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DAS NACHLEBEN DER BILDER IM EIGENEN KÖRPER Samantha Schramm über Ulrike Rosenbach im ZKM Karlsruhe

Die Pionierin der Performance- und Medienkunst Ulrike Rosenbach ist bekannt für ihre Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen (Rollen-)Bildern sowie deren Transformationen durch die Verschränkung verschiedener Medien in komplexen Montagen. Mit ihren Prozessen der Bild-Werdung synthetisiert Rosenbach dabei nicht nur Zitate aus der Kunstgeschichte, sondern auch Sequenzen ihrer eigenen Arbeiten vergangener Werkzyklen. Diese Unabgeschlossenheit ihrer Œuvres, die auch der von der Künstlerin gewählte Titel „heute ist morgen“ zum Ausdruck bringt, akzentuiert die Ausstellung trotz ihres retrospektiven Charakters. In ihrer Rezension der Schau, die das ZKM Rosenbach anlässlich ihres 80. Geburtstags widmet, setzt sich die Kunsthistorikern Samantha Schramm insbesondere mit dem Nachleben der Bilder auseinander, das Rosenbachs Schaffen stets vorantrieb.

Über die weitläufige Treppe eines Lichthofs des ursprünglich als Industriegebäude genutzten Hallenbaus des ZKM erreichen Besucher*innen die Retrospektive der Künstlerin Ulrike Rosenbach, die im oberen Stock mit 120 Arbeiten einen umfassenden Überblick über ihr Werk gibt. Die Ausstellung verdeutlicht nicht nur, dass Rosenbach bereits in ihren frühen Videoperformances der 1970er Jahre mit einem in dieser Zeit noch neuen Medium experimentierte und damit neue Perspektiven auf den weiblichen Körper herausarbeitete, sondern sie zeigt durch die Vielfalt an Installationen, Objekten, Videoarbeiten, Fotografien sowie Zeichnungen, wie Rosenbach bis heute bestimmte Themen immer wieder aufgreift, variiert und erweitert. Dabei steht die Transformation des Werkes in neue mediale Zusammenhänge und nicht das abgeschlossene Werk im Vordergrund.

Die Retrospektive von Ulrike Rosenbach ist Teil einer Serie von Einzelausstellungen bedeutender Medienkünstlerinnen am ZKM [1] , die sich der Aufarbeitung wichtiger Werke seit den 1970er Jahren widmet und verdeutlicht, dass diese Pionierinnen Medien wie Fotografie, Film und Video einsetzten, um neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten außerhalb der historischen, vielfach männlich geprägten Kunstformen zu entwickeln.

Bereits am Anfang der Ausstellung zeigen die sogenannten Kragenobjekte, dass Rosenbachs künstlerische Arbeitsweise aus einem plastischen Denken hervorgegangen ist und zugleich auf performative Weise feministische Anliegen verfolgt. Diese frühen, noch während des Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf entstandenen Werke sind in unterschiedlichen medialen Erscheinungsformen präsent und variieren zwischen räumlichem Objekt, performativer Aneignung des Materials und deren Dokumentation. Ausgestellt sind zwei der noch erhaltenen Kragenobjekte, deren über ein feines Drahtgestell gespannte Gaze eine filigrane, organische Form ausbildet. Ergänzt werden sie neben Zeichnungen durch Schwarz-Weiß-Fotografien: Diese zeigen Rosenbach als Trägerin der Kragen, die damit ihren Körper als Ort der Inszenierung dieser plastischen Texturen einsetzt – eine im Moment der musealen Betrachtung vergangene Körperhandlung. Durch die Positionierung der Künstlerin in einem Raum mit Fenster, durch die räumliche Stille und die formal strenge Bildkomposition erinnern einige der Fotografien an die Genremalerei des 17. Jahrhunderts. In der etwas späteren Serie Hauben für eine verheiratete Frau (1972) wird ihr feministisches Anliegen ebenfalls deutlich: Rosenbach transformiert die Kopfbedeckungen, die in der Malerei den gesellschaftlichen Stand der verheirateten Frauen repräsentierten, setzt sie in performativen Inszenierungen in Bezug zu ihrem eigenen Körper und damit auch zu ihrem Status als Künstlerin. Zugleich steigert sie die Räumlichkeit der Hauben, die in den Fotografien als in den Bildraum ragende Texturen ihren Kopf geradezu dominieren. Vergleichbar mit konstruktivistischen Objekten führen die Hauben eine Art abstrakt-körperliches Eigenleben und formulieren Kräfte im Raum, die sich auch auf den Körper ihrer Trägerin auswirken.

