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„– UND WAS WIR DAGEGEN TUN KÖNNEN“. THEORIE UND KRITIK DES KAPITALISMUS ALS VERGESELLSCHAFTUNGSWEISE Ruth Sonderegger über Nancy Frasers „Der Allesfresser“

Trotz zentraler Erweiterungen durch Feminismen und queere Theorien weist die Kapitalismuskritik im deutschen Sprachraum eine Leerstelle auf: Die im englischsprachigen Diskurs schon lange produktiv gemachten antirassistischen Analysen fehlen. Gerade Schwarze Theoriebildungen unterstreichen den Zusammenhang von systemischen rassistischen Ausbeutungsformen und Kapitalismus seit dessen Entstehung. Mit der Übersetzung von Nancy Frasers Buch Cannibal Capitalism: How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet – and What We Can Do About It unter dem Titel Der Allesfresser. Wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt liegt nun ein Beitrag vor, der den Diskurs nicht nur rassismussensibel in Bezug auf Arbeit ausbaut, sondern dem Kapitalismus eine von Grund auf gesellschaftsstiftende Funktion attestiert. Ruth Sonderegger ordnet die Analyse ein und denkt unter anderem über die Bildwerte des monströsen Fressens nach.

Unter dem Titel Der Allesfresser hat Nancy Fraser in beeindruckend leichter Sprache eine sehr komplexe Analyse des Kapitalismus vorgelegt. [1] Sie geht dabei in bester historisch-materialistischer Weise vor. Das heißt: Sie erläutert sowohl die materiellen Bedingungen, unter denen der Kapitalismus entstanden ist, als auch jene, die er im Lauf der Geschichte selbst produziert hat und weiterhin produziert. Die Komplexität von Frasers Überlegungen ist nicht nur dem dynamischen Gegenstand, der der Kapitalismus nun einmal ist, angemessen. Auf diese Komplexität zu bestehen ist auch deshalb wichtig, weil kritische Auseinandersetzungen mit ihm andernfalls leicht zu moralisierenden und/oder individualisierenden Anklagen einzelner kapitalistischer Profiteur*innen werden. Derartige Vereinfachungen laufen zwangsläufig darauf hinaus, den Kapitalismus in seinem ganzen Umfang und in seiner historischen Vielgestaltigkeit zu verkennen, und verurteilen Versuche, ihn zu überwinden, von vornherein zum Scheitern. Denn solche Vereinfachungen konzipieren den Kapitalismus zu klein und zu harmlos.

Fraser fügt zu den üblichen und verdächtigen Charakterisierungen des Kapitalismus nicht nur ein paar zusätzliche hinzu. Vielmehr fasst sie ihn von Anfang an anders – komplexer eben – als es die meisten seiner Theoretiker*innen tun; nämlich nicht als Wirtschaftsform, sondern als eine Gesellschaftsformation, die viel mehr umfasst als jene Wirtschaftsweise, die seit Langem die Welt beherrscht. Damit die kapitalistische Wirtschaftsweise funktionieren kann, bedarf es nicht nur der hinlänglich bekannten Mehrwertproduktion, die darin besteht, dass den Arbeiter*innen, die den Mehrwert produzieren, nicht ihre volle Arbeitsleistung bezahlt wird, sondern nur das Nötigste, das zum Leben vorausgesetzt wird, während das Mehr zu den Besitzer*innen der Produktions- und einbehaltenen Finanzmittel geht. Damit diese Art der Ausbeutung funktionieren kann, muss noch viel mehr ausgebeutet werden, und zwar in tendenziell gänzlich unbezahlter Weise. Fraser spricht in diesem Zusammenhang von vier Hintergrundbedingungen des Kapitalismus als bloßer Wirtschaftsform. Und sie schlägt vor, die Interaktion dieser Bedingungen mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise, auf die der Kapitalismus meist reduziert wird, als dessen Gesellschaftsformation zu fassen. Den vier Hintergrundbedingungen und ihrer historischen Entwicklung widmet Fraser nach einem einleitenden Überblick jeweils ein Kapitel, um ihr Buch dann mit der Skizze einer Alternative zum Gesellschaftssystem des Kapitalismus und einem Epilog über die Covid-19-Pandemie zu beschließen. Denn Covid-19 hat Fraser zufolge die vermeintlichen Hintergrundvoraussetzungen des Kapitalismus auf unübersehbare und instruktive Weise in den Vordergrund gespielt.

