assholes“), später drehen sich die Rollenverhältnisse um und Althoff ist einfach nicht zum Aufstehen zu bewegen. Zumindest nicht, bevor sich die kommunikativen Vereinbarungen geändert hätten, nach der man mit allen sprechen müsse, aber niemanden anfassen dürfe. Doch gerade als sich seine Verweigerungshaltung derart verfestigt hat, dass keine Option mehr offen scheint, kippt die Situation und beide Szenen münden in einer buchstäblich wirbeligen Stofftierparty, die von Verzweiflung, Renitenz und Regressionseuphorie beherrscht wird.
Isa Genzken, „Hallelujah“, Ausstellungsansicht, Schinkel Pavillon, Berlin 2012, Courtesy of Galerie Buchholz Berlin
„Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“ ist ein unfassbar befreiender Film und sein energetischer Überschuss wirkt geradezu ansteckend. Denn Genzken und Althoff versuchen mit ihren kruden Identitätswechseln die gesellschaftlichen Vereinbarungen, die Sprechweisen, Rollenmuster und sozialen Codes – wie auch die daraus hervorgehenden persönlichen Neurosen – in permanenter Bewegung zu halten. Fluchtmanöver ohne wegzulaufen.
Isa Genzken, „Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau)“, 2012, 60 min.
Isa Genzken, „Hallelujah“, Schinkel Pavillon, Berlin, 28. Januar bis 11. März 2012.