Dieses Verhältnis von Bild und Performance, von vergangener bildhafter Spur und deren Aktualisierung durch den eigenen Körper unterstreichen besonders die präsentierten frühen Videoarbeiten. Durch die Inszenierung von 22 Monitoren auf sockelartigen Stahlgestellen, die Rosenbach bereits in anderen Arbeiten eingesetzt hat und die in der Ausstellung als szenografisches Element eingesetzt werden, erscheinen die Videoarbeiten zugleich als objekthafte Installation von seriell wahrnehmbaren Bildern. Noch bevor wir die einzelnen Videos betrachten können, werden wir konfrontiert mit verschiedenen Bildern, die den Körper von Rosenbach in unterschiedlichen performativen Handlungen zeigen und dadurch thematische Reflexionen untereinander entwerfen. Die Präsentation dieser mittlerweile digitalisierten Videos auf in der damaligen Zeit üblichen Röhrenbildschirmen verdeutlicht zudem, wie Medienkunstausstellungen am ZKM aus der Zusammenführung von medienkonservatorischem Forschungsprozess und kuratorischer Praxis entstehen. Der Erhalt des Werkes wird verbunden mit einer möglichst adäquaten Annäherung an die jeweilige medienspezifischen Rezeptionsbedingungen, die auch durch die Zusammenarbeit mit der Künstlerin und das gemeinsam entwickelte Ausstellungskonzept aktualisiert werden.

In vielen dieser Videoarbeiten ist Rosenbachs Körper durch die unmittelbaren Nahaufnahmen meist nur in Ausschnitten sichtbar oder wird im Vollzug der Handlungen zunehmend weiter verdeckt, sodass der Körper eher als Bildträger oder Projektionsfläche dient. Immer wiederkehrend greift die Künstlerin das Motiv der Einwicklung des Körpers auf: sei es als Ein- und Anbinden der eigenen Tochter an ihren Körper oder als Prozess des Um- und schließlich Entwickelns ihres Kopfes mit Mullbinden in Bindenmaske (1972). In diesen experimentellen Videoarbeiten thematisiert Rosenbach den Körper als Ort, in den (Rollen-)Bilder eingeschrieben sind, aber auch transformiert und schließlich erweitert werden können. So reflektiert Einwicklung mit Julia (1972) sowohl das Bild der fürsorglichen Mutter, die ihre Tochter an sich bindet, als auch die Gewalt, die aus dieser engen Umwicklung entsteht. Von anderen Werken geht gleichermaßen eine latente Gewalt aus, suggeriert durch das oft mit semitransparenten Materialien durchgeführte Verhüllen des Kopfes als visuelle Auslöschung von Subjektivität oder indem die Künstlerin beispielsweise in Sorry Mister (1974) mit rhythmischen Schlägen auf ihren rechten Oberschenkel einen roten Abdruck auf der zunächst unversehrten Haut erzeugt und diese so mit der Spur einer gewaltsamen Handlung überlagert. Aufgenommen mit einer einfachen Schwarz-Weiß-Kamera, die für die häusliche Überwachung entwickelt und verkauft wurde, bleibt in den Videos die starke Kontrolle der Studioaktionen durch die Künstlerin sichtbar. Diese noch im Video wahrnehmbare Konzentration von Rosenbach verdeutlicht den vorausgegangenen experimentellen Prozess mit der Videotechnologie, indem die Aufnahme des Bildes durch die Kamera einhergeht mit der direkten Beobachtung der eigenen, unmittelbar übertragenen Handlung auf dem Fernsehbildschirm.