Eisbergmodell der Ausbeutung nach Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, 2016

Eisbergmodell der Ausbeutung nach Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, 2016

Einleitend beschreibt Fraser die Bedeutung der vier Hintergrundbedingungen so: „Ein Wirtschaftssystem, das durch Privateigentum, die Akkumulation von sich ‚selbst‘ verwertendem Wert, die Marktallokation von sozialem Überschuss […] definiert ist, wird durch vier entscheidende Hintergrundbedingungen ermöglicht, bei denen es um soziale Reproduktion, die Ökologie der Erde, politische Macht und den ständigen Zufluss von Reichtum geht, der von rassifizierten Bevölkerungen enteignet wurde.“ [2] Mit anderen Worten: Damit Arbeiter*innen ausgebeutet werden können, müssen sie (1) ihr Leben reproduzieren; man muss sie also großziehen, ausbilden, bekochen, pflegen etc. – zumeist ohne Bezahlung. (2) Zudem braucht der Kapitalismus natürliche Rohstoffe einerseits und andererseits auch die Natur als Ablagerungsort für Abfall – ebenfalls am besten gratis. (3) Der Kapitalismus ist zudem auf eine staatszentrierte Politik angewiesen, die mit vornehmlich rechtlichen Mitteln und Gewaltmonopol für den freien Verkehr der Waren und Profite sorgt und auch dafür, dass die Arbeiter*innen nur so viel demokratisches Mitspracherecht haben, dass es dem Wirtschaftswachstum nicht schadet. (4) Schließlich braucht die kapitalistische Wirtschaftsweise die rassistische Enteignung vieler Arbeitskräfte; sei es in Form von Sklaverei, Gefängnisarbeit oder den vielen Formen der Zwangsarbeit, zu der heute in Europa und den USA vor allem illegalisierte Migrant*innen verdammt werden. Zudem hat sich der Rassismus als beste Grundlage erwiesen, um eine privilegierte, tendenziell weiße Arbeiter*innenschaft zu Kompromissen zu überreden, indem ihr kleine Vorteile gegenüber rassifizierten Menschen versprochen wurden. Der Sozialhistoriker Robin D. C. Kelley, der eine ähnliche Theorie wie Nancy Fraser aus der Perspektive des Black Marxism erarbeitet hat, erinnert in diesem Zusammenhang daran, was schon frühere Theoretiker*innen des Black Marxism immer wieder betont haben: „The purpose of racism is to control the behavior of white people, not Black people. For Blacks, guns and tanks are sufficient.“ [3]

Erst das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen der Ausbeutung, Enteignung und Extraktion ermöglicht das, worauf der Kapitalismus meist reduziert wird: eine bestimmte mehrwert- und wachstumsgetriebene Wirtschaftsweise. Nur über den wirtschaftlichen Teil des Kapitalismus zu sprechen, ist eine idealistische Abstraktion, die nichts mit der Realität zu tun hat. Nimmt man den Kapitalismus hingegen als das skizzierte Ensemble und die Geschichte seiner Veränderungen seit dem merkantilen Kapitalismus im 16. Jahrhundert so ernst, wie Fraser das tut, [4] dann wird noch mehr klar als der schiere Umfang des Kapitalismus: Kämpfe gegen die Gewaltherrschaft des Kapitalismus waren immer Grenzkämpfe, in denen geltend gemacht wurde, dass rassifizierte und illegalisierte Menschen, Natur oder Reproduktionsarbeit nicht einfach umsonst oder billig zu haben sind. Darüber hinaus zeigt Frasers Ansatz, dass die verschiedenen, in die „Umsonst-Welt“ verbannten Kreaturen im Lauf der Geschichte stets gegeneinander ausgespielt wurden. Gerade deshalb kann man den Kapitalismus, wie Fraser betont, nicht sektoriell verändern, sondern muss ihn in Solidarität mit allen und allem von ihm (unterschiedlich) Verachteten als gesamtgesellschaftliches Ensemble herausfordern.

Gerade aus der Perspektive der von Fraser analysierten „Grenzkämpfe“ erscheint jedoch fraglich, ob es hilfreich ist, von vier „Hintergrundvoraussetzungen“ zu sprechen, an deren Grenzen zur kapitalistischen Wirtschaft diese Kämpfe stattfinden. [5] Denn damit perpetuiert man die dominanten Kapitalismusverständnisse, die die überlebenswichtigen Voraussetzungen der hegemonialen Wirtschaftsform in den Hintergrund schieben, sie möglichst unsichtbar machen wollen. Man kann diese Hintergründe, die für Fraser zugleich Voraussetzungen sind, aber auch als Vordergrund und als geradezu unendlichen Reichtum begreifen, dem mit Geld und Mehrwertdenken nicht beizukommen ist; ein Reichtum der verausgabenden und ungleichen Ökonomien, zu denen die verschiedenen Formen von Care-Arbeit zählen, deren Zeitaufwand, Affektivität und Herstellung von Sozialität genau genommen unbezahlbar sind. Anders gesagt, der Kapitalismus als Wirtschaftsform braucht viele Bereiche, die gerade das Gegenteil von Mehrwertproduktion sind. Ihr Reichtum übersteigt die Mehrwertproduktion bei Weitem, weshalb die Hintergrundmetapher irreführend ist. Die dieses Jahr verstorbene marxistische Feministin Maria Mies, die seit vielen Jahrzehnten ein Nachdenken über den Kapitalismus verfolgt hat, das dem von Fraser sehr nahekommt, spricht mit gutem Grund immer wieder vom kapitalistischen Wirtschaftssystem als der Spitze eines Eisbergs, der ein gigantisches Fundament braucht. [6]

Das Nachdenken über den Kapitalismus im von Fraser erweiterten Sinn aus der Perspektive der Grenzkämpfe statt aus der der Wirtschaft könnte zudem eine Reflexion der Begriffe befördern, mit denen Fraser das Ensemble des Kapitalismus als Vergesellschaftungsweise belegt. Da ist einerseits der im Deutschen als Titel fungierende Allesfresser, aber andererseits auch die Rede von einem kannibalistischen Kapitalismus, wie er in der englischen Fassung als Titel erscheint. Im Buch selbst bringt Fraser den Allesfresser auch immer wieder mit dem Ouroboros in Zusammenhang, jener Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und die auf dem deutschen Cover wie ein Schmuckstück prangt, während auf dem englischen Buch ornamentale Schlangenreihen zu sehen sind, die der jeweils nächsten in den Schwanz beißen. Abgesehen davon, dass „Allesfresserei“ und „Menschenfresserei“ sicher nicht gleichzusetzten sind, ist es fraglich, ob derartige Monsterisierungen – manchmal ist vom Kapitalismus auch als von einem Tier die Rede – den Kapitalismus nicht noch unbezähmbarer erscheinen lassen, als er ohnehin ist. Erstaunlich ist auch, dass Fraser subversive Einsätze des Begriffs „Menschenfresserei“, wie sie etwa in der brasilianischen so künstlerischen wie politischen Anthropophagie-Bewegung entwickelt wurden, um aus der kolonial-kapitalistischen Vorherrschaft Europas in einem eher sanften und lustvollen Einverleiben etwas Neues zu machen, mit keinem Wort erwähnt. [7]

Oswald de Andrade, „Manifesto Antropofago“, 1928

Oswald de Andrade, „Manifesto Antropofago“, 1928

Weiteres Nachdenken über die Metaphorik bzw. Wörtlichkeit der sich selbst oder andere auffressenden Schlangen könnte auch in Bezug auf das Schlusskapitel von Frasers Buch aufschlussreich sein. Hier skizziert sie in groben Zügen einen „Sozialismus für das 21. Jahrhundert“, der von der Einsicht getragen ist, dass alle Gewaltfacetten des Allesfressers zugleich angegangen werden müssen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Das sollte man keineswegs als illusorische Megalomanie abtun. Vielmehr baut Fraser dabei auf jene Tatsache, deren Erläuterung sie das ganze Buch widmet: Menschliche und nichtmenschliche Wesen werden vom Kapitalismus zwar sehr verschieden und in unterschiedlichem Ausmaß gewaltsam beherrscht, aber sie teilen auch etwas, denn alle werden von derselben Gesellschaftsform unterjocht. Damit rekonstruiert sie einen Zusammenhang, der das Potenzial hat, eine tatsächlich riesige, solidarische Kette von Kämpfen herzustellen. Diese Aufgabe ist für Fraser alternativlos, wenn wir auf der Erde überleben wollen. Ob wir sie annehmen, lässt auch sie offen. Gerade deshalb sind ihre Metaphern der Selbstverschlingung bzw. Selbstkannibalisierung, [8] die von den Buchcovers reproduziert werden, ziemlich irreführend. Denn sie suggerieren, der Kapitalismus würde sich über kurz oder lang selbst die Grundlagen entziehen und enden. Das ist wohl zu teleologisch gedacht, denn bislang hat der Kapitalismus immer Auswege für ein paar Privilegierte zulasten anderer gefunden, worauf auch die gegenwärtig verbreiteten Thesen von der technischen Managebarkeit der Klimakatastrophe hinauslaufen.