Deutlich wird in der Ausstellung auch Rosenbachs wiederkehrende Bezugnahme auf die Kunstgeschichte in paradigmatischen Medieninstallationen wie Reflexionen über die Geburt der Venus (1978), die aus einer Performance hervorgegangen ist und zeigt, wie die Künstlerin ihren eigenen Körper in bestehende (Rollen-)Bilder einschreibt. Während sie sich in der Videoprojektion langsam um die eigene Achse dreht, wechselt die auf ihre Gestalt projizierte Darstellung der Venus aus dem bekannten Gemälde von Sandro Botticelli zwischen Sichtbarkeit des Frauenbildes auf dem Körper von Rosenbach und dessen Verschwinden. Rosenbach trägt ein zweifarbiges Trikot – die Vorderseite weiß, die Rückseite schwarz –, sodass die Projektion jeweils nur auf der weißen Oberfläche sichtbar wird. Die Überblendung von Körper und Bild ist nur temporär, wird jeweils in Szene gesetzt, ausgelöscht und wieder erneut aufgenommen. Solchen Arbeiten geht eine intensive Beobachtung und Recherche zu Rollenbildern und ikonografischen Figuren sowie deren häufig zum Klischee gewordener Fortführung beispielsweise im Film oder in der Werbung voraus. Rosenbachs Handlungen verdeutlichen, dass in diese Bilder und Körper Machtverhältnisse eingeschrieben sind, denen die Künstlerin mit eigenen Bildern und dem eigenen Körper begegnet.

In vielen ihrer Installationen verhandelt Rosenbach unterschiedliche mediale Wahrnehmungsweisen. Aufgezeichnete Bilder werden mit Materialisierungen im Ausstellungsraum zusammengeführt: Bei Reflexionen über die Geburt der Venus befinden sich vor der Videoprojektion ein in den Ausstellungsraum fortgeführtes Salzfeld sowie eine Muschel mit einem kleinen Monitor, auf dem Meereswellen zu sehen sind. Diese Arbeit erscheint zugleich als Bild einer abwesenden Performance, deren Relikte aber als Objekte anwesend sind und die so bis in den Raum der Betrachter*innen hinein als performativ erfahrbare Situation fortgeführt wird. Die Ausstellung zeigt damit auch die Entwicklung von Rosenbachs Werk hin zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Medium der Installation und einer thematischen Ausweitung auf das Thema der Natur in Bezug zum Menschen und zur Kultur. Dies verdeutlichen beispielsweise die Aufnahme der Performance Die Eulenspieglerin (1985), in der die Künstlerin eine weibliche Version der schalkhaften männlichen Figur des Till Eulenspiegels entwirft, oder die auf eine keltische Ballade zurückgehende Arbeit Schlacht der Bäume (1989).

Der von Rosenbach selbst gewählte Titel der Ausstellung „heute ist morgen“ deutet einen zeitlichen Prozess, eine Überlagerung und Weitergabe von Bildformen an, die auf ein Nachleben verweisen. Mit dem vielfältigen Überblick über das Werk der Künstlerin zeigt die Ausstellung einen für den einmaligen Besuch fast unmöglich rezipierbaren Umfang an Arbeiten. Allerdings entspricht gerade diese Fülle und Varianz an Material der Arbeitsweise der Künstlerin: Rosenbach aktualisiert die Präsentation ihre Körperbilder für jede neue Ausstellungssituation; in der Zusammenschau ihrer Arbeiten werden Transformationen und Erweiterungen sichtbar, die sich zuweilen durch Anachronismen und Brüche auszeichnen und mehr als Heterochronien [2] denn als chronologisch angelegte Konstellationen erscheinen. Durchzogen von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Spuren wirken Rosenbachs Bilder nicht nur auf die Körper der Ausstellungsbesucher*innen, sondern setzen sich in ihnen fort.

„Ulrike Rosenbach. heute ist morgen. Werke seit 1969“, ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, 24. Juni 2023 bis 7. Januar 2024.

Samantha Schramm ist akademische Mitarbeiterin im Fach Kunstgeschichte am Geisteswissenschaftlichen Propädeutikum der Universität Stuttgart.

Aus rechtlichen Gründen können die Bilder, die diesen Text zum Zeitpunkt der Veröffentlichung begleitet haben, nicht mehr gezeigt werden.

Anmerkungen

[1]Vor der Ausstellung von Ulrike Rosenbach wurden Einzelausstellungen der Künstler*innen Soun-Gui Kim, Marijke van Warmerdam und Analivia Cordeiro gezeigt.
[2]Zum Begriff der Heterochronie vgl. Michel Foucault, Die Heterotopien – Les hétérotopies. Der utopische Körper – Le corps utopique. Zwei Radiovorträge, zweisprachige Ausgabe aus dem Franz. v. Michael Bisehoff, Nachwort v. Daniel Defert, Frankfurt/M. 2005.