Umso wichtiger sind deshalb die wenigen, aber richtungsweisenden Vorschläge, die Fraser in Bezug auf die verketteten sozialen Kämpfe dort macht, wo sie davon ausgeht, dass wir das Überwinden des Kapitalismus selbst in die Hand nehmen müssen. Da ist zunächst einmal die Forderung „pay as you go“ (244). Damit meint Fraser, dass die kapitalistische Ökonomie keine natürlichen Ressourcen, Reproduktionsleistungen oder demokratischen Institutionen mehr in Anspruch nehmen dürfe, ohne sie zu bezahlen bzw. wieder aufzufüllen. Darüber hinaus hänge das Überwinden des Kapitalismus von der konsequenten Vergesellschaftung aller Überschüsse (vgl. 245) ab, und zwar durch diejenigen, die sie erwirtschaftet haben. Schließlich dürften Märkte in den Augen Frasers weder „ganz oben“ (bei der Verteilung des Mehrwerts) noch „ganz unten“ (bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse) eine Rolle spielen (vgl. 247f.). Das lässt vieles offen, was angesichts der Wandelbarkeit des Kapitalismus ebenso angemessen ist, wie es der Freiheit Rechnung trägt, die soziale Kämpfe brauchen, gibt aber gleichwohl eine klare Richtung vor. Einschlagen müssen wir sie selbst.

Nancy Fraser, Der Allesfresser. Wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt, übersetzt von Andreas Wirthensohn, Berlin: Suhrkamp, 2023, 282 Seiten.

Ruth Sonderegger ist Professorin für Philosophie und ästhetische Theorie an der Akademie der bildenden Künste Wien. Sie promovierte an der FU Berlin und unterrichtete danach mehrere Jahre am Philosophie-Institut der Universiteit van Amsterdam. Ihre derzeitigen Forschungsfelder sind: Konstitution und Geschichte der westlichen philosophischen Ästhetik (im Kontext des Racial Capitalism), Praxistheorien, Cultural Studies, kritische Theorien und Widerstandsforschung.

Image credit: 1. © Suhrkamp Verlag, Berlin 2023; 2. © Konzeptwerk Neue Ökonomie, Leipzig 2016; 3. © Verso Books, London/New York 2022; 4. Public Domain

Anmerkungen

[1]Der erste Teil des Titels ist ein Zitat jenes Endes des Untertitels der englischen Originalausgabe, das in der deutschen Fassung gestrichen wurde. Während der englische Titel Cannibal Capitalism: How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet – and What We Can Do About It lautet, ist die deutsche Übersetzung mit Der Allesfresser. Wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt betitelt. Damit fällt ein wesentlicher Teil des Anliegens von Fraser, nämlich der Abschaffung des Kapitalismus in seinem ganzen Umfang, unter den Tisch.
[2]Nancy Fraser, Der Allesfresser, S. 40f.
[3]Vgl. das Ende des Vortrags „What is Racial Capitalism and Why Does it Matter?“ von Robin D. G. Kelley auf YouTube; letzter Zugriff: 20.10.2023.
[4]Fraser erläutert in Bezug auf alle vier „Hintergrundbedingungen“ ausführlich deren historische Veränderungen und unterscheidet dabei grob zwischen vier Epochen des Kapitalismus: dem merkantilen Kapitalismus (16.–18. Jahrhundert, RS), dem liberal-kolonialen Kolonialismus (= des 19. Jahrhunderts, RS), dem staatlich gelenkten Monopolkapitalismus (= der wohlfahrtsstaatlich orientierten Zwischen- und Nachkriegszeit, RS) und dem globalisierten neoliberalen Kapitalismus“ (S. 45).
[5]Die Rede von einem Dahinter geht auf Karl Marx zurück, der im Kapital vorschlägt, den Kapitalismus nicht als System des scheinbar gerechten Tausches von äquivalenten Werten auf einem sich selbst regulierenden Markt zu verstehen. Vielmehr müsse man in die Sphäre der Produktion hinabsteigen, um zu verstehen, dass nicht Gleiches mit Gleichem getauscht, sondern Lohnarbeit ausgebeutet wird. Fraser zufolge hat Marx im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur sogenannten ursprünglichen Akkumulation zwar erwähnt, dass der Kapitalismus als Ökonomik auch andere Formen der gewaltvollen Aneignung als die Ausbeutung der Lohnarbeit braucht, aber diese habe er nicht systematisch ausgearbeitet. Deshalb ist Frasers Ziel, hinter das Dahinter von Marx zu schauen. So hat sie einem Aufsatz, der dem 1. Kapitel von Allesfresser zugrunde liegt, mit „Behind Marx’s hidden abode: For an expanded conception of capitalism“ (in: New Left Review, 86, 2014, S. 141–159) betitelt.
[6]Die folgende Grafik findet sich in: Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, The Subsistence Perspective: Beyond the Globalised Economy, London 1999, S. 31. Analoge und sich vielfältig mit Fraser überschneidende Ansätze, den Kapitalismus weit über eine Wirtschaftsform hinaus zu denken, haben Feminist*innen of Color immer wieder vorgelegt. Im deutschsprachigen Bereich wären hier die Überlegungen von Heide Gerstenberger (Markt und Gewalt. Die Funktionsweise des historischen Kapitalismus, Münster 2018) und Sonja Buckel („Dirty Capitalism“, in: Dirk Martin/Susanne Martin/Jens Wissel (Hg.), Perspektiven und Konstellationen kritischer Theorie, Münster 2015, S. 29–48) hervorzuheben. Fraser ist nicht besonders generös im Crediten von Ansätzen, die den ihren verwandt sind, und tut beispielsweise Intersektionalitätstheorien sehr schnell als durchaus sinnvolle Beschreibungen des status quo ab, die aber nicht erklären würden bzw. könnten, wie die verschiedenen Gewaltabteilungen des erweitert verstandenen Kapitalismus miteinander zusammenhängen. Vgl. dazu das Interview von Giorgio Fazio und Angela Taraborrelli mit Fraser: „I am not a Post-Marxist: I am a Neo-Marxist“, in: Rivista Italiana di Filosofia Politica, 4, 2023, S. 99–122, hier: S. 108ff. Bezüglich der mangelnden Würdigung von Schwarzen und Of Color Perspektiven vgl. Jordan T. Camp/Christiana Heatherton/Manu Karuke, „A Response to Nancy Fraser“, in: Politics Letters, May 2019; letzter Zugriff: 21.10.2023.
[7]Vgl. Oswald de Andrades „Anthropophagisches Manifest“, das um eine Zeichnung von Tarsila do Amaral kreist, in: Isabel Exner/Gudrun Rath (Hg.), Lateinamerikanische Kulturtheorien. Grundlagentexte, Konstanz 2015, S. 45f. Eine gegenwärtige Subversionspraxis gegenüber dem Racial Capitalism auf der Basis der brasilianischen Anthropophagie-Bewegung stellt der Linzer Verein Maiz zur Basisbildung von Migrant*innen für Migrant*innen dar. Er beansprucht, Räume für Migrant*innen zu schaffen, wo es keine für sie gibt. Vgl. Website des Vereins. Generell ist zu sagen, dass Fraser die Rolle von Kunst und Kultur im erweiterten Allesfresser-Kapitalismus komplett vernachlässigt, obwohl sie ab und zu auf Gramsci verweist, der zu Recht darauf aufmerksam gemacht habe, dass der Kapitalismus ohne Kunst und Kultur genauso wenig auskäme wie ohne Mehrwert-Ökonomie. Vgl. als Versuch, diese Lücke mit Bezug auf die Rolle des Kunstfelds im Allesfresser-Kapitalismus zu füllen: Ruth Sonderegger, „Kants Ästhetik im Kontext des kolonial gestützten Kapitalismus. Ein Fragment zur Entstehung der philosophischen Ästhetik als Sensibilisierungsprojekt“, in: Birte Kleine Benne (Hg.), Disposiv-Erkundungen/Exploring Dispositifs, Berlin 2020, S. 301–316.
[8]Vgl. z.B. Fraser, S. 